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Anselm Feuerbach, der Strafrechtslehrer.
Der alte Versuch einer Selbstbeschreibung

siehe Bildunterschrift

Anselm Feuerbach
Der Strafrechtslehrer, der Alte
1775 – 1833

Anselm Feuerbach der Stammvater der Familie. Nach einem etwa um 1800 gemalten Ölbild von Jakob Wilhelm Roux in Heidelberg. Dies Bild befindet sich im Besitz von Frau Generaloberarzt Dr. Feuerbach in München, die gütigst die Erlaubnis zur Wiedergabe erteilte.

 

In den nachfolgenden Zeilen will ich es unternehmen, mir selber mein Leben zu erzählen und mir damit vor meinem Tode, den ich in manchen schmerzhaften Anzeichen herannahen fühle, meinen Spiegel vorzuhalten. Möchte doch jeder reife Mann sich also vor seinem Ende selbst die Beichte abnehmen, daß er vor sich und damit auch vor unserm Herrgott Rechenschaft ablege über das Pfund, so ihm zu Beginn seines Daseins anvertraut worden ist.

Ich, Paul Anselm Ritter von Feuerbach, bin geboren am 14. November des Jahres 1775. Und zwar in dem kleinen Flecken Hainchen bei Jena. Hier, in diesem lieblich gelegenen Dörfchen hielt sich damals meine Mutter bei ihrer Verwandtschaft auf. Sie war eine geborene Jenenserin, die Tochter eines Kommerzienrates und Enkelin des berühmten Juristen Joh. Sal. Brunquell. Ich bin somit von beiden Seiten, von mütterlicher wie von väterlicher, mit dem Hang zur Rechtsgelehrsamkeit belastet. Denn mein Vater war Doktor der Rechte und Advokat zu Frankfurt am Main, allwohin ich auch in meinem ersten oder zweiten Kindheitsjahr gebracht wurde, so daß ich meine eigentliche Jugend in der stolzen alten Römerstadt am Main verbracht habe. Gleichwohl ist Frankfurt nicht mein Geburtsort gewesen, wie dies von etlichen Schriftstellern, die meinen Lebenslauf geschildert haben, fälschlich behauptet worden ist, sondern eben jenes friedliche Dörfchen bei Jena, in das ich auch später wohl zuweilen aus dem Lärm des Lebens zurückgeflüchtet bin. Ganz in der Nähe dieses glückseligen Örtchens, in Dornburg, habe ich auch die Frau, mit der ich mich zur Ehe verbunden habe, gefunden. Doch hiervon später!

Mein Vater, der genannte Advokat in Frankfurt, ist der strengste und zugleich eigentümlichste Mensch gewesen, den ich in meinem Leben kennen gelernt habe. Er übte das Recht der väterlichen Gewalt über mich im härtesten Sinne aus. Ja, er wollte sogar einmal das alte Privilegium der Reichsstadt Frankfurt, das die Strafgewalt des Vaters über den Sohn bis auf eine Zuchthausstrafe ausdehnt, gegen mich geltend machen. Ich entfloh seiner mir unerträglich gewordenen Herrschaft im Alter von siebzehn Jahren. Gott ist mein Zeuge, daß ich diesen wichtigen und für meinen Vater kränkenden Schritt nicht leichtfertig getan habe! Ich trennte mich schon aus selbstischen Gründen schwer von der schönen reichen Mainstadt, weil ich dort ein schwärmerisch von mir verehrtes Mädchen, Mariane genannt, meine erste Geliebte, zurücklassen mußte. Ich trennte mich aber auch darum schwer von meinem elterlichen Hause, weil ich sah, daß es meinem Vater während dieser Revolutionskriegszeit, die Frankfurt ständig bedrohte, recht schlecht erging und er mich kaum auf Akademien schicken und zweckmäßig unterstützen konnte. Indessen, ich wollte lieber draußen in der Fremde allein auf mich gestellt nur von Wasser und Brot in der Hauptsache leben, was ich denn auch über zwei Jahre durchgeführt habe, als länger in schmählicher sklavischer Abhängigkeit von meinem Vater sein. Ich begab mich an die Universität nach Jena, wo ich mich mit glühender voller Seele der Philosophie in die Arme warf. Denn ich empfand zu jener Zeit noch einen so heftigen inneren Widerwillen gegen die Rechtswissenschaften, von dem ich mich offen gestanden noch heute nicht ganz frei gemacht habe, daß es mir undenkbar erschien, wie einer sich gerne mit dieser trockenen, an das Tatsächliche gehefteten Gelehrsamkeit befassen mochte. Sogar meinen Söhnen habe ich samt und sonders stets ein Grauen vor der Juristerei beigebracht, so daß sich nur einer von ihnen, und zwar der am wenigsten begabte dritte Sohn Eduard später zum Rechtsstudium entschließen konnte. Die Jenenser Professores Ulrich, Reichard und Walch führten mich in die Krone aller Wissenschaften, in die Weltweisheit ein, und in der dortigen lateinischen Gesellschaft hielt ich alsbald meine Antrittsrede de philosophia Ciceronis. Im Alter von neunzehn Jahren erwarb ich mir alsdann den philosophischen Doktorgrad. Indessen, das natürlichste Ereignis von der Welt zwang mich alsbald, diesem sokratischen Beruf, zu dem man reich oder ein freiwilliger Bettler sein muß, Valet zu sagen. Ich lernte ein ehrsames Mädchen, Wilhelmine Tröster, kennen, mit der ich alsbald, meinem leidenschaftlichen sinnlichen Wesen folgend, in das innigste Verhältnis kam. Nur zu rasch zeigte sich denn auch die Folge unserer zärtlichen Beziehungen. Und ich sah mich Hals über Kopf genötigt, um meiner Wilhelmine und des zu erwartenden Kindes willen ein Fach zu ergreifen, das schneller als die Philosophie Amt und Einnahmen erbringt. Kein Wunder, daß ich auf den mir von Jugend an vertrauten Beruf meines Vaters verfiel! Ich promovierte, nachdem ich mich mit dem Mut der Verzweiflung in das Studium der Pandekten, des Kirchen-, Staats-, Feudal- und Kriminalrechts geworfen hatte, in kürzester Zeit als juristischer Doktor. Die Promotionskosten mußte mir, wie ich mich noch gut entsinne, ein Freund vorstrecken, da ich derowegen nicht meinen Vater anzugehen wagte.

Der Himmel weiß, mit wie viel bereuenden und liebevollen Briefen ich mich an meinen beleidigten und erzürnten Vater wenden mußte, bis ich sein starres Herz wenigstens zu einigen kleineren Unterstützungen, als da waren etliche Bücher juristischen Inhaltes, Kollegiengelder, eine Hose, ein Überrock oder anderes, bewegen konnte. Auch meine Ehe, zu der ich besagter, eine schnelle Entscheidung fordernder Umstände willen, seinen ausdrücklichen Konsens nicht vorher einzuholen vermochte, mußte ich Jahre lang vor meinem Vater scheu verschweigen. Erst als ich nach mehreren Hungerjahren als Dozent der Rechtswissenschaften in Jena eine Berufung als ordentlicher Professor der Rechte, Mitglied des Spruchkollegii und Syndikus der Universität nach Kiel bekam, getraute ich mich gegen meinen inzwischen mehr mit mir ausgesöhnten Vater mit der Sprache herauszurücken. Ich hatte mich mittlerweile in meinem mir nun einmal vom Schicksal bestimmten Fach tüchtig umgeschaut, auch verschiedene kleinere juristische Schriften verfaßt und herausgegeben und mich insbesondere mit der Kriminalgesetzgebung beschäftigt, für die ich allmählich eine gewisse Neigung empfand. Meine erste Arbeit, die ich meinem gefürchteten und verehrten Vater gewidmet hatte, war eine Kritik des natürlichen Rechtes als Propädeutik zu einer Wissenschaft der natürlichen Rechte.

Weit stolzer als auf diesen Erstling war ich jedoch auf meine zweite Abhandlung, der ich den kühnen Titel gab: »Anti-Hobbes oder über die Grenzen der höchsten Gewalt und das Zwangsrecht der Bürger gegen den Oberherrn«. Ich setzte mich in dieser freimütigen Schrift mit der Lehre des englischen Denkers Hobbes von der unbedingten Autorität des Staates und seines Oberhauptes auseinander. Freilich nicht ohne fortan hierdurch in den Augen der Großen in den Verdacht des Demokraten, um nicht gar zu sagen Demagogen zu geraten. Selbst mein eigener gestrenger Vater nahm alsogleich Anstoß an meiner Gesinnung, wie er denn überhaupt an und für sich zur Skepsis und Satire über die menschlichen Torheiten und Eitelkeiten geneigt, insbesondere mir, seinem Sohne, gegenüber fortwährend bis zuletzt den Zweifler und Tadler spielte und in allem meinem Tun und Treiben, mochte es auch noch so erfolgreich sein, Mangel an Klugheit erblickte. Also daß ich trotz der größten und ungeheuchelten Ehrfurcht, die ich zeitlebens für diesen harten Vater gehegt habe, hinterdrein oft annehmen muß, daß er – so wunderlich es klingen mag – häufig genug einen Haß gegen seinen eigenen Sohn verspürt haben muß. Was man nun gar in den nachfolgenden Zeiten einer häßlichen Jakobinerriecherei alles aus meinen Schriften herauslesen wollte, das kann nur derjenige sich ausdenken, der jene grauenvollen Jahrzehnte geistiger Verfinsterung nach dem Wiener Frieden in Deutschland und Österreich lebend überstanden hat. Zunächst, da man mich öffentlich mit Kabalen und Intriguen noch nicht bis aufs Blut peinigte, empfand ich eine sehr große Befriedigung an meiner schriftstellerischen Betätigung. Denn ich war und bin es noch, ungemein ehrgeizig, ja ruhmbegierig. Von Welt und Nachwelt gepriesen zu werden, hat mir stets das größte Erdenglück gedünkt. Und oft habe ich gewünscht, Gelegenheit zu haben, mein Leben im Vollbringen glänzender Taten selbst unter qualvollen Martern hinzugeben, um nur in den Jahrbüchern der Menschheit als großer Mann zu prangen. In meiner Jugend ging dieser Ehrgeiz so weit, daß ich nicht gern das Lob großer Männer hörte. Denn ich meinte, ich müßte vor Scham vergehen, wenn ich bedachte, daß ich schon achtzehn Jahre und mehr zählte und noch der Welt unbekannt geblieben war. In meinen alten Tagebüchern stoße ich häufig auf Stellen, wo ich mir an solchen Tagen der Verzweiflung über meine Niedrigkeit zugerufen habe: »Mut! Armer Anselm! Mut, Feuerbach! Heldenmut!«

In Kiel, wohin man mich von Jena berufen hatte, verblieb ich fast drei Jahre lang, eine Zeit, die ich ohngeachtet des dortigen rohen Studentenpublikums wie des rauhen Klimas jener Wasserstadt, das mir hart zusetzte, als die glücklichste oder doch wenigst unglückliche Periode meines Lebens bezeichnen möchte. Ich befand mich in der ersten Spanne meiner Ehe und war an der Seite eines damals noch mit dem Feuer der Leidenschaft von mir geliebten Weibes in jungen Jahren eine geachtete Persönlichkeit. Mein Name wurde in der Schriftstellerrepublik ehrenvoll genannt. Und ich genoß eines guten Rufes und einer allgemeinen Beliebtheit, die noch nicht durch den Neid, den man später gegen meine Bedeutung empfand, getrübt wurde.

