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Garibaldis Hochzeitsnacht

Nicht jene erste Nacht, welche ihm Anita schenkte, sei je beschrieben! Sie gehört ihm allein und keinem andern an. Unvergeßlich der Augenblick schon, da er sie kennenlernte, diese seine spätere Frau: Garibaldi kreuzte als frisch ernannter Admiral der republikanischen Flotte von Rio Grande do Sul und Uruguay vor der Reede einer Küstenstadt. Da erblickte er durch das Fernrohr ein junges, schlankes Mädchen am Strand und verliebte sich auf der Stelle in sie. Gleichen wir ihm nicht alle, wenn wir uns zum ersten Male jählings in eine Frau verlieben, einerlei, ob wir sie wie er durch ein Fernglas oder durch unsere sie plötzlich verschönernden Augen erschauen? Ein Mensch, ein Weib löst sich für uns von der Gesamtheit ab und erscheint uns so urbestimmt, daß wir ihr wie er mit Worten oder Blicken sagen müssen: »Du solltest die Meine werden.« Garibaldi ruderte mit einem winzigen Boot allein auf sie zu ans Land. Er machte sich mit ihrem Vater und mit ihr bekannt. Es war die achtzehnjährige Anita Ribera, eine Kreolin. Wiewohl sie nur portugiesisch sprach, verstand sie sogleich seine Werbung. Ohne Zaudern trennte sie eine von ihrem Vater gegen ihren Willen geschlossene Verlobung, um fortan Garibaldi zu Fuß und zu Pferd zu folgen, wohin sein ruheloses Blut und seine Begeisterung für Italien ihn trieben. Zehn Jahre blieb sie stets an seiner Seite. Sie gebar ihm zwei Söhne und eine Tochter. Und sie starb, als sie ihm ein neues Kind zutrug, zwischen Schlachten, Fluchten und Abenteuern in einer vom Sturm durchwehten Herberge auf den Lagunen bei Ravenna, weil sie sich bei seiner ständigen Begleitung zu viel zugemutet hatte. »Grüß' die Kinder, mein Held!« waren ihre letzten verständlichen Worte.

Jahre der Mühsale und Irrfahrten waren seitdem für Garibaldi vorübergezogen. Er hatte sich als Arbeiter in New York in einer Fabrik, in der man Kerzen aus Unschlitt machte, und später als Schiffskapitän auf dem Stillen Ozean ein kleines Vermögen erspart. Hiervon kaufte er sich für siebentausend Mark die Hälfte der Insel Caprera, der kleinen Ziegeninsel, die auf der Karte nördlich von Sardinien liegt, und fühlte sich stolz als italienischer Großgrundbesitzer. Eben schickte er sich an, sich an der Spitze eines Freiwilligenkorps, das er zur Befreiung des Vaterlandes gebildet hatte, neuen kriegerischen Ruhm zu erwerben. Da begegnete ihm zum zweiten Male in seinem Leben eine Frau, die bald darauf seinen fanfarenhaft klingenden Namen tragen sollte.

Sie nahte sich ihm, als er barhäuptig nach einem blutigen Scharmützel mit den Österreichern auf der Straße von Varese vor den Seinigen einherritt. Sie kam in einem Wagen von Como angefahren, um ihm einen Brief, der wichtige Nachrichten für ihn enthielt, zu überbringen. Es war die junge, blühende Marchesina von Raimondi. Sie erkannte den Abgott des neuen Italiens schon von weitem, an seinen langen, goldbraunen Locken, auf denen die Sommersonne glänzte. Betroffen von seiner sagenhaften Erscheinung winkte die Marchesina ihm mit dem weißen Schreiben in ihrer Hand entgegen. Der Kriegsheld überwand seine eingewurzelte Abneigung gegen die Priester, die ihn beim Anblick des schwarzen Geistlichen schüttelte, den das junge Mädchen zum Schutz von Como mitgenommen hatte. Die Schönheit der Marchesina, die bei seinem Anblick vor Begeisterung bleich geworden war wie eine Heilige, über die sich schon das Licht des Himmels ergießt, betäubte den von Frauen vergötterten Mann. Er beugte seine Lippen zu einem Kuß auf ihre Hände, die ein einziger mit einem großen blaugrünen runden Türkis verzierter Ring schmückte. Ihre weißen Finger dufteten nach den Marschall-Niel-Rosen, zwischen denen sie während der Fahrt ihren Brief gehalten hatte. Diese Rosensorte war damals gerade aufgekommen. Nach einem langen Blick in ihre vor Erregung wie Perlen schimmernden grauen Augen nahm Garibaldi das Schreiben aus ihrer Hand. Er überlas es. Langsam und genau, wie einer, der nicht allzuviel mit den Buchstaben umzugehen pflegt.

