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Schopenhauers Geliebte

Das arme Wesen!« denken manche Frauen von vornherein, die um die erbitterte Weiberfeindschaft des Philosophen wissen, und die darum trotz des Mangels an Korpsgeist, den er ihnen vorwirft, dem, wie sie annehmen, bedauernswerten Geschöpf einen stillen Seufzer wehmütigen Mitgefühls weihen. Und doch ist diese Dame um diese ihre Liebschaft mit dem Weiberhasser gar nicht zu beklagen. Ja, manche frühere Mätresse eines ehemaligen weltlichen großen Herrn würde sicher gern mit dieser Geliebten eines Monarchen in der Welt des Geistes getauscht haben. Zwar spricht sich diese seine Liebe nur in einer Urkunde für uns als Nachwelt aus: Als einziges, freilich nicht unwichtiges Zeugnis seiner Zuneigung für seine Geliebte ist nämlich dies erhalten, daß er sie in seinem Testament mit einem höchst beträchtlichen Vermächtnis bedacht hat. Der große Frauenverächter gehörte also nicht zu jener verächtlichen Sorte von Männern, die ein solches weibliches Wesen beizeiten abschieben und dann gänzlich zu vergessen suchen. Noch mit siebzig Jahren, da er seinen letzten Willen aufsetzte, erinnert er sich dankbar ihrer, die vermutlich zu dieser Zeit auch nicht mehr von verführerischer Jugend gewesen ist. Diese Tatsache des Vermächtnisses an sie besteht. Zum Kummer mancher Philosophieprofessoren, denen es peinlich ist, einen Denker, den man immerhin heute der lernenden Jugend nicht mehr ganz unterschlagen kann, mit dem Vorhandensein einer Geliebten befleckt zu sehen. Es ist wirklich zu ärgerlich für diese Herren:

Schopenhauer hat auch in Deutschland eine Geliebte gehabt. Daß dies vordem in Italien mit ihm der Fall gewesen ist, dürfte hingehen. Denn jenseits der Alpen wäre es nicht so schlimm gewesen. Aber er hat sich dieses Vergnügen auch hier erlaubt. Sogar in Berlin. Es muß einmal heraus! Und Fräulein Medon, eine weiland königlich preußische Hofschauspielerin daselbst, war, wie sein Testament, ach! so unverhüllt bekennt, der Gegenstand seiner sicherlich höchst eigentümlichen Zärtlichkeiten.

War sie blond und groß oder schwarz und klein? Wir wissen nichts von ihr. Spielte sie die Heroinen und deklamierte sie ihrem Liebhaber zuweilen vor:

»Seht! Ich will alles eine Schickung nennen,
Ihr seid nicht schuldig, ich bin auch nicht schuldig.
Das Ärgste weiß die Welt von mir, und ich
Kann sagen, ich bin besser als mein Ruf.«

Oder trat sie als Gretchen auf und vor ihn hin:

»Du lieber Gott! Was so ein Mann
Nicht alles, alles denken kann.«

Wir vermögen diese Fragen nicht mehr zu beantworten. Denn sonst hätte es sicher längst einer unserer Philologen getan. Sie selbst scheint auch eine selten verschwiegene Frau gewesen zu sein. Denn es ist nichts, aber auch gar nichts Schriftliches von ihr zurückgeblieben, das von ihren Beziehungen zu dem Weltweisen etwas aussagen könnte. Schon zum Nutzen der Sammler oder der Biographen hätte sie doch die Billette aufbewahren sollen, die ihr von Schopenhauer während seines Berliner Aufenthalts zugeschickt worden sind. Es wäre ihr dadurch vielleicht beschieden gewesen, mehr in die Nachwelt zukommen, als es so, nur durch ihre einmalige Erwähnung in seinem letzten Willen, geschehen ist. Wie gut hätte sie Aufzeichnungen, Memorabilien oder Erinnerungen niederschreiben können gleich der Putzmacherin Richard Wagners oder einiger Hofdamen Kaiser Wilhelms des Zweiten. Oh! Sie hatte die verschiedensten Möglichkeiten, sich in die Unsterblichkeit zu schmuggeln. Man nehme nur an, sie würde ein Buch nach seinem Tode herausgebracht haben: »Liebesgespräche mit Artur Schopenhauer.« Womöglich mit dem verlockenden, geheimnisvollen Untertitel: »Von einer, die es wissen muß.« Welch ein buchhändlerisches Geschäft hätte das gegeben! Der finanzielle Erfolg aller Erinnerungen von Ludendorff bis Tirpitz wäre dadurch übertroffen worden. Dies törichte Geschöpf hat nichts von alledem geleistet. Keinen Brief, kein Gespräch, nichts Denkwürdiges von ihm hat sie bewahrt, keine Reliquie an ihn feilgeboten. Womöglich hat sie ihn gar geliebt, die Unglückliche? Frauen, die sich in etwas Derartiges einlassen, bringen ja alles fertig. Wohnen wir der Abschiedsstunde bei, die sie von dem Philosophen für immer irdisch getrennt hat:

