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Henriette Feuerbach
Ein Kranz auf ihr Grab

siehe Bildunterschrift

Henriette Feuerbach, geb. Heydenreich
Die Gattin des Altertumsforschers und Stiefmutter des Malers

Henriette Feuerbach, die zweite Gattin des Vorigen. Nach dem 1877 von ihrem Stiefsohne Anselm gemalten Ölbild. Nationalgalerie Berlin. Farbversion der Abbildung aus dem Buch. Quelle: www.wikipedia.org

 

Je älter ein Mensch wird, desto mehr kann er sich über den leichtfertigen Gebrauch des Wortes »Liebe« ärgern. »Liebst du mich?« »Ja, ich liebe dich!« »Haben Sie schon geliebt?« »Er ist in Fräulein Sowieso verliebt!« Und so fort! Das geht leichtfertig wie eine Ballunterhaltung von Mund zu Mund. Und es ist doch die verschiedenste und verwickeltste Aufgabe des Lebens, die jeder auf seine Weise löst.

Auf ihre eigene höchst gewählte Art ist Henriette Feuerbach damit fertig geworden, jene Frau, von der sich der berühmte Maler Anselm Feuerbach lieben ließ. Dessen Vater, den Altertumsforscher Feuerbach hatte sie geheiratet, als sie zwanzig Jahre alt war. Aus Mitleid hatte sie ihn geheiratet, den kranken zerfahrenen Mann, der soeben Witwer geworden, mit zwei kleinen Kindern hilflos in der Welt herumirrte. Als junges Mädchen schon hatte sie Krankenpflegerin werden wollen. Und nun fand sie sich ganz von selber mit ihrem Eheschluß in diesem Beruf. Vermutlich hat ihr Gatte sie körperlich nie berührt. Jedenfalls hat er es kaum vermocht, in ihr das Gefühl der Liebe für ihn zu erwecken. Sein Nervenleiden nahm mehr und mehr von ihm Besitz, und die daraus folgende Gemütsverfinsterung des Mannes ließ nur noch selten Zärtlichkeiten aus seinem Herzen wachsen. Am ehesten vielleicht noch gegen seinen Sohn, dem er seinen wie seines Vaters Vornamen »Anselm« vermachte nebst einem zwischen Bescheidenheit und Hochmut hastig hin und her flackernden ungenügsamen Geblüt. Denn mit diesem Anselm beschäftigte sich der Vater zuweilen und erzählte ihm, wie der Sohn sich noch im Alter dankbar entsann, in seiner plastisch weichen Art die Märchen der Odyssee, wobei die Umrißzeichnungen des alten englischen Wedgewood-Malers Flaxman auf den Knien des Knaben lagen. Die neue Mutter des Kindes kam wenig auf ihre Ansprüche bei ihrem Mann. Auch sie war ein im klassischen Altertum wohlbewandertes Geschöpf. Sie las Homer und Hesiod wie das Evangelium des Johannes im griechischen Urtext und vermochte das Buch über den »Vatikanischen Apollo«, das Hauptwerk ihres Gatten, nach seinem Tode in zweiter Auflage herauszugeben. Aber ihre musische und musikalische Seele blieb dem eigenen Mann verschlossen, der im Hader über sein Schicksal, das ihn als Professor an der Universität zu Freiburg begrub, schwach, untätig und mutlos seine letzten Lebensjahre verdämmerte. Sie selbst war eine zum Handeln und Helfen geborene Natur, die durch den Anblick des verdrossenen und schwankenden Mannes an ihrer Seite sich ihm innerlich nur immer mehr entfremdete.

