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Armer Junge!

Ich habe Fritz v. S. in Capri kennen gelernt an einem Sommerabend, bei Morgano im »Kater Hiddigeigei«. Für die folgenden Tage hatte ich mit einem Freunde einen kleinen Trip nach dem Vesuv verabredet; dieser sagte mir in letzter Stunde ab, da ihm ein Brief die Ankunft von Verwandten ankündigte. So fragte ich im »Kater«, wo allabendlich sich die Fremden in Capri ein Rendezvous geben, ob nicht irgendein anderer Lust habe, mit mir zu gehen. Aber alle die Künstler und Offiziere mochten nicht; waren schon dort gewesen, oder hatten kein Geld; oder hatten etwas anderes vor. Dann liess sich mir Fritz v. S. vorstellen. Er sei erst seit einigen Tagen hier, habe wenig Anschluss, sei noch mangelhaft in der Sprache; ob ich die Liebenswürdigkeit haben wolle usw. Ich war froh einen Begleiter zu finden, sagte natürlich: ja. – Mit dem Frühboot am anderen Morgen fuhren wir nach Neapel.

Fritz v. S. war einundzwanzig Jahre alt, von alter hessischer Familie, Leutnant in einem hessischen Kavallerie-Regiment. Er hatte eine Lungenentzündung gehabt, zur Rekonvaleszenz war er im Süden. Er war ein hübscher Junge, von schlanker, leichter Figur, schwarz Augen und Haar, auf den Oberlippen der leichte Anflug des schwarzen Schnurrbartes. In zwei Minuten kannte ich seine Lebensgeschichte: Kadettenschule, Leutnant, Manöver, Rennen, Bälle, Tennisspielen. Aber er sprach davon mit einer gewissen müden Traurigkeit, ohne sichtbares Interesse. Aha, mein Junge, dachte ich, irgendeine unglückliche Liebe!

Wir blieben vier Tage fort: Vesuv, Pompeji, Castellamare, Sorrent. Er war von allem entzückt, doch schien es mir nicht jene frische auftauende Freude am Schauen, die nichts anderes in sich aufkommen lässt, jene vielleicht reinste Freude, die ich vor Jahren selbst empfunden und die ich so oft bei anderen beobachtet hatte. Es musste ihn noch etwas anderes beschäftigen.

Ich blieb nur noch kurze Zeit in Capri. Ging von da nach Taormina in Sizilien. Als ich abfuhr, brachte er mir einen grossen Strauss weisser Rosen ans Boot. Er fragte mich, wo ich im August sein würde. Ich antwortete: »Wahrscheinlich in Tivoli.« – »Wo da?« – »Chalet des Cascades.« – Als das Boot abfuhr, glaubte ich Tränen in seinen Augen zu bemerken.

»Quel drôle de chien!« lachte ich.

– Im August war ich nicht in Tivoli. Meine kleine Florentiner Freundin wollte mit ihrem fünfjährigen Knaben den Rest des Sommers in ihrer Villa in Sestri verbringen; ihr Mann war in Florenz geblieben. Sie hatte mich überredet, auch nach Sestri zu kommen, so hatte ich mir dort eine kleine Villa gemietet.

Eines Morgens lies sich Fritz melden.

»Sieh da, Sie in Sestri?«

»Ich war in Tivoli, ich hörte dort, dass Sie nicht hinkommen würden, dass Sie – hier seien, da bin ich – auch – hergekommen.«

Das kam zögernd heraus, er wurde rot wie ein Backfisch.

»Na, und wo wohnen Sie denn?«

»Ich war schon in drei Hôtels – es scheint alles überfüllt zu sein.«

Das klang so traurig, er tat mir ordentlich leid.

»Passen Sie mal auf, Fritz, Platz habe ich genug hier: wollen Sie bei mir wohnen? Wir frühstücken hier, pranzo im Grand Hôtel.«

Seine Augen leuchteten.

