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Bericht über Henriette Feuerbach
von einer jungen zeitgenössischen Ansbacherin

Du müßtest sie sehen, wie sie in ihrem sauberen Schreibzimmer über ihren Büchern und Papieren sitzt, selber ganz Sauberkeit mit ihrem schwarzen Haubenschleier über ihrem sanft gewellten weißen Haar, die liebe Frau Hofrätin Feuerbach. Sie bewohnt hier augenblicklich in Ansbach zwei Räume bei der ihr befreundeten Elise Feuerbach, der jüngsten Tochter des verstorbenen Appellationsgerichtspräsidenten Anselm Feuerbach, des eigentlichen Ahnherrn dieses bedeutenden Geschlechtes. Bei dieser Freundin weilt sie auf einige Tage zu Besuch. Aber sie ist so verliebt in ihr Geburtstädtchen, daß sie oft erklärt, daß sie ihren Lebensabend nirgend anderswo als hier abhaspeln möchte. Augenblicklich feilt sie überprüfend an einer gelehrten Arbeit über zwei fränkische Dichter aus dem vorigen Jahrhundert, über den guten Uz und den früh verstorbenen Bühnendichter Cronegk. An einer »gelehrten Arbeit«! Die Worte sind eigentlich schon viel zu schwer, zu großartig für die leichte unterhaltsame Kunst des Schreibens, die sie pflegt. Beide Zopfdichter sind geborene Ansbacher oder »Anspacher«, wie man zu jenen Zeiten schrieb. Sind also engere Landsleute, ja Stadtgenossen von ihr, und sie plaudert sozusagen mit ihnen, als ob sie noch lebten, wenn sie über die beiden schreibt. Ab und zu, wenn ich sie recht schön gebeten habe, tut sie mir wohl die große Ehre an, mir einige Seiten von dem, was sie zu Papier gebracht hat, vorzulesen. Da bin ich immer ganz Ohr und lausche ihren Worten wie der Jüngling in der Artusrunde, wenn Titurel sang. Sie schreibt alles in einem schlichten und gut lesbaren Deutsch nieder, das sie ganz selten mit einigen ungezwungenen Vergleichen und Bildern verblümt. Fremdwörter und ausländische Lesefrüchte vermeidet sie mit Fleiß. Und ich habe mich schon daran gewöhnt, wie sie das Wort »Zopftum« besser zu finden als das Wort »Rokoko«, bei dem man an das Gurren einer Taube oder das Knurren eines Papageien denken muß, ohne sich sonst viel dabei zu denken, wie Frau Feuerbach meint.

Sie kennt den Schauplatz, auf dem sich das sanfte Leben ihrer kleinen Helden abgespielt hat, auf das vertrauteste von ihrer frühesten Kindheit an und wandelt durch das neue Ansbach, als ob es noch das alte wäre. »Hier diese Straße, die jetzt Karolinenstraße heißt, hat früher Kleinjägerstraße gehießen, mein Kind!« sagt sie mir wohl beim Spazierengehen: »Und dort in dem Erkerzimmer seines Geburtshauses hat Cronegk sein Abendlied gedichtet:

›Herr, es gescheh dein Wille,
Der Leib, der geht zur Ruh.
Es fallen in der Stille
Die müden Augen zu.‹

Und drüben an der Eyberstraße stand bis vor kurzem das Gartenhäuschen, in dem Uz den Horaz übersetzte.«

Jedesmal aber, wenn wir an der Stätte vorbeikommen, wo Kaspar Hauser voreinst ermordet wurde, macht sie ein ernstes Gesicht, alldieweil die ganze Familie Feuerbach dem armen Findling, der häufig zu Gast bei ihnen war, ob seines stillen und bescheidenen Wesens ein liebevolles Andenken bewahrt. Auch die rätselhafte Inschrift auf seinem Denkstein an der Ermordungsstelle, jene Hieroglyphen: »Hic occultus occulto occisus est«, über die das ganze heutige Ansbach, zum mindesten seine weibliche Hälfte, so grübelt wie das frühere Ansbach über die rätselhafte Geschichte des seltsamen Kaspars, hat sie mir lächelnd erklärt. Sie bedeuten nichts anderes wie dieses: »Hier wurde ein Unbekannter von einem Unbekannten ermordet!«, was sich im Deutschen gar nicht so geheimnisvoll und dunkel als im Lateinischen anhört.

