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Die Überwindung der kleinmenschlichen Art.

Daß das Geistesleben unmittelbar zum Menschen wirke und seine Kraft und Gesinnung unmittelbar für sich gewinne, das ist eine alte und unabweisbare Forderung. Wäre sein Inhalt ganz und gar an die menschliche Vorstellungsweise gebunden, so wäre alle und jede innere Erweiterung des Menschen unmöglich, und es könnten die Güter und Ziele geistiger Art zu uns nur durch ihre Leistung für das Wohlsein des bloßen Menschen wirken, so würden sie dabei eine Umwandlung erfahren, die einer Zerstörung gliche. So ging denn von alters her überall da, wo die Enge und die Unzulänglichkeit bloßmenschlicher Art zur Empfindung kam, ein eifriges Streben dahin, sich jener Enge zu entwinden und ein dem Menschen überlegenes Leben zu erringen. Am deutlichsten zeigt solches Streben die Religion in der Wendung zur Mystik, eine unermeßliche Weite und Seligkeit schien hier erreichbar, wenn alle Besonderheit und alle Starrheit menschlicher Art von der Flut eines göttlichen Lebens ergriffen und aufgelöst würde. Aber auch auf dem Boden der Neuzeit und im Gebiete der Forschung fehlt es nicht an verwandter Bestrebung. Eben die hervorragendsten Denker suchten das Leben irgendwie an einen Punkt zu führen, wo es eine vom Menschen unabhängige und ihm gegenüber gültige Wahrheit erreiche; die einen suchten solche Höhe in einem Denken, das eine sachliche Notwendigkeit entwickle und aus eigner Kraft eine fortschreitende Bewegung hervorbringe, ein Kant glaubte dagegen im moralischen Handeln ein von aller Besonderheit der menschlichen Art befreites und allen Vernunftwesen gemeinsames Geschehen zu erkennen. So enthält ohne Zweifel jenes Streben nach Ueberwindung der bloßmenschlichen Art ein notwendiges Bedürfnis und auch eine weltgeschichtliche Bewegung.

Aber alle Bestrebungen nach solcher Richtung fanden unüberwindliche Schwierigkeiten darin, eine Abgrenzung zwischen dem Bloßmenschlichen und dem, was als mehr als menschlich auftrat, zu finden. Jenes erstrebte Höhere erlangte keine sichere Stellung, und es ließ sich nicht genügend der Gefahr vorbeugen, daß jenes beides ineinander verrinne, und daß wir nicht sowohl über das Menschliche hinauskommen als es ohne innere Wandlung nur weiter und weiter ins Unermeßliche ausdehnen. Zur Überwindung dieser Gefahr gehört notwendig zweierlei: das Geistige darf nicht eine, wenn auch noch so hervorragende Eigenschaft eines andersgearteten Lebens bleiben, sondern es muß bei sich selbst ein vollgenügsames Leben werden, und weiter muß dies neue Leben irgendwie unmittelbar in den Menschen als sein eignes Leben und Wesen gesetzt werden, nur so kann es ihm mehr sein als ein bloßes Mittel zu anderen Zwecken.

Dieses aber, was allein ein Gelingen der Hauptbestrebung zu sichern vermag, wird erreicht mit der Anerkennung eines selbständigen Geisteslebens und seiner Eröffnung im Menschen. Daß dies nicht eine bloße Namensveränderung bedeutet, sondern eine Wandlung der Sache mit sich bringt, das sei etwas näher erörtert.

