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XXIV.

Frau Leutnant Gower hatte sich eine unendliche Mühe und Last durch den Ball, über welchem das Motto: › Noblesse oblige‹ – oder noch richtiger gesagt: ›Stellung verpflichtet‹ – schwebte, auferlegt.

Ihre verhältnismäßig kleine Wohnung bedingte es, daß viel geräumt und umgestellt werden mußte; zwei gute Freundinnen aus dem Infanterieregiment hatten das fehlende Silber, Krystall und Glas gütigst geliehen, und was noch an Bedienung fehlte, wurde ebenfalls durch galonnierte Burschen ersetzt, deren Dressur der armen jungen Frau manchen Stoß- und Angstseufzer und manche Scherbe gekostet hatte.

Endlich holte die Uhr zu dem Schlage aus, mit welchem sich die Flügelthüren des Tanzsaales öffnen sollten, um eine Gesellschaft in sich aufzunehmen, so verschiedenartig, so mit Keulen zusammengetrieben und so schwer zu verschmelzen, daß den Gastgebern schon bei dem Gedanken allein die Haare zu Berge standen.

August Ferdinand wollte zwei feindliche Lager und Heerhaufen konfrontieren, und Gowers mußten das Schlachtfeld dazu liefern, mit der angenehmen Perspektive, alle Hiebe und Stiche, welche es unausbleiblich hageln wird, mit dem eigenen Rücken aufzufangen. Die jungen Ulanenoffiziere waren auffallend präzis zur Stelle; sie klappten in gemessener Distance vor der zarten, in aprikosenfarbenen Tüll gehüllten Gestalt der Hausfrau die Hacken zusammen, neigten die wohlfrisierten Köpfe sehr höflich auf die Rockkragen und okkupierten sofort die Gegend um die Thür, ein festes und exklusives Spalier zu bilden.

Das war ein Spießrutenlaufen! Hüben und drüben die meistenteils sehr arroganten Gesichter, welche mit halb zugekniffenen Augen eine Musterung hielten, die, so stumm sie auch war, der betreffenden Persönlichkeit das Urteil doch gellend genug in die Ohren schrie.

Ganz anders war das Bild, wenn eine bekannte Dame der Creme mit zurückgeworfenem Haupt über die Schwelle rauschte.

Die Gräfinnen Ettisbach und Tarenberg traten ziemlich zu gleicher Zeit mit Excellenz Gärtner ein.

»Ah – scharmant! vortrefflich! – küss' die Hand, meine gnädigste Gräfin! voilà die Stationen des Kalvarienberges – gipfelnd im Cotillon! Sie gestatten, Excellenz, daß ich Ihnen meine Seele hinter einem dieser Tänze verschreibe?« –

Die Damen hatten kaum Zeit, den beiden Wirten ein Gemisch von Gnade und Herablassung zuzunicken, wie eine chinesische Mauer schlossen sie die Ulankas von der übrigen Gesellschaft ab.

Leutnant Gower drängte sich durch und verneigte sich vor Excellenz Gärtner.

»Gestatten Excellenz, daß ich zuvor die Herrschaften etwas bekannt mache– «

Leonie ließ einen undefinierbaren Blick über den Saal schweifen, dann zuckte sie unendlich nachlässig die Achseln:

» Mon Dieu, wozu denn, bester Gower! Es ist entsetzlich langweilig, dieses ewige Geknickse – und hat wirklich keinen Zweck!«

Leises Auflachen im Kreise, Flandern aber setzte sich den Schnurrbart noch spitzer auf und fügte mit schnellem Blick über die Umstehenden hinzu:

»Wir kennen uns ja untereinander, und das genügt vollkommen.«

Gower verneigte sich stumm und zog sich zurück.

Kammerherr von Drach nebst Gemahlin und Tochter traten ein, Gräfin Dynar folgte am Arm ihres Bruders. Sie sah reizender aus, denn je. Ihr ganzes Antlitz lächelte Glückseligkeit, man hatte nie zuvor solch bezaubernden Liebreiz in den stolzen Zügen gekannt. Weiße Seidengaze floß wie Schaumwellen um die schlanke Figur, bestickt mit Wachsperlen, welche gleich aufsprühenden Tropfen darauf erglänzten. Sträuße von sehr zart nuancierten Hopfenblüten schmiegten sich an Brust und Haar, unendlich einfach, und doch frappierend durch das geschmackvolle Arrangement. Zum erstenmal, seit man sie kannte, lag ein holder, mädchenhafter Hauch über der taufrischen Erscheinung Xenias.

Die Herren wollten sofort durch stürmisches Umringen den Weg in den Saal abschneiden, Proczna gab jedoch den Arm der Gräfin nicht frei, sondern bahnte sich mit scherzender Abwehr den Weg zu den Gastgebern.

Eine herzliche und sehr ungezwungene Begrüßung folgte. Bicky hatte ihren Vetter Donat energischst auf dem Pfade Janeks nachdirigierte, schüttelte Frau Gower in unverhohlenem Jubel die Hand und konnte nicht genug versichern, wie »furchtbar gern sie gekommen sei, und wie sehr sie sich auf diesen Abend gefreut habe!«

»Wir lassen uns sämtlich nicht mit der Staffage bekannt machen!« zischte Frau Leonie in Xenias Ohr, »Flandern kriegt Lachkrämpfe bei dem Gedanken, daß wir uns womöglich mit einem Kanonenleutnant herumschwenken müssen – also von vornherein alles abgeschnitten.«

Janek wandte sich von Gower zurück und trat einen Schritt näher zu Xenia.

»Gower fragt, ob seine Frau Sie mit den älteren Damen »jenseits« des Saales bekannt machen dürfe?«

Xenia biß sich auf die Lippe.

»Um alles nicht – es thut's keine von unseren Damen!«

»Xenia … wenn ich Sie herzlich darum bitte … mir zuliebe, Xenia …!«

Sie atmete schnell auf; ihr Blick tauchte leuchtend in den seinen.

»Führen Sie mich hin!«

»Die Hofstraten kommt!«

Sofort bildeten die Ulanen wieder Spalier. In kostbarer Brokatrobe rauschte die Frau Rittmeister am Arm des Gatten in den Saal. Sekundenlang herrschte tiefe Stille; plötzlich unterbrach Hechelbergs kräftiger Baß das Schweigen – :»Bahn du jour! Stange rein! Drei Loch höher legen!!«

Schallender Jubel der Ulanen; Frau von Hofstraten aber drohte dem Attentäter mit ihrem handfesten Fächer und rief, ungeniert und nicht mißzuverstehend wie immer:

»Verflixte Jong! Paß acht, wenn ich dich mal am Kollet zaus'! Heut is Sonnabend, heut stehn wir auf du und du! wollen mal in Civil zusammen reden!«

Gower war abermals zu den jungen Kavallerieoffizieren herangetreten.

»Darf ich bitten, meine Herren, sich der Tanzkarten der jungen Damen etwas anzunehmen? Die beiden allerliebsten Töchter des geheimen Regierungsrat von Blochwitz tanzen heute zum erstenmal – sie sind so wenig bekannt …«

Flandern klemmte mit seinem arrogantesten Gesicht das Monocle ein und musterte das Schwesterpaar einen Moment von oben bis unten, dann zuckte er die Achseln.

»Bedaure, Verehrtester – tanze keine Remonten ein!«

Ein schallendes Gelächter belohnte diesen Witz.

»Bitte, führen Sie mich zu den jungen Damen!« bat Janek Proczna, mit liebenswürdigster Bereitwilligkeit den Arm Gowers nehmend, auf dessen Stirn bereits dunkle Glut lagerte.

»Laßt mich man durch, Kinner, ich will mich mal bei de Patzkaffern da drüben durchslängeln!«

» Mais mon Dieu, beste Hofstraten – Sie sehen, daß keine von uns allen, außer der extravaganten Gräfin Dynar, die stets ihren eigenen Kopf aufzusetzen beliebt, sich unter jenen Füllsel mischt!«

»Wat ne Albernheit! Sin ganz manierliche Leut drunner! – Gucken S' mal den langen Laban mit de krullige Atzel dort … von der Infanterie – hübsche Kerl, wat? – mit dem tanz' ich een zekere-tans

»Aber liebstes Herz – Sie machen sich lächerlich!«

»Woll mer abwarte! – In nächste Tag' gef ich selbst eene Danspartij, wo allet, wat Kopp un' Been hat, invitiert is!«

»Ah, richtig! – Achtung, meine Herrschaften, ich bitte ums Wort!« –

Hechelberg klatschte energisch in die Hände, alles drängt näher.