Doch der Drang, eine größere Rolle zu spielen, und eine gewisse Unstetheit, die mir besonders in jungen Jahren im Blute lag, trieben mich alsbald von Kiel wieder fort an die neu errichtete kurfürstlich bayrische Universität zu Landshut, wohin ich eine Vokation als Kurpfalzbayrischer wirklicher Hofrat und Professor erhalten hatte. Aus dem Kreise durchweg biederer und offener akademischer Kollegen sah ich mich nun plötzlich in den Kreis einer Gesellschaft von Teufeln versetzt. Die höllische Bosheit, Abgefeimtheit, Niederträchtigkeit und Gemeinheit der meisten, die in Landshut als Jugendlehrer wirken sollten, ging über alle Grenzen. Es war ein Glück, daß mein Zöpflein, das ich in dem fortschrittlichen Kiel schleunigst abgelegt hatte, von mir hierher mitgebracht worden war. Denn alle Lehrer an der Universität zu Landshut mußten bezeichnenderweise das Zöpflein noch ex professo tragen. Wenngleich mich das akademische Treiben in dieser rings umsumpften Festungsstadt von vornherein arg abstieß, beschloß ich dennoch, tapfer dem Übel zu widerstehen und mir durch erhöhten Fleiß, verdoppelte Hingabe meiner Kräfte meine Stellung zu wahren. Indessen der Ränke und Machenschaften gegen mich als einen Ausländer in Bayern waren bald so viele, daß ich mich mehr und mehr aus der Öffentlichkeit zurückzog. Zum Wortführer meiner Gegner hatte sich der Prokanzler der Universität gemacht, ein sittenloser Wollüstling und ausgelassener Tor, der zudem der unfleißigste Lehrer war, der mir jemals begegnet ist. Von Natur ohnedem nicht sehr zur Geselligkeit geschaffen und an wiederkehrenden Anfällen von Melancholie leidend, verbannte mich solches Gemächel wider mich enger und enger in meine Häuslichkeit, so daß ich zuletzt in Landshut meine Vorlesungen nur noch auf meinem Zimmer abhielt und schließlich gar aus diesem Netz von Listen und Schlichen zu meinem selbstherrlichen Vater nach Frankfurt floh. Man mag aus diesem Verzweiflungsschritt auf den Grad meiner damaligen Gemütsverfinsterung schließen. Indessen dem Unglücklichen ist Gott am nächsten, wie die herrliche Elisa von der Recke sagt, die edelste beste Freundin, die ich in meinem späteren Leben gewonnen habe. Mein Lehrbuch des gemeinen, in Deutschland gültigen peinlichen Rechtes, das von mir 1801 veröffentlicht worden war, hatte mir viele Freunde gewonnen. Darunter auch den weit über die Grenzen Deutschlands bekannten gefühlvollen Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi, der als derzeitiger Lehrer an der Akademie der Wissenschaften in München wirkte. Nicht zuletzt seiner beständigen wärmsten Fürsprache hatte ich es zu verdanken, daß ich gleich nach meiner nur durch die geschilderten widrigen Umstände hervorgerufenen Flucht aus Landshut erneut von der bayrischen Regierung in Dienst gestellt wurde. Man lud mich in der zuvorkommendsten Weise ein, eine führende Stelle im geheimen Ministerialjustizdepartement des nunmehrigen Königs von Bayern in München einzunehmen. Froh, den vertrocknenden Beruf des akademischen Lehrers und den steten Umgang mit schweinsledernen Bänden, durch den nach und nach unsere Seele selber schweinsledern wird, los zu sein, willigte ich ohne Säumen ein. Es gelang mir binnen kurzem einen großen Einfluß auf die ganze Gesetzgebung des neuen Königreichs Bayern zu gewinnen. Insbesondere auf die kriminalistische, so daß das Strafgesetzbuch Bayerns, das seitdem von vielen deutschen wie außerdeutschen Staaten übernommen oder nachgeahmt worden ist, zum größten Teil mein eigenstes Werk gewesen ist. Ich darf ohne Überhebung behaupten, daß Bayern dank dieses ersten deutschen Strafgesetzbuches Jahrzehnte lang an der Spitze der Gesetzgebungskunst in Deutschland gestanden, ja daß mein Buch selbst den gefeierten Napoleonischen Code pénal übertroffen hat. Es kostete mich nicht wenig Mühe, meine Verbesserungen in diesem seit jeher dem Schlendrian ergebenen Lande durchzuführen. Mit der Hydra der Folter habe ich über ein Jahr ringen müssen, eh' es mir gelang, ihre Abschaffung durchzusetzen. Im übrigen stehe ich in diesem meinem Hauptwerk in der Strafgesetzgebung auf dem Standpunkt, daß man Gerechtigkeit mit Milde und Strenge mit Humanität geschickt vereinigen muß. Strafen müssen streng sein, denn sie sollen schrecken. Aber die Strenge wird ungerechte Grausamkeit, sobald sie durch zweckloses Quälen das Maß der Notwendigkeit überschreitet, wird Barbarei, sobald sie nicht bloß der Sinnlichkeit des Verbrechers empfindlich ist, sondern auch seinen besseren Teil, seine höhere moralische Natur verletzt. Keine martervollen Todesarten, keine Verstümmelungen, kein Brandmarken und ähnliche Reste wilder Zeiten sind in mein Strafgesetzbuch aufgenommen. Die Todesstrafe habe ich noch aufrecht erhalten, wenngleich ich mich nunmehr, wo ich mich der Grenze meiner Erdentage nähere, überzeugt habe, daß sie baldmöglichst als ein unrechtmäßiges Strafmittel abzuschaffen sei. Indessen bin ich auch schon vorher stets in mündlichen Vorträgen für ihre möglichst humane Vollstreckung eingetreten. Und zwar nicht mittels des Stranges, für den sich leider wieder die Mehrheit im Geheimen Rat entschieden hat, sondern durch das Fallbeil, das man im Mittelalter in Deutschland, wo es schon häufig gehandhabt wurde, unter dem Namen »Diehle« kannte. Das Fallbeil ist die schnellste, sicherste und darum mildeste Form der Enthauptung. Und man sollte es, schon weil es die Person des Henkers möglichst ausschaltet, auch bei uns einführen, wie es ja auch Napoleon beibehalten hat, und sich nicht an das Gegacker törichter Geheimräte kehren, die nur darum gegen das Fallbeil, die Guillotine, sind, weil es gehässige und grausame Erinnerungen erwecke, als ob ein Instrument etwas dafür könne, daß es eine Weile von Mörderhänden gebraucht worden ist. Richtiges Ebenmaß der Verbrechen und der Strafen ist das zweite Haupterfordernis der Strafgerechtigkeit. Und schließlich darf meiner Ansicht nach eine Gesetzgebung nicht die richterliche Willkür begünstigen oder möglich machen, muß aber dem vernünftigen richterlichen Ermessen innerhalb bestimmter Grenzen die gehörige Freiheit lassen, wie dies alles von mir beobachtet worden ist.