»Noch etwas, mein Junge. Zu der Stunde, wo jedes Junggesellennest sein Vögelchen empfängt, müssen Sie unsichtbar bleiben: Sie wissen ja, von drei bis fünf! Das wird Ihre Reiterleutnanttugend wohl nicht zu sehr verletzen. – Wenn Sie artig sind, sollen Sie übrigens meine Freundin gelegentlich kennen lernen. Sie wird Ihnen schon gefallen!«

– – Fritz ging immer aus, wenn Hyppolita zu mir kam. Einmal doch blieb sie länger wie gewöhnlich. Sie hatte sich verspätet, war erst um vier Uhr gekommen. Sie hatte die Gouvernante mit dem Knaben fortgeschickt und konnte nun länger bleiben. Es mochte etwa sechs Uhr sein. Sie sass auf meinem Schoss, im Hemdchen, und rührte im Teeglase. Da trat Fritz herein. Ich hatte ihm von ihr erzählt und ihr von ihm, so glaubte ich die etwas peinliche Situation leicht halten zu können. Hyppolita war aufgesprungen, sie standen sich gegenüber und sahen sich an. Und in ihrem Blick tauschten sie solch tödlichen Hass aus, wie ich ihn beiden nicht zugetraut hatte. Dann, ehe ich noch meine leichte Phrase beenden konnte, verbeugte sich Fritz und eilte hinaus.

Hyppolita – – eine Szene natürlich.

Ein paar Tage darauf überraschte ich Fritz im Garten, dicke Tränen in den Augen. Ich fragte ihn nach dem Grund – er gab keine Antwort. Endlich rief er: »Da – da –« und warf mir ein Stück Papier zu. Es war ein Bogen, auf dem ich am Morgen ein paar Verse für Hyppolita hingekritzelt hatte. – Die Verse lauteten:

Mein kleines Mädchen hat blonde Haare,
Blonde: Haare nach Florentiner Mode,
Mein kleines blondes Mädchen scheitelt ihre Haare
Grad' durch die Mitte nach Florentiner Mode.
– Einen Goldreif hat mein blondes Mädchen,
Einen Goldreif hat sie am kleinen Finger,
Und es küsst ihren Goldreif mein blondes Mädchen,
Küsst ihren Goldreif am kleinen Finger.
»Sag' mir doch, sag' mir, mein blondes Mädchen,
Was küsst du den Goldreif am kleinen Finger?«
– – nach hinten wirft sie das Köpfchen und die blonden Haare,
Küsst mich aufwärts nach Florentiner Mode!

– Am Abend stellte ich Fritz zur Rede.

»Du bist eifersüchtig?!«

Und recht aus dem Grund seines Herzens antwortete er: »Ja!«

»Auf Hyppolita?«

»Ja!«

»Warum?«

»Du liebst sie!«

»Sie ist schön, klug und lieb – ich mag sie gerne leiden: ja; ich liebe sie: – nein!«

Er schrie beinahe:

»Du liebst sie nicht!? – Du könntest jemand anders lieben??«

»Ich glaube sogar, ich tu's!«

»Wen?« – das klang, als ob von der Antwort seine Seligkeit abhinge!

Aber ich verstand ihn noch immer nicht.

Ich lachte:

»Dich gewiss nicht, guter Junge! – Sie wohnt jenseits der Alpen und ist gross und schlank und schwarz!«

Die Antwort schien ihn wie ein Peitschenhieb zu treffen. Er zitterte, schluchzte. – Mit einer gewissen Zärtlichkeit strich ich sein Haar:

»Was ist dir, Junge?«

Und nun machte er mir sein Geständnis. Er kniete vor mir nieder, ergriff meine Hände. Und er sprach von seiner Liebe zu mir in so glühenden Farben, in so herzzerreissenden Tönen, wie ich es nie aus Frauenmund gehört hatte.

Als er geendet, stand er auf, ging zu seinem Stuhl zurück.

