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Versuch eines Aufbaus.

Der Grundstock.

Die Hauptthese.

Das Problem, ob im Menschen nicht mehr steckt, und ob aus ihm nicht mehr zu machen ist, als die bisherige Betrachtung zu erkennen gab, läßt sich nur von seinem eignen Leben aus behandeln; was hier vorliegt und vorgeht, das entscheidet über Ja oder Nein. Wir sehen dann freilich im Leben mehr als einen bloßen Schatten, den eine draußen befindliche Welt in die Seele des Einzelnen wirft, oder auch als einen leeren Raum, in den jene ihren Inhalt ergießt; auch ist es nicht eine bloße Seite der Wirklichkeit, die eines Gegenstückes zur Ergänzung bedürfte, eine Erregung und Bewegung des Subjekts gegenüber einer Welt der Objekte. Denn auch von einer Welt wissen wir nur, sofern sie innerhalb unseres Lebens sich aufbaut; selbst wenn wir etwas von unserem Befinden absondern und uns gegenüber festlegen, so haben wir es damit nicht gänzlich aus uns hinausgestellt, sondern ihm nur innerhalb unseres Bereiches eine eigentümliche Festigkeit und Allgemeingültigkeit verliehen; aus dem Leben in diesem weiteren Sinne, aus dem Lebensprozeß, der Subjekt und Objekt zusammenhält und zueinander wirken läßt, kommen wir nun und nimmer heraus. Was nun dieser Lebensprozeß enthält, und was er an Erfahrungen eröffnet, das muß auch über die Möglichkeit einer Erhöhung des Menschen entscheiden. Bloße Reflexion oder auch Spekulation vermag dabei nichts.

Nun ist uralt der Versuch, das Eigentümliche und Unterscheidende des Menschen in ein Ganzes zu fassen und ihm dadurch eine überragende Stellung zu sichern; der Mensch, so hieß es, sei ein Wesen geistiger Art und die Zugehörigkeit zu einer geistigen Ordnung sichere ihm eine einzigartige Stellung. Im Aufbau der Kultur wie in der Bildung der Einzelseele zur Persönlichkeit und geistigen Individualität, in der Erzeugung großer Lebenskomplexe wie Wissenschaft und Kunst, in der Verbindung der Individuen zu der inneren Gemeinschaft von Staat und Gesellschaft, ja schließlich eines Ganzen der Menschheit, in allem zusammen erschien beim Menschen so viel Eignes und Neues, daß es, so wie es vorlag, ihm lange Zeit mit voller Sicherheit eine überlegene Stellung und zugleich seinem Leben einen vollgenügenden Inhalt zu geben schien.