Der Hofränke und Zettelungen wider mich als einen Landfremden und noch dazu Protestanten gab es auch in München als dem Herd jesuitischer Machenschaften seit alters die Hülle und Fülle. Indessen erwehrte ich mich ihrer, von Natur zu Kampf und Streit gemacht, lange Zeit aufs tatkräftigste, zumal mir in den ersten Jahren meiner gesetzgeberischen Tätigkeit in München die Gunst meines allergnädigsten und gütigsten Königs Maximilian Joseph treu zur Seite stand. Weil er meinen Verstand ungemein achtete, wußte er mich lange Zeit vor den Bübereien seines Geschranzes zu schützen. Wie manches Mal habe ich damals, da ich in jenen Jahren dem Wein als einem Sorgenbrecher und einem Gesundheitselixier maßvoll, aber gern ergeben war, eine halbe Bouteille Burgunder und dazu noch eine Viertelsbouteille 83er Rheinwein, zwei, auch drei Gläser Champagner, ein paar Gläser Eremitage, nebst ein oder zwei Gläschen Malaga oder Madera unter den Ausrufen: »Vivat Max Joseph!« geleert. So bot ich im Bunde mit meinem wohlgemuten und umgänglichen königlichen Herrn allen Trakasserien des Hofgeschmeißes wacker Trotz, bis ich schließlich, seelisch gereizt und erschöpft von dem andauernden Undank, der mir in Bayern für meine aufreibende Arbeit zuteil wurde, den Maulwurfswühlereien meiner persönlichen Gegner unterlag. Nach der Schaffung des Strafgesetzbuches war ich daran gegangen, den Code Napoléon, der damals in größter Schnelligkeit dem mit Frankreich verbündeten Bayern angepaßt werden sollte, zu einem allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch umzuarbeiten. Ich hatte dies schwierige Geschäft ganz allein übernommen und beendigte es in weniger als sechs Monaten. Um ein derartiges Werk in so kurzer Frist vollbringen zu können, erhob ich mich zu jener Zeit bei grauendem Morgen aus meinem Bett, schlang um zehn Uhr schnell ein Frühstück herunter, um dann bis zum Mittagessen, das ich gegen sechs Uhr abends einnahm, weiterzuarbeiten. Zu meinem tiefen Schmerz wurde zur Revision meines Entwurfs des Codex Maximilianus, wie ich dieses Gesetzbuch zu Ehren meines Königs genannt hatte, eben jener mir widerwärtige charakterlose Prokanzler der Universität Landshut herangezogen, unter dessen Neckereien ich bereits damals bis zur Menschenfeindschaft gelitten hatte. Und zwar geschah dies hinter meinem Rücken und heimlich von seiten eines gegen mich gesinnten Ministers, der mir mit schmählicher echt bayrischer Grobheit das, was er listig eingefädelt hatte, plump an den Kopf schleuderte. Um aber durch ein persönliches Mißverhältnis nicht dem großen Werk der Gesetzgebung hinderlich zu sein, söhnte ich mich förmlich und – anders kann mein Herz nicht – aufrichtig mit meinem Widersacher von Landshut aus. Indessen gelang es mir trotz dieses und vieler anderer persönlicher Opfer nicht, den Codex Maximilianus in der von mir verfaßten Form durchzubringen. Selbst mein Strafgesetzbuch, das man in seinen Hauptgrundlagen nicht antasten konnte, wurde im Geheimen Rat, in dem es durchgesprochen wurde, noch stark eingeschränkt. Und meine schönsten, glänzendsten Ideen, wodurch mir die schwere Aufgabe, den finstern Inquisitionsprozeß zu humanisieren und die Vorzüge des öffentlichen Verfahrens mit den Vorzügen des alten Untersuchungsprozesses zu kombinieren, zu lösen geglückt war – sie stürzten zuletzt wieder im Geheimen Rat in München. Auch mein Versuch, die Prügelstrafe in Bayern abzuschaffen, scheiterte nebst manchem andern Reformvorschlag. Endlich hatte sich auch die Gunst des Königs dank der beständigen Einblasungen seiner Kreaturen von mir abgewandt, so daß ich persönlich nicht mehr vor Seiner Königlichen Majestät erscheinen durfte. Ich versuchte viermal, indem ich mich in das Vorzimmer des Königs drängte, vorgelassen zu werden. Es gelang mir nicht. Und ich sah hierauf, um nicht als zudringlich noch als Katzbuckler zu gelten, davon ab. Für alle meine Arbeiten zum Besten des bayrischen Staates erhielt ich so gut wie gar nichts. Ich hatte das Verdienst, andere suchten und erhielten zum Teil schon den Lohn dafür. Ich hatte die Last, andere die Ehre und den Dank. Während andere mit königlicher Freigebigkeit Belohnungen erhielten, war mir, nach vielfältigen Sollizitationen nicht einmal bezahlt, was ich kraft eines Buchhändlerkontraktes zu fordern hatte. Während andere durch den Staat oder des Königs Gnade in den Stand gesetzt waren, ohne Nahrungssorgen auf eine ihrem Rang gemäße Art zu leben, sah ich mich am Ende meiner außergewöhnlichen legislatorischen Arbeit zu dem Grad des Wohlstandes gekommen, daß ich zu jener Zeit gewohnte mäßige Erholungen und Bequemlichkeiten mir versagen mußte, um nicht unter meinen Schuldenlasten zu erliegen. Meine Menschenfeindseligkeit, mein Hang zur Schwermütigkeit wuchs natürlicherweise durch solche beständige Zurücksetzung, und meine anfängliche begeisterte Liebe zum bayrischen Dienst ging allmählich in Haß über. Ja, zuweilen stieg seherisch in mir die Furcht auf, man werde dereinst den Haß, den man dem Vater derart äußerte, nach seinem Tode auch seinen Kindern angedeihen lassen.