Die Markgrafenzeit Ansbachs hat die Hofrätin größtenteils noch durch mündliche Familienüberlieferung ihrer älteren Verwandten, die sämtlich hier an der Rezat aufgewachsen sind, gewissermaßen miterlebt. Auch einige wunderliche und verschrobene Käuze aus jenen Tagen sind ihr noch persönlich bekannt gewesen. So erzählt sie mir noch auf mein inständiges Befragen manches von einem greisen Kammerdiener aus der markgräflichen Zeit, der aus der Hofhaltung des letzten, ziemlich minderwertigen hiesigen Potentaten stammte. Welk und hager, mit vor Alter und Höflichkeit gekrümmtem Rücken habe er sich bis zu seinem Tode, in einer zopflos gewordenen Zeit, gleichwohl von seinem kleinen Zopf nicht trennen gekonnt, sondern ihn sorgfältig unter seinem altmodisch gestickten Rockkragen versteckt. In seinem Hause habe er stets eine verschlossene sogenannte schöne Stube gehabt, deren Schlüssel ihn nie verließ. In dieser Stube seien Sofa und Stühle von Samt mit vergoldeten Lehnen und Füßen gewesen, nebst Spiegeln mit geschnitzten Rahmen und allerlei sonstigem Gerät, Waffen und Spielsachen, die er aus der markgräflichen Zeit aufbewahrt habe. Des Sonntags nach der Kirche sei es dann sein Vergnügen gewesen, mit feinen weißen Tüchern den Staub von seinen Heiligtümern abzuwischen. In seinen letzten Jahren habe der alte Mann die seltsame Idee gehabt, daß der Kaiser Napoleon, den er gleich einem Heiland der Welt verehrte, nicht gestorben sei, sondern von Sankt Helena wiederkommen und die gute alte Zeit zurückbringen würde. Noch in seiner Sterbestunde habe er mit aufleuchtenden Augen und brechender Stimme geflüstert: »Der Kaiser kommt.«

Auch einer vornehmen, im hohen Alter noch wunderschönen markgräflichen Kammerfrau weiß sich Frau Feuerbach noch zu erinnern, die seit Jahren irrsinnig, aber sanft und still und voll zierlich freundlicher Höflichkeit gewesen sein soll. Mit geisterhaften Schritten habe man sie in schwer seidenen altmodischen Gewändern, den Resten der ehedem fürstlichen Garderobe, des Sonntags gehen oder in der Dämmerungszeit geräuschlos durch die langen Gänge des Schlosses wandeln sehen, was ihr um ihres unschädlichen Wahnsinns willen gestattet gewesen sei.

Endlich berichtet sie zuweilen noch von dem fast hundert Jahre alt gewordenen, vor Alter fast blicklosen Schloßkastellan, dessen ich mich noch schwach entsinne. Er zeigte den Fremden die markgräflichen Gemächer und redete, indem er wispernd durch die stattlichen weiten Räume schlich, leise von der weißen Frau, deren selteneres Erscheinen in den heutigen Zeiten er schmerzlich zu bedauern schien.

Du kannst dir denken, wie leicht einer solchen Kennerin Ansbachs es bei einiger eigener Vorstellungskraft, über die sie reichlich verfügt, gelingen wird, sich ein Jahrhundert zurückzuversetzen und durch das Ansbach der Markgrafen und ihrer beiden Dichter zu lustwandeln. »Der Stickgrund ist mir ganz heimisch, und meine Figuren sind mir genau vorgezeichnet. Warum sollte ich einsame Frau, die ich nur für mich meinen kleinen Haushalt zu führen habe, die Muster, die mir gegeben sind, nicht nachsticken können?« erklärt sie oft lächelnd, wenn man sie ob ihrer bei den hiesigen Frauen so seltenen Schreibetätigkeit bestaunt.