Aus dem verwelkenden Umgang mit diesem kranken schwachen Menschen, den sie mit dem fast kalten Blick einer Berufspflegerin übersah, wandte sie sich anteilnehmender und inniger ihrem Stiefsohn Anselm zu, der nur sieben Jahre jünger als sie selber war. Seine Heißblütigkeit, die ihn schon als schönen Knaben durchleuchtete, hat die kluge, schüchterne Frau wohl zuerst zu ihm hingezogen. Die Glut dieses Menschen, der nach seinem später in Rom erkorenen Wahlspruch: »Eternamente giovine!« ewig jung bleiben wollte, fiel schon früh auf die Wangen, die Seele der im Lieben so starken Frau. Als der noch nicht sechzehnjährige Junge erklärt, Maler werden zu wollen, ist sie es, die ihm als erste ihr »Ja!« zujubelt und es durchsetzt, daß man ihn zum alten Schadow nach Düsseldorf in die Lehre sendet. Und wie sie also am Anfang seines Künstlertums mit ihrem Glauben zu ihm steht, so hat sie es bis ans Ende gehalten. Ja, oft war sie allein sein gläubiges Publikum, so daß sie sich unschwer einbilden konnte, daß Anselm Feuerbach nur für sie noch in der Welt war und malte. In ihrer Vorstellung mischte sich der Stiefsohn, den sie als kleinen Knaben gebadet hatte, mit dem Freund und Künstler, dessen Sorgen sie besser als alle andern wußte, zu einem tief von ihr geliebten Bild.

Sie gehörte nicht zu jenen glücklicheren weiblichen Wesen, die kritiklos verehren und lieben können. Sie begleitete sein künstlerisches Schaffen mit hellen, oft sogar strengen Augen und scheute selbst nicht vor scharfen Worten zurück, wenn sie ihn wie vor dem Einfluß Böcklins, vor Gefahren für seine Kunst glaubte warnen zu müssen. Im Grunde blieb freilich ihr Verhältnis zu ihm ungetrübt. Und sie hütete sich ängstlich, seine leichte Verletzlichkeit durch ein häufigeres Absprechen zu reizen. »Sie müssen Anselm gegenüberstehen wie ich«, riet sie einem seiner Freunde: »Man hat sehr viel an ihm, wenn man nichts fordert, nichts erwartet.«

Schon früh sah das arme Ding ein, daß sie unter dem Pantoffel ihres Herrn Sohnes stand. Das Sichbeugenwollende im Wesen des Weibes neigte sich bei ihr vor dieses Mannes Genius, den sie früher als alle anderen erkannte. Etwas von der Gottesanbetung einer gläubigen Katholikin liegt in dem Verhältnis Henriettens zu Anselm Feuerbach. Und wenn man beide sich nach ihrem Tode zusammen denken wollte, so könnte dies kaum schöner geschehen als in der demütigen Haltung einer Madonna vor ihrem erhöhten Sohne, der ihr zum Dank für ihren Glauben die Krone verleiht.

Nicht heilige, nicht abgeklärte Eigenschaften allein waren es, die diese scheue, sogar ein wenig nüchterne Frau, die, einsiedlerisch gestimmt, mit zugenähten Lippen durchs Leben ging, an ihrem Anselm anzogen. Sie sah nicht nur die reine Kunst, die, von ihr angebetet, ihm entströmte. Sie kannte auch die Lava, das Wilde, Chaotische, das während des Schaffens in seiner Brust stürmte und dort zurückblieb. An mehreren Stellen ihrer Briefe gebraucht sie das Wort »vulkanisch« zur Kennzeichnung seines Wesens, das sich austobte wie eine Naturgewalt, die eben trifft, wo sie trifft. Und gerade dies Urmännliche in Feuerbach muß die sanfte, feine Frau magnetisch berührt haben. Sie kann es nicht lassen, hingerissen, wie ein Verzückter in das Gewitter blickt, das herzbeklemmende Schauspiel zu betrachten, das ihr die Entfaltung seiner feurigen Natur und Begabung gewährt. Viel lieber ist es ihr, wenn er sich in Blitz und Donner und heiligen Werken entladet, als wenn er, wie so manchmal in seinem Leben, in dumpfem Schweigen über seine Nichtanerkennung durch die Mitwelt grollt und sich verkriecht. In solchen Zuständen, in denen er seinem vergrämten Vater am ähnlichsten wird, mag sie ihn am wenigsten leiden. Sie bebt vor diesen Zwischenräumen in seiner Tätigkeit, wenn er, ein Virtuose in der Selbstzerfleischung, sich und seine Umgebung martert. Auch in solchen Zeiten nimmt sie sich seiner freilich getreulich an. Sie hat ihn mehrmals im Leben vor dem Äußersten, vor der freiwilligen Zielsetzung seiner Verzweiflung durch Selbstmord bewahrt, der in der Familie Feuerbach als ultima ratio des Weisen mit der Ehrfurcht von Stoikern geachtet war. Am rücksichtsvollsten hat sie sich seiner erbarmt, als er, der geborene Zigeuner, Schiffbruch als Professor der Historienmalerei an der Akademie zu Wien erlitten hatte und mit seinen Nerven vollkommen zusammengebrochen wie ein großer Junge zu seiner Mutter zurücklief. »Erschrick nicht über mein Aussehen!« schrieb er ihr schon von der Reise aus.

Sie empfing ihn mit der höchsten Freude, die sie, sobald er in ihrer Nähe war, immer empfand. Ohne ein Wort der Klage, der Überlegung verließ sie das von ihr seit fünfundzwanzig Jahren bewohnte und innig vertraute Heidelberg und setzte sich und ihre Habe dem lästigen Umzug nach Nürnberg aus, weil er es so haben wollte, weil es für »Anselm« zuträglich war, wie sie einer Freundin mitteilte. Und vom Heimweh nach dem Neckar wie von einem periodischen Fieber geplagt, harrte sie doch an der Pegnitz aus, weil Anselm nun einmal eine Abneigung gegen Heidelberg verspürte. Was würde sie nicht für ihn getan haben? Selbst von der Musik, der Kunst, in der sie am meisten Trost für ihr einsames Dasein fand, wollte sie sich trennen um seinetwillen. »Falls es dich geniert,« so fragt sie besorgt bei dem Erkrankten vorher an, »ist mir natürlich alle Musik der Welt auf der Stelle gleichgültig.« – So sieht die Liebe vom Mensch zum Menschen aus.

Wie tief hat dieser Engel von einer Stiefmutter, wie er sie einmal in seinen gegen sie höchst seltenen Zärtlichkeiten benennt, sich in seine Seele hineingesehen! Die Beschreibungen, die sie von ihm in ihren Briefen gibt, zittern zuweilen von verhaltener, verschütteter Sinnlichkeit. »Seine Natur, kräftig und gewaltsam wie ein feuerspeiender Berg, ist zugleich zart und wundersam wie die Sumpfpflanze, jenes verwilderte Schlinggewächs mit seiner süßen Wurzel.«

So schreibt nur die Liebe über einen anderen Menschen.

Am bekanntesten ist unter prosaischen Leuten ihre beständige Sorge für seinen meist leeren Geldbeutel geworden. Schon für den Jüngling Feuerbach legte sie sich, ohne einen Seufzer darüber zu verlieren, bittere Entbehrungen auf. Und späterhin ging alles, was sie nur ersparen und auftreiben konnte, wortlos und wie selbstverständlich dem Sohne zu. »Wenn Du Geld brauchst, so darfst Du nur schreiben!« Diese Wendung wiederholt sich in der schonendsten Weise in ihren Briefen an ihn, von denen nur wenige uns erhalten sind. Sie mußte sich hüten, sein Feingefühl, das wie bei den meisten armen Künstlern gerade in diesem Punkt am verletzlichsten war, nur zu ritzen. Denn Abwehr und Entfremdung wäre von seiner Seite sofort hierauf erfolgt. »Nötig zu berühren ist folgendes: Aber ich bitte: Antworte nicht darauf!« konnte er ihr barsch schreiben. Nur eine Andeutung, daß sie sich seinetwegen etwas entgehen ließ, und er hätte keinen Pfennig mehr von ihr angenommen. Wer kennt nicht solche stolzen herrischen Charaktere, die sich mit der Miene von Wohltätern herablassen, Spenden zu empfangen! In diesem Fall war es für beide ein leichtes. Denn die Gebende vermißte nichts von dem, was der Nehmende von ihr erhielt. Sie ist in ihrer Wohnung und Kleidung eines der bescheidensten Weibchen gewesen, die das an solchen rührenden Wesen reiche Deutschland getragen hat. Ihr genügten auf dieser Welt zwei Zimmer, von denen sie natürlich sofort das größere ihrem Herrn Sohn überließ, wenn er sie zu ihrem Glück besuchte. »Und man glaubt nicht, wie lange sich Kleider auftragen lassen, wenn man sie immer wieder geschickt zu wenden weiß«, lächelt sie einer reicheren Bekannten zu. Und als man ihr in ihrem Alter nach dem Tode Anselms von verschiedenen Seiten helfen will, lehnt sie dies mit dem ergreifenden Bekenntnis ab: »Ich brauche so wenig, daß ich immer im Überfluß bin.« Eine Äußerung, um die Diogenes aus seiner Tonne ihr freundlich zuwinken würde.

