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Gleim und die Karschin

Schon vier Wochen weilte die deutsche Sappho, die Dichterin Anna Louise Karschin, bei ihrem großen Kollegen, dem Vater Gleim in Halberstadt, zu Besuch. Der Gute, dem sie durch einen seiner liebsten Freunde, durch Ramler in Berlin, zugeführt worden war, hatte die arme, vom Schicksal schlecht behandelte Poetin schon seit längerer Zeit zuweilen mit kleinen Geldzuwendungen unterstützt. Nun war sie von ihm eingeladen worden, den schönen, früchtereichen Herbst in seinem gastlichen Haus in der Stadt am Harz zu verbringen. Der würdige Herr Kanonikus Gleim konnte sich solchen weiblichen Gast gestatten, wiewohl er selbst trotz seiner vierzig Jahre noch Junggeselle war, und dies auch bis in sein vierundachtzigstes Jahr, darinnen er starb, verblieben ist. Denn seinem Hauswesen stand eine würdige und von ganz Halberstadt geachtete tugendsame Jungfrau vor, seine freundliche Nichte Sophie Dorothea Gleim, die von seinen dichtenden Besuchern oftmals als »Gleminde« besungen und gefeiert wurde.

Der Karschin ward es in dem Hüttchen ihres Gönners so wohl wie nie zuvor in ihrem Leben, das sie bis dahin meist hart angefaßt hatte. Als Bauernkind geboren, hatte sie in ihrer Jugend das Vieh hüten müssen. Hernach wurde sie von ihrer zänkischen Mutter zweimal unglücklich verheiratet. Einmal mit einem rohen und geizigen Tuchhändler in Schwiebus, der sich, ohne daß sie ihm den kleinsten Grund dazu gegeben hätte, von ihr scheiden ließ, weil der Große Friedrich damals die Ehescheidung in Preußen eingeführt hatte. Und zum andernmal noch schlimmer kopuliert mit einem völlig vertrunkenen, herumreisenden Schneider. Nur ihre Reimkunst, die von ihr schon als Mädchen betrieben wurde, hatte sie aus dem elendsten Dasein gerettet. Durch Leichenkarmina oder Lieder zu Hochzeiten und Kindtaufen, die sie auf Bestellung lieferte, hatte sie die Aufmerksamkeit von Leuten aus den besseren Ständen auf sich gelenkt. Ein begüterter schlesischer Baron hatte sich ihrer und ihrer Kinder aus erster und zweiter Ehe angenommen und die ihm mit gerührten Strophen dankende Frau nach Berlin verpflanzt. Dort hatte man dies dichtende Naturkind neugierig empfangen. Sie ward in Gesellschaften gezogen und hatte allda die Bekanntschaft der dermaligen Männer von Geist gemacht. Besonders eng hatte sie sich gleich an den zärtlichen Gleim angeschlossen. Welche Seligkeit für sie, als dann seine Einladung eintraf! Welche Wonne, sie nun wirklich auskosten zu können! Jeden Abend, ehe sie in seinem Hause einschlief, sprach sie seine Verse vor sich hin:

In meinem Hüttchen geht's mir gut;
Wie kann mir's übel gehn?
Ich hab' in meinem Hüttchen Mut,
Dem Unglück zu bestehn.

Überhaupt beschäftigte sich die Karschin jetzt im Wachen und zuweilen auch im Träumen unausgesetzt mit ihrem Gastgeber. Die heitere Gleminde sah es mit Lächeln, wie der Besuch vor jeder gemeinsamen Mahlzeit in den Garten stürzte, um dort eine Handvoll Blumen für den Hausherrn abzupflücken. Gleim fand sie dann an seinem Tischplatz vor sich prangen. Zumeist waren auch noch ein paar Verse, von der Hand der Karschin auf Zettelchen geschrieben, dazugelegt. Frühmorgens begrüßte die Dichterin ihn zum Beispiel folgendermaßen:

Hast wohl geschlafen, würdiger Mann,
So sieh dir itzt die Blumen an!
Nicht bleib' ihr Wünschen Dir verborgen,
Ihr Duft spricht atmend: Guten Morgen!

Mittags sah er sich einmal mit einem Strauß geehrt, an dem von ihr als Verfasserin des Lobliedes auf das Essen der Spruch hing:

Des Rehes wohlgebrat'ner zarter Rücken
Mög' Dich gleich dieser Rosenpracht entzücken!

Und dann am Abend wurde er verschiedenfach mit einer Spende seines Gartens unter diesen Versen angeschwärmt:

Du herzensguter Mann
Nimm uns Blumen hin!
Eh' der Wohlgeruch zerrann,
Und man welkt dahin.
Drück' uns fest an Deine Brust,
Und Du ahnst dann, welche
Leidenschaft und Götterlust
Blüht in unserm Kelche

Der alte Gleim fühlte sich allmählich mehr und mehr gedrückt durch diese Gaben ihrer Muse. Auch die ewigen Blumen, mit denen die Karschin ihn beschenkte und gelegentlich gar sein Haupt bekränzte, wurden ihm etwas viel. Endlich ging er die Dichterin in einem einzigen Gegengedicht an, davon abzulassen. Dies Poem, das er nicht unter seine Gedichte aufgenommen hatte, übergab er ihr mit einem verlegenen Lächeln, als er seinen kleinen Garten wieder einmal stark geplündert sah. Es trug den Titel: »Bitte Floras« und lautete:

Zartsinn'ge Räuberin,
Hör' auf, mich zu bestehlen,
Daß, eh' der Herbst dahin,
Mir nicht die Blümchen fehlen!

