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Zwei Briefe von Henriette Feuerbach

siehe Bildunterschrift

Anselm Feuerbach
Jugendliches Selbstbildnis des Malers von 1848
1829-1880

Ölbild im Besitz von Frau Generaloberarzt Dr. Feuerbach in München.

 

1. An den Sohn nach dem Tode des Vaters.

Freiburg, den elften September (1851)

Mein lieber Anselm!

Ich sitze hier vor dem Papier und weiß nicht, wie ich die Feder halten soll. Du magst es als den größten Beweis meiner Liebe ansehen, daß ich Dir heute schreibe. Morgen ist Dein Geburtstag. Ich habe Dir nichts zu senden als diesen Brief. Den Deinigen, der so lieb und tief und wahrhaftig ist, hab' ich erhalten eine halbe Stunde, bevor der gute Vater die nun ewige Wohnung im grünen Garten bezog. Da hab' ich ihm Deinen Brief in die rechte Hand gegeben, und in der linken hatte er Blumen: So ist Dein Gruß mit ihm gegangen und ruht an seinem Herzen, das nicht mehr schlägt. Tröste Dich, mein guter Sohn, denke nicht an kleine Unebenheiten, die im Leben unter den besten Menschen vorkommen, denke vielmehr, wie Du Deinen Vater liebtest und er Dich, – wie unaussprechlich unglücklich sein Leben war, und gönne ihm seinen seligen Frieden. Ich habe Dir nie während der letzten Krankheit nur den zehnten Teil der Leiden geschrieben, die wir überstanden. Auch jetzt wollen wir die Aufzählung ruhen lassen ... Im Moment des Scheidens zog ein heller Schein über sein Gesicht, eine lichte Verklärung. Er sah in den ersten Stunden nach dem Tode einem zwanzigjährigen Jüngling gleich, Alter und Krankheit waren aus den Zügen verschwunden, es war der wahrhaftige Abglanz einer seligen Erlösung aus schwerer, schwerer Gefangenschaft. – Dies unser Trost, mein lieber, lieber Sohn. – Ich bin tief gebeugt und im Innersten verwundet und ergriffen, alles tut mir weh, und dennoch fühle ich, daß mir unser teurer Entschlafener jetzt mehr gehört und näher ist, als im Leben, vom Unmaß der Krankheit umschleiert und verfinstert. Es mußte so kommen, es war die blinde Notwendigkeit ... Seine letzte Freude waren die Rezensionen Deiner Bilder. Über die zweite hatte er in seiner schwächlichen Reizbarkeit einen ganzen Tag vor Freuden geweint. Des Nachts sagte er immer: »Mein herrlicher Sohn, mein lieber Sohn!« – und erzählte der Wärterin von Dir, so gut er konnte. Das war, wie er noch halb bei Bewußtsein war. Später sagte er einmal des Nachts: »Ich muß noch viel mit Anselm reden, stör mich nicht!« –

»Ist er denn da?« fragte ich. »O ja, ich sehe ihn, so lieb und schön wie immer!« Die letzten Tage, wo er nimmer sprechen konnte, sagte ich ihm alle Stunden mehrmals vor: »Anselm grüßt Dich, er ist wohl und fleißig.« Da flog zuweilen noch ein Lichtchen über sein Gesicht, wenn er es begriffen hatte. Du siehst also, mit welcher Liebe Dein Vater die Augen geschlossen hat – sein Segen ist über Dir. Daß Du nicht zugegen warst, habe ich nur einen Moment bedauert, aber auch gleich eingesehen, daß es nichts geholfen hätte. Für Vater wäre deine Gegenwart nicht mehr gewesen, als Dein Andenken es war, und Du hättest außer der letzten versöhnenden Stunde, wo er aber bewußtlos war, nichts als qualvolle, herzzerreißende Eindrücke gehabt, die Dich auch lange Zeit arbeitsunfähig gemacht hätten. Das beste Andenken, das Du Deinem Vater bewahren kannst, hast Du selbst in Deinem letzten Brief bezeichnet, den der Vater als Dein Gelöbnis mit ins Grab genommen hat. Darum gib keiner allzu großen müßigen Betrübnis Raum, sei Mann und Künstler und verdiene dem Namen Deines Vaters durch eigenes Schaffen einen neuen Kranz!