Zunächst wird nur mit jener Anerkennung ein neuer, unmittelbar gegenwärtiger Standort des Lebens gewonnen, es erfolgt damit eine Umkehrung im Grundbegriffe der Wirklichkeit. Denn jene unmittelbare Entfaltung des Geisteslebens im Menschen macht notwendig dies selbst zum Allerersten und Nächsten, zum wahren Standort des Lebens; was bisher das Nächste schien, die sinnliche oder auch die gesellschaftliche Welt, das wird nunmehr zum zweiten, und das muß sein Recht allererst vor jenem erhärten; mit anderen Worten: was der landläufigen Fassung ein Jenseits dünkt, das von der sinnlichen Welt her aufzuweisen und zu rechtfertigen ist, das wird nun die allein in sich selbst begründete, die allein echte und wahre Welt, die eine Ableitung irgendanderswoher weder verlangt noch gestattet. Daß eine solche Umkehrung überall da erfolgt, wo geistige Arbeit zustande kommt, daß diese nirgends aus dem Nebeneinander des sinnlichen Daseins, sondern aus einem ihm überlegenen Standort geführt wird, daß selbst der Materialist seine Anschauungen zu einer wissenschaftlichen Theorie nur zu erheben vermag, indem er sich auf jenen Standort versetzt, das wäre ohne viel Mühe zu zeigen. Aber nach dem Verlauf unserer Untersuchung können wir wohl darauf verzichten und uns auf die Feststellung dessen beschränken, daß alle Entwicklung geistigen Lebens in der Menschheit eine Umkehrung der Wirklichkeit in sich trägt. In der weltgeschichtlichen Arbeit weicht die sinnliche Unmittelbarkeit mehr und mehr vor einer geistigen zurück, wird mehr und mehr nicht sowohl das Innere vom Äußeren als dieses von jenem aus betrachtet und erlebt, wird der ptolemäische Standort durch einen kopernikanischen ersetzt.

Zugleich aber wird – und das ist für die Gestaltung des Lebens von entscheidender Bedeutung – eine Möglichkeit gewonnen, eine Abgrenzung zwischen Echtgeistigem und Bloßmenschlichem zu finden und damit den allgemeinen Impuls in fruchtbare Arbeit umzusetzen. Während nämlich letzteres, auch wo es sich mit geistigen Aufgaben befaßt, sich unter dem Gegensatz von Subjekt und Welt, von Zustand und Gegenstand befindet und sich zwischen beiden hin und her bewegt, ohne dabei eine wesentliche Erhöhung zu erreichen, umspannt das Geistesleben jenen Gegensatz, und vermag es in volltätigem Schaffen Inhalte des Lebens zu erzeugen, Inhalte, die in den einzelnen Betätigungen des Seelenlebens, in Denken, Fühlen und Wollen, zur Erscheinung gelangen, sich in ihnen entfalten, aber nun und nimmer aus ihnen hervorgehen können. Wo immer solche Inhalte entstehen, Weiterbildungen des Lebensprozesses, Offenbarungen eines Fürsichseins der Wirklichkeit, da ist das Leben der Enge bloßmenschlicher Art entwunden, da vermag, was das Geistesleben an Wesenszügen hat, zu eignem Besitz des Menschen zu werden. Ein Wirken und Schaffen aus der Notwendigkeit sachlicher Wahrheit und aus dem Ganzen der geistigen Welt, das kann sich nun unmittelbar im Menschen entfalten und seinem Leben eine unermeßliche Erhöhung bringen; die Bewegungen, Kämpfe, Erfahrungen des Geisteslebens werden ihrer ganzen Ausdehnung nach nunmehr eine eigne Sache des Menschen, immer freilich nur auf einer gewissen Höhe des Lebens und unter entschiedener Abhebung vom Durchschnittsstande.

Nirgends dürfte die Wandlung, die damit, wenn nicht erfolgt, so doch erfolgen kann, greifbarer sein als im Gebiete der Religion. Deutlich scheiden sich hier eine Religion des bloßen Menschen und eine Religion des Geisteslebens, eine Religion, die dem Menschen ohne wesentliche Wandlung zu Glück und Fortdauer verhelfen soll, und eine Religion, welche eine eigentümliche Erschließung des Geisteslebens bildet, neue Inhalte und Güter zuführt und aus dem Menschen etwas wesentlich anderes macht. Was von jener bloßmenschlichen Fassung aus entstand und die Breite der menschlichen Verhältnisse einnimmt, das verdient in Wahrheit gar nicht Religion zu heißen; was daran irgend Religion war, das war nur eine Vorbereitung oder Nachwirkung des anderen, das eine Erhaltung und siegreiche Durchsetzung des Geisteslebens durch ein Zurückgehen auf die letzte Tiefe erstrebte. Nur damit gewann die Religion eine Selbständigkeit und ein Vermögen, zu innerer Erhöhung zu wirken, während sie mit der Preisgebung jener geistigen Grundlage allen eigentümlichen Inhalt und alles Recht zu eigner Existenz verliert. Bei kräftiger Wahrung jener Grundlage wird sie den Menschen nicht in seiner kleinen Menschlichkeit bestärken, sondern ihn durch ihre Einsenkung einer Vollkommenheit, Unendlichkeit, Ewigkeit göttlichen Lebens in das menschliche unermeßlich erhöhen, etwas wesentlich anderes aus ihm machen.

Ähnlich steht es mit den anderen Gebieten geistiger Arbeit, die Begründung in einem selbständigen Geistesleben fördert sie nicht etwa bloß in dieser oder jener Richtung, sondern läßt sie überhaupt erst als selbständige Bildungen entstehen. Wo immer z.B. das Recht als ein bloßes Mittel für das Wohl des Menschen gilt und als solches behandelt wird – ob der Individuen oder der ganzen Gesellschaft, das macht keinen wesentlichen Unterschied –, da verliert es alle charakteristische Art und kann nicht mehr einen eigentümlichen Durchblick des Lebens gewähren und den Stand der Dinge verändern, da kann es nicht mehr mit elementarer Kraft die Gemüter bezwingen und aller Erwägung äußerer Folgen eine innere Notwendigkeit der Sache entgegensetzen, sondern da wird es zu einem gefügigen Diener der Zweckmäßigkeit und muß sich nach ihren Forderungen biegen und beugen, da ist es innerlich vernichtet. Sich erhalten kann es nur als eine eigentümliche Erschließung des Geisteslebens im menschlichen Kreise und als ein allen bloßmenschlichen Zwecken überlegenes Gestalten; dann wird es aber auch den Menschen innerlich erhöhen, der es sich zu eigen macht.

Was aber von den einzelnen Gebieten, das gilt auch vom Ganzen der gemeinsamen Lebensarbeit, wie die Kultur sie darstellt. Ein wesentlich Neues bringen und die ganze Seele des Menschen gewinnen kann jene nur, wo ein in Hoffnung und Glauben vorausgenommener Weltstand als ein notwendiger dem vorgefundenen entgegengehalten und dieser dadurch aus träger Ruhe aufgerüttelt wird. Alle Kultur ist Verwandlung des Lebens in Selbsttätigkeit, eine solche aber ist nur möglich, wenn im menschlichen Wirken sich eine neue Tiefe der Wirklichkeit eröffnet. So bedarf es der Scheidung einer Geisteskultur von aller bloßen Menschenkultur, nur als Ausdruck einer charakteristischen Art des Geisteslebens kann die Kultur einen inneren Zusammenhang, einen deutlichen Sinn und ein allbeherrschendes Ziel gewinnen, nur so kann sie Neues aus dem Menschen machen, nur so all dem Kleinen und Widerwärtigen entgegenwirken, was von Seiten des Menschen her sich aller Kulturentwicklung anzuhaften pflegt. So verficht die spezifisch moderne Kultur die Forderung eines unendlichen, ursprünglichen, selbständigen Lebens, die menschlichen Verhältnisse bieten das nicht, nur ein Glaube an eine überlegene geistige Notwendigkeit und nur ein inneres Gegenwärtighalten dieser Notwendigkeit konnte die gewaltige Bewegung erzeugen, welche jene Ideen in Wahrheit erzeugten. Es gibt keine kräftige, keine hinreißende Bewegung, die nicht Überwindung eines als unerträglich empfundenen Widerspruchs wäre; zu einem solchen Widerspruch aber gestaltet die Lage sich nur, wenn ein Neues, das den Platz verdient, mit einem Alten zusammentrifft, das ihn unberechtigterweise innehat; es muß dann aber ein überlegener Zwang in dem Neuen stecken, und diesen kann nie der bloße Mensch ihm verleihen. Solche Anerkennung eines überlegenen Lebens in der Kultur bringt eine innere Erhöhung aller Kulturarbeit mit sich, der Mensch darf sich hier im Zusammenhange eines Weltlebens fühlen, er gewinnt dessen Inhalte zu eigen und wird damit über die anfängliche Kleinheit weit hinausgehoben.