Laute Vergnügungen, an denen die Menge sich ergötzt, reizten die stille Frau nicht, in deren Innerm die hellen Kerzen brannten, die Annette von Droste besungen hat. »Es ist nichts mit mir, wenn es ans Pläsier geht«, gesteht die Gute schon in der Mitte ihres Lebens. Und nun im Alter erst recht von der Welt und ihren Freunden abgetrennt, spinnt sie im kleinen Ansbach, wohin sie sich für das letzte Jahrzehnt ihrer irdischen Pilgerschaft zurückgezogen hat, in Abstieggedanken ihre Tage ab. In fünfzig Minuten konnte sie von Ansbach aus das Grab ihres Anselm erreichen, der auf dem Johannisfriedhof in Nürnberg neben Dürer ruhte. Das wußte sie, das sagte sie sich jeden Tag. So nahe von ihr schlief nun der, den sie sein Leben lang geliebt hat. Laut wurde diese Liebe von dem Tage an, da sein Vater starb und sie dies dem Sohn in einem Brief mitteilte, der zu den edelsten Liebesbriefen gehört, die zwischen Menschen geschrieben worden sind. Er beginnt also: »Mein lieber Anselm! Ich sitze hier vor dem Papier und weiß nicht, wie ich die Feder halten soll. Du magst es als den größten Beweis meiner Liebe ansehen, daß ich Dir heute schreibe. Morgen ist Dein Geburtstag. Ich habe Dir nichts zu senden als diesen Brief. Den Deinigen, der so lieb und tief und wahrhaftig ist, hab' ich erhalten eine halbe Stunde, bevor der gute Vater die nun ewige Wohnung im grünen Garten bezog, da hab' ich ihm Deinen Brief in die rechte Hand gegeben, in der linken hatte er Blumen, so ist Dein Gruß mit ihm gegangen und ruht an seinem Herzen, das nicht mehr schlägt.« So geht es weiter, schön wie Nachtigallenklagen.

Aber das ist doch gar keine Liebe, sagen die klugen Leute bei dieser Gelegenheit. Und dann erzählen sie einem davon, daß Anselm Feuerbach während seines langen römischen Aufenthaltes eine Geliebte gehabt habe, die als »Nanna« so und so oft von ihm in seinen Bildern gefeierte. In deren Armen habe er so wenig an Henriette wie an Deutschland gedacht. Wer will das wissen? Hören wir nur noch zwei Briefstellen der liebenden Frau, die »Das Vermächtnis« des toten Künstlers nicht minder treu als sein Schaffen behütete. So schrieb sie an Johannes Brahms zum Dank für seine »Nänie«, die er dem Andenken Feuerbachs gewidmet hatte: »Ich habe das Leben meines Lebens verloren. Da ist weiter nichts zu sagen.« Und dann, als sie das Meer sah und die Brandung und das Silbergrau der Weiden und den finsteren Föhrenwald, dies ganze Feuerbachsche Gemisch der Natur, schluchzte sie, und tränenbehangen ist jedes Wort: »Ich muß immer denken, was Anselm von dem allem sagen würde, und dann stürzt alles auf mich ein.«

Sagt: War das nicht Liebe?


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