»Wat will he widder loslassen?«

»Kennen Sie schon die neueste Anekdote, welche meine geliebte Freundin Hofstraten in Scene gesetzt hat? – Nein?! – Bitte zuhören! Gutmütig und liebenswürdig wie immer, will sie einen Monstreball arrangieren.«

»Auf dem du olle Sünder det einzigste Monster bist!«

»Gott segne dich für dieses Wort der Milde!« –

Hechelberg kreuzte die Arme über der Brust und fuhr auf stürmisches Verlangen fort:

»Dazu sollten sämtliche Menschen eingeladen werden, welche jemals ihre Karten im Hofstratenschen Hause abgelagert hatten. Die gnädige Frau stülpt die riesige Alabasterschale um und sagt zu dem Haushofmeister: ›Hier habbe Sie die ganze Brassel – all' die Leut' werde invitiert!‹ – und nun setzt sich der brave Herr Albert hin und schreibt los. – Raten Sie mal, meine Herrschaften, wen das schneidige Holland zum Ball eingeladen hat?«

»Wen? – Wen!!«

»Lebendige und Tote, Gerechte und Ungerechte, den alten Excellenz Buddenbach, der seit einem halben Jahr im Grabe liegt, den Major von Kirchbach, der seit Anno 61 nach Süddeutschland versetzt ist, und dem natürlich die Einladung nachgeschickt wurde …«

Weiter kam der bösartige Bericht nicht, ein schallendes Gelächter übertönte die Worte, Frau von Hofstraten aber steckte gelassen einen Theekuchen in den Mund und sagte:

»Ach wat da, Snacken! – Wat kann ich dafür, daß der olle Buddenbach ohn' mein Erlaubnis sin Puste fahren läßt! – Wat mir een Visit macht, wird invitiert, damit basta.« –

Sprach's und steuerte geradenwegs auf Frau Gower zu, um zu fragen, wer »der Lange dort mit 'n Krullkopp sei?«

Excellenz Gärtner hatte sich müde in einen Sessel fallen lassen. und Janek Proczna an ihre Seite gewinkt.

Die wasserfarbige Moiré-antique-Schleppe strickte sich mit schillerndem Silberglanz um die Füße des jungen Polen, und Frau Leonie selber neigte mit halb geöffneten Lippen das Köpfchen in den Nacken zurück, als sei die dunkle Lockenpracht viel zu schwere Last dafür.

»Sie sind heute abend ganz allein hier, Excellenz!«

Ihr Auge glänzte verschleiert durch die dunklen Wimpern.

»Ganz allein. – Mein Mann ist kränker denn je, sagte es mir aber erst im letzten Augenblick, um mich zu zwingen, hierher zu fahren; er ist sehr rücksichtsvoll und liebt es nicht, wenn anstatt der Gäste die Absagen kommen.«

»Und Sie kamen gern hierher, Excellenz?«

Ihre Brust wogte auf, sie preßte den entfalteten Fächer leidenschaftlich gegen die Spitzen und Rosenkelche. –

»Schelten Sie mich undankbar, genußsüchtig, leichtsinnig, Proczna – ja, ich bin gern hierhergekommen, es würde mich Herzblut gekostet haben, zu Hause zu bleiben, denn meine ganze Seele, mein ganzes Sein atmet hier, wie von dämonischen Gewalten angelockt und festgehalten.«

Er blickte ihr fest in das erregte Antlitz. –

»Daran glaube ich nicht, Frau Leonie!«

»Und was verlangen Sie zu Ihrer Überzeugung?«

»Den Beweis dafür, daß Ihnen zwei dunkle Augen zum Schicksal geworden, den Beweis dafür, daß sie Ihnen alles gelten!«

Ihre Lippen bebten, wie gebannt starrte sie in sein lächelndes Antlitz empor, welches einen so rätselhaften Zauber über Weiberherzen ausübte! – Dann ging ein Flackern und Leuchten durch ihr Auge.

»Wohlan, Proczna – ich will es Ihnen beweisen!« –

Sie winkte ihn mit einem Blick noch näher heran.

»Ich muß allein zurückfahren …« flüsterte sie mit heißem Atem zu ihm auf – gleichzeitig aber tönten die ersten Walzerklänge durch den Saal, und Gräfin Kanys Stimme fragte in der Nähe mit grellem Diskant nach ihrer» petite mignonne

Proczna unterbrach, sich hastig erhebend. –

»Vorsicht, Exzellenz – es gibt hier überall Ohren. Sie besitzen ja einen Bleistift und eine Tanzkarte, wenn es auch kein rosa Papier ist, so wird es für mich dennoch zur Morgenröte alles Glückes werden, wenn ein paar süße berauschende Worte darauf stehen. – Darf ich hoffen?«

Sie nickte fast ungestüm, Herr von Flandern drängte sich von der einen Seite, Gräfin Kany von der andern herzu.

»Darf ich bitten, Excellenz?« – Flandern bot mit kurzem Seitenblick nach Proczna den Arm – »unser Walzer!«

Leonie hatte sich erhoben und der Hofdame beide Hände entgegengereicht; dann schmiegte sie sich vertraulich an den Arm des Ulans. –

»Haben Sie den Herrschaften mitgeteilt …?«

»Selbstverständlich – alles in vortrefflicher Ordnung!«

Präsidentin Gärtner wandte sich mit blitzendem Auge zu Janek.

