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Der Spuk von Rammin

Als Dr. Henry Friedel zum Abendessen nach Hause kam, sah er in den Augen seiner jungen Frau Tränen. Er frug nach dem Grund, sie zeigte ihm einen Brief, den sie eben von ihrer Mutter erhalten hatte:

»Meine liebe Tochter Lotte!

Leider kann ich Dir wieder nur Schlechtes berichten. Die Versicherung will den Hagelschaden nicht bezahlen, weil der Papa, der sich mit dem Inspektor der Gesellschaft überworfen hatte, die letzte Prämie nicht bezahlt hat. Die Mamsell hat gekündigt, sie will sich in die Stadt verheiraten. Der grosse Braune ist auf dem Felde überanstrengt worden und hat sich die Hinterfesseln verletzt, er muss im Stalle in Bändern hängen. Dazu kommt der ewige Regen, das Korn liegt fast am Boden. Ueberall nur Kummer und Sorgen. Mit dem Verkauf von Rammin ist es auch nichts geworden. Ueber den Preis wären sie wohl noch einig geworden, Papa hatte nur 500 000 Mark gefordert. Aber dann hatte der Herr natürlich von unserem schrecklichen Spuk gehört und verlangt, eine Nacht im Mittelzimmer zu schlafen. Am anderen Morgen ist er gleich abgereist und hat an Papa geschrieben, dass er unter keinen Umständen mehr auf Rammin reflektiere. Das ist nun schon der Dritte! Es ist ein Jammer, ich glaube, wir werden nie von Rammin wegkommen! Dein Bruder Willi meint zwar, es sei gut, dass aus dem Kaufe nichts geworden ist, da Papa so wenig gefordert habe. Aber ich wäre zu froh, wenn wir doch endlich wegkämen, Papa und ich können die Sorgen kaum mehr ertragen. Dabei braucht Willi bei den Kürassieren so viel Geld, wir wissen nicht, wo es hernehmen. Könntest Du nicht, Lotte, Deinen Mann bewegen, auf Rammin eine neue Hypothek zu geben? nicht viel, etwa 80 000 Mark. Es steht ja vollständig sicher. Bitte, versuche es doch und schreibe mir bald, ob es sich machen lässt. Mit vielen mütterlichen Grüssen an Dich und Deinen Mann.

Deine traurige alte Mutter.«

»Willst du hören, Lotte, was ich von diesem Briefe denke?«

Sie nickte.

»Erstens: dass dieser Herr, der Rammin kaufen wollte, ein grosser Esel ist, wenn er 500 000 Mark dafür geben wollte, dass, dein Bruder Willi ein noch grösserer Esel ist, wenn er sich einbildet, dass das Gut seines Vaters damit zu niedrig bezahlt ist, dass ich endlich der grösste Esel wäre, deinem Vater für seinen pommerischen Dreck eine weitere: Hypothek von 80 000 Mark zu geben.«

»Henry!«

»Du glaubst mir nicht? – Ich habe mich genau nach dem Werte Rammins erkundigt, als ich deinem Vater vor zwei Jahren die Hypothek gab. Es ist – sehr hoch gerechnet – keine 100 000 Taler mehr wert, dein Vater hat es gründlich heruntergewirtschaftet. Dazu stehen etwa für 200 000 Mark Hypotheken darauf! Bleiben 100 000 Mark Vermögen. Und dabei leben dein Vater und dem Bruder, als ob sie mindestens 500 000 Mark im Jahre zu verzehren hätten!«

Lotte schluchzte.

Er strich ihr leise übers Haar:

»– Höre, Lotte, wir haben noch 14 Tage Zeit, ehe wir zum Nil fahren. Es ist gleichgültig ob wir die Zeit in Berlin oder irgendwo anders verbringen. Sollen wir nach Rammin fahren? Vielleicht können wir dort etwas helfen.«

»Wir wollen gleich telegraphieren!«

– Am anderen Abend waren sie dort. Frau von Rammin strahlte; die Hypothek schien ihr sicher.

»Wie lieb, Kinder, dass ihr hergekommen seid. Wir haben den ganzen Tag gearbeitet, um euch alles schön zu machen. Vorne im grossen Zimmer sollt ihr schlafen – –«

»Verzeihen Sie, Schwiegermama, wir möchten im Erkerzimmer schlafen.«

»– – Im Erkerzimmer? Da, wo es spukt, das ist nicht Ihr Ernst, Henry!«

»Gerade da! bitte, lassen Sie gerade das Zimmer zurecht machen, – Lotte und ich möchten um nichts vermissen, den Ramminer Spuk kennen zu lernen.«

Lotte fasste sich ein Herz.