»So,« sagte er, »nun verachtest du – mich!!«

»Ich denke nicht daran!– – Jetzt – geh' zu Bett!«

– Er wollte meine Hände küssen, ich konnte ihn kaum hindern.

»Geh' jetzt zu Bett!«

– Er ging.

Das also war es! – Und ich Narr hatte nichts davon gemerkt, gar nichts! Weder damals in Capri noch jetzt während der drei Wochen – nun erst verstand ich seine Tränen, als ich von Capri abfuhr, nun erst diese plötzliche Ankunft in Sestri, nun erst die wütenden Blicke Hyppolitas. Dieses Weib hatte also einen schärferen Blick als ich!

Ich sann nach. Diese Art griechischer Liebe kannte ich nicht! Der Mann, der den Knaben liebt, dessen schlanke, biegsame Formen er bewundert – ja! So Epaminondas, so Horaz, so Tiberius. So Lord Byron und Graf Platen. So herab bis auf die vielen, vielen Männer, die ich getroffen hatte von der Themse bis zum Nil. Der Mann, der sich als Mann fühlt, liebt den Jüngling an Stelle des Weibes.

Mir fiel Horaz ein:

– – – quo simul mearis,
Nec tenerum Lycidam mirabere, quo calet iuventus,
Nunc omnis, – – – – – – – – –

Nicht die männlichen, sondern die zarten, weichen, knabenhaften Linien liebt und besingt er.

Aber Alkibiades? – Ich rufe mir Platons Gastmahl ins Gedächtnis zurück. Er stellt dem Sokrates nach, wie Madame Potiphar dem Josef, seltsam – mit demselben negativen Resultat. Freilich sind die Motive für die ausgeteilten Körbe andere – die Keuschheit des frommen Josef und der hochmütige Stolz des Sokrates, der den reichsten und vornehmsten, den schönsten und gebildetsten Jüngling Athens zurückweist. – So meint wenigstens Alkibiades. Oder aber – war Sokrates nur nicht homosexuell veranlagt?? – Das ist doch so viel einfacher!

Doch das interessiert mich nicht. Ich suche die Gründe, die den Alkibiades bewegen konnten, seine Verführungskünste bei Sokrates zu versuchen. Und da finde ich dasselbe, was er dem Sokrates als Motiv seiner Weigerung unterschiebt: nicht Liebe, sondern Ehrgeiz und Hochmut! Ja, das ist es: von dem Manne will er geliebt werden, den er, den einzigen, bewundern muss; nicht lieben will er – geliebt werden, von dem Sokrates, den das stolze Athen als Ersten anerkennt. Will ein neues Lorbeerblatt für seine Locken pflücken.

Nein, auch das ist es hier nicht.

Die Liebe dieses Jünglings ist anders. Noch klingen mir seine Worte in den Ohren:

»– – – – dein selbstbewusster männlicher Gang, deine breite Brust, dein kräftiger Schritt, das Höhnische, Ueberlegene in deiner Stimme, das spöttische Zucken um deine Lippen – – – – oh, ich bete dich an!«

Nein, seine Liebe ist nicht die des Mannes: er liebt in mir den Mann, er, der sich als Weib fühlt!

– – – Armer Junge!

Am folgenden Tage machte mir Hyppolita wieder eine Szene. Ich solle Fritz wegschicken; er sei ihr unsympathisch; er habe den bösen Blick usw. – Ich fragte nach Gründen. Sie wusste keine.

Aber als mich ihr Klagen schliesslich langweilte, als ich ihr sagte, dass sie ein Kind sei, dass ich ihn gerne hätte, dass er mein Freund sei – – – da kreischte sie plötzlich auf:

»È uno finocchio, un orecchione! Uno figlio del cane! Figlio del cane!«

Sie sah aus, wie ein Fischerweib von Santa-Lucia. Sie war entzückend in ihrer Wut! Einfach herrlich!

Ich hatte sie beinahe lieb.

Und dann schlang sie ihre Arme um mich, weinte und schrie. Ich solle ihn wegschicken, morgen, heute noch!