Warum ist uns dies unsicher geworden? Vornehmlich wohl deshalb, weil eine wachsende Erkenntnis der durchgängigen Gebundenheit und Bedingtheit des Menschen durch die große Natur wie durch seine besondere Art uns über den Sinn und das Vermögen jenes Neuen bedenklich macht, namentlich erkennen wir einen schroffen Widerspruch zwischen der Art, in der jenes bei uns wirkt, und dem Inhalt, den es behauptet. Das geistige Leben entwickelt sich wie ein eignes Reich gegenüber dem Menschen, es stellt seine Wahrheit hin als unabhängig von dem Wechsel und Wandel der menschlichen Lagen, von der Verschiedenheit und dem Zwist der Individuen, ja es macht den Anspruch, aller Meinung und Neigung des Menschen weit überlegen zu sein und sie mit starkem Zwange bemeistern zu können, es gibt seine Inhalte als Normen, die alle menschliche Leistung messen und sie oft genug als unzulänglich, ja verkehrt verwerfen. Aber derselbe Mensch, in dem solche Bewegungen aufsteigen, ist seinem unmittelbaren Dasein nach nichts anderes als ein Wesen von besonderer, begrenzter, vielfach bedingter Art, streng und starr hält seine Natur ihn fest und zieht ihm einen unüberschreitbaren Kreis; aus eigner Kraft kommt er über sich selbst nie hinaus; mag er im Spiel seiner Gedanken eine Welt entwerfen und aus hochfliegender Phantasie kühne Bilder schaffen: wie solche Gedankenbilder eine Realität ihm gegenüber gewinnen, wie sie neue Inhalte aufbringen, und wie sie auf ihn mit erhöhender Kraft zurückwirken könnten, das ist schlechterdings nicht zu ersehen; vom nächsten Anblick der Dinge aus kann es nur als ein rechtswidriger Anthropomorphismus erscheinen, wenn der Mensch der von ihm gestalteten Welt eine Selbständigkeit beilegt. Auch könnte, was immer dabei versucht wird, nie zu gemeinsamem Besitze werden und eine Allgemeingültigkeit seines Inhalts gewinnen. Denn dieses Dasein zeigt die Menschheit in lauter einzelne Individuen zerstreut und zersplittert, jedes hat seine besondere Art und setzt sie mit gutem Recht den anderen entgegen; so kann nur eine Fülle einander berührender und durchkreuzender Bewegungen entstehen, nie aber eine gemeinsame, dem Befinden der einzelnen Subjekte überlegene Welt und demnach auch nicht eine gemeinsame, die einzelnen Kreise umspannende Wahrheit. Gibt es aber keine solche und gibt es keine innere Gemeinschaft des Lebens, so gibt es auch keine Wissenschaft und keine Kunst, kein Recht und keine Moral, kein gegenseitiges Verstehen und inneres Miteinanderleben des Menschen; so könnte nicht einmal ein Streben nach solchen Zielen entstehen und irgendwelcher Gedanke an sie aufkommen. Aber der Gedanke ist da und nicht minder das Streben; so unfertig es sein mag, es zeigt viel zu viel Macht, es hat viel zu viel nicht nur in den Gedanken des Menschen, sondern am Bestande seines Lebens und am Ganzen seiner Seele verändert, um für eine bloße Selbsttäuschung gelten zu können. So erscheint ein harter, ein unerträglicher Widerspruch darin, daß was als eine selbständige Welt auftritt und als eine solche auftreten muß, ein bloßes Erzeugnis eines andersgearteten, vielfach gebundenen und den Bedingungen der Natur unterworfenen Lebens bildet; wie könnte die geistige Bewegung bei solcher Abhängigkeit je eine reine Ausprägung ihrer Inhalte, wie könnte sie je eine Macht gegen das erlangen, was ihre eigne Grundlage bildet und auf das sie fortwährend angewiesen bleibt. So müßte, wenn jene Gebundenheit und überhaupt die ganze vorgefundene Lage in keiner Weise zu überwinden wäre, alles was geistige Entwicklung heißt, ein bloßer Schatten bleiben, der über unser Leben dahinzieht, es könnte sich nie von dem Widerspruch befreien, etwas sein zu wollen, was es mit den dargebotenen Mitteln nun und nimmer sein kann; so wäre es für immer einer inneren Unwahrheit und Unwahrhaftigkeit verfallen.

