Max Eyth
Der Invalide
Max Eyth

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V.

Mit vielen Bitten hatte Frau Wolfbach Albrecht bewogen, endlich einmal wieder einen Besuch bei Oberamtmanns zu machen. Sie saßen insgesamt um den runden Tisch in der »schönen Stube«, auf dem Stachel- und Johannisbeeren standen, welche Agnes eben von einer Freundin bekommen hatte; grüne Vorhänge waren herabgelassen und es herrschte in dem Zimmer eine trauliche, kühle Dämmerung, während draußen die Julisonne auf die Dächer brannte.

»Na wäre es ja möglich, daß Sie uns bald im Stiche ließen, Herr Assistent?« fragte die Frau Oberamtmann mit säuerlicher Wehmut.

»Meine Geschäfte auf dem hiesigen Forstamt sind allerdings in den nächsten Tagen beendigt«, versetzte Albrecht mit wehmütiger Säuerlichkeit, »doch weiß ich nicht, wo, und ob ich nicht am Ende hier wieder verwendet werde.«

»Unter allen Umständen«, fiel Herr Sterner ein, »dürfen wir die besprochene Partie in die türkischen Gärten des Fürsten nicht länger hinausschieben. Ich verspreche mir die interessantesten Entdeckungen.«

»Es soll ja strenge verboten sein, sie zu betreten«, sagte der Forstassistent.

»Allerdings«, versetzte Sterner mit einer klugen Miene. »Aber natürlich, – der Gärtner ist mir einigermaßen verpflichtet, – es gibt auch Nebentürchen, Sie verstehen mich! Und ich muß sagen, die Sache hat schon seit Jahren meine Neugier erregt.«

»Und da nimmst du wohl auch uns mit, Madame Wolfbach und mich, wenn ich schön bitte?« sagte Frau Sterner, ihre braunen Augen mit einiger Bestimmtheit zu ihrem Gemahl erhebend.

»Ach, was tut man seinem Weibe nicht zulieb!« seufzte der Oberamtmann' gleichsam hinter den Kulissen.

Frau Wolfbach hatte mit Agnes gesprochen. Sie wurde jetzt erst aufmerksam. »Der Fürst verreist in den nächsten Tagen«, fuhr die Frau Oberamtmann fort. »Wir fahren bis Gaisburg.«

»Ach, Sie haben ja einen neuen Kutscher«, siel Frau Wolfbach ein.

»Mein Gott! ja!« nahm Madame Sterner das Wort. »Es war ein rechtes Elend. Sie haben Wohl von dem unglücklichen Menschen auch schon gehört?«

»Der auf der Klosterwiese –«

»Ach freilich! Mein Mann entdeckte sogleich seine Unschuld, und es war doch mehr oder weniger Christenpflicht, dem armen Krüppel unter die Arme zu greifen. Wir hatten drei Tage vorher unsern Jakob fortjagen müssen. Da sagt' ich gleich zu meinem Mann: es ist ein Wink von oben.«

»Und er gewöhnte sich recht schnell an!« bemerkte Sterner.

»Ich wenigstens hab' mein Möglichstes getan!« unterbrach ihn seine Frau. »Sein Fuß hindert ihn freilich ein wenig, doch hat er eine merkwürdige Geschicklichkeit in dem hölzernen Bein und versteht die Pferde besser als unser Jakob, der sich trotz meiner Bitten und Ermahnungen im letzten Monat dreimal betrunken hat. Aber die Welt wird eben immer gottloser!«

»Und von dem wirklichen Täter haben Sie noch nichts erfahren?« fragte Frau Wolfbach.

»Sie meinen die Marionettengeschichte? – Mein Gott – nein!« sagte die Frau Oberamtmann mit einem frommen Blick nach oben. »Mein Mann hat natürlich alles versucht, schon weil der Stadtschreiber die Sache ernstlich betrieben zu sehen wünschte. Man hat aber nichts entdecken können, als daß während des Haupttumults ein schlanker, junger Mensch mit einem grünen Hut in der Torgasse verschwunden sei.«

Albrecht hatte indessen ein paar gleichgültige Worte mit Agnes gewechselt, die heute sehr still und zurückhaltend war. Es freute ihn. Er meinte, jetzt auch Grund zu einem ähnlichen Verhalten zu haben, und beide fingen an, still, jedes für sich, zu trutzen. Als aber die Oberamtmännin! seinen Hut zu beschreiben anfing, der drei Schritte von ihm auf einem Seitentischchen lag, kam er doch ein wenig aus der kühlen Stimmung.

»Ich bezweifle«, sagte Sterner mit Amtsmiene, »daß sich der freche Kerl noch im Fürstentume befindet. Er wäre sonst wohl nicht meinem Scharfblick entgangen, der höheren Orts erst kürzlich wieder gerühmt wurde.«

»Ich glaube kaum, daß ihn die schleunigste Flucht, selbst nach Amerika, Ihrem Auge entziehen könnte, Herr Oberamtmann!« sagte Albrecht mit großem Eifer.

»Es ist mir nur unbegreiflich, wo solche Leute die Frechheit hernehmen!« bemerkte Frau Wolfbach und ihr gutes, fröhliches Gesicht legte sich in die ernstesten Falten.

Albrecht wurde rot und aß plötzlich rasch einige Johannisbeeren.

»Man begreift's leicht, wenn man in unser Gefängnis hinübergeht und diese Figuren ein wenig ansieht«, meinte die Frau Oberamtmännin. »Kreaturen, keine Menschen mehr! mit viehischen Zügen, nichts als Haare im Gesicht, blaurote Nasen! ach, Sie verzeihen, aber das affiziert meine Nerven immer sehr.«

»Und so denken Sie sich jenen Verbrecher, Madame?« fragte Albrecht und seine Augen blitzten fast ein wenig zu verräterisch.

»Warum nicht, wenn ich mir überhaupt diesen Auswurf der Menschheit vorstellen möchte!« sagte Madame Sterner. »Aber pfui!«

»Und Sie auch?« fragte der junge Forstmann Agnes.

»Ich? Ja – nein –«, das Mädchen war sichtlich verwirrt. Sie schien nicht aufgemerkt zu haben. Albrecht wußte nicht, wie er ihre Antwort auslegen sollte, und doch fühlte er seinen geheimen Grimm vergehen, und als ihr vollends plötzlich Purpurröte über Gesicht und Nacken schoß, da wurde es ihm selbst mit einem Male ganz schwül. Er bat sie in Gedanken herzlich um Verzeihung für das, was er ihr in Gedanken angetan; aber es half nichts; es blieb ihm schwül. Er dachte an alle Artigkeiten, die ihm wohl sonst zu Gebote standen, um das Mädchen laut zu versöhnen, es blieb ihm schwül. Er dachte an die kühle Sommernacht, den Fluß, den morschen Kahn – das half! »Nein! meine Freiheit raubst du mir nicht«, sagte er triumphierend zu sich selbst – und dann zu ihr: ob die Johannisbeeren in ihrem Garten wachsen?

»Nein!« sagte das Mädchen, sichtlich froh auf einen andern Gegenstand zu kommen; »ich habe sie geschenkt bekommen von einer Freundin – von Doktors Amalie. Wissen Sie, ihr Garten ist am Fluß, gerade über von der großen, alten Erle. Ich komme manchmal hin.«

»Amalie!« stotterte der Forstassistent. »Amalie heißt sie. O, meine Freiheit!«

Und er sprach nichts mehr während des ganzen Besuchs.


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