Zuerst hatte Schopenhauer vorgehabt, sich »polnisch« von ihr zu drücken. Das heißt, ihr einfach von Frankfurt aus mitzuteilen, daß er Berlin endgültig verlassen habe, um fortan am Main der Beschäftigung des andauernden Denkens obzuliegen. Aber endlich hatte er sich denn doch entschlossen, ihr diese Absicht mündlich kundzutun. An, einem Freitag begab er sich also zu ihr. Diesen Tag, den er sich auch für seine Geburt ausgesucht hatte, wählte er stets, wenn es sich um eine besonders wichtige Entscheidung in seinem Leben handelte.

»Ist Fräulein Medon zu sprechen?« polterte er die Wirtin an, die ihm in dem »Entree«, dem Vorraum zu den Appartements der Schauspielerin, entgegentrat. Er haßte solche »Entrees«, weil einmal eine alte, lästige Frauensperson, die sich wie ein Drache in dem Vorraum zu seinen Berliner Chambres garnis hingesetzt hatte, von ihm aus solchem Schlupfwinkel hinausgedrängt worden war. Eine unangenehme Begebenheit, an die sich ein langwieriger Prozeß wegen Mißhandlung und Beleidigung geschlossen hatte, der schließlich zu seinem Kummer für den Philosophen verlorengegangen war. »Ja!« gab die Wirtin der Schauspielerin zur Antwort auf seine Frage, nachdem sie ihn von oben bis unten gemustert hatte: »Demoiselle Medon wird sogleich erscheinen.« Sie wollte mit dem Fremdwort »Demoiselle« zeigen, wie fein gebildet sie wäre.

»Dites à votre demoiselle, que c'est içi, que je veux attendre son altesse!« fauchte Schopenhauer sie in seinem fließendsten Französisch an, um die graue, alberne Gans wegzuscheuchen. Sie verschwand mit einem erschrockenen Blick, den sie auf ihn wie auf den Gottseibeiuns warf. Allein zurückbleibend, geriet Schopenhauer in immer heftigeren Ärger über »das niedrig gewachsene, schmalschultrige, breithüftige und kurzbeinige Geschlecht«. Schon wollte er, wütend darüber, daß er sich überhaupt noch einmal hier eingefunden hatte, aus dem verfluchten »Entree« wegstürzen. Da öffnete sich eine Türe. Und die Medon bat ihn lächelnd, hereinzukommen. Sie hatte sich nur eben vor ihrem Putztisch ihre Löckchen in zwei große Bündel zu beiden Seiten ihrer Stirn legen müssen. Auch ein weißes Häubchen mit breiten, rosaroten Bändern, wie die Mode von damals sie im Hause trug, war noch schnell von ihr aufgesetzt worden. So empfing sie ihn in einem geblümten, hellen Morgenkleid, das ihre Wespentaille einschnürte, um als Rock nach unten möglichst weit zu werden. Die riesigen Ärmel, die sogenannten »Elefanten«, wirkten ganz eigentümlich gegen ihre Schlankheit. Dem Freund zu gefallen, hatte sie sich noch mit einem ihr von ihm geschenkten Goldkettchen geschmückt, das man als »Seht hierher!« bezeichnete und das eine Perle in der Mitte ihrer Stirn festhielt.

Man setzte sich zusammen aufs Kanapee, Den tiefen Ausschnitt ihres Kleides verdeckte die Medon mit einer leichten Pelzboa, wie sie damals als unentbehrlichstes Putzstück der Frauen aufkamen.