Versuche, solchem zerstörenden Widerspruch zu entgehen, gibt es in Hülle und Fülle, schließlich aber führen sie bei allen Umwegen immer wieder auf das eine Dilemma zurück: entweder ist das, was an Eigentümlichem im Menschen aufstrebt, und was durch alle Mannigfaltigkeit seines Strebens hindurch das eine Ziel verfolgt, eine neue Welt gegenüber dem Menschen nicht nur, sondern gegenüber dem ganzen unmittelbaren Dasein aufzubauen, entweder ist dies alles ein Erzeugnis des bloßen Menschen und damit eine haltlose Illusion, oder es stammt aus einer tieferen Quelle als der Sondernatur des Menschen und erweist das Dasein einer solchen Quelle. Eine Selbständigkeit gegenüber dem Menschen kann es nur haben, wenn es nicht seiner besonderen Art angehört, sondern wenn er in ihm die Teilnahme an einem Weltleben gewinnt, wenn es gegenüber der Natur eine neue Stufe der Wirklichkeit einfühlt, die für unseren Gesichtskreis nur im Menschen zur Eröffnung kommt, die aber nicht aus ihm hervorgeht und daher auch nicht den Bedingungen seiner Natur unterliegt. Mit anderen Worten: das Geistesleben im Menschen bricht zusammen und alles Mühen darum ist ein Haschen nach Phantomen, wenn es hinter sich nicht eine geistige Welt hat, aus der es schöpft und die es vertritt. Daß die Anerkennung einer solchen selbständigen Tiefe des geistigen Lebens bei uns den Anblick des Menschen und der Welt, wie auch die Aufgabe des Lebens aufs wesentlichste verändert, ja, daß sie eine Umkehrung der gesamten vorgefundenen Lage bewirkt, das wird gleich näher darzulegen sein; dann ist auch zu prüfen, ob damit die Erhöhung des Menschen geboten wird, ohne die, wie wir sahen, das Leben allen Sinn und Wert verliert.

Die Behauptung, die hier in Frage steht, ist augenscheinlich axiomatischer Art, sie läßt sich nicht wie ein einzelner Satz, wie ein bloßer Ring einer Gedankenkette beweisen. Sondern wie alle Axiome ist sie nur zu rechtfertigen durch ein Zusammentreffen zweier Gedankenreihen, deren eine mehr negativer, die andere positiver Art ist. Es muß sich zeigen, daß alles, was sich nach jener Richtung bewegt, ohne jene Wendung stockt und zusammenbricht, daß sie die unerläßliche Voraussetzung alles Vordringens, ja alles Bestehens geistiger Regung bildet; es muß sich aber weiter zeigen, daß die volle Anerkennung und Entwicklung jener Wendung den ganzen Umkreis des Lebens durchdringt und erhöht, daß seine ganze Verzweigung ihr entgegenkommt, und daß dies Entgegenkommende nun erst geklärt, zusammengefaßt und zu voller Entfaltung geführt wird. Je mehr hier verschiedene Bewegungen nach demselben Punkte konvergieren, desto sicherer dürfen wir sein, nicht bloße Traumgebilde vor uns zu haben. Jenen negativen Beweis hat die ganze bisherige Erörterung geführt, den positiven hat die folgende Untersuchung zu liefern.