Sie betrachtete währenddem, schwindlig vor Wonne, den Helden, der da vor ihr stand, mit seinem schönen bärtigen Kopf und dem Ausdruck seines Gesichts, das milde wie Christus und stolz wie das Haupt des Zeus leuchten konnte. Sie wiederholte sich schweigend immerzu das Gefühl: »Das ist der Mann, von dem ganz Italien schwärmt. Von den Alpen bis nach Sizilien. Und er spricht mit dir. Er wird gleich wieder aufblicken zu dir.«

»Ich werde Sie zu Ihrem Vater begleiten«, sagte Garibaldi kurz, nachdem er den Brief gelesen hatte. Dann ritt er an ihrer Seite auf Como zu. Auch die Marchesina von Raimondi war bereits, wie es Anita gewesen war, einem andern Mann versprochen, einem jungen, italienischen Offizier, namens Luigi Caroli. Indessen, es gelang ihrem Vater, der gleich den tiefen Eindruck wahrnahm, den seine Tochter auf den fünfzigjährigen Garibaldi gemacht hatte, ihr diese Liebschaft mit Luigi scheinbar auszureden. Ihr Vater gehörte nämlich zu den feurigsten Verehrern, den aufopferndsten Anhängern des Freiheitshelden Garibaldi. Eine Verbindung seiner Tochter mit dem edlen Vorkämpfer für das einige Italien erschien ihm als der großartigste Beschluß seines dem Vaterland geweihten Daseins.

Die liebliche Marchesina ging noch immer wie im Taumel umher. Der Mann, dessen Name im Hause ihres Vaters stets mit einer Ehrfurcht wie Gott selber genannt wurde, war nun auf einmal ihr täglicher Gast geworden. Ja, er bemühte sich offenbar in schlichter, aber unverkennbarer zarter Weise um ihr Wohlgefallen und ihre Liebe. Sie war noch gar nicht zum Bewußtsein gekommen, ob sie diese Huldigung, die ihr der Stolz Italiens darbrachte, aus der Tiefe ihres Herzen erwidern konnte. Da mußte sie schon auf die barschen Bitten ihres Vaters, die fast zu Befehlen wurden, ihrem Bräutigam Luigi den Absagebrief schreiben. »Du tauschst einen jungen unbedeutenden Gimpel gegen den von Gott zu unserer Befreiung geweihten Nationalhelden aus!« hatte ihr der Vater zugeschrien, als sie nicht sogleich seiner Aufforderung folgen wollte. Schwankend zwischen ihrer Tochterpflicht und einer gewissen Scham, die über ihren Treubruch in ihr aufstieg, hatte sie den Scheidebrief abgesandt. Nur von dem großen blaugrünen Türkisring, den Luigi ihr zu ihrer Verlobung aus Florenz mitgebracht hatte, vermochte sie sich nicht zu trennen. Auch aus dem heimlichen Grunde nicht, weil er glänzend gegen ihre grauen Augen stand.

Sie war mittlerweile durch den Weihrauch, der immerzu für den berühmten Mann in ihrem väterlichen Hause entzündet und geschwenkt wurde, derartig umnebelt worden, daß sie schließlich die feierliche Werbung Garibaldis in dem Zustand einer völligen Entrücktheit annahm. Auch während der kurzen Zeit, da sie als Braut des Erlösers, des Genius ihres Volkes, gefeiert wurde, war sie durch die beständigen hallenden Ansprachen und Vivatrufe, die sie und ihn umklangen, ganz außer sich geraten.

Noch die lärmende Hochzeit, die als eine Art Kriegstrauung begangen wurde, hielt sie in der Verwirrung, in der sie sich seit ihrer Bekanntschaft mit Garibaldi, ihrem nunmehrigen Mann, befand. Sie hatte über den fortwährenden Festlichkeiten, die überall, wohin dieser Volksfreund den Fuß setzte, für ihn aus dem Boden Italiens aufwuchsen, nicht die Muße gefunden, über ihr wahres seelisches Verhältnis zu ihm nachzudenken. Die ewige Begeisterung, die rauschhaft mit diesem Erneuerer des Vaterlandes ging, hatte sie in eine Schwingung, einen Wirbel versetzt, über dem sie die leise Stimme ihres Herzens nicht mehr vernahm.

Erst als an ihrem Hochzeitsfest das letzte Hoch auf den schönen braunbärtigen Mann an ihrer Seite verklungen war, als er den Lorbeerkranz, den man durch seine langen dunkelgoldigen Haare geschlungen hatte, mit den Worten: »Ich hänge ihn auf den Sarkophag unserer Freiheit« von sich gelegt hatte, und als er ihr, sich geschmeidig zu ihr niederbeugend, seinen Arm bot, um sie hinauszuführen, da kam der jungen Marchesina endlich zum Bewußtsein, was sie getan hatte.

Beim Scheiden von der Hochzeitstafel fielen ihre Blicke auf einen Freund ihres früheren Verlobten. Und sie glaubte, aus dem nachdenklichen traurigen Ausdruck seines Gesichts, mit dem er ihr nachschaute, den Schmerz ihres Geliebten herauszulesen.

Ein Verehrer Garibaldis hatte sich noch zuletzt an den Gefeierten herangedrängt. Anscheinend etwas angetrunken küßte er immerzu die Hand des Helden, der Rom verteidigt hatte, während dieser ihn liebenswürdig ablehnte, indem er ihn lächelnd duzte, wie er alle Italiener außer dem König mit »du« ansprach. »Geh' zu Bett, mein Freund, und laß uns auch schlafen!« Da vernahm die Marchesina plötzlich neben sich aus dem Munde des Freundes ihres ehemaligen Bräutigams leise die Worte, die er auf altitalienisch sprach – sie rührten wohl von Dante oder Petrarka her und klangen –: »Die Jugend hast du verraten um schnöden Ruhmes willen.«

Sie gruben sich wie eine Verhexung vor der Schwelle ihres Brautgemachs, die sie nun an dem Arm Garibaldis überschritt, in ihre Ohren, diese dunklen Silben, mit denen das gleichaltrige Geschlecht seinen Anspruch auf sie geltend machte. Unten im Hof zu Füßen der Kammer, in der sie ihre Hochzeitsnacht begehen sollte, hatten sich ein paar Bläser von den Alpenjägern aufgestellt, die zu dem Freikorps Garibaldis gehörten. Sie wollten dem Anführer und seiner jungen Frau nach früherer florentinischer Sitte noch eine Nachtmusik, ein Ständchen, darbringen. Und alsobald quollen die dumpfen Töne der Hörner durch die grüne, vom fast vollen Monde vergoldete lombardische Nacht und legten auf diese Stunde einen eigentümlich schwermütigen Zauber, wie er etwa auf dem schönsten, noch erhaltenen Bild des Altertums, auf dem der aldobrandinischen Hochzeit, weilt.