Ehr' dieses Hauses Geist,
Indem Du mich verschonest,
Und was man Dir erweist
Mit stillem Lächeln lohnest.
Laß meine Rosen stehn,
So wirst Du mehr beglücken;
Soll Liebe nie vergehn,
Darf man sie nicht zerpflücken.

Wenn auch Gleim mit dieser gereimten Warnung die Verwüstung seines Gärtchens durch die ihn mit ihren Geschenken arm machende Dichterin etwas einschränken konnte, ihre mehr als freundschaftliche Verehrung für ihn vermochte er nicht zu dämmen. Immer unverhüllter und deutlicher trug sie ihm ihre zärtliche Zuneigung an. Besonders in demjenigen Raum seines behaglichen Hauses, den er seinen »Musen- und Freundschaftstempel« nannte, wallte das heiße Herz der Karschin in kaum zu verkennender Weise für ihn auf. In diesem seinem schönsten Zimmer hatte der brave Vater Gleim seiner sämtlichen Freunde Bildnisse, die er auf seine Kosten hatte herstellen lassen, aufgehängt. Er war einer jener – soll man hier für die selige Karschin wie für unsere Frauen überhaupt ein »Leider!« einflechten – in Deutschland nicht ganz seltenen Männer, die ihr Herz völlig für ihre Freundschaften ausgeben. Ein reger, höchst empfindsam von ihm geführter Briefwechsel verband ihn mit einer ganzen Schar von Männern, die er aus der Ferne anschmachtete. Eifersüchtig wachte er über diese Glut des Gefühls der Freundschaft, die ständig in ihm loderte, auch bei anderen, daß nur ja nicht das Feuer erkalte noch die gesteigerte Empfindung etwas an Kraft einbüße. Mit dem liebsten, mit dem allerliebsten besten Freunde, Ramler, überwarf er sich nach vierzehnjähriger geistiger Ehe, als dieser es, wie er glaubte, an der gleichen starken Wärme für ihn fehlen ließ. Aber Gleims weiches Herz hörte nicht auf, sich immer aufs neue für seine Freunde zu entzünden. Und zu seinen Freunden machte er alle, die mit ihm persönlich oder brieflich in Berührung kamen. Klopstock, wie den älteren Jacobi und Lessing und Herder und Voß und Heinse und noch Jean Paul und den jungen Kleist, dessen gleichnamigen Vorfahren in Apoll er schon aufs innigste geliebt hatte. Ihnen allen opferte Gleim sein Leben lang, was sein Herz empfand, wie er sich auch stets als Wohltäter und Ratgeber der Jugend erwies, die sich an ihn wandte. Noch im Tode wollte er nur von Freunden umgeben sein und ordnete an, daß um seine Grabstätte in seinem Garten Urnen mit den Namen und den letzten Tagen der Gefährten, die ihm das Sterben bereits vorgemacht hatten, aufgestellt würden. Wie solches noch heutigentags in Halberstadt zu sehen ist.

In diesem seinem Freundschaftstempel fühlte sich nun die Karschin wie Gleim selber am wohlsten in seinem ganzen Hause. Voll Bewunderung sah sie ihren lebenden Dichter hier zwischen den Abbildungen seiner Freunde herumwandeln und gelehrt plaudern. Und durfte neben ihm zu dem Kopf von Wieland, Lavater oder Sulzer empornicken und sie mit horazischen Namen, wie Leukon und Quintus Icilius, oder mit mythologischen Bezeichnungen schmücken. Immer weiter öffnete sich ihr liebebegehrendes Herz in diesem Treibhaus der Künste. Nicht umsonst doch hatte ihr Dichter und Gastwirt in vielen scherzhaften Liedern, ein deutscher Anakreon, von lauter Mädchen gesungen und seine Einladung zur Liebe in anmutigen Versen in die Welt gesandt.

»Mädchen, wollt ihr mich nicht lieben?
Seht, hier lieg' ich in dem Schatten!
Mädchen, seht, wie schön ich liege!«

Mußte es denn eine nur erdachte Doris oder Chloris oder eine gemalte Daphne oder Belinde sein, an der ihr Sänger sich berauschen konnte? Was waren alle Geliebten auf dem Papier gegen einen einzigen von Lippen zu Lippen brennenden Kuß des Lebens?

In solchem Verlangen wußte sich die Karschin eines Abends, da sie zu zweit über der Dämmerung des Freundschaftstempels schwärmten, nicht länger zu halten. Gewiß fehlte ihrem Dichter, der stets hier in seinem wohlbehüteten traulichen Heim weilte, nur der rechte Anstoß zu einem wirklichen Liebeserlebnis. Sie, die Kräftigere, die rauher Aufgewachsene, wollte ihn dem zartempfindenden Manne geben. Und schon packte sie ihn, gerade unter dem Bildnis des erstaunten Klopstocks, um den Hals und drückte den heißesten Kuß der Leidenschaft auf seinen Mund. Dummerweise stieß sie dabei mit ihrer vorn etwas starken Nase auf die seine, die ebenfalls ziemlich dick geraten war, wodurch dies ihr Liebeszeichen entschieden etwas geschädigt wurde. Was den erschrockenen Gleim aber erst ganz aus der Stimmung brachte, war dies, daß die Karschin in dem Überschwang ihrer Gefühle bei der Umschlingung sein Zöpfchen hinten im Nacken so wild angefaßt hatte, daß hierdurch seine kurze Lockenperücke, die er über seinem früh spärlich gewordenen Haar trug, vollkommen verrutscht war. Auf dieses Atzelchen legte der alte, an sich äußerst saubere Junggeselle aber die strengste Sorgfalt. Und mit einer gewissen Entrüstung wehrte Vater Gleim jede weitere Zärtlichkeit der Karschin ab, indem er, ängstlich an sich herumzupfend, vor einen kleinen Spiegel floh. Die arme Karschin blieb hastig atmend auf der Stelle angewurzelt stehen, wo sie den nur in seiner Einbildung für die Frauenküsse glühenden Poeten ins Leben hatte ziehen wollen. Wie eine umgekehrte Galathea kam sie sich angesichts dieses vor Schreck fast versteinerten Pygmalion vor und fühlte schamvoll, wie Amors Pfeil an ihm vorbei zu Boden sank. Hatte dieser Dichter nicht alle Frauen angelockt, als er sang:

»Was lieb ich doch für Schönen?
Ich liebe die Helenen,
Die Hannchen und die Fiekchen,
Die Lieschen und die Miekchen,
Die Willigen, die Spröden,
Die Freundlichen, die Blöden!«

So hatte er sie sämtlich in Versen Revue passieren lassen. Und nun, wo eine einzige nur vorgetreten war, seine wirkliche Leidenschaft in Empfang zu nehmen und Liebe für Liebe einzutauschen, da wich er wie vor dem Blick der Medusa zurück. Ach! Vielleicht erging es dem guten Gleim mit dem Besingen aller seiner Mädchen ebenso wie mit seinen preußischen Kriegsliedern, in denen er von seinem Kanapee aus als Grenadier Kartätschenfeuer und Kanonendonner gefeiert hatte, dem der Sanftmütige selbst stets ausgewichen war. Vielleicht war sie auch zu stürmisch vorgegangen, die lebhafte, Karschin? Denn sie besann sich, wie sie, bekümmert noch auf der gleichen Stelle stehend, dem lauten Klopfen ihres Herzens lauschte, daß der entfleuchte verehrte Mann einmal irgendeiner Chloe seiner Einbildung gedroht hatte:

»Die mich nicht haßt, eh' sie mich liebt,
Die mir nicht widersteht,
Die sich wie Leipzig leicht ergibt,
Die wird von mir verschmäht.«

Doch ein paar Blicke auf den zitternden Mann, der noch immer ängstlich seine künstliche Haartracht in Ordnung zu bringen suchte, beruhigten die Karschin über ihr im Kriegsgeist ihres großen Königs gehaltenes forsches Draufgehen. Jede Art Frauentaktik erschien ihr bei dieser uneinnehmbaren männlichen Festung vergebens und erfolglos zu sein, eine Wahrnehmung, die der alte Gleim, der sie noch um ein Jahrzehnt überleben sollte, durch ein weiteres Junggesellendasein nur bestätigt hat.

Am andern Tag nach diesem verunglückten Versuch verließ die Karschin Gleim und Halberstadt für immer. Ohne feierliches Lebewohl für ihren aufatmenden Gastgeber. Statt ihrer Person erschien nur folgendes letzte, gereimte Billett von ihrer Hand vor dem gleichwohl liebenswerten Manne:

»Vergib mir, großgesinnter Sänger,
Daß ich nicht förmlich Abschied nehme!
Du selber hältst mich ja nicht länger,
Die ich mich auch ein wenig schäme.

Ich lasse Dich den hohen Musen,
In Deiner Kunst von mir verehret,
Ruhe' denn an ihrem kalten Busen,
Dieweil Du meinen nicht begehret!

Und tausche ferner heiße Küsse
Mit Mädgen, die Du nie gesehen,
Vor denen ohne Hindernüsse
Du kannst als Liebesheld bestehen.

Ich meinerseits muß dir bekennen,
Nur Schwärmerei macht mich verblassen,
Wenn unsre Seelen schön entbrennen,
Will man auch einmal etwas fassen.

Drum lebewohl, geschätzter Dichter,
Fahr' fort, die Damens zu entzücken!
Die Karschin bleibt ein milder Richter,
Drum blick' ihr freundlich auf den Rücken

 


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