»Sie wissen es auch schon, Graf, daß wir uns vollständig von der anderen Gesellschaft isolieren? – Dort das letzte Eckzimmer ist bereits occupiert, wir ziehen uns nach jedem Tanze dorthin zurück!«

»Scharmant!« – lachte Proczna sehr laut auf.

Gräfin Kany in orangefarbener Damastschleppe gerierte sich vollständig als »Hof« – sie trat einen kurzen Rundgang durch die Gesellschaft an, richtete hier und da ein huldvolles Wort an irgend eine Persönlichkeit, ließ mit gnädigem Kopfneigen die diversen Vorstellungen zu und drehte dem Kommandeur des Artillerieregiments ziemlich ostensibel den Rücken. So stand es in dem Programm, welches Frau Leonie für die Intima entworfen.

Das Unglaubliche geschah. Die Ulanen zogen sich mit ihren Damen nach jedem Tanz in das Eckzimmer zurück, welches von ihnen vollkommen mit Beschlag belegt war. Außer Fürst Heller-Hüningen und Frau von Hofstraten tanzte niemand aus dem Regiment mit den übrigen Gästen Leutnants Gowers, nicht einmal mit der Gastgeberin selber.

Gräfin Dynar, von welcher man es am wenigsten erwartet hatte, tanzte zwei Tänze mit fremden Herren, einem Infanteristen und einem Artilleristen, sie eröffnete den Ball mit Leutnant Gower, gleichzeitig mit dem zweiten Paar, welches Fürstin Reussek und Graf Hechelberg bildeten. Man war ebenso entzückt von der Liebenswürdigkeit der als so unnahbar verschrieenen Gräfin Dynar und der Originalität der Frau von Hofstraten, als man über das Benehmen der anderen Damen und Herren in deutlichster Weise empört war.

Nie zuvor war die schroffe Stellung der Regimenter so deutlich zu Tag getreten, als an diesem Abend, anstatt sich zusammenzuziehen, wurde die Kluft immer breiter gerissen und der Same der Zwietracht üppiger denn je gestreut.

Frau von Hofstraten wurde von Leutnant von Weyer-Sensfeld in die »Hofloge« zurückgeführt.

»Ne, Kinner, sollte man's nur für menschenmöglich halten, daß ihr wie die Klette hier mitsamme hockt! – Drinne im Saale spucke se Gift un Gallen, de Patzkaffern! … Ich möcht' eure Frechheit nicht abmalen, gäb 'n guten Kladderadatsch!!«

»Wer weiß, meine Gnädigste! Vielleicht ein paar äußerst interessante Randzeichnungen!«

»Snacken! – wenn mer euch allzusammen mit all eurer Marotte in ein' Roman schrieb, würde die Leut schreien: So was kann gar nicht passiere! – is geflunkert! … und doch die helle lichte Wahrheit!«

»Käme ja auf die Probe an, schneidiges Holland, setzen Sie sich 'mal hin und schreiben sie einen Roman, mit mir, dem Intimus Hechelberg als lyrischen Helden.«

»Olle Quatschkopp, würde 's ganze Publikum Leifsneiden kriegen, wenn der Held so'ne Falstaff wär, wie Sie! … Ne, ich sreiw kein Roman, aber ich weiß eine, die lad' ich hierher ein, die soll euch 'mal bei die Ohren nehmen un' ins Tintefaß tütsche!«

Proczna fühlte, daß Xenias Blick verstohlen auf ihm haftete und ihn beobachtete.

Excellenz Gärtner schritt an ihm vorbei in den Tanzsaal, sie gab ihm einen unmerklichen Wink. –

»Verwahren Sie meine Tanzkarte so lange!« – und in großer Hast drückte sie ihm das zusammengefaltete Kartonpapier fest in die Hand, – Janek entfaltete es gelassen und blickte daran nieder. Die ganze Rückseite der Karte war beschrieben.

»Fahren Sie mit mir nach Hause – gehen Sie etwas früher fort wie ich und erwarten Sie mich in dem Wagen. – In meinem Boudoir werden wir ganz allein sein, für die Diskretion des Dieners und der Jungfer bürge ich – und sollten sie dennoch plaudern?! – va banque! ich trete die Meinung einer ganzen Welt unter die Füße, wenn mir dieselbe den Weg zu Ihrem Herzen sperrt!«

Procznas Auge glühte auf; er barg das kostbare Blättchen in der sichersten Tasche seines Portefeuilles. – Als er aufblickte sah er in Flanderns Gesicht, welches mit einem unsagbaren Ausdruck des Hasses die scharfen Augen auf ihn richtete. Ein Gedanke blitzte durch sein Hirn, langsam schritt er auf den Ulan zu.