Für mich ist es, wenn ich ein bißchen die tödliche Ermattung abstreifen kann, die erste und heiligste Pflicht, die hinterlassenen Papiere Deines Vaters herauszugeben. Dazu und zu einer Biographie, die den hohen herrlichen Geist aus dem Schutt der Krankheit noch einmal ans Tageslicht hervorarbeitet, habe ich mir ein Jahr Zeit gemacht. Dies soll Vaters Namen verewigen, soll Emilien ein kleines Kapital und Dir die Mittel zu einer italienischen Reise erringen. Nachher wollen wir weiter sehen! Ich glaube auch, daß ich Vaters edles Andenken so besser ehre als durch müßiges Weinen und Klagen. Vor der Hand bleiben wir hier auch bis Ostern, bis wo ich erst aufkündigen kann, in unserer Wohnung. Die Bibliothek wird verkauft, und ich bitte Dich, mir ohngefähr zu bezeichnen, welche Bücher und Kupferwerke Du für Dich aufbewahrt wünschest ...

Das wäre, was ich mit kahlen dürren Worten jetzt hinschreibe, wahrend Herz und Hände zittern. Ich wollte Dir einen lieben und schönen Brief schreiben, aber es geht nicht. Ich will, wenn ich zur Ruhe gekommen, Vaters letzte Wochen ausführlich niederschreiben, besser als heute. Es ist nachts zehn Uhr, und ich muß nun wieder schlafen lernen, das will nicht gehen. –

Die Leute sind lieb und teilnehmend – Schwörers haben sich als echte herrliche Freunde erwiesen. Meinen Bruder Wilhelm erwarte ich nächste Woche auf zwei Tage. Wenn Du Herrn Schwörer ein paar Zeilen des Dankes schreiben möchtest, so wäre das ein kleines Zeichen unserer Dankbarkeit. Nun noch das letzte. Ich will einen einfachen Stein setzen lassen mit der Inschrift: »Der Gerechten Seelen ruhen in Gottes Hand und keine Qual rühret sie an. Weisheit Salomonis 3, 1.« Gute Nacht –

Deine treue Mutter.

2. An eine Freundin.

Liebe!

Dein Brief hat mir wohlgetan, und ich möchte ihn auch gleich beantworten, aber nur mit wenigen Zeilen und nur der Hauptsache nach.

Ich freue mich Deines Aufenthaltes in Hornberg umso mehr, als ich die Szenerie gut kenne von alten Zeiten her. Für mich wäre es nichts. Jeder Schritt schmerzvolle Erinnerung.

Du hast recht, daß ich dem Leben entfremdet bin. Darin haben sich große Wandlungen in mir vollzogen. Ich stehe draußen und strebe danach, mich darüber zu erheben, was aber nur momentan gelingt. Eins aber ist mir geblieben, oder wenn Du willst, Gott hat es mir gelassen. Die Fähigkeit, der Lebensberechtigung derer, die ich liebe, mich zu freuen. Dies ist für den Rest meines Lebens der Anteil am Leben. Sonst habe ich keinen. Aber er kann mit der Zeit größer werden und sich erweitern durch Ideen, die auch dann selbst wieder an das Leben anknüpfen unmittelbar. –

Ob ich so lange Zeit habe, weiß ich nicht. Wie dem sei, so ist es gut und recht, mich teilnehmen zu lassen an dem, was euch zukommt in Leid und Freud; es gehört dies zu meinem Anteil.