»Ich gedenke, eine Reise anzutreten«, begann Schopenhauer ziemlich unförmlich die Konversation.

»Oh, wie schade! Doch nicht wieder nach Italien?« Die Medon verabscheute dies Land, weil sie seinen Wettbewerb fürchtete.

»Nein!« entgegnete Schopenhauer. »Aber vielleicht werd' ich noch weiter als Italien verreisen.«

»Was heißt das? Mein Freund! Noch weiter als Italien! Sie wollen doch nicht gar zu den Türken gehen?«

»Sie meinen, das sei überflüssig, weil die Männer ja hier schon wie die Türken leben. In diesem physisch und moralisch vermaledeiten Nest Berlin, wo gestohlen und betrogen wird wie im Land, wo die Zitronen blühen. Dieses ...«

Sie unterbrach ihn lachend. »Schimpfen Sie doch nicht wieder so entsetzlich, mein Freund! Ich muß ja hierbleiben in diesem ›Saustall‹, wie Euer Gestrengen sich häufig über die Residenz des Königs von Preußen zu äußern geruhten.«

Er schnitt ihr eine zärtlich sein sollende Grimasse. Dies war der Ton, den er an dem andern Geschlecht am ehesten ertragen konnte: leichte, gefällige Ironie mit einer selbstverständlichen Anerkennung der Überlegenheit des Männlichen.

»Ich werde Sie schwer entbehren, lieber Freund«, quittierte sie seine stumme Liebkosung.

»Ach was! Flausen! Was ist denn an mir zu entbehren?«

»Ihre Unterhaltung, mein Bester! Gehen Sie, das wissen Sie doch selber. Sie sind der geistreichste Mann, der in unserm Jahrhundert lebt. Ihrem Gespräch zu lauschen, wenn Sie in Feuer geraten, und Ihren rauhen, deutschen Kanevas, um Sie selbst zu zitieren, mit fremden Zitaten schmücken, gehört für mich zu den höchsten Genüssen, die es auf Erden geben kann. Ich meine dann immer, Voltaire und Friedrich der Große müßten zusammen geplaudert haben wie Sie. Und ich begreife das Wort von Madame de Stael, das Sie mir einmal mitteilten: ›Der höchste Luxus für eine vornehme Frau ist der, sich einen gescheiten Mann zu halten.‹ Was mich aber mehr als alles an Ihrer Unterhaltung fesselt, ist dies, wenn ein Hauch von Empfindsamkeit noch den Schwung Ihrer Beredsamkeit steigert.«

Der Philosoph sah sie mit seinen blauen, glanzreichen Augen befriedigt von der Seite an, wie die Medon in ihrem geblümten Morgenkleid selber wie eine Blume ihm all diese Artigkeiten zuflüsterte. Die Natur schien es auch bei ihr in diesem Augenblick auf das, was man im dramaturgischen Sinn einen Knalleffekt nennt, abgesehen zu haben, indem sie diese seine Frau mit der Schönheit, dem Reiz und der Fülle der Jugend schmückte. Er überlegte die ganze Zeit stumm: ›Sollst du sie mit nach Frankfurt nehmen?‹ Und stellte im Geiste flugs zwei Tabellen für und gegen diesen Entschluß auf, ähnlich denen, die er kurz danach, als er noch zwischen Frankfurt und Mannheim schwankte, zugunsten und Ungunsten der beiden Städte auf den Deckel seines Rechnungsbuches setzte. Aber langsam sank die Schale, die für eine dauernde Verbindung mit ihr war, wie die in der Hand des Zeus, in der das Todeslos des Hektor lag. ›Wer vierzig Jahre alt geworden ist, ohne sich mit Frau und Kindern belastet zu haben, der muß wenig gelernt haben, wenn er es nachher noch tun möchte. Das käme mir vor, als wenn einer drei Viertel der Poststation zu Fuß zurückgelegt hätte und nun noch ein Passagierbillett für die ganze Fahrt lösen wollte.‹ Knurrte er monologisch. ›Nein!‹ entschied er, das letzte Motiv, das ihn betören wollte, verächtlich wegschiebend: ›Wenn du einen brauchst, der dir Komplimente sagen soll, kannst du dir einen Papagei anschaffen.‹

Die arme Medon, der all diese Erwägungen galten, errötete unter den funkelnden Blicken, die er wie ein retirierender Feind noch gegen eine Stadt abfeuerte, in der er lange gelegen hat und die er nun verlassen muß. Sie zog ihre Pelzboa, die bei ihren Beteuerungen herabgesunken war, scheu über ihren tiefen Ausschnitt.