»Ja, Mama, lass das Zimmer zurecht machen.«

– – Nach dem Essen zog Friedel seinen Schwager heraus.

»Sag mal, Willi, wie lange spukt es schon in Rammin?«

»Seit einigen Jahren!«

»Glaubst du daran?«

»Du wirst dich heute nacht selbst überzeugen.«

»Ist der Spuk im Erkerzimmer?«

»Nein.«

»Nein? wo dann?«

»Im Zimmer darüber! aber nur im Erkerzimmer kann man ihn hören!«

»Hast du dort einmal geschlafen?«

»Jawohl, zweimal. Vor einem Jahr etwa. Das erste Mal allein, die folgende Nacht mit einem Kameraden.«

»Hast du die Zimmer darüber untersucht?«

»Bis auf das Kleinste. Es ist ein Speicherzimmer. Die übrigen Zimmer da oben stehen meist leer, oder sind mit alten Möbeln und Gerätschaften angefüllt. Dies Zimmer ist ganz leer. Früher wurde es wohl zum Wäschetrocknen benutzt, es sind von einer Wand zur anderen einige Latten und Leinen gespannt.«

»Bist du sicher, dass sich nicht jemand aus dem Gesinde den Unfug erlaubt?«

»Ganz sicher! Am Tage, nachdem ich zum ersten Male im Erkerzimmer geschlafen hatte, untersuchte ich mit meinem Kameraden von Plessen den ganzen Speicher aufs peinlichste. Dann schloss ich das Zimmer ab und liess zum Ueberfluss noch einen Riegel mit Vorhängeschloss an die Türe nageln. Ueber das Schlüsselloch, sowie über das Vorhängeschloss klebten wir Papier, das wir beide mit unseren Wappenringen besiegelten. Dieselbe Prozedur wiederholten wir an der Treppentüre, die zum Speicher hinaufführt. Es war unmöglich einzudringen, ohne dass wir es gemerkt hätten!«

»Ist es nicht denkbar, dass man durch das Fenster hätte eindringen können?«

»Nein! Die Wand ist ganz glatt, und eine solch hohe Leiter ist auf ganz Rammin nicht zu finden. Ueberdies hätten wir das von dem Erkerzimmer bemerken müssen, die Fenster liegen genau übereinander. – Willst du vielleicht selbst einmal heraufgehen?«

»Ist nicht nötig; ich glaube, ich würde nicht mehr finden als du! Noch etwas: ist der Spuk immer da?«

»Nicht immer, manche haben ihn nicht gehört. Vielleicht haben sie nur zu fest geschlafen. Ich hoffe, ihr werdet Glück haben!«

– Henry und Lotte gingen früh zu Bett. Müde von der Eisenbahn- und der Wagenfahrt, schlief er bald ein.

Plötzlich wurde er wach, seine Frau hatte ihn geweckt. Sie sass aufrecht im Bett, der Mond, der voll durchs Fenster schien, beleuchtete ihr bleiches Gesicht.

»Hörst du nichts?«

Er setzte sich ebenfalls auf, rieb sich den Schlaf aus den Augen, dann horchte er.

Einen Moment war es still. Dann drang ein zischender, sausender Klang an sein Ohr.

»Zweifellos,« sagte er, »das ist über uns. Willi hat recht.«

Wieder war es einen Moment still. Und dann drang wieder der eigentümliche sausende Ton und ein Streifen, als ob zwei schleifende Gewänder rasch aneinander vorüberrauschten. Und plötzlich dazwischen ein gedämpfter kurzer, aber nachklingender Ton.

Das Schleifen und Zischen wurde immer stärker, aber es schien nicht den Boden zu berühren. Immer durch die Luft, in rasender Geschwindigkeit.

Friedel war aus dem Bett gesprungen; er begann sich anzukleiden. Da klang auf einmal ein lautes, schrilles Lachen an sein Ohr, und noch einmal und wieder, es war, als ob eine Menge kleiner Kinder sich schüttelten vor Lachen. Dazwischen wieder klagende, seufzende, schreiende Töne, ein Schleifen, Zischen, Murren, Rauschen.

Und nun, ganz deutlich, ein lauter Kuss, dann helles Gelächter! –

»Das ist ja der reine Hexensabbat!« rief er, »bunter kann es wirklich nicht werden!«

Und der Lärm wuchs mit jeder Minute, Kichern, Lachen, Seufzen, Klagen, Springen und Tanzen laut durcheinander.

»Merkwürdig, dass man keine Schritte hört,« meinte Friedel. Er war völlig angezogen; er ergriff nun das Licht und den Stiefelknecht.

»Wo willst du hin?«

»Herauf natürlich! willst du mit?«

Sie zitterte.

»Nimm wenigstens den Revolver mit!«

»Wozu? – – für diese lustige Gesellschaft genügt der Stiefelknecht vollkommen!«

»Henry, bleib da!«

»Närrchen!«

Er ging hinaus.

Sie hörte ihn die Treppe hinaufgehen, jetzt schloss er die Türe zur Speichertreppe auf. Tapp, tapp, tapp, der Klang seiner Schritte entfernte sich. – Nun hörte sie wieder deutlich, oben – er musste vor der Tür stehen. Sie hörte, wie er an der Tür tastete, er suchte den Schlüssel – –

Der Angstschweiss trat ihr auf die Stirn. Immer lauter, immer wüster wurde der Tanz dort oben. Immer wilder, immer toller. Wenn er nur wiederkäme, wenn er nur wiederkäme.

Sie versuchte zu beten, doch konnte sie keine Worte finden.

»Henry, Henry!«

Sie sprang aus dem Bett, wollte zur Tür, herauf, ihren Mann herunterholen.

Aber ihre Füsse trugen sie nicht, sie fiel zusammen, sie musste sich auf einen Stuhl setzen.

Bauz! da hörte sie einen lauten Krach. Er trat gewiss vor die Tür, da er den Schlüssel nicht finden konnte. Bauz, bauz, sie hörte seine schweren Tritte.

Wenn er nur wiederkäme.

Krach, jetzt flog die Türe auf. Und jetzt hörte sie seine Schritte gerade über sich. Und rings um ihn herum dieses schreckliche Tosen – an allen, allen Seiten!

Er war verloren – – –

Sie hielt sich die Ohren zu, schluchzte, weinte, jammerte. – –

– – Als sie aufsah, stand ihr Mann vor ihr:

»Was machst du denn, Närrchen?«

Sie stand auf, umhalste ihn, wollte ihn fast erdrücken mit ihren Küssen!

»Nicht so stürmisch, Lotte, du zerdrückst mein Gespenstchen. Ich hab dir eins mitgebracht, hier unterm Rock, eins von den Hauptspassmachern!«

Er zog eine grosse, graue Lachtaube heraus.

»Die andern mögen weiter Musik machen, die da kann bei uns bleiben. Eure Ramminer Gespenster sind mondsüchtig, Lotte, das ist ihre ganze Eigentümlichkeit. Dein Herr Papa wird die Taubenschläge draussen haben verfallen lassen und da ist ein besonders kluger Tauberich auf den Gedanken gekommen, sich da oben im Wäschezimmer häuslich niederzulassen. Es passte ja famos dazu mit den Leinen und Latten quer von Wand zu Wand. Aber sie hatten ihre Rechnung ohne den Mond gemacht. Wenn der da hineinscheint, werden die armen Tiere wach und flattern und lachen und gurren – na, du hörst sie ja, Lotte?«

Ehe sie am anderen Morgen zum Frühstück gingen, lachte sie:

»Wie wird sich Mama freuen, dass wir den Spuk gefunden haben. Nun können sie Rammin verkaufen!«

Er sann einen Augenblick nach:

»Lotte, ich bitte dich, erwähne nichts davon: erzählst du, so weiss morgen die ganze Nachbarschaft, wie es mit dem Ramminer Spuk bestellt ist. Und der Spuk ist das Beste in Rammin. Mit dem Spuk kann dein Vater Rammin vielleicht loswerden, ohne ihn würde ich keinen Groschen dafür geben.«

– Die anderen waren schon beim Frühstück.

»Na, habt ihr den Spuk gehört?«

»Ja,« sagte Lotte.

»Bist du überzeugt?«

»Es ist genau so, wie du mir erzählt hast.«

Dann brach er ab.

»Schwiegervater, ich höre, Sie wollen Rammin verkaufen!«

»Wenn ich einen Käufer fände!«

»Papa will nur 500 000 Mark haben,« meinte Frau von Rammin zaghaft.

»Verdammt wenig!« meinte Willi.

»Ich gebe 800 000 Mark! Davon geht meine Hypothek ab, macht 720 000 Mark. – Wenn Sie damit einverstanden sind, bitte ich zum Notar zu schicken, da ich sofort in den Besitz zu treten wünsche, auch die übrigen Hypotheken gleich löschen lassen möchte.