Eine ähnliche Spaltung, Scheidung und Erhöhung geht auch durch das Leben des Einzelnen. Solange was sich an Höherem regt, mit dem Niederen wirr zusammenrinnt, so lange Größen wie Persönlichkeit und Individualität keine eigentümliche Art mit sich bringen, sondern nur den Naturtrieb verstärken und aufstützen, so lange kommt nichts wesentlich neues und höheres zustande, und eine aufrüttelnde Kraft erlangt die Bewegung nicht. Dazu bedarf es eines eigentümlichen Inhalts, wie er sich nur im Zusammenhange einer Geisteswelt erringen läßt. Aber soweit das gelingt, wird dann jene Welt im Menschen gegenwärtig, ja sein eignes Leben, eine unermeßliche Erhöhung ist auch hier unverkennbar.

Diese Denkweise widerspricht aufs schroffste einer solchen, welche von einem ruhigen Fortgang, einer allmählichen Entwicklung alles Heil erwartet. Wie viel Recht dieser Idee im Bilde der Welt und auch auf gewissen Gebieten unseres Lebens zukommt, das gehört nicht hierher. Aber wo es sich um das Ganze und um die Hauptrichtung dieses Lebens handelt, da ist sie als eine Verschleierung und Abstumpfung des Problems, als ein gefährliches Asyl der Trägheit mit größtem Nachdruck zu verwerfen. Denn der besonderen Lage des Menschen entspricht sie nicht. In dieser treffen verschiedene Stufen der Wirklichkeit zusammen; was an Höherem aufstrebt, das ist zunächst recht matt und unausgeprägt, es kann zu größerer Kraft und bestimmterer Art nur gelangen, wenn es sich deutlich abgrenzt und fest bei sich selbst zusammenschließt, wie das nur bei Gegenwart einer selbständigen Geisteswelt geschehen kann. Erst wenn so ein fester Kern des Ganzen gebildet ist, kann er zum Gesamtumfange des Lebens wirken, Verwandtes an sich ziehen, Zerstreutes verbinden, Niederes als solches kennzeichnen, Feindliches angreifen. Nur ein solches Auseinandertreten und Gegeneinanderwirken gibt dem Leben Kraft und innere Bewegung, prägt seinen geistigen Charakter gegen alle bloße Natur deutlich aus und macht es zu vollem Besitz des Menschen. Immer aber verlangt die Scheidung eine Anerkennung der Selbständigkeit des Geisteslebens, nur eine solche läßt auch im Menschen die sonst zerstreute geistige Regung zu einem selbständigen Ausgangspunkt des Lebens werden und ihn zugleich die ganze Entwicklung und Erfahrung des Geisteslebens zu eigen gewinnen.

Jene Scheidung aber stellt, wie dem Ganzen des Lebens, so seiner mannigfachen Verzweigung eine unablässige Aufgabe; auf der ganzen Linie entspinnt sich ein harter Kampf zwischen einer echten Geisteskultur, welche eine Erweiterung und eine Vertiefung des Lebensprozesses vollzieht, und einer bloßen Menschenkultur, die alles in das Befinden und Behagen des Menschen zurücklenkt, damit aber unvermeidlich einer inneren Leere verfällt. Was immer an echter Geistigkeit auf dem Boden der Menschheit gewonnen wird, das besteht nicht durch sein bloßes Dasein weiter, sondern das sinkt sofort, wo es nicht immer von neuem geschaffen wird, das wird namentlich in den Bereich der bloßmenschlichen Interessen herabgezogen, damit verquickt und dadurch entstellt. Wohl bleibt, was einmal wirkte, in gewissen Spuren gegenwärtig und läßt sich leichter wiederbeleben, aber ein ruhiger und sicherer Besitz wird das geistige Leben damit nicht, es bedarf fortwährender Erneuerung und zugleich unablässiger Arbeit. Aber der Mühe und Arbeit dieses Lebens ist sein Gewinn vollauf gewachsen, denn es befreit den Menschen von der Enge des natürlichen Ich und läßt ihn dabei nicht in die Unendlichkeit zerfließen; mit der Teilnahme an der geistigen Welt, dem Beisichselbstsein der Wirklichkeit, gewinnt er ein unendliches Selbst und zugleich eine Wendung des Lebens ins Positive; im eignen Kreise besitzt er unmittelbar eine Welt und darf sich als Mitarbeiter an ihrem Ausbau fühlen. Das Unendliche, das die Mystik im bloßen Gefühle ergriff und daher nicht tief genug in die Substanz des Lebens eindringen ließ, ist nun zur beherrschenden Kraft der Arbeit geworden und kann nach allen Seiten sein umgestaltendes Wirken erstrecken.