»Haben Sie diesen Tanz nicht engagiert, Herr von, Flandern?« –

»Nein! – pausiere. – Finde es urgemein, wenn die Gäste wie Torfstampfer arbeiten sollen!«

»Ganz Ihrer Ansicht. Sie sehen, ich habe im Augenblick ebenfalls keinerlei Verpflichtungen, darf ich bitten, mir zur kurzen Unterredung in das Büffetzimmer zu folgen?«

Flandern starrte den Sprecher mit halboffenem Munde an, dann verneigte er sich ganz hastig.

»Mit größtem Vergnügen, lieber Graf – wenn wir dadurch nicht die Ankunft des Prinzen versäumen!«

»August Ferdinand kommt um 10 Uhr, wir haben eine volle halbe Stunde Zeit.«

» Eh bien – gehen wir.«

Der Ulan schob den Arm in denjenigen Procznas und schritt mit ihm quer durch den Tanzsaal in ein schmales Seitenzimmer, in welchem etliche alte Herren eine Partie arrangiert hatten.

Flandern warf sich in einen Ecksessel, Janek nahm ihm gegenüber an dem kleinen Mormortischchen Platz.

»Trinken Sie vielleicht etwas?«

Der Protegé der Präsidentin rümpfte unsagbar verächtlich die Nase.

»Sterbe lieber! – Fallen Sie um Gottes willen nicht auf die Arznei 'rein!«

Proczna lächelte.

»Also zur Sache. – Darf ich offen und ehrlich zu Ihnen reden, verehrtester Kamerad? Mein Anliegen ist durchaus diskreter Natur und appelliert an ihren ritterlichen Sinn, welcher nie und nimmermehr eine Dame kompromittieren wird!«

»Wort darauf. – Eine Dame? – Bitte, sprechen Sie, ich bin sehr gespannt!« – –

Er legte die Arme auf den Tisch und starrte auf die Lippen seines Gegenübers.

Janek dämpfte seine Stimme.

»Sie wissen, daß ich das volle Vertrauen Leonies besitze!«

»Hm … Vertrauen der Excellenz Gärtner!«

Flanderns Stimme klang scharf, er zwirbelte nervös den Schnurrbart.

Proczna zuckte gleichmütig die Achseln.

»Wozu jetzt solche Förmlichkeit! – Wir sind ja Verbündete in diesem Augenblick und wissen beide ganz genau, wie wir mit der besagten Dame stehen«

Der Ulan zuckte empor.

»Wie wir stehen?« fragte er gedehnt.

»Ich bin Leonies Vertrauter, bester Flandern, glauben Sie wohl, daß Sie mich als solcher auch in den Blättern Ihres Tagebuches lesen läßt, welche Ihren Namen als Helden nennen?«

»Unmöglich … Sie wissen nur um das Kapitel Branca!«

Janek lachte leise auf.

»Und wenn ich auch um das Kapitel Flandern wüßte, und sogar recht genau unterrichtet wäre?«

Fieberische Röte stieg in die Stirn des jungen Offiziers.

»Aus welchem Grunde hat Ihnen Leonie Mitteilungen gemacht, zu deren Publikationen sie nicht das mindeste Recht hat, und durch welche sie sich selbst am meisten kompromittiert?« fragte er gepreßt.

Proczna wurde kühner, er hatte auf den Busch geklopft und die Antwort darauf erhalten, welche er erwartet hatte. Er legte die Hand auf den Arm des Ulans.

»Seien wir offen, Verehrtester, es bringt uns am schnellsten zum Ziel. Sie wissen, daß ich die Schleppe der schönen Frau trage und ihr huldige. Der alte Präsident ist ein verlöschendes Licht, über Nacht kann die reizende Frau zur Witwe werden. Nun verzeihen Sie mir die Frage, zu welcher ich ein gewisses Recht habe: Beabsichtigen Sie Leonie zu heiraten, wenn sie frei wird?«

Namenlose Bestürzung malte sich in den charakterlosen Zügen Flanderns, er fuhr zurück, als habe er einen Schlag in das Gesicht erhalten.

»Um Himmels willen, wie kommen Sie auf solch eine rasende Idee, Proczna! Ist das womöglich gar die Idee der Präsidentin selber?!«

Janek zuckte die Achseln.

»Haben Sie ihr keine Veranlassung zu diesem Glauben gegeben? Die Frauen nehmen einen Kuß als Schwur und einen Händedruck als Gelübde!«

Ein fast brutales Gelächter war die Antwort.