Der große Befreiungskampf, der endlich in ganz Deutschland gegen die Schreckensherrschaft Napoleons einsetzte, fand mich im Gegensatz zu Bayerns Herrscher und Regierung vollkommen auf seiten der gegen Frankreich und seinen anmaßenden Tyrannen gerichteten deutschen Partei. Meine Begeisterung für Deutschlands heilige Sache ging so weit, daß ich trotz meines bereits vorgeschrittenen Alters als Freiwilliger gegen Napoleon Militärdienste annehmen wollte, wenn mir nicht meine Freunde zu Gemüt geführt hätten, daß ich der Welt und dem Vaterlande mit dem Geist nützlicher dienen könne als mit der Faust, und daß ich als Familienvater über noch acht unerzogene Kinder auch dieses Verhältnis nicht ganz vergessen dürfe. Gleichwohl meldete ich mich bei der allgemeinen Landesbewaffnung um eine Stelle zur Erledigung von Kriegsgeschäften, wobei ich ausdrücklich betonte, daß ich meine Dienste ohne Anspruch auf die kleinste Remuneration zur Verfügung stellte. Auch hatte ich durch eine Streitschrift: »Über die Unterdrückung und Wiederbefreiung Europens« wie durch eine zweite, des Titels: »Was sollen wir?«, deren Erlös zum Besten der Kriegsinvalidenkasse bestimmt war, das bayrische Volk zur Teilnahme an der großen Sache Deutschlands aufgefordert. – Und mein Lohn wiederum für diese offen bezeigte patriotische Gesinnung in Bayern?

Ich werde durch ein Ministerialreskript wegen meiner Schriften des Verbrechens der in der Person des feindlichen Souverains Napoleon beleidigten Majestät beschuldigt. Mein Schreiben wird künftighin unter Zensur gestellt. Trotzdem wage ich es, ermutigt durch die Aufmunterung des deutsch gesinnten Kronprinzen Ludwig, eine dritte Streitschrift: »Die Weltherrschaft das Grab der Menschheit« erscheinen zu lassen. Die politische Luft um mich wird dadurch nur schwüler, und ich merke, daß sich Gewitter zusammenziehen. Ich werde von der Polizei bewacht und belauert. Man entzieht mir fast alle Geschäfte und sucht mich aus der Gesetzkommission hinauszudrängen. Meine vierte und letzte Streitschrift über »teutsche Freiheit und Vertretung teutscher Völker durch Landstände« bringt mich um den Rest der Gunst des Königs. Er zeigt sich, aufgehetzt durch seinen ständigen Adlatus, den finstern und steifen Minister Montgelas, höchlichst erzürnt über mich, nennt mich einen deutschen Jakobiner, einen von den preußischen Emissärs und erklärt wütend, all dieses Gesindel von Norddeutschen müsse ihm noch aus den Augen fort. Schon sehe ich mich veranlaßt, meine ferneren Dienste Preußen anzubieten, da gelingt es einem mir gutgesinnten Manne, einem ehrwürdigen Greise, mir vom Ministerium und vom König eine Stelle als Wirklicher Geheimer Rat und zweiter Präsident des Königlichen Appellationsgerichts zu Bamberg zu erwirken.

Meine dermaligen höchsten Wünsche waren damit erfüllt. Und ich vertauschte froh das unruhige, ränkesüchtige und unsichere Hofleben mit einem friedlichen ehrenvollen Wirkungskreis in der schönsten Stadt des Königreichs. Als langjähriger Begutachter der Gnadengesuche, die vor den König kamen, hatte ich Gelegenheit gehabt, verschiedene merkwürdige Kriminalrechtsfälle kennen zu lernen. In meiner neuen Eigenschaft qua Appellationsgerichtspräsident fand ich Muße und Gelegenheit, diese Sammlung fortzusetzen. Hatte ich die ersten merkwürdigen Fälle nach Art der causes célèbres et intéressantes des alten französischen Rechtsgelehrten Pitaval bereits in München herausgegeben, so ließ ich nun von meiner neuen Wirkungsstätte eine Fortsetzung unter dem Titel »Aktenmäßige Darstellung merkwürdiger Verbrechen« in zwei Bänden erscheinen.

Im übrigen lebte ich in dem friedlichen Bamberg ein wahres Klosterleben. In der dortigen Gesellschaft tut alles gegeneinander fremd und kalt und ist steifer als am steifsten Hofe. Ich hatte nicht mit einem einzigen Menschen dort vertrauten Umgang, sondern mußte mich mit der freilich sehr schönen Natur vergnügen und die Toten zu meiner Gesellschaft machen. Leider bescherte mir mein mir gern Widrigkeiten bereitendes Schicksal in der Person meines ersten Präsidenten am Oberappellationsgericht, eines gewissen Freiherrn von Seckendorf, dem ich mich zunächst in vertraulicher Weise als sein neuer Kollege vorstellte, einen ganz unleidlichen Vorgesetzten. Nicht genug, mich von der Teilnahme am Präsidium selbst ausgeschlossen zu haben, betonte er bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit mein untergeordnetes Verhältnis ihm gegenüber. Kaum daß er meinen Gruß in Gegenwart von Subalternen erwiderte, er beantwortete sogar häufig meine Anreden nicht oder doch nur mit zugekehrtem Rücken.

Nach einer fast dreijährigen Verbannung in Bamberg winkte mir Erlösung aus meiner häßlichen subordinierten Stellung. Ich wurde, nachdem man in München eine Weile erwogen hatte, mich als Beamten nach Österreich abzuschieben, zum wirklich ersten Präsidenten des Appellationsgerichts für den Regalkreis in Ansbach ernannt. Vielleicht hatte ich diese neue Würde einer kleinen Schrift zu verdanken, in der ich für die Notwendigkeit eines zu errichtenden deutschen Fürstenbundes eingetreten war und Bayern an die Spitze eines solchen Fürstenbundes herausforderte. In dem lieblichen, reizend gelegenen Ansbach habe ich nun schon anderthalb Jahrzehnte in steter Pflichterfüllung und strenger Ausübung aller meiner Obliegenheiten zugebracht. Hier ist mir auch der merkwürdigste Kriminalrechtsfall in allernächster Nähe begegnet. Ich spiele dabei auf jenes ungeheuerliche Beispiel eines Verbrechens am Seelenleben eines Menschen an, eines Menschen, der unter dem Namen »Kaspar Hauser« durch mich zu einer Weltberühmtheit geworden ist. Das Schicksal dieses eigentümlichen sonderbaren Findlings ist von mir in einer besonderen Schrift behandelt worden. Beginnend von seinem rätselhaften Auftauchen am zweiten Pfingsttag, dem 26. Mai 1828 in Nürnberg, da er, höchst sauber gehalten, mit einem Brief an einen Rittmeister bei den »Schwolisches« und mit den dumpfen Worten »ä sechtene möcht' ih wähn, wie mei Vottä wähn is« zum erstenmal unter uns Menschen erschienen ist. Bis zu dem Mordanschlag gegen ihn im Hause des literarisch durch seine Übersetzungen aus dem Hafis bekannt gewordenen Professors Daumer in Nürnberg, in das man den Findling zur Pflege und Auferziehung gebracht hatte. Auch habe ich in einem Memoire über Kaspar Hauser, das von mir auf ihren Wunsch der Königin Karoline von Bayern übersandt worden ist, meine Mutmaßung über Abstammung und Herkunft des eigenartigen Findlings dahin ausgesprochen, daß er unbedingt eine Person hoher Geburt und fürstlichen Standes sein müsse. Dies habe ich durch lange tägliche Beobachtung Hausers, der eine Zeitlang von mir in Ansbach mit gerichtlichen Schreibarbeiten beschäftigt worden ist, aufs genaueste feststellen können, ja es ist mir zur moralischen Gewißheit geworden. Insbesondere aus den Traumgesichten Kaspars als Rückspiegelungen frühester Kindheitserlebnisse ist dies vollkommen evident geworden. Schließlich habe ich mit ziemlicher Sicherheit den Beweis geführt, daß Kaspar Hauser der zweite Sohn des in Baden regierenden Großherzogs Karl Ludwig Friedrich und seiner Gemahlin Stephanie, einer von Napoleon angenommenen Tochter des Generals Beauharnais, ist. Das Kind ist meiner Meinung nach von der Gräfin von Hochberg entführt und ausgesetzt worden, die in morganatischer Ehe mit dem Vater des Großherzogs von Baden verbunden war und ihren zu großherzoglichen Prinzen erklärten Söhnen nach Erlöschen der Hauptlinie die Erbfolge in Baden sichern wollte, was ihr mit dem Verschwinden des Erbprinzen in der Person des späteren Kaspar Hauser auch geglückt ist. Das Kind, in dessen Person der Mannesstamm seiner Familie erlöschen sollte, wurde heimlich beiseite geschafft, lebt aber noch in Gestalt des armen Kaspars. Um aber den Verdacht eines Verbrechens zu entfernen, wurde diesem Kinde, welches vielleicht, als es beseitigt wurde, gerade krank zu Bette gelegen hatte, ein anderes bereits verstorbenes oder sterbendes Kind untergeschoben und dieses alsdann als tot ausgestellt und begraben und somit angeblich Kaspar in die Totenliste gebracht. Vielleicht ist der Arzt des Kindes, von der Gräfin Hochberg bestochen, mit im Spiele gewesen. Höchstwahrscheinlich hat ihr aber ein katholischer Klostergeistlicher bei der Entführung des Prinzen geholfen, ein sonst unbescholtener Mann, der aber, wie dies in allen solchen Fällen seit dem Altertum, man möchte sagen, üblich ist, hinterher von Reue über seine Tat gepackt wurde und die eigentliche Ermordung des Kindes nicht hat übers Herz bringen können.

Man hat diese meine Behauptungen von beteiligter höherer Seite als Hirngespinste brandmarken wollen. Darum bleiben sie trotzdem als Wahrheit zu Recht bestehen.

Mein häusliches Glück an der Spitze einer Familie von sechs Söhnen, die alle weit über den Durchschnitt menschlicher Begabung gediehen waren, und von zwei schön gebildeten munteren Töchtern, wurde – daß ich alles gestehe! – eine Zeitlang durch ein inniges Freundschaftsverhältnis getrübt, das mich mit einer verwitweten Frau Hofrätin Brunner verband. Meine Leidenschaft zu dieser ebenso geistreichen wie gefühlvollen Frau wurde mit der Zeit so stark, daß ich mich um ihretwegen einige Jahre von meiner Gattin und meinen Kindern trennte. Bis auf die drei jüngsten Söhne, die unter der besonderen Obhut einer älteren Dienerin in dem von mir in Ansbach erworbenen Hause aufwuchsen. Wenn ich mich hinterher nach dem Tode meiner edlen Freundin, der ich noch manches Mal mit reinen Tränen in die Ewigkeit trauernd nachschaue, innerlich befrage, warum ich mich in eine solche Herzensverstrickung eingelassen habe, durch die so mancherlei Betrübnis über die Meinen gekommen ist, so muß ich es ein wenig einem unglückseligen Nachahmungstrieb in mir zuschreiben. Wie es zu gewissen Zeiten bestimmte Moden der Empfindsamkeit gibt, ich erinnere nur an das Wertherfieber, das zur Zeit, da jener Roman erschienen war, alles ergriff, so besteht auch bei den einzelnen Menschen oft eine Neigung, ihm bekannten und liebgewordenen Seelen nachzueifern. Seitdem ich in dem herrlichen Karlsbad im friedebringenden Jahr 1815 die Bekanntschaft der berühmten Gräfin Elisa von der Recke, der Schwester der Herzogin von Kurland, und ihres Seelenfreundes, des Dichters der Urania, Kanonikus Tiedge, gemacht habe, sind mir diese beiden wundervollen Menschen gewissermaßen zum leuchtenden Vorbild geworden. Ihnen und ihrem seltenen Seelenbunde mich anzugleichen, beschloß ich auch jenes Freundschaftsverhältnis mit der Hofrätin Brunner einzugehen, mit der ich anders wie mit meiner nur mehr in ihren häuslichen Sorgen aufgehenden Frau von allen schönen Dingen des Lebens und insbesondere von jenen unvergleichlichen beiden Gestalten schwärmen konnte, von meiner mütterlichen Freundin Elisa, diesem Ideal weiblicher Güte, Hoheit und Demut und von meinem vertrauten Duzfreund Tiedge, diesem offenen, herzlichen und liebenswerten Manne. Ihr, meiner Herzensfreundin Brunner, vermochte ich auch jenen ständigen Briefwechsel anzuvertrauen, der mich durch Jahrzehnte bis heute mit der unvergleichlichen Elisa und dem heitern seelenvollen Tiedge verbunden hat. Erst nach dem Abscheiden meiner himmlischen Freundin aus diesem Leben vereinigte ich mich wieder mit meiner Gattin und den Meinigen, um in Gemeinsamkeit mit ihnen mein durch meinen Beruf geregeltes Dasein in meinem Krähwinkel Ansbach fortzusetzen. Unterbrochen wurde mein Ansbacher Stilleben durch mehrere Reisen, die ich zur Verbesserung meiner leicht anfälligen Gesundheit unternehmen mußte, sowie durch eine längere Studienfahrt zur Beobachtung der Gerichtsverfassung und des gerichtlichen Verfahrens in Frankreich und durch eine kürzere nach Holland.