– Natürlich versprach ich es ihr.

Kaum war sie fort, so trat Fritz herein.

»Ich habe gehört, was ihr gesprochen, ich war im Nebenzimmer.«

»Du verstehst nicht italienisch.«

»Ich habe jedes Wort verstanden!«

»Du weisst, was – –«

»Was fiocchio heisst oder orecchione!? Freilich weiss ich's! Soll ich dir's auf deutsch sagen?«

»Ich danke!«

– – »Ich – ich – muss weggehen?«

Ich nahm mich zusammen:

»Es wird wohl das beste sein!«

* * *

Wir gingen zum »pranzo«, dann zum Konzert. Als wir nach Hause gingen, hatte ich das Bedürfnis, noch einmal mit ihm zu sprechen.

»Höre mal, Fritz,« sagte ich, »es ist wirklich das beste, wenn du gehst. Ich glaube, ich verstehe dein Fühlen. Aber ich kann dir nicht helfen; meine Natur ist so ganz anders: ich liebe das Weib.«

Er antwortete nicht.

»Und sieh, mein Junge, du wirst dich trösten. Glaub' mir: ich verstehe deinen Schmerz. Meinst du, ich habe nie durch Nächte durchgeweint und die Lippen mir wund gebissen, wenn mich ein geliebtes Weib verlassen? Aber für die Schwarze fand ich die Blonde und für die Blonde die Brünette, und in den Armen der einen vergass ich die leichten Wunden, die mir die andere gekratzt. – Auch du wirst einen anderen finden für deine Liebe, wirst mich vergessen.«

Er sprach noch immer nicht.

Erst als wir vor unserer Villa standen, blieb er stehen:

»Sagtest du mir nicht einmal, du seiest polygam veranlagt?«

»Ich glaube es.«

»Glaubst du, dass es Männer gibt, die monogam veranlagt sind die nur einmal und nur ein Weib lieben können?«

»Ja.«

»Nun, so ähnlich wird es auch bei mir sein!«

»Ach was – Unsinn!« rief ich. Aber es kam mir nicht von Herzen, ich fühlte, dass er recht hatte.

– – Am anderen Morgen brachte ich ihn zur Bahn. Als der Zug einlief, sagte er:

»Willst du mich zum Abschied küssen?«

»Warum nicht?« antwortete ich.

Ich hatte hundertmal Freunde beim Abschiede geküsst: tut's doch jedermann in Südfrankreich und Italien. Warum ihn nicht? – Und doch widerstrebte es mir, ich zögerte einen Augenblick. Dann fasste ich einen herzhaften Entschluss, nahm seinen Kopf in meine Hände – – – Aber als mich sein Blick traf, sanken mir die Arme herunter.

»Ich kann nicht,« murmelte ich.

Und ich kam mir vor wie sein Henker!

Der Zug fuhr ab; in seinen Augen zitterten dieselben Tränen wie damals in Capri, in meinen Händen lag ein selber Busch weisser Rosen. Ich biss meine Lippen zusammen und küsste die Rosen. – Da sah ich ihn jämmerlich, herzzerreissend aufschluchzen – –

Als ich vom Bahnhof ging, warf ich die Rosen fort und wischte die Lippen ab.

Armer, armer Junge!

Zwei Tage darauf las ich im »Osservatore«, er habe sich in Rom erschossen. Ich zeigte das Blatt Hyppolita, zugleich erzählte ich ihr, was sie noch nicht wusste.

Sie jauchzte auf:

»Io son' contenta, son' ben' contenta!«

Sie wurde stiller:

»Ich will für ihn beten. – Ich will eine Messe für ihn lesen lassen. – – – War er katholisch?«

»Nein.«

»– – Ich will – doch für ihn beten!«

– – Dann strich sie ihr blondes Haar aus der Stirne, als ob sie die Gedanken auch wegstreichen wolle, und küsste mich, küsste mich:

»Io t'amo, io t'amo, io t'amo!«


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