Sie kann das nicht, ohne in Kürze der Veränderung des Gesamtanblicks von Geistesleben, Welt und Menschenwesen zu gedenken, die jene Hinaushebung des Geisteslebens über den bloßen Menschen mit sich bringt. – Das Geistesleben läßt sich vom Menschen nicht ablösen, ohne daß es zu einem eigenen Reiche wird und bei sich ein Weltleben entwickelt; dies Weltleben aber kann die Forderungen, die es stellt, nur durchsetzen, wenn es nicht als ein der übrigen Wirklichkeit hinzugefügtes Sonderreich, sondern wenn es als die Erschließung einer Tiefe der ganzen Wirklichkeit gilt, als das, worin diese ein Beisichselbstsein erweist und einen Inhalt erschließt, wie ihn alles bewegte Treiben der Natur nicht gewährt. Damit erst faßt sich die Welt in ein Ganzes zusammen, während in dem Bilde der Natur, das unsere Vorstellung beherrscht, sie nur ein Nebeneinander einzelner Elemente zeigt, die einander berühren, verweben und durchkreuzen. Zugleich erfolgt damit eine wesentliche Verschiebung im Grundbegriffe des Lebens. Ist es im Gebiet der Natur nur nach außen gekehrt und vornehmlich mit der Behauptung der Lage der einzelnen Punkte in den wechselnden Beziehungen beschäftigt, so eröffnet sich nun die Möglichkeit, daß es sich mit dem eigenen Stande befasse, und daß, wenn dieser sich unfertig darstellt, es in dem Sichselbstentfalten und Selbstdurchbilden die allesbeherrschende Aufgabe findet. Ein derartiges Leben würde nicht zwischen dem Gegensatz von Subjekt und Objekt verlaufen und nicht darin seine Aufgabe finden, was auf der einen Seite liegt, der anderen lediglich mitzuteilen – eine im Grunde recht überflüssige Sache, – sondern es würde den Gegensatz umspannen und durch eine gegenseitige Weiterbildung der beiden Reihen den Gesamtstand erhöhen, die Unfertigkeit und den Zwiespalt der vorgefundenen Lage überwinden. Indem damit das Leben ein Vordringen bei sich selbst, ein Sicherleben wird, bei dem alles was geschieht, von einem Ganzen umspannt und darauf zurückbezogen wird, kann allererst ein Inhalt des Lebens entstehen. Seine nähere Beschaffenheit aber können nicht allgemeine Erwägungen, sondern es kann sie nur die tatsächliche Erschließung des Lebens zeigen, freilich nur, wenn sie zusammengefaßt und durchleuchtet wird, was nicht ohne die Hilfe der Gedankenarbeit geschehen kann. Wie die Anerkennung einer Tiefe der Wirklichkeit das Gesamtbild der Welt verändert, so stellt es auch den Weltlauf in eine eigentümliche Beleuchtung. Unsere Erfahrung zeigt die beiden Reiche der Wirklichkeit, wie sie in Natur und Geistesleben vorliegen, nicht in einem durch den Lauf der Zeit unberührten Verhältnis, nicht als ein zeitloses Nebeneinander, sondern es scheint eine gewisse Höhe des Naturlebens erst erreicht werden zu müssen, damit sich Geistesleben im Bereiche unserer Welt entfalten könne, es erscheint dies damit als das Spätere gegenüber dem Früheren, und es zeigt das Grundgefüge des Weltlaufs eine Bewegung fortschreitender Art. Aber diese Bewegung läßt sich nun und nimmer als eine bloße Erzeugung des Späteren durch das Frühere verstehen. Und zwar deshalb nicht, weil jene Wendung zu einem Beisichselbstsein der Wirklichkeit etwas wesentlich Neues, ja eine Umwälzung des Ganzen bringt, die nun und nimmer als ein bloßes Mehr der Natur verstanden, nun und nimmer aus dem Reich des bloßen Nebeneinander hervorgehen kann. Bedeutet aber jene Wendung ein Neueinsetzen, ein Hervorbrechen ursprünglicher Art, so ist der Weltlauf nicht bloß eine Entwicklung, sondern eine Selbstentwicklung, so müssen die beiden Stufen von einem umfassenden Leben umspannt sein, das von der einen zur anderen in seiner Selbstentfaltung fortschreitet/ das seine eigene Höhe innerhalb unserer Welt nur durch seine eigene Bewegung erreicht. Das heißt nicht Natur und Geist in zwei getrennte Welten zerreißen, aber es heißt allerdings dagegen Verwahrung einlegen, daß sie einfach als parallele Seiten behandelt werden, was notwendig entweder das Geistige der Natur unterordnet, ja aufopfert, oder aber beides miteinander in bloß formale Begriffe abstraktester Art verflüchtigt.