Damit die dunklen Schicksalswolken auch meinen letzten Jahren nicht fehlten, widerfuhren mir zwei bittere Ereignisse an meinen Söhnen: Mein zweiter, Karl, der Mathematiker, wurde als Professor der Mathematik am Gymnasium zu Erlangen wegen demagogischer Umtriebe plötzlich verhaftet und in den neuen Turm nach München geschleppt. Dort im Kerker öffnete er sich mit einem Federmesser, das man ihm gelassen hatte, obschon der Gerichtsarzt über ihn geurteilt, daß er an den Grenzen des Wahnsinns stehe, die Pulsadern. Achtzehn Unzen Blut hatte er verloren, als der Gefangenwärter ihn auffand. Notdürftig verbunden wurde er hernach ins Krankenhaus gebracht, wo er, in der festen Absicht sich ein zweites Mal den Tod zu geben, vom zweiten Stock, in dem er lag, herunterstürzte und nur durch einen Schneehaufen zu Füßen seines Fensters gerettet wurde. Abgezehrt und totenbleich, die Gesichtszüge entstellt, den Blick noch irr und wild, mit geschwollenen Füßen und lahmer Hüfte erhielt ich ihn endlich wieder, nachdem entschieden worden war, daß nichts gegen ihn noch dazu vorliege, das seine Verhaftung hätte rechtfertigen können. Nebenbei bemerkt, nachdem man ihn volle vierzehn Monate wie einen Mörder und Räuber behandelt und an Gemüt und Leib zum Krüppel gemacht hatte.

Der zweite vielleicht noch schwerere Schicksalsschlag wurde mir durch das Unglück, das meinem ältesten und begabtesten Sohn Anselm auflauerte, bereitet. Ich sage »noch schwerere Schicksalsschlag« darum, weil mir mein Erstgeborener von allen meinen Kindern am nächsten stand, und weil ich mir von ihm stets am meisten erhoffen durfte. Dieser auch dichterisch veranlagte wohlgeratene vornehme Jüngling wurde mitten in seinem Studium von einem heftigen Schwermutsanfall, dergleichen auch mich zuweilen wie ein Faustschlag aus der Hölle niederstrecken kann, derart tückisch ergriffen, daß er Monate lang seine Arbeit aussetzen mußte. Nur ein längerer Aufenthalt auf dem köstlichen Sommerschloß meiner hohen Freundin Dorothea, der verwitweten Herzogin von Kurland und Schwester meiner angebeteten Elisa, zu Löbichau bei Dresden und die Anwesenheit der himmlischen Elisa selber vermochten sein schwarzes Blut wieder zu klären und den ausgezeichneten Jüngling zu heilen.

Nachdem ich so die bestimmenden äußeren Ereignisse meines Lebens geschildert habe, geziemt es sich noch einen kurzen Blick in den Spiegel meiner Seele zu werfen. Ohne alle Eitelkeit und so ehrlich, wie es ein Mensch gegen sich selber zu sein vermag: Ich bin höchst leidenschaftlich und leider sehr leicht gereizt, wie man auch aus manchem Mißgeschick, von dem ich erzählt habe, hat schließen können. Es mag dies mit meiner zärtlichen Körperbeschaffenheit zusammenhängen, verbunden mit äußerster Nervenreizbarkeit, hypochondrischen Beschwerden und häufigen rheumatischen Anfällen. Von meinem Ehrgeiz und meiner Ruhmbegierde auch in jungen Jahren habe ich bereits berichtet. Ich bin nicht stolz, wenn es manchmal auch so wirken mag. Aber ich habe ein rauhes, starres und herrisches Wesen und bleibe mir leider in meinem äußeren Betragen nicht gleich, ein Fehler, der nicht mir, sondern meinem Temperament und meiner Melancholie zugerechnet werden muß. Ich leide an gewissen Stimmungen, wo alle Menschen, selbst meine Freunde, mir verhaßt sind. Zu einer andern Zeit bin ich der zärtlichste Freund und liebe jeden, der ein Menschenantlitz trägt. Bald bin ich übermäßig freudig, so daß ich ausgelassen bin und ein läppisches Kind zu sein scheine, bald über die Maßen traurig. Dann kann ich kein Wort vorbringen und auch nicht den leichtesten Gedanken denken. Der Übergang von der lebhaftesten Freude zu der schrecklichsten Traurigkeit und von dieser zu jener ist oft so schnell, daß ich in dieser Minute einem Bacchanten und in der nächsten einem Anachoreten gleiche. Der einzige Grund hiervon liegt in der Liebe zu meinem Ideal. Blickt durch das Dunkel meiner Melancholie nur ein kleiner Strahl von Hoffnung, daß ich mein Ideal erreichen kann, so werde ich sogleich aus meiner Trauer erweckt. In jungen Jahren gewährte es mir eine unermeßliche Seligkeit, mich von der Welt gerühmt und von der Nachwelt als Beförderer der Wissenschaften und als einen Wohltäter des Menschengeschlechtes gepriesen zu hören. Im späteren Alter kam mir die Eitelkeit des Ruhmes mehr und mehr zum Bewußtsein. Und es erging mir mit ihm wie mit meinen Orden, meinem Adel und dem Titel »Exzellenz«, der mir schließlich von selbst kraft meines Dienstalters und meiner Stellung in den Schoß fiel: Sobald ich des Ruhms teilhaftig geworden war, dünkte er mich kaum noch begehrenswert.