Ach! Auch die bleiche Marchesina hätte wie die Braut dieses Bildes eine Göttin oder Zurederin nötig gehabt, die ihr den Schritt aus der Jungfräulichkeit erleichtert hätte. Garibaldi, der in der Hochzeitskammer neben ihr stand, rief, als die erste Weise drunten unter den Kastanienbäumen verhallt war, durch das offene Fenster: »Spielt uns noch ein letztes Lied, ihr braven Jungen! Und dann laßt uns zu neuen Siegen ausruhen!« Er lehnte sich an seine zarte Braut, die wie träumend den Hörnern lauschte. Wie Allvater Jupiter zu einer schwachen Menschenjungfrau herunterstieg, sie zu umfangen, neigte der Starke sich zu ihr. Sie hielt sich mit ihrer weichen Rechten an dem niedrigen Geländer fest, das um das Fenster lief. Das Mondlicht strahlte auf den großen blaugrünen Türkisring, den sie noch an ihrem Zeigefinger trug. Wie ein totes Auge sah der fremde Stein an ihrer Hand sie an.

»Bist du glücklich, Josephine?« fragte der Mann an ihrer Seite sie plötzlich. Er liebkoste ihren Namen »Josephine«, der ihn als weibliche Ergänzung seines eigenen Namens »Joseph« mit zu ihr hingezogen hatte. Sie erschrak über diese Frage und schwieg, weil sie nichts zu sagen wußte. Da klang es schüchtern noch einmal von den Lippen des Mannes, der eine Nation vereinigte, dies bange Fragen, mit dem er sein Glück von dem ihrigen abhängig machte.

Josephine zitterte wie als Kind, wenn ein Priester sie über ihren Glauben geprüft hatte und an eine Stelle gekommen war, bei der sich Zweifel in ihrer Seele regten. Garibaldi legte seine feste narbige Hand, die er stets sorgsam pflegte, auf ihre Linke, die sich eiskalt anfühlte. Ein panischer Schauder durchzog ihn plötzlich, als er dachte, ob ihr Innerstes vielleicht auch so eisig in seiner Nähe geblieben wäre. Josephine blickte angstvoll nieder. Ihre Augen schraubten sich an den Ring an ihrer Rechten fest, dessen Stein sie immer noch vorwurfsvoll wie ein letzter Blick anleuchtete, den ein Verbannter seiner Geliebten zuwerfen mag, wenn er sie nach seiner Rückkehr im Arm eines andern findet. Und unbewußt und gegen ihren Willen zog sie jetzt den Finger mit dem Ring an ihren Mund und hauchte gedankenvoll einen Kuß darauf. Die Hörner unten waren verstummt. Die Bläser verloren sich, verhalten plaudernd, in die Nacht. Und Josephine hatte dabei die wehe Empfindung: »Nun zieht die letzte Jugend fort.«

Garibaldi hatte alles beobachtet, was sie an seiner Seite getan. Und es hätte nicht noch der Sternschnuppe bedurft, die sprühend über den Himmel fuhr, bis das Blattwerk der Kastanien sie seinem Blick entriß, um ihm diese Sekunden als bedeutungsvoll für sein Leben erscheinen zu lassen. Er faßte Josephine leicht um die Hüfte. Aber nicht wie ein Liebhaber, sondern wie ein alter Freund es tun dürfte. Er wußte, von wem sie den Türkisring bekommen hatte. Lächelnd in dem Gefühl seiner einzigartigen Überlegenheit hatte der Volksheld geduldet, daß sie ihn weiter trug als Erinnerungsstück an die Vergangenheit, die mit ihm abgebrochen schien. Aber nun ward ihm klar, daß sie mit ihrem Herzen noch an dem andern hing, an dem unbedeutenden, aber jungen Offizier, dessen Bildnis in ihrem Innern nicht durch seine, des Volkshelden, glanzvolle, ruhmumwallte Erscheinung zu verdrängen gewesen war. Im Dunkel der Nacht, die ihre Hochzeitsnacht werden sollte, belebte sich das Andenken an die Stunden ihrer ersten Liebe mit Luigi. Wie mit unsichtbarer Tinte geschriebene Züge beim Erwärmen erst zum Vorschein kommen, so traten jetzt beim Licht der Kerze, die neben ihrem Hochzeitslager brannte, all die glühenden Zärtlichkeiten, die sie an der Schwelle ihres jungfräulichen Alters mit ihrem früheren Bräutigam getauscht hatte, deutlich bewußt und vorwurfsvoll vor ihre Seele. »Du kannst ihn nicht vergessen, Josephine?« hörte die noch immer Schweigende den ernsten gebräunten Mann an ihrer Seite fragen.