Wie dies das Leben bis in sein inneres Gewebe verändert, das sei nur an einem Beispiel, an dem der Moral, kurz aufgezeigt. So lange das geistige Leben nicht als das wahrhaftige Selbst des Menschen gilt, so lange werden die in ihm enthaltenen Ordnungen des Handelns als überlegene Normen erscheinen, denen wir uns in Ehrfurcht beugen mögen, die damit aber noch nicht zum Gegenstand unserer vollen Liebe und unserer ganzen Hingebung werden. Wo aber die innere Wärme fehlt, da wird auch das Wirken nicht seinen höchsten Gipfel erreichen, leicht wird eine derartige Moral mehr regulativer als produktiver Art sein, sie wird bereit sein die Pflicht zu tun, wenn eine Aufforderung an sie kommt, aber sie wird nicht eifrig bemüht sein, neue Aufgaben zu stellen, ins Unermeßliche vorzudringen, nach bestem Vermögen das Reich des Geistes zu mehren. Das kann nur geschehen, wenn jene Sache als unsere eigene Angelegenheit ergriffen wird, wenn jene Ordnungen zu einer Entfaltung unseres eignen Lebens werden, und wenn sich damit jenem Handeln die ganze Sicherheit und Freudigkeit einer Selbsterhaltung mitteilt. Alsdann vermag sich zur Ehrfurcht die Liebe zu gesellen, ohne aber jene auszutreiben; denn immer verbleibt eine Überlegenheit, insofern das neue Selbst nie ein Werk des bloßen Menschen ist, sondern vom unendlichen Leben begründet und getragen werden muß.

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Mit allem dem eröffnet sich ein weiter und großer Anblick des Menschenlebens, Aufgaben und Arbeiten in Hülle und Fülle, aber Arbeiten, die in engem Zusammenhange stehen und die einen sicheren Gewinn verheißen. Bevor wir uns jedoch solchen Hoffnungen hingeben, tut es not, sich mit einem Zweifel auseinanderzusetzen, der, in seiner vollen Ausdehnung gewürdigt, alles Gewonnene wieder zweifelhaft macht. Wenn eine echte Geistigkeit so weit über alles Bloßmenschliche hinausgehoben wird, muß dann nicht mit verstärkter Wucht die Tatsache in die Wagschale fallen, daß der Durchschnitt des Menschenlebens bis in seine elementaren Formen hinein fest und zähe in dem Stande verbleibt, den jenes Streben nach Befreiung vom Kleinmenschlichen als durchaus unzulänglich abwies? Hält uns nicht, was wir überwinden möchten, mit überlegener Gewalt bei sich fest, droht es nicht jenen ganzen Aufschwung zu einem vagen Begehren und Hoffen herabzusetzen?

Es erscheint ein durchgängiger Widerspruch zwischen dem, was die Idee des Geisteslebens fordert, und dem, was wir nach unserem menschlichen Stande vermögen. – Das Geistesleben verlangt eine dem Gegensatz von Subjekt und Welt, von Zustand und Gegenstand überlegene Volltätigkeit, und das menschliche Seelenleben befindet sich unter der Macht jenes Gegensatzes; das Geistesleben bildet ein allumfassendes Ganzes, und die Menschheit ist in lauter einzelne Elemente zersplittert, und schon die Notwendigkeit der natürlichen Selbsterhaltung, weiter aber auch das gesellschaftliche Zusammensein zwingt zur Bejahung und Stärkung der Sonderexistenz; das Geistesleben gibt seinen Inhalt, seine Wahrheit als etwas zeitlos Gültiges, der Mensch entsteht aus der Zeit und vergeht in die Zeit, es ist seine Lage und es sind mit ihr die Forderungen seines Lebens in unablässiger Wandlung begriffen. – Solche Konflikte reichen über diese Grundformen hinaus in das Ganze des Lebens; was dabei am meisten beunruhigt, ist dieses, daß keinerlei Hoffnung besteht, jene Grundformen unsers Daseins umzugestalten.