Frau v. Rammin küsste ihre Tochter, dann ihren Schwiegersohn. Der Alte schüttelte ihm die Hand.

»Zu viel ist's nicht,« sagte Willi.

Als Friedel mit seiner Frau allein war, sagte sie:

»Es war sehr edel von dir – aber was willst du mit Rammin machen? – Du verstehst –«

»– Nichts von der Landwirtschaft, hast auch nicht die geringste Lust dazu – willst du sagen? – Freilich hab ich keine Lust dazu und freilich verstehe ich nichts davon, beinahe so wenig wie dein Vater. Ich denke auch Rammin nicht vierzehn Tage zu behalten!«

»Du willst es verkaufen? Aber du sagst selbst, dass Rammin für 100 000 Taler keinen Käufer finden würde, und du willst 800 000 Mark dafür geben??«

»Ja – – und ich werde mehr dafür wieder bekommen. Was ich verdiene, gehört dir, Lotte, du kannst dafür Tauben züchten, wenn du Lust hast. – Willst du mir ein paar Briefe schreiben, die ich diktiere?«

»Gerne!«

»So schreibe: ›Rittergut Rammin! Haunted!! Altes Familiengut in Pommern ist zu verkaufen. Grosse Waldungen, Teiche, Parkanlage. Bester Boden, schöne Jagd. Das Gut wurde von dem Inhaber, in dessen Familie es über 400 Jahre gewesen ist, verkauft, weil er es in dem Schlosse, in welchem es spukt, nicht mehr aushalten konnte. Inserent dieses erstand es, da sich kein anderer Käufer aus angegebenen Gründen finden wollte, schuldenfrei zu dem fabelhaft niederen Preise von nur 800 000 Mark.

Notarieller Kaufakt liegt zur Einsicht vor. Inserent zieht jedoch selbst, nachdem er nur wenige Nächte in dem Schlosse geschlafen hat, vor, seinen Besitz wieder zu verkaufen, eventuell unter Selbstkostenpreis.

Gefl. Offerten an Herrn Dr. Friedel.
Rammin, Pommern.‹

So, Lotte! du musst es noch zweimal abschreiben! Und dann die Adressen: Times, London; Figaro, Paris; New York Herald, Neu-York.« –

Dr. Friedel bestand darauf, dass seine Schwiegereltern und Schwager sofort nach der Tätigung des notariellen Aktes nach Berlin fuhren, auch Lotte musste mit. Eine kleine Ausspannung könne nichts schaden, sagte er. –

Etwa vierzehn Tage später erhielt Lotte von ihrem Manne folgenden Brief:

»Liebes, keines Frauchen!

Morgen komme ich selbst zu Dir, jetzt nur in Eile die Hauptsache. Meine Rolle als Besitzer von Rammin ist ausgespielt, soeben habe ich das Gut für eine Million verkauft. Der jetzige Besitzer, Fr. Mc. Culloch, ist ein Schotte. – Auf unsere Annoncen bekam ich etwa 15 Antworten, Mc. Culloch kam gleich selbst hierher. Rammin hat er sich gar nicht angesehen, doch wollte er gleich im Erkerzimmer schlafen. Er war entzückt. Ich hatte alles so gelassen, wie es war, nur den Taubendreck habe ich da oben höchst eigenhändig ein wenig aufgekehrt. Ich hätte Mc. Culloch, der sofort 750 000 Mark bot, gleich zugeschlagen, jedoch kamen am folgenden Tage noch zwei Amerikaner. Sie schliefen ebenfalls im Erkerzimmer: der Erfolg war derselbe. Sie boten 800 000 Mark, worauf Mc. Culloch 50 000 Mark höher ging. So steigerten sie sich gegenseitig, bis der Schotte mit einer Million 15 000 Mark Sieger blieb! Er ist sofort in den Besitz von Rammin getreten, ich bin heute sein Gast. Er hat schon Anordnungen getroffen, die Türe zur Speichertreppe vermauern zu lassen, damit der Spuk nicht doch einmal herunterkäme! Das Erkerzimmer will er als Fremdenzimmer herrichten lassen, er lässt schon an alle seine Freunde Einladungen ergehen und freut sich schon im voraus, wenn er an die Erfolge denkt, die er erzielen wird! – Ich wünsche ihm alles Glück!

Ich komme 1.28 Uhr morgen mittag; wirst Du an der Bahn sein?

Grüsse für Deine Eltern und Deinen Bruder und einen Kuss für Dich.

Henry.«


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