Mit dieser Anerkennung zweier Stufen und einer fortschreitenden Bewegung unserer Welt gewinnt aber das Menschenleben eine eigentümliche Stellung und Bedeutung. Denn in seinem Bereiche treffen die beiden Stufen zusammen, und bei ihm kommt eine Wendung von der einen zur andern in Fluß. Und es ist dabei der Mensch nicht ein bloßer Schauplatz, auf dem sich solche Bewegung abspielt, sondern sein eigenes Tun ist dafür nicht zu entbehren, ohne seine Entscheidung kommt bei ihm jene Weiterbildung nicht zustande. Sollte er nun wohl in einem solchen Weltkampfe mitwirken und das Beisichselbstsein der Wirklichkeit gegen das Reich der Beziehungen vorrücken können, wenn jenes Beisichselbstsein ihm nicht als Ganzes irgend sein eigen zu werden vermöchte, wenn sein Handeln nicht irgend aus jenes Kraft geführt werden könnte? Schon hier wird ersichtlich, daß der Mensch über die Natur nicht hinausstreben kann, ohne sich von der Begrenztheit einer partikularen Existenz zu befreien und das Geistesleben, das Beisichselbstsein der Wirklichkeit, als den Kern seines eigenen Wesens anzuerkennen. Wir sahen, daß alle Befassung mit dem unmittelbaren Dasein seinem Leben keinen Inhalt gewährte; immer stand hinter dem hier gebotenen Leben eine Tiefe, welche eine Befriedigung suchte, aber nicht fand; in aller ungeheuren Erregung subjektiver Art fehlte jenem Leben eine Substanz; bietet die Geisteswelt dem Menschen eine solche, so wird er in ihr sein wahres Wesen zu suchen haben, und die Bewegung zu ihr ist nicht ein Streben in eine unermeßliche Weite, sondern eine Wendung zu sich selbst, ein Erringen seines eigenen Wesens. Aber es wäre freilich, vom Erfahrungsstande betrachtet, dies Wesen ein hohes Ziel, eine unermeßliche Aufgabe, und es muß die Anerkennung der Selbständigkeit des Geisteslebens jene Aufgabe aufs beträchtlichste steigern. Denn nunmehr geht die Forderung nicht auf dieses oder jenes am Leben, sondern sie geht auf ein völlig neues Leben, sie wird nicht durchführbar sein, ohne die energischste Hinaushebung über den Stand der Vermengung und Abstumpfung, wie ihn das alltägliche Dasein bietet. Aber wenn dem Leben damit ein hohes Ideal vorgehalten wird, so liegt dies nicht jenseits, sondern innerhalb des eigenen Bereiches; der Mensch findet hier das Grundverhältnis seines Lebens nicht in der Beziehung zu irgend welchem draußenliegenden Sein, sondern in der zu der ihm innerlich gegenwärtigen Geisteswelt als seinem eigenen Wesen; das muß einen eigentümlichen Typus des Lebens erzeugen; wir werden sehen, daß er sich von den bis dahin betrachteten Typen deutlich unterscheidet. So wild uns der Mensch bei sich selbst ein großes Problem, er ist alles eher als eine geschlossene Natur, charakteristisch ist für ihn eben das, daß eine besondere und begrenzte Art, ein Bloßmenschliches, mit einem universalen Leben, einem Mehr alsmenschlichen, zusammentrifft; dies Zusammentreffen muß zu vielfachem Zusammenstoß führen, es muß den ganzen Umkreis des Lebens in Spannung versetzen. Daß in Wahrheit eine durchgängige Unruhe dem menschlichen Leben innewohnt, sobald es sich der Natur nur irgend entwindet, das wissen wir alle.

Ein solches Zusammentreffen verschiedener Lebensstufen bei uns erscheint mit völliger Klarheit in der Form, in der sich geistiges Leben bei uns entwickelt. Was immer es an Inhalten erzeugt, das kann uns nicht als etwas Fremdes, sondern nur als etwas Eignes anziehen; um uns zu gewinnen, muß es irgend in unserm Wesen wurzeln und der Entfaltung dieses Wesens dienen. Aber zugleich erscheint es als unserer menschlichen Art weit und sicher überlegen, und es hat die Kraft oder es kann sie doch haben, sich siegreich gegen die Zwecke dieser Art durchzusetzen. So allein erklärt sich der Gedanke der Pflicht, erklärt sich, daß in aller eigentümlich geistigen Leistung Normen erscheinen. Normen z. B., die unser Denken und künstlerisches Schaffen beherrschen; sie stellen Forderungen und üben einen Zwang, aber sie tun das nicht von draußen her, sondern aus unserer eignen Natur heraus, sie erweisen zugleich einen Abstand dieser Natur vom unmittelbaren Befinden. Nicht minder tun das die Werte geistiger Art, die sich deutlich von allem nur Angenehmen oder Nützlichen abheben, sie sind unser und doch zugleich mehr als unser, sie heben uns in eine andre Welt als die des bloßen Menschen, und sie sind zugleich uns innerlicher und wesentlicher als irgend etwas anderes.