Da schleuderte sie sich weinend an seine breite Brust, die das durch ihn berühmt gewordene rote Hemd schmückte, an dem er nie einen Flecken litt. Wie sehnsüchtig hatte sie darauf gewartet, daß ihr eigener Vater also zu ihr sprechen würde, um sie aus der Ungewißheit und dem Zwiespalt ihres Herzens zu reißen. Aber dieser falsche Vater hatte sie in seiner Eitelkeit einfach wie eine Ware dem angebeteten Volkshelden Italiens in die Arme gestoßen, ohne sich darum zu bekümmern, ob ihre Seele auch dem Körper nachfolgen könnte.

Garibaldi streichelte ihr dunkles Haar, ihren hellen Nacken, der gebeugt wie der eines Opfertiers unter seinen Händen ruhte. Die Nacht duftete nach Rosen und Lorbeeren. Es gab auf der ganzen Erde jetzt keinen Mann, der jenes Gefühl, das Josephine durchzog, tiefer und edler würdigen konnte als der Freischarenführer, dessen ganzes Leben allein dem einzigen Gedanken »Italien« diente. Wenn einer verstand, was es heißt, nur einem einzigen angehören zu können, so war es Garibaldi. Voll Mitleid hob er noch einmal mit seiner harten Seemannshand den bleichen, wunderschön geprägten Frauenkopf unter ihrem Kinn empor und betrachtete ihn ergriffen, wie ein Sammler sich eine feingeschnittene Gemme ansieht, bevor er sich von ihr trennen muß. Dabei dachte er unausgesetzt traurig an seine Anita zurück, so daß Josephinens Herz, das sonst vielleicht in diesen erhabenen Augenblicken ihm zugeflattert wäre, wieder zurückgescheucht wurde.

»Leb' wohl, arme Josephine!« sprach er nur noch in die Kammer, die, statt dem höchsten Glück zweier Menschen beizuwohnen, nun ihrer jähen Trennung zuschaute. »Leb' wohl! Ich bemächtige mich keiner Frau, die mich nicht liebt. Hörst du! Niemals!« Er strich ihr noch die Tränen von den Wangen, die Tränen, die silberglänzend aus ihren grauen Augen tropften. Und dann sah er sie nie mehr wieder. Er stürzte die Treppe hinunter, indes Josephine wie eine Leiche vor Verzweiflung auf ihr leeres Hochzeitslager fiel. Garibaldi holte sein Pferd aus dem Stall. Und nun jagte er wie ein Zentaur in den duftenden Sommermorgen der Lombardei hinaus, ritt so wild umher, als säße der schwarze Gedanke, daß ihm dies nur wegen seiner Untreue gegen die tote Anita widerfahren wäre, hinter ihm und hetzte ihn matt. Andern Tags lief durch alle Mäuler und alle Zeitungen hämisch das Lügenmärchen, daß Garibaldi sich gleich wieder von seiner jungen Frau getrennt habe, weil sie sich als schwanger von ihrem früheren Bräutigam erwiesen hätte. Der meist besprochene Mann Italiens ließ den Klatsch gehen, weil er wußte, daß die Bosheit der Menschen häßlich und kleinlich denken will, und weil er, trotzdem er ein laut und ehrlich erklärter Friedensfreund war, von der Notwendigkeit der Niedertracht wie des Krieges überzeugt blieb. Nur dem Vater Josephinens widersetzte er sich auf das entschiedenste, als dieser zu Drohungen und Züchtigungen gegen seine Tochter vorgehen wollte, die von Gott für ihre Sünden bestraft worden wäre. »Ach was! Gott!« donnerte da der Befreier von Millionen ihn an. »Wenn Gott existierte, würde er dir eine Maulschelle geben, weil du deine Schuld auf ihn schiebst. Ich werde es aber, das schwör' ich dir, statt seiner übernehmen, wenn du deiner Tochter nur ein Härchen zu krümmen wagst!«