Das ist überhaupt das Angenehme bei dieser Gelegenheitsschriftstellerin, wie sie sich selber nennt, daß sie so ungezwungen arbeitet und diese ihre bescheidene Kunst ganz natürlich betreibt. Dazu kommt noch, sie uns ganz besonders liebenswert zu machen, daß sie, anders wie unsere weisen Philologen und Diener am Worte, an die beiden Dichterlein, die sie beschreibt, nicht gleich jenen gelahrten Herren mit dem scharf geschliffenen kritischen Messer herantritt, sie grausam und von oben herab zu zerlegen, sondern daß sie ihren Helden allzeit mit Güte begegnet und sie freundlich und verstehend behandelt. Wie sie dem riesigen Uzdenkmal in unserem Hofgarten stets herzlich zunickt, wenn sie an ihm vorüberschreitet und dem Weisen, dem Dichter, dem Menschenfreund, wie daruntersteht, noch im Bilde seine Ehre erweist, so bezeigt sie ihm auch als seine Biographin jene schöne Pietät, an der es unsere Schulmeister leider so oft mangeln lassen, wenn sie sich einen Dichter zum Opfer für ihre gestrenge Kunstrichterei aussuchen. Noch neulich hatte ich Gelegenheit, ihr Dankgefühl gegen das Bedeutsame in der Vergangenheit zu bewundern: Sie war über der Beschäftigung mit dem »Codrus«, dem hoffnungsvollen einzigen Drama ihres Dichters Cronegk, auf die Neuberin gestoßen, jene mutige deutsche Schauspielerin, die, wie sie mir mitgeteilt hat, viel für die Fortbildung der Schauspielkunst getan und unter anderm auch den jungen Lessing dem teutschen Theater zugeführt haben soll. Frau Feuerbach war, begierig möglichst viel von dieser tapfern Kämpferin zu erfahren, in einen Briefwechsel mit dem bekannten Schauspieler Eduard Devrient, dem Verfasser einer allseits gerühmten Geschichte der deutschen Schauspielkunst, getreten. Wie sie denn überhaupt gern Briefe mit Männern der Gegenwart tauscht, die ihr etwas zu sagen haben. Danach war sie in eine solche Begeisterung für jene fast verschollene Darstellerin geraten, daß sie nicht eher geruht hat, bis sie sich ein Bildnis jener ungewöhnlichen Frau verschafft hat. Das prangt nun seit Wochen bereits auf ihrem Schreibtisch, und sie sendet der unverbildeten Freundin des neunmal klugen Gottsched aus ihrer Arbeit oftmals einen tiefen Blick der Zuneigung zu. Es liegt ihr bei allem, was sie aus der Vergangenheit schreibt, daran, daß es einen möglichst blutwarmen Eindruck macht, und sie haßt alle trockene knöcherne Schulweisheit wie die Sünde wider den heiligen Geist. Darum liest sich ihr »biographischer Versuch«, wie sie in ihrer Einfachheit ihre Lebensbeschreibung der beiden Ansbacher Poeten bezeichnet hat, ganz wie eine Novelle oder eine Geschichte. Und als ich ihr dies neulich errötend zu sagen wagte, da meinte sie mit Lächeln, ich hätte ihr kein größeres Kompliment machen können als dieses. O liebe Freundin, wenn du ab und an zusammen mit mir ihr zuschauen könntest, wie sie munter dasitzt und arbeitet, die liebe Frau Feuerbach, geborene Heydenreich, wie sie sich als Schriftstellerin gern ausschreibt, du würdest deine Freude daran haben!