Aus solchem Zusammenhange erhält allererst auch ein volles Licht, was die menschliche Erfahrung an Selbstkritik, sowohl bei der Seele des Individuums als in der weltgeschichtlichen Arbeit zeigt. Bei dieser letzteren hat namentlich die Neuzeit die Selbstkritik zu hohem Ansehen und zu eingreifender Wirkung gebracht; mehr und mehr wurde ihr alle Leistung unzulänglich und ungewiß, die das Feuer dieser Kritik nicht bestanden hatte, sie hat diese, so zeigt es uns Kant, immer mehr auf das innere Gewebe des Lebens gerichtet. Aber wie kann die Kritik den Stand und die Unsicherheit eines bloß subjektiven Räsonnements überschreiten, und wie kann sie Neues hervorlocken, wenn nicht die Natur des Menschen in sich Maße trägt, die, aller Meinung und Willkür überlegen, die menschliche Leistung zu prüfen und weiterzuführen vermögen. Ein Auseinandertreten des Lebens, ein Vorhalten einer neuen Art, das Erscheinen einer Höhe im eignen Bereich des Menschen ist hier nicht zu verkennen.

So entsteht im Menschen eine Scheidung und mit ihr mannigfache Verwicklung. Aber eben diese Scheidung macht mit der Abhebung einer selbständigen Geistigkeit eine Kluft überwindlich, die sonst alles geistige Schaffen hemmt, die Kluft zwischen dem Menschen und der Welt. Auch wir überzeugten uns, wie sich weder hier noch dort das Leben festlegen und abschließen läßt, wie es zwingend zu einer Vereinigung beider treibt. Von außen aber sind sie nun und nimmer zusammenzubringen, so müssen sie unmittelbar zusammengehören. Das aber wird erst möglich mit jener Selbständigkeit des Geisteslebens und ihrer Erschließung im Menschen. Denn die Erhebung zu jener bedeutet dann die Versetzung in ein kosmisches Leben, das nicht ein fremdes, sondern unser eignes Leben ist. So können die Inhalte jener Welt zu eignen Erlebnissen des Menschen werden, und es können ihre Triebkräfte ihn unmittelbar bewegen; so steht umgekehrt das, was auf jener Höhe in ihm vorgeht, unmittelbar in der Welt, verändert ihren Bestand und hat für sie einen Wert. Hier darf der Mensch überzeugt sein, mit seinem Vordringen auch das Ganze zu fördern, die Bedeutung seiner Arbeit und seines Kampfes reicht über ihn selbst hinaus in den Stand dieses Ganzen.

Solche Anerkennung einer Geisteswelt im Menschen samt den Forderungen, die ihre Durchführung stellt, läßt die beträchtlichsten Wandlungen im Bilde unserer Seele und unseres Wirkens erwarten. Aber diese Wandlungen in die Breite zu verfolgen ist nicht unsere Sache, wir haben nur mit der Frage zu tun, ob jene Wendung dem Leben die Erhöhung bringt, ohne die es keinen Sinn und Wert zu erlangen vermochte, und ob jene Wendung selbst durch das bestätigt wird, was sie an Licht auf das Leben wirft und was sie in ihm an Kraft erweckt. Denn das allein kann den positiven Beweis der Hauptthese führen.


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