Aber so wenig wir die Widerstände einfach aufheben können, vielleicht gibt es doch eine Möglichkeit der Gegenwirkung, ja es zeigt ein Blick auf die Gesamterfahrung des Menschenlebens, daß eine solche Gegenwirkung durch die ganze Breite des menschlichen Daseins hindurch im Gange ist, weit über das Wissen und Wollen der Menschen hinaus. Durchgängig nämlich zeigt sich ein inneres Emporklimmen des Lebens: das, was der Mensch unter dem Zwange der Not und aus dem Triebe der natürlichen Selbsterhaltung ergriff, verwandelt und veredelt sich durch den eigenen Verlauf des Lebens; aus dem bloßen Nebeneinander wird ein innerer Zusammenhang; was als bloßes Mittel ergriffen wurde, das gewinnt einen Selbstwert, wirkt zurück und führt damit weiter; inmitten aller Unzulänglichkeit der menschlichen Verhältnisse gewinnt das Geistige an Boden und vermag es seine Ziele trotz alles Widerstandes zu fördern.

So erscheint auch in der Breite der Verhältnisse eine allmähliche Ablösung des Lebens vom natürlichen Ich, das zunächst alle Regung beherrscht; sie erscheint besonders greifbar in Liebe und Arbeit, bei jener in der Richtung auf den Nebenmenschen, bei dieser in der auf den Gegenstand. Wer könnte das Wurzeln der Liebe im Naturtriebe leugnen, und die bleibende Bedeutung dieses Naturtriebs unterschätzen? Aber es vollzieht sich dann eine Wandlung dahin, daß auch der Gegenstand der Liebe selbst irgend wertvoll wird, daß sein Wohlergehen das Streben unmittelbar zu bewegen vermag, daß das eigne Ich bis zur Selbstaufopferung zurücktreten kann. Schon Aristoteles hat uns geschildert, wie hier auch in dem Menschen niederer Art etwas Göttliches wirkt und ihn über sich selbst hinausführt. Ähnlich steht es mit der Arbeit. Sie wird zunächst der Selbsterhaltung wegen aufgenommen, und man kann es dem Menschen nicht verübeln, daß er für sie einen Lohn verlangt und sie zunächst nur nach dem Ertrage bemißt. Aber wir alle wissen, daß damit die Sache nicht endet: die Arbeit wird nach und nach dem Menschen durch ihren eignen Inhalt lieb und wert, sie bildet innere Zusammenhänge, welche der Willkür und Laune des Handelnden widerstehen, sie befähigt den Menschen schließlich zu großen Mühen und Opfern, sie wird eine Macht in ihm, die ihn weiterführt. Bei Arbeit und Liebe verwandelt sich die äußere Berührung in ein inneres Verhältnis, und zugleich weichen Lust und Nutzen einer inneren Erhöhung des Lebens.

Eine derartige Überleitung der Bewegung und Kraft von der Natur zum Geist erscheint für das Ganze des menschlichen Seins in den Erfahrungen und Schicksalen bei der Bildung einer Individualität. Eine eigentümliche Art ist vorhanden, die wohl einzelne geistige Elemente, aber noch keinen geistigen Charakter enthält; diese eigentümliche Art zu behaupten und durchzusetzen entspricht dem Naturtrieb der Selbsterhaltung, leicht gewinnt jene Aufgabe den Affekt und die Arbeit des Menschen. Aber die einmal begonnene Bewegung führt leicht über den Anfangsstand hinaus. Jene geistigen Elemente schließen sich enger zusammen und beginnen als Ganzes zu wirken; so vermag sich das Streben von den Interessen des bloßen Punktes abzulösen, ja ihnen zu widersprechen, immer reiner erscheint eine geistige Gesamtwelt, immer mehr vermag sie den Menschen zu eifriger Arbeit und schweren Opfern zu treiben.