Dies noch in Kürze die weiteren Schicksale der drei an diesem Abenteuer beteiligten Menschen! Denn außer Garibaldi und Josephine spielte ja noch ein dritter dabei eine stumme, aber nicht minder wichtige Rolle: Luigi Caroli, der ehemalige Bräutigam Josephinens, den sie durch ihren Treubruch verloren hatte und nun durch ihre erneute Hinneigung auch nicht wieder gewinnen sollte. Denn die allgemeine Verachtung, ja der Haß verfolgten Caroli in Italien, diesem Land, das seine Helden zu verehren weiß, so heftig, daß er nicht einmal, wie es seine Sehnsucht war, für die Befreiung seines Vaterlandes unter Garibaldi kämpfen durfte. Man duldete es einfach nicht, daß er, der einem Garibaldi, wenn auch unverschuldet, quer über den Lebensweg gelaufen, sich für die Errettung seines Vaterlandes einsetzte. So tat er es denn für die Polen. Aber Kosaken nahmen ihn alsbald gefangen und verschleppten ihn nach Sibirien, wo er einen traurigen, einsamen Kerkertod starb.

Garibaldi ließ der Frau, die ihm ihre Jugend hatte opfern wollen, noch zwanzig Jahre lang seinen Namen, wiewohl er ihr in dieser Zeit, die ihn besonders durch seinen Kriegszug mit »den Tausend« in der Geschichte seines Volkes unsterblich machte, nicht ein einziges Mal mehr begegnete und sich auch um ihr weiteres leeres Leben nicht mehr bekümmerte. Er ließ sich erst von ihr scheiden, als ihm in seinem siebzigjährigen Alter noch zwei Kinder geschenkt wurden, aus einer Verbindung, die er, der Matrosensohn, mit der Amme seines Enkelkindes eingegangen war. Diese, eine Frau aus dem Volke so wie er, hatte willig die Pflege des gichtkranken, verbrauchten, greisen Freiheitshelden auf seiner Felseninsel Caprera übernommen. Und zum Dank, wie um sie als Mutter seiner neuen Kleinen zu ehren, beschloß Garibaldi, sie nun auch öffentlich zu heiraten. Die Seinen waren freilich nicht sehr davon angetan. Besonders Teresita, seine und Anitas nun herangewachsene Tochter, die mit ihrem Mann und ihren Kindern bei dem Vater wohnte, hätte es schon um des Fortkommens der Familie willen lieber gesehen, wenn der Alte sich auf seinen Lebensrest mit einer der Damen aus dem Adel eingelassen hätte, die sich um den neuen König und den Quirinal scharten. Sie trugen ihm ja zu Dutzenden, häufig sogar schriftlich, ihre Hand an. Aber der weißhaarige echte Republikaner, dem die Frauen noch immer wie in seiner Jugend zuströmten, wollte von solchen Aristokratinnen und Raubvögeln der Monarchie nichts mehr wissen. »Ich brauche eine Frau, die mich einreiben kann«, wetterte er gegen derartige Vorschläge seiner Tochter. Da hatte Teresita es zum letzten mit einem seelischen Mittel versucht, ihm diese späte Heirat mit solch einem einfachen Wesen auszureden. Sie meinte, was wohl ihre Mutter Anita zu diesem Schritt sagen würde, und daß er kurz vor seinem Tode damit noch das Ideal zerstöre, das die Welt sich dank jener einzig dastehenden herrlichen Ehe mit Anita von ihm und seiner Liebe mache. Da brauste der Sieger von Volturno im Aufwallen seines heißen wölfischen Blutes gegen die Tochter los: »Was heißt das, ›Ideal‹? Geh' doch mit deinen pfäffischen Redensarten! Sieh mich an! Das Leben will leben.« Und seine Augen funkelten, vor Zorn rot unterlaufen


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