»Sie scheinen nicht mehr zu halten zu sein, lieber Freund!«

»Nein! Durch nichts mehr. Lassen Sie Ihre Sirenensänge! Sie werden Ihren Odysseus nicht mehr sich winden und leiden sehen. Ihre Anmut soll mir nicht weiter gefährlich werden und mein Schiff zum Scheitern bringen. Nein! Ich habe mein Berliner Bankhaus angewiesen, Ihnen die monatlichen Bezüge zu überweisen. Lassen Sie sich nur von diesen Schurken nichts anderes als preußische Talerscheine auszahlen!«

»Aber, Lieber! Sie reden ja, als ob Sie Abschied fürs ganze Leben von mir nehmen wollten!«

»Das tut man schließlich vor jeder Trennung, teure Freundin! Sie wissen, unser ganzes Dasein ist nur ein Diversorium, eine bloße Herberge. Das Bild der Glückseligkeit, das uns unsere Jugend vom künftigen Leben vormalt, verschwindet mit unseren ersten weißen Haaren. Er ist ausgeträumt, le rêve du bonheur, Oder sollten Sie noch nicht davon überzeugt sein, daß unser ganzes Hiersein Leiden bedeutet? Toute la nature n'est qu'une douleur concentrée.«

Da war er wieder, dieser Hauch von Empfindsamkeit, den die Medon an seinem Gespräch so überströmend liebte. Die Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie nun sagte: »So wirst du dich also von mir trennen?«

Das klang ihm schon etwas zu gefühlvoll. ›Wenn ich noch länger bleibe‹, resümierte er im stillen, ›wird sie anfangen: ›Will sich Hektor ewig von mir wenden?‹ Er beschloß kurz: ›Das geht nicht.‹ Und stand auf, um sich zu verabschieden. Sein heißes, von seiner Mutter ererbtes Blut spielte ihm dabei noch den Possen, daß er ihr den Abschiedskuß nicht auf die Stirn unter dem »Seht hierher!«, wie er vorhatte, sondern vorn auf den Hals, dicht über ihrem Ausschnitt versetzte. Was ihn beinahe noch zu einem längeren Aufenthalt veranlaßt hätte. Wütend starrte er, aus dem Schwindel wieder auf seine festen Beine zurückgekehrt, die Wände an, die mit ein paar Bildern der Schauspielerin geschmückt waren. ›Soll ich sie um ein Bildnis von ihr bitten?‹ überlegte er noch vor der Trennung. ›Nein!‹ entschied er grimmig. ›Die Abbildungen meiner Pudel dürften genügen, um die Tapeten meines Studierzimmers auszustatten. Ich werde mich doch nicht durch den Anblick eines Weibsbildes in meiner ruhigen Arbeit stören lassen.‹

Noch auf der Treppe setzte er dies Selbstgespräch mit sich ärgerlich fort: ›Es war die höchste Zeit, daß ich mich von ihr freimachte. Das Frauenzimmer hätte mich sonst unrettbar in ihre Netze gezogen. Glücklich sind nur die, die sich selbst genügen. Und die Furcht vor den Menschen ist aller Weisheit Anfang.‹

Unter solchen Maximen und Paränesen tröstete sich der Denker über sein unverkennbares Trennungsweh, das sich schwer bemeistern ließ. Die Medon blieb ebenso traurig und weniger durch Philosophie beruhigt allein zurück. Sie glühte noch wie eine Flamme von der Erregung über den wilden, langen, letzten Kuß ihres Liebhabers. Der Spiegel zeigte es ihr, vor den sie nun erhitzt trat, um etwas Puder aufzulegen. Sie blickte sich schmerzlich lächelnd an. Wirklich! So blühend und reizvoll wie jetzt hatte die Medon noch nie ausgesehen. Schade, daß ihr nun der Bewunderer fehlte. Seufzend schnürte sie ihre Wespentaille für ihren hastig wallenden vollen Busen auf. Und leise sprach sie, man wußte nicht, war es auf den davongeeilten Schopenhauer oder auf sie selber gemünzt: »Armer Kerl!«


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