Erwähnen muß ich noch, daß ich eigensinnig im höchsten Grade war und bin, daß ich besonders in dem kleinen Kreise meiner Familie ein scharfes, wenngleich gerechtes Regiment führe. Was meinen Fleiß angeht, so glaube ich genügend Beweise von ihm in meinem durchaus tätigen Leben abgelegt zu haben. Doch bin ich vielfach flüchtig und hege einen leidigen Hang zur Unordnung. Oft habe ich mich gefragt, warum ich nicht meine Fehler, da ich sie doch als solche erkenne, ablegen mag. Indessen es ist mir zur Gewißheit geworden, daß das γνῶϑι σεαυτόν!, das »Erkenne dich selbst!« der alten Griechen, das von ihrem heiligsten Tempel strahlte, keineswegs mit einem »Ändere und verbessere dich demgemäß selbst!« identisch zu sein pflegt. Denn ob ich gleich meine Schatten, die ich werfe, in ihrer ganzen Schwärze sehe, ist es mir dennoch nicht möglich von ihnen zu lassen. Demgemäß ich nur zuweilen eine gewisse Überlegenheit des Geistes über meine Fehler und Schwächen erreichen kann, mich aber sonst ihnen ohngeachtet meiner innern Gegenwehr wieder leicht verfallen sehe. Erst im steigenden Alter habe ich die heftigen Auswüchse meines Wesens zu bändigen gewußt und mich im Anschauen groß und edel gearteter Menschen wie meines stets zufriedenen Tiedge und seiner fast möcht' ich sagen »heiligen« Urania Elisa selber mehr und mehr zu einem wahren Weisen erzogen. Die letzte Feindseligkeit, die mich noch von einer der Meinigen, von meiner ehedem so zärtlich geliebten Schwester Rebekka in Frankfurt trennte, habe ich soeben ausgetilgt. Ich habe sie im Gefühl meiner seit zwei Jahren täglich abnehmenden Kräfte, in einem herzvollen Brief, den ich mit schwacher zitternder Hand geschrieben habe, um Versöhnung gebeten. Und schon ist mir ihre liebevolle Antwort, in der sie mir meine leidenschaftlichen Irrtümer gegen sie verzeiht, zuteil geworden. Ich eile mich in diesem Frühling mit ihr in meiner schönen Vaterstadt Frankfurt zu vereinen und von dort eines der Taunusbäder, vielleicht das angenehme Wiesbad, zur gemeinsamen Kur (denn auch sie, meine arme Schwester ist bettlägerig) aufzusuchen. Seit zwei Jahren habe ich, wie gesagt, nicht eine gesunde Stunde gehabt. Und seit ich im Juni des verwichenen Jahres vom Schlage gerührt wurde, der mir den rechten Arm und die Zunge lähmte, bin ich, obschon sich diese Übel beide etwas gemindert haben, doch nur mehr ein halb toter Mann. Neuerlich hat mich ein ähnlicher Schlaganfall betroffen, also daß ich im Gerichtshof bei voller Versammlung von meinem Präsidentenstuhl herabsank. Und nun sieche ich, ein doppelt Gebrochener, dem Ende entgegen.

Mein Gedächtnis – und das ist das entsetzlichste für mich – hat gänzlich abgenommen. Wissenschaftliches kann ich nicht mehr treiben, vermag keinen abstrakten Satz mehr zu denken und nur noch über die Dinge hinzustreifen. Ich will mich schleunigst aufmachen und dieses gegen mich so undankbare Bayernland verlassen. Arm bin ich hereingezogen, arm ziehe ich nun wieder hinaus. Meine Schwächen, meine Mißgriffe und Sünden glaube ich auf diesen Blättern offen und ehrlich gestanden zu haben. Möge Gott in seiner Gnade dieses böse Register zerreißen und mich um der Schöpfung jenes Strafgesetzbuches willen, an dem sogar meine ingrimmigsten Feinde viel Gutes lassen mußten, absolvieren.

Wenn aber sich meine Vorstellung noch angesichts des Todes in das Reich der Antike begeben darf, in jenes Lieblingsgebiet meines Sohnes Anselm, dessen Ruhm bald den Namen des Vaters überstrahlen wird, und wenn ich mir von dorther eine Idealgestalt aussuchen müßte, mit deren postumem Schicksal ich tauschen möchte, so würden es die ehrwürdigen Bilder des Minos oder Rhadamanthys sein. Gleich jenen hoheitvollen beiden Brüdern und toten Königen möchte ich wohl noch als Richter in der Unterwelt die Taten der Schatten, die täglich dort nahen, zu richten haben. Um der Milde willen, die ich in jenen grausamen Gerichtsjahrzehnten Deutschlands, da man die Freiheit verfolgte und kerkerte, stets beobachtet habe, sei mir eine solche Machtstellung nach dem Tode gegönnt!

 

Nachwort: Der seltene Mann, der diese Lebensbeichte schrieb, einer der wenigen bei uns, die Gesetze schaffen können, wurde ein paar Wochen nach der Abfassung dieser Seiten vom Tode ereilt. Dieser riß ihn auf einer Spazierfahrt, die er zusammen mit seiner aufs liebevollste mit ihm wieder ausgesöhnten Schwester nach den Schloßtrümmern von Königstein im Taunus unternahm, zur Unterwelt, wo Minos und Rhadamanthys schon seiner warten mochten. Bei der Leichenöffnung, die er selbst noch im Sterben verlangt hatte, zeigten sich alle edlen Teile ohne Fehler. Die Krankheit ward infolgedessen von den Ärzten für nervös erklärt. Im Volk aber verbreitete sich alsbald die Nachricht, daß der erst achtundfünfzigjährige Feuerbach wegen seiner Nachforschungen über die Herkunft und das Schicksal Kaspar Hausers vergiftet worden sei. Dieser rätselhafte Findling selber wurde ein halbes Jahr nach dem Tode seines Beschützers Feuerbach im Gebüsch des Hofgartens zu Ansbach tödlich verwundet, oder mit anderem Wort, ermordet. Der alte Feuerbach wurde in Frankfurt am Main, dort, wo er seine Jugend verbracht hatte, in der Nähe seines herrischen Vaters, der nur kurz vor ihm gestorben war, bestattet. Es war sein ausdrücklicher Wunsch, daß sein Gebein nicht in Bayern ruhen möchte, das ihn, einen der deutschesten Männer, die jemals geatmet haben, zum Dank dafür, daß er ihnen die besten, klarsten Gesetztafeln geschrieben, stets als einen Landfremden behandelt hatte. Er vermachte seinen Geist und sein Unglück seinen Kindern und Enkeln.


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