»Ist das Weib etwa toll geworden? Könnte beinahe meine Mutter sein, und bildet sich ein, ich würde Ernst machen! Nein, Proczna, dazu kenne ich meine Pappenheimer denn doch zu genau! Cour machen … Rendezvous geben, das hübsche Lärvchen, welches so bereitwillig dargeboten wird, 'mal abküssen … das lasse ich mir gefallen, aber heiraten? … Hahaha! … Ich könnte Krämpfe kriegen vor Lachen!«

»Man sagte mir jüngst, die schöne Frau habe eine etwas bewegte Vergangenheit …«

»Bewegt? – stürmisch, sag' ich Ihnen! – Wenn die 'mal ihre Memoiren niederschreibt, sengelt das Papier unter der Feder! – Bah, was macht man sich schließlich daraus, der Hausfreund ist eine importierte Pariser Mode, und mit dem Kosenamen › petit Versailles‹ renommieren die flotten und lebenslustigen Garnisonen im Norden und Süden der deutschen Lande! – Ist ja auch ganz amüsant und pikant, so was, aber doch kein Gedanke an Heiraten dabei – zum Teufel! und nicht 'mal das nötige Kleingeld hat die Person! Wenn der Alte die Augen zuthut und das riesige Gehalt wegfällt, was bleibt dann? … Kartoffeln und Hering und kein seidenes Taillenfutter! Hahaha!! … Wenn sie noch ein Goldfischchen wäre, und auf ihr Herz ein paar Hunderttausendthalerscheine kleben könnte, damit man den Knacks nicht so sieht, den es weggekriegt hat – ! … Ich bitte Sie um alles, Proczna, reden Sie dem Unglücksvogel die Heiratsgedanken aus! – Meine Courmacherei hatte weiß Gott andere Zwecke, sie war nur eine Sprosse an der Leiter, welche emporführt, hol's der Geier! Und jetzt verstehe ich auch ihre Sorge, mich über Ihre Huldigungen zu trösten! Ich Esel mache ihr eben noch bittere Vorwürfe, und da schwört sie mir bei allem, was ihr heilig sei, jeder Gedanke ihres Herzens gehöre mir – haha! … und in demselben Moment schrieb sie Ihnen wohl ein süßes Billetchen? Was? Na nur 'raus mit der Sprache!«

Ein undefinierbares Lächeln zuckte um die Lippen des jungen Polen.

»Nein, im Gegenteil, sie weist jede Annäherung im Gedanken an Sie zurück …«

»Pech und Schwefel noch eins! Da sitze ich ja nett in der Tinte!« Flandern lachte krampfhaft auf. »Nun aber 'mal abhalftern!«

»Sie werden doch nicht rücksichtslos vorgehen?«

»Nein, alter Freund, dazu sind mir leider die Hände zu gewaltig gebunden, sie würde mir zur Revanche das Genick brechen. Solang der Alte noch lebt, muß ich mich behutsam durch die Klippen lotsen, wenn aber die Herrschaft der Frau Leonie ein Ende hat – – «

Die Zähne blitzen grell auf unter dem spitzen Schnurrbart – Piquebube!!

Eine Bewegung ging durch die verschiedenen Herrengruppen, welche am Buffet standen, ein Wagen hatte vor dem Hause gehalten.

»Noch einen Moment«, bat Janek hastig, »ich bin in der Lage, Sie aus der Schlinge zu lösen, wenn Sie mir ein einziges Billet von Leonies Hand, an Sie gerichtet, verschaffen können.«

»Gut gesagt, alter Freund, solche Billets sind rar, denn die kleine Schlange weiß es ja aus Erfahrung, wie peinlich so etwas Schriftliches werden kann, aber warten Sie … hier … etwas hab ich doch …« er zog sein Portefeuille und wühlte mit zitternden Fingern in den Papieren … »hier diesen Zettel! … Verwenden Sie ihn – vielleicht genügt er.«

»Wann geschrieben?«

»Gestern. – Und ich kann mich thatsächlich auf Sie verlassen?«

»Mein Wort darauf.«

» Toujours à vous!« – Flandern schüttelte ihm hastig die Hand, »betrachten Sie meine Geständnisse, welche Ihnen die Augen geöffnet haben, als Dank! au revoir, Königliche Hoheit ist angefahren!«

Er stürmte mit heißem Kopf davon, Janek aber überlas tief aufatmend den zerknitterten Papierstreif:

»Nicht wie gewöhnlich kommen – fahre um drei Uhr den bekannten Weg. Promenieren Sie, ich nehme Sie im geschlossenen Wagen auf.« – –

Die Schrift sollte verstellt sein, war aber ohne jeden Zweifel zu erkennen.