Es reicht aber solche Bewegung vom Niedern zum Höhern über die Individuen hinaus in das Ganze der Menschheit. So erscheint es in der Fortentwicklung der menschlichen Gemeinschaft. Zunächst ist es das äußere Nebeneinander und der Zwang der Lebenserhaltung, welche die Menschen zusammenführen und kleinere oder größere Zusammenhänge erzeugen. Aber aus dem äußeren Zusammensein wird mehr und mehr eine innere Gemeinschaft, aus gemeinsamer Erfahrung, aus gemeinsamen Kämpfen, Erfolgen und Leiden entstehen gemeinsame Güter und Ziele, entsteht ein gemeinsamer Lebenskreis, der den Einzelnen ebenso befestigt wie über die selbstischen Interessen hinaushebt. So ist auch hier ein Strom der Veredlung und Erhöhung nicht zu verkennen.

Besonders bemerklich und besonders wichtig ist aber eine solche Bewegung in der Bildung einer Geschichte geistiger Art, hier vollzieht sich eine Überwindung der schroffen Kluft, die sonst zwischen Zeit und Ewigkeit liegt. Das Geistesleben mit seiner Wahrheit verlangt eine Überlegenheit über die Zeit, den Menschen aber finden wir innerhalb der Zeit und in unablässiger Wandlung begriffen. Nun aber entsteht im Bereich des Menschen eine eigentümliche Geschichte und scheidet ihn von allen bloßen Naturwesen, er braucht die Ereignisse nicht wehrlos über sich dahinbrausen zu lassen, sondern er kann eine Gegenwehr üben. Bleibendes und Vergängliches, Geistiges und Bloßmenschliches scheiden, seinen Besitz an jenem unablässig vermehren. Namentlich sind es die Höhepunkte, wo durch alles Zeitliche und Menschliche hindurch ein Aufstieg zu bleibender Wahrheit erfolgt. Wie wir aber das Unvergängliche der sog. klassischen Zeiten festhalten möchten, so suchen wir überhaupt in der Geschichte zu scheiden zwischen dem, was der bloßen Zeit angehört, und dem, was als zeitüberlegener Lebensinhalt durch alle Zeiten zu wirken vermag. Damit wird die Geschichte zur Entfaltung einer geistigen Welt, und kann sie uns diese inmitten alles Widerstandes der nächsten Lage gegenwärtig halten. Wiederum erfolgt, was dabei an Erhöhung erfolgt, oft gegen das eigne Wissen und Wollen des Menschen. Denn sein Streben geht zunächst auf die Leistung in der Zeit, auf Glück und Gelingen in dieser. Aber seine Arbeit kommt nicht vorwärts ohne ein Zurückgreifen auf die Tiefen des Geisteslebens und eine Belebung dieser Tiefen; so entsteht etwas, was über die besondere Zeit hinausreicht und sich dauernd zu erhalten vermag; dies Zeitüberlegene bleibt wenigstens in gewissen Folgen und Spuren gegenwärtig, aber auch als Ganzes läßt es sich wiederbeleben und zur Wirkung bringen. Vor allem kommt solches Vermögen einer Leistung zu, die in den Lebensprozeß selbst umwandelnd eingegriffen hat; ist ein derartiges einmal zu breiterer Wirkung gelangt, so macht es alles rückständig, was sich ihm entzieht. Können wir z. B. die moderne wissenschaftliche Denkweise mit ihrer schärferen Scheidung von Welt und Mensch, mit ihrer Voranstellung der Analyse und Kritik zurücknehmen? Können wir die Tatsache beiseiteschieben, daß im modernen Leben die geistige Arbeit weit mehr selbständige Komplexe gebildet und sich zugleich vom unmittelbaren Seelenleben weiter abgelöst hat? Können wir die Bildung einer eigentümlich naturwissenschaftlichen, einer geschichtlichen, einer gesellschaftlichen Denkweise leugnen und uns jenen entziehen? Offenbar heben solche Bewegungen uns über die Willkür der Individuen und die Schwankungen des Augenblicks weit hinaus, augenscheinlich vollzieht sich in jenen eine weltgeschichtliche Entfaltung des Geisteslebens, die unmittelbar unser eigner Besitz werden kann. Diese Entfaltung ermöglicht es uns, gegenüber der Gegenwart des bloßen Augenblicks eine zeitumspannende Gegenwart zu gewinnen, welche alles Bleibende menschlicher Arbeit umfaßt; der dadurch erzeugte Stand bildet ein Maß für alles Unternehmen der Zeiten; was immer ihn ignoriert oder gar ihm widerspricht, hat keine Aussicht tief und dauernd zu wirken. So wenig dieser Stand mit mechanischem Zwange wirkt, so notwendig er wie alles geistige Leben eine Anerkennung und Aneignung fordert: daß sich in dieser Bildung einer esoterischen Geschichte innerhalb der Zeit die Möglichkeit einer Erhebung über die Zeit eröffnet, ist nicht zu verkennen. So wird die Geschichte geistiger Art eine Vermittlung zwischen der bloßen Zeit, der das menschliche Dasein angehört, und der Ewigkeit, welche das Geistesleben verlangt.

Demnach erweist auch innerhalb der menschlichen Verhältnisse das Geistesleben ein heranbildendes Wirken, in breitem Strome geht dies Wirken durch den ganzen Umfang des menschlichen Lebens. Jenem Emporklimmen der geistigen Bewegung vertraut alles Wirken zum Menschen, vertraut alle bildende Tätigkeit vom Individuum an bis zum Ganzen der Menschheit; daß jenes Wirken sich inmitten aller Hemmungen fest und freudig behauptet, darf wohl als ein sicheres Zeugnis dafür gelten, daß hier eine menschlicher Willkür überlegene Macht im Spiele ist.

So war es nicht ohne Grund, wenn griechische Denker von einer dem Niederen innewohnenden Sehnsucht nach dem Höheren, von einem aufsteigenden Zuge der Liebe im Weltall sprachen. Nur wird da, wo das Eigentümliche des Geisteslebens voll zur Anerkennung gelangt ist, jene Bewegung nicht als ein bloßes Hervorgehen aus der Natur und der gegebenen Lage, nicht als eine Evolution in diesem Sinne, sondern als eine Wirkung überlegener Geistigkeit, als eine Heranbildung von dort aus zu verstehen sein; die Natur könnte nicht wirken, was sie wirkt, wenn sie nicht auf einem tieferen Grunde ruhte und durch ihn belebt würde.

Immerhin zeigen jene Vermittlungen, daß schließlich beides einer einzigen Welt angehört, daß aller Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit ein Ganzes überlegen bleibt. Aber alle Milderung des Gegensatzes verdunkle uns nie die Tatsache, daß bei uns sich das Geistesleben nur in einer ihm nicht entsprechenden Existenzform gestalten kann, daß es von einem Widerspruche hier nie ganz befreit wird. Jene Welt muß sich hier immer in einer andersartigen Lage entfalten, die unser Dasein einnimmt und die wir unmöglich abschütteln können. Alle menschliche Leistung geistiger Art behält insofern eine Unfertigkeit, allem Ausdruck für das Geistesleben haftet bei uns etwas Symbolisches an, die Tiefe, die unser Leben allererst zu einem geistigen macht, kann in unseren Daseinsformen nie rein und voll zur Eröffnung gelangen. Aber wenn dieser Konflikt zwischen der Substanz und der Existenzform des Geisteslebens unser Leben als ein Leben besonderer Art, als mannigfach bedingt und in hohem Grade unfertig erscheinen läßt, er verwandelt es nicht in ein vages Hoffen und ein mattes Sehnen. Denn jene Substanz ist uns nicht etwas Fremdes und nur in weitem Abstand Verehrtes, sondern wir vermögen in ihr den Kern des eignen Lebens, unser wahres Selbst zu finden und von ihr aus den Kampf gegen alles Unzulängliche aufzunehmen. Wir stehen nicht bloß in, sondern auch über dem Konflikt, und es vermag bei kräftiger Entfaltung solcher Überlegenheit das Leben eine innere Festigkeit und Freudigkeit zu gewinnen. Und zugleich dürfen wir trotz aller Widerstände getrost zur Erhebung des Menschen über alles Kleinmenschliche wirken.


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