Den Egoismus der Schmerzen habe ich überwunden. Ich sehne mich nach der Versöhnung im Ganzen und Vollen, werde sie aber nicht völlig erringen, weil ich meinen Schmerz als eine persönliche Erinnerung und als einzige menschliche Berechtigung liebe und hege. Aber es ist hie und da ein bis zur letzten Grenze dringender verklärender Gedanke vor der Hand schon genug. Man muß nicht zu viel verlangen. Ich war neulich einen Tag in Grüneberg, dem Stromerschen Gut an der kleinen Salzach; ein altes Feudalschloß mit sieben Fuß dicken Mauern, Giebeln, runden Scheiben und zwei hundertjährigen Linden in einer Waldeinsamkeit, wie ich noch keine gesehen habe. Ich blieb die halbe Nacht am Fenster sitzen, rings ganz nahe Waldmauern, ein kleines Stück Himmel mit Mond und Sternen, Baum- und Wasserrauschen und der heiße Duft von Heliotrop und Rosen aus dem kleinen Garten. – In dieser Nacht hatte ich einen solchen Verklärungsmoment, den stärksten, den ich bis jetzt empfand. Die Natur hatte mich überwältigt. Die Unendlichkeit in der engsten Begrenzung, die Stille, die mit tausend Zungen redet, das ewige Leben in Zeit und Tod. In jener Nacht habe ich meine Seele in aller Wahrheit mit vielen Tränen Gott hingegeben, und ich fühle, daß dies eine Stufe aufwärts war.

... In Berlin habe ich die irdische Unsterblichkeit Anselms mit Augen gesehen. Die Ausstellung ist über alle Beschreibung schön, nach Inhalt wie nach Einrichtung. Die Bilder jeder Epoche beisammen mit den dazu gehörigen Skizzen und Zeichnungen, dazwischen Palmen und Lorbeergruppen, plätschernde Brunnen – alles leuchtet und lebt in wundervollem, ich möchte sagen raffiniertem Lichte. So geht man allgemach durch die Säle, drei große, neun kleine, die Mitte nimmt Medea, Amazonenschlacht, die beiden Iphigenien ein, bis an das Ende der Galerie, wo in einer Türverkleidung still und heilig »Das Konzert« steht ...

Ich habe Anselms Unsterblichkeit mit Todesschmerzen erschaut. Für mich ist das Leben vorbei, ich denke nur und schaue in die Zukunft und in ihr als leuchtende Sterne Anselms Werke. Ich habe in Berlin zum erstenmal mein eigenes Empfinden, welches mir oft verhüllt ist, weil die Kraft mangelt, es in Bewußtsein zu fassen, ganz erschöpft und erfaßt. Es war die größte Erschütterung und Erhebung, deren meine Natur überhaupt fähig ist. Jetzt bin ich ins Dunkel zurückgekehrt, was gar nichts ausmacht. Ich existiere überhaupt gar nicht, auch der Sohn ist nicht, sondern ganz allein der Künstler.

»Das Konzert« sollte, weil unvollendet, um dreitausend Taler verkauft werden. Ich habe es in die Nationalgalerie, wo auch die Schackschen Bilder hinkommen, als Vermächtnis zu Anselms Andenken für alle Zeit gestiftet. Vierundzwanzig Stunden lang habe ich darum in mir gekämpft, endlich hat mir das Bild gesagt, was es will, und so ist auch Ruhe in mir geworden ...

Sie haben mich alte einsame Frau empfangen wie eine Fürstin, die in ihr Schloß einzieht. Das war das Ärgste.

Ich denke manchmal, daß jedes Menschenleben seine bestimmte Tonart hat, die aus dem Charakter wächst, und daß es nach so vielen Abweichungen wieder dahin zurück muß und darin endigt. Wunderlich genug, daß meine Ruhelosigkeit eigentlich aus einem ruhigen Untergrund aufwächst. – Der »Parsifal« ist, nachdem ich den Klavierauszug in die Hand bekommen, seines sinnlichen Zaubers beraubt vor meinen Augen in einen Abgrund versunken, aus dem ich ihn nicht herausziehen will für mich – ich habe in diesem Jahr viel Brahms studiert und so viel gelernt, daß ich dankbar bin. Demohngeachtet faßte mich nach monatelangem Lernen plötzlich die Sehnsucht nach der C-Moll-Phantasie von Mozart, und ich habe in ihr meine arme Seele reingewaschen von allem Raffinement der neuen Zeit.

Dies ist ein Geburtstagsbrief, liebe Freundin, den Du in Ehren halten magst. Man kann nicht immer so die Wahrheit sagen.

Deine Henriette.


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