»Nun sollen deine Thränen trocknen, Anna Regina, die Stunde der Vergeltung ist gekommen!«

 

August Ferdinand beehrte das Fest seines Adjutanten, trotz mancherlei Hindernisse und der noch immer andauernden Erkältung der Prinzessin, mit höchstseinem Besuch. Derselbe sollte die Form der Überraschung tragen. Die Ulanen erwarteten Seine Königliche Hoheit bereits an der Thür, Fürst Reussek occupierte sofort die linke Seite des erlauchten Herrn und die andern Offiziere seines Regimentes bildeten die Suite, kaum dem Hausherrn den Platz in ihrer Mitte gönnend.

August Ferdinand begrüßte Frau Leutnant Gower und reichte der Fürstin Reussek, welche neben dieselbe getreten war, freundschaftlichst die Hand; – wie eine farbenschillernde Wolke schoben sich die Damen der exklusiven Hofgesellschaft in den Weg des hohen Herrn, tiefe Knickse und Begrüßung, hier und da ein längeres Plaudern, und ehe man es nur ahnte und merkte, war der Prinz von einem Ring umschlossen, welcher ihn hermetisch abzusperren schien. Bei der kurzen Tournee, welche er später hielt, blieben die Ulanen wankellos an seiner Seite, eine stumme, peinlich-dämpfende Staffage zu der außerordentlichen Liebenswürdigkeit, mit welcher August Ferdinand die Gäste seines Adjutanten auszeichnete.

Nachdem der hohe Herr zwei Tänze mit angesehen und eine Erfrischung genommen hatte, verabschiedete er sich. Es lag eine Wolke auf seiner Stirn, mit scharfem Blick schien er die schwüle Stimmung zu erforschen, welche auf den meisten Gesichtern lagerte.

Nur vier Augen schauten strahlend vor Freude und Entzücken in die Welt, die des jungen Heller-Hüningen und seiner allerliebsten Tänzerin. Sie waren schier unzertrennlich Donat holte sich in jedem Tanz eine Extratour, und Bicky hatte für die Pausen einen »Stammsitz«, erkoren, wo man sich jedesmal zusammenfand.

Mit zärtlichem Blick musterte Heller-Hüningen das Bäschen, welches aus einer duftenden Tüllwolke wie ein rundes, appetitliches Rosenknöspchen auftauchte. Die Unterhaltung war nicht gerade eine Auslese geistiger Salzkörner, aber sie war ganz echt und unverfälscht, gerade so ausgesprochen, wie sie gemeint war.

»Ihre Arme sind eigentlich gerade so dick wie Ihre Taille, Bicky!«

»Ist das ein Eloge?« –

Ihre Augen schlugen sich groß auf.

»Aber eine höllische! – Wenn ich ein Menschenfresser wäre, würde ich Sie gleich anbeißen!«

»Es kommen ja im Frühjahr welche hierher«, Bicky rückte eifrig mit ihrem Sessel vor – »Kariben heißen sie, und fressen lebendige Karnickel!«

»Sie meinen wohl Karaïben, liebe Beatrix!«

Donat nahm eine sehr selbstbewußte Haltung an und ergriff den belehrenden Ton:

»Die Karaïben sind nämlich ein Indianerstamm … in der Nähe von Guayana … da unten, wissen Sie, das Land, welches irgend so ein Schriftsteller für seinen Lederstrumpf erfunden hat! Früher waren die Karaïben über ganz Westindien verbreitet, aber jetzt hat man sie natürlich ganz kolossal zusammengeschossen – verfluchte Kerls! Fressen die lieben Nächsten ohne Pfeffer und Salz und vollführen einen Gesang und Tanz bei diesen Diners, daß einem das Trommelfell platzt!«

Xenia würde sofort gemerkt haben, woher die Weisheit des jungen Strategen stamme, er hatte im Gedanken an Bickys selbstverständliches Interesse die Zeitung gründlich studiert. – Die Kleine blickte in fast angstvoller Bewunderung zu ihm auf.

»Sie wissen aber auch alles, Donat – man mag sprechen über was man will.«

Fürst Heller-Hüningen versuchte seinen Schalk hinter sehr würdiger Miene zu verbergen:

»Der Mann muß dem Weibe stets an Wissen und Erfahrung überlegen sein, dann gibt es eine riesig glückliche Sache! Ich sage Ihnen, Bicky, es ist ein kolossal patentes Gefühl, wenn man sich selber so geistreich vorkommt, noch schneidiger beinahe, als wie wenn man einen Gaul, der schrammen will, noch rechtzeitig wie eine morsche Latte zusammenreißt! Apropos … Sie erklärten eben, ich wüßte alles … non – stimmt nicht, etwas zum Beispiel möchte ich riesig gern wissen … aber … ich kriege es absolut nicht heraus!« –

Er sah die junge Dame mit tiefen Augen an, die weißen Zähne blinkten kokett durch den Schnurrbart. Das war Beauty-patchs unwiderstehlichstes Eroberungsgesicht.

Bicky blinzelte ihn von der Seite an, halb entzückt und halb verlegen:

»Weiß ich es denn? …«

Donat ließ die Sesselquasten an den Armlehnen Kobolz schlagen:

»Na, aber selbstverständlich! – Sie einzig und allein.«

»So sagen Sie doch, was Sie meinen!«

»Heute noch nicht, erst zum Schluß der Saison, es ist ja so noch viel interessanter, man hat immer etwas Angenehmes zu denken, wenn man Rekruten drillt.«

»Und wenn Sie es gesagt haben, nicht mehr?«

»Dann fehlt die Aufregung, es kommt so ein gewisses Gefühl von Behaglichkeit und Phlegma! Übrigens, Bicky, wenn nachher im Cotillon die Bändertour kommt, dann nehmen Sie immer rot, ich thu's auch, und dann finden wir uns natürlich – pfiffig, was?«

Bicky nickte sehr eifrig und teilte ihm hinter dem Fächer mit, daß sie alle Orden ihm allein bringen würde, was Donat »ganz patent!« fand. Dann aßen sie um die Wette Vanille-Creme und tanzten wieder flink 'mal rum!

 

Janek war an Xenias Seite getreten. »Wissen Sie, daß soeben ein Telegramm den Ausbruch der polnischen Revolution meldet?« flüsterte er ihr hastig zu.

Sie zuckte zusammen.

»Also wirklich? O mein Gott, Janek, wie wird es enden!«

»Die Unruhen haben sich gesteigert«, fuhr Proczna erregt fort. »Die provisorische Nationalregierung hat durch eine Proklamation das polnische Volk zu den Waffen gerufen! Der ganze Adel, die Geistlichkeit und die städtische Bevölkerung steht auf seiten der Insurrektion, ein großer, gewaltiger Kampf um Leben und Freiheit steht bevor, und Ostrolenka wird seine Gräber öffnen und die Heldengeister emporsteigen lassen, ihr blutig Banner auf das Schlachtfeld zu tragen!«

Xenias behende Hand legte sich auf seinen Arm, wie in Todesangst beschwörend traf ihr Blick sein flammendes Auge.

»Es wird ein vergebliches und nutzloses Blutvergießen werden, Janek, neue Gräber werden aufgerissen, neue Trümmer auf Ostrolenkas Ruinen getürmt, und alles umsonst, alles ein Kampf ohne Sieg, Polen ist die Maria Stuart in der Geschichte zerfetzter Länder und Reiche, ein hilfloses, geknechtetes Weib, welches in Ketten verblutet! – Ewig wird Polen Mitleid und Sympathien finden, niemals Hilfe!«

Janek atmete schwer auf.

»Das verhüte Gott. Noch, rollt polnisch Blut durch Menschenadern, noch ist Polen nicht verloren!«

Jubelnde Tanzweisen erstickten seine Worte, Xenia aber umschloß noch fester seinen Arm.

»Geben Sie mir genaue Nachrichten über den Verlauf und die Ausbreitung des Aufstandes, Janek, ich interessiere mich dafür. Kommen Sie morgen etwas früher zu mir, damit Sie erzählen können, ehe die Gäste kommen!«

»Ganz recht, ich werde ja morgen abend bei Ihnen singen, just so wie das erste Mal, als ich der hiesigen Gesellschaft bekannt gemacht wurde. Wunderlich!« er starrte nachdenklich vor sich nieder, dann hob er jäh das Haupt. »Ich werde kommen, Xenia, und … Gott sei mir an diesem Abend gnädig!«

Sie blickte fragend, angstvoll zu ihm auf, er aber wandte sich kurz ab und schritt hastig durch die Menge.

Die Kerzen flackerten im Luftzug, vor Xenias fieberheißen Augen aber war es, als gehe ein grelles Blitzen durch die Luft, als ziehe es wetterleuchtend am Horizont auf, mit Donner und Sturm über ihr Haupt dahinzubrausen; wehe ihr, wenn sie kleinmütig darunter zusammenbricht, wenn sie sich nicht an jene einzige Stütze klammert, welche feststehen wird in Wetter und Graus, an die Liebe, die todesmutige Liebe, welche hinaustreibt in den Kampf, hinaus bis in das feindliche Heer der Kosyniers!



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