Gerne hat sie wie der Gespensterhoffmann beim Schreiben und Lesen eine Katze auf dem Schoße liegen, die sie krault und schnurren läßt. Wie sie denn in ihrer Wohnung in Heidelberg sogar zwei bis drei Katzen beherbergen soll, also daß es rings um sie nach Katzen riecht. Nur wenn sie recht im Schuß bei der Arbeit ist, stößt sie wohl ihren Hidigeigei sanft vom Schoß und läßt ihre Feder hastiger übers Papier kratzen. Gleich einem weißen Täubchen flattert die zierliche kleine Frau dann mit ihren schwachen Augen von Buch zu Buch, das sie sich für ihr Tagewerk aufgestapelt hat. Ich begreife gar nicht, warum eine solche friedliche Tätigkeit, die mit Bienenfleiß und Bienenreinlichkeit ein hübsches Buch aus anderen Büchern und Quellen zusammenträgt, etwas Unweibliches sein soll. Diese ständig nach außen hin lebhafte, wenn auch selten frohe Frau, die ein Buch über die Liebenswürdigkeit ihres Geschlechtes geschrieben hat, die niemals ihre Sorgen oder Leiden, deren sie auch ihren Pack zu tragen hat, vor anderen Unberufenen auskramt, hat so wenig von einem sogenannten Blaustrumpf an sich wie Odysseus von einem Dummkopf oder der vatikanische Apollo von einem Faustkämpfer. Ich gerate unwillkürlich auf den letzteren Vergleich, weil ein getreues Abbild jenes berühmten vatikanischen Werkes, das man in seiner Schönheit gern mit dem jugendlichen Goethe vergleicht, an der Wand ihres Zimmers gegenüber ihrer gewohnten Arbeitsstätte hängt. Ihr verstorbener Gatte, der Altertumsforscher und Gymnasialprofessor Feuerbach hat diesem mannigfach beschriebenen Standbild eine lange gründliche Abhandlung gewidmet. »Eine fast zu gründliche!« wie sie einmal mit einem schnell verflatternden schalkhaften Lächeln überlegen äußerte. Denn auch dies scheint mir ein Zeichen ihrer besonderen Bedeutung zu sein, daß sie manchem in der Welt und zunächst auch sich selber mit einer gewissen Überlegenheit gegenübersteht. Ohne jede persönliche Eitelkeit schraubt sie ihren Gegenstand nicht etwa darum hinauf, weil sie sich damit beschäftigt, sondern behält den richtigen klaren Blick auch für ihre Dichterlein, ihre beiden »Zöpfe«, wie sie sie nennt, deren Leben und Wirken sie verständnis- und liebevoll nacherzählt.

Welch eine seltene Frau! muß ich unwillkürlich ausrufen, wenn ich an sie denke. Mit wieviel Natürlichkeit sie ihren Schreibeberuf ausübt, von dem ab und zu ein Batzen abfällt, nicht für sie, sondern für die Ihrigen, insbesondere für ihren schwärmerisch verehrten Stiefsohn Anselm, den Maler, in seinem fernen Rom. Und wenn sie sich dazwischen ganz schnell etwas für sich zusammenkocht, was auch zuweilen einmal daneben gelingt, das ist nun zum Entzücken gar. Es sieht aus, wie wenn ein anmutiges Kind sich mit den ersten Schlittschuhen aufs Eis wagt. Hin und wieder fällt es einmal oder gleitet aus. Aber auch das wirkt munter, weil es sich nicht dabei wehe tut. Meist begnügt sie sich am Mittag oder Abend mit ein paar Äpfeln, deren sie fast beständig ein paar in der Ofenröhre schmoren hat. »Wir Frauen sind ja im allgemeinen gar nicht so verleckert,« erklärte sie mir einmal, »wie die Männer uns immer annehmen, weil sie uns in die Küche und den Keller verbannt haben als in die uns nach ihrer Auffassung nun einmal geziemenden Bezirke. Nein, wir Frauen begnügen uns, wenn wir allein sind, meist mit einer kleinen, schnell auf einer Küchenschrankecke zusammengerührten Mahlzeit und geben uns oft nicht die Mühe, den Herd für uns persönlich anzuzünden.«

Allerdings, wenn ihr geliebter Anselm als Gast bei ihr weilt, dann besorgt die für sich so bescheidene Frau ihm einen Schmaus, wie er eines Königs würdig wäre. Dann steht sie stundenlang in ihrer winzigen Puppenküche herum und brät und kocht und quirlt ihm die schmackhaftesten Gerichte und Nachspeisen zurecht. Denn die Liebe vermag alles, sogar dies äußerste: Eine geistige Frau zu einer vortrefflichen Köchin zu machen.


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