Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XVIII.

Auf dem Exerzierplatz der Franz-Ulanen, einem weit vor der Stadt gelegenen, vortrefflichen Terrain, entwickelte sich in der Mittagsstunde ein für die winterliche Jahreszeit außergewöhnliches Leben. Das Offiziercorps hatte beschlossen, die milde Witterung zu benutzen und in einem kleinen Flachrennen auf ungesatteltem Pferde dem ehemaligen Gardekürassier zu beweisen, daß Reusseks »verwegene Jagd« den Gästen nicht allein im Springgarten die Honneurs macht.

Die Damen waren zumeist im Wagen erschienen, dem gewiß höchst amüsanten Schauspiel beizuwohnen, nur Frau von Hofstraten rettete die Ehre ihrer Mitschwestern und trabte auf der »Harke«, einem unglaublich hochbeinigen Schwadronsgaul, welchen ihr Graf Hechelberg auf eigenes Risiko für den noch immer leidenden Apfelschimmel gestellt hatte, an der Seite ihres Gatten querfeldein über einen Sturzacker, dem Rendezvous entgegen.

Janek Proczna ritt an der Seite seiner Pflegeschwester, und Fürst Heller-Hüningen amüsierte sich damit, seinen eleganten Goldfuchs dicht an das Gefährt heranzudrängen, um durch eine geschickte kleine Parade den zierlichen Kopf des Renners neben Bickys rosige Wange zu dirigieren.

»Darling will ja nur einmal an Ihren Veilchen riechen!« neckte der junge Offizier lachend, als Fräulein von Drach in die äußerste Ecke der Polster retirierte, »der Schlingel hat Geschmack und ist an Zucker gewöhnt, darum fühlt er sich von Ihnen angezogen!«

»Ich habe ja gar keinen bei mir!«

» N'importe! Sie sind ja selber so süß, Bicky …«

Hechelberg klemmte das Monocle ein und drehte den Kopf wie elektrisiert nach dem Sprecher herum.

»Jetzt schlag mir einer 'nen Türken tot! – wo hat denn unser Jüngster diese sengerigen Redensarten aufgegabelt? – Nein, Beauty-patch, das geht nicht, das fällt auf mich zurück! Sie stehen bei meiner Schwadron, bei der solidesten im Regiment, da würden die Leute womöglich sagen, Sie hätten das Courschneiden bei mir gelernt! – Mein gnädigstes Fräulein, ich halte es für meine Pflicht, Sie vor diesem jüngsten Leutnant zu warnen … hat gar keinen Zweck, sich von ihm anlügen zu lassen … über kurz oder lang muß ich ihn doch 'mal füsilieren lassen!«

»Füsilieren?« – Bicky starrte den Sprecher an wie ein Gespenst. »Das dürfen Sie ja gar nicht, nur wenn einer desertiert ist, wie im ›Haidegrab‹, o und selbst dann wäre es abscheulich … ganz empörend von Ihnen, denn der Donat ist der Nettste vom ganzen Regiment und ich versichere Sie, daß er in seinem Leben nichts Böses gethan hat – «

Alles lachte laut auf, der Rittmeister aber zwang sein rotleuchtendes Antlitz in sehr ernste Falten.

»So? wirklich? Es ist 'mal wieder Hüningens specielles Pech, daß Sie nicht die Konduite zu schreiben haben, mein gnädigstes Fräulein; ich bin überzeugt, Sie besorgten ihm binnen heut und morgen einen ganzen Sternhimmel auf die Achseln! – Wie wär's aber, wenn ich Ihnen 'mal die Augen über den Monsieur öffnete …«

»Machen Sie mich nicht unglücklich, bester Graf, ich kann nichts anderes, als Ihnen meinen Sekundanten schicken!«

»Lassen Sie ihn doch nur reden, Donat! Ich glaube ihm ja kein Wort!« rief Bicky eifrig tröstend dazwischen.

Hechelberg aber machte ein martialisches Gesicht und nickte seinem Leutnant eifrig zu. »Gut, wechseln wir die Karten … Sie schießen morgen von elf bis zwölf – ich von zwölf bis eins – natürlich übers Schnupftuch.«

»Das wollen wir doch erst 'mal sehen!« atmete Fräulein von Drach mit blitzendem Auge tief auf; Xenia und die Kammerherrin aber ersuchten den Rittmeister höchst belustigt um das betreffende Kapitel der chronique scandaleuse, welches den Namen Heller-Hüningen als Überschrift trug.

Der Graf zwirbelte den starken, hellblonden Schnurrbart kühn zwischen den Fingern.

»Hören Sie zu, meine Damen, und brechen Sie den Stab über den frechen kleinen Leutnant da! Sie wissen, daß ich ihn, des guten Einflusses wegen, in meine Schwadron nahm, und ihn mit vieler Nachsicht bis zur Unglaublichkeit verwöhnte! – Was ist der Dank dafür? Das Kücken wächst der Henne über den Kopf und tanzt ihr zur Revanche auf der Nase herum! Ein einziges Beispiel wird meine Worte illustrieren! Vergangenen Sommer, während des Manövers, will es mein Mißgeschick, daß meine Schwadron lustig darauf losreitet und schließlich am Fuße eines waldigen Berges nicht mehr hott noch hüh weiß. Wie das nun der schneidige Ton des Dienstes erfordert, hat bei Anwesenheit seines Rittmeisters stets der Leutnant unrecht, und infolgedessen blies ich unser Beauty-patch mit grimmigster Miene an, daß ein Offizier, falls er auf unbekanntem Terrain manövriere, stets eine Spezialkarte zur Hand haben müsse!«

»Bumm!«

»Nicht unterbrechen, Kleiner. – Andern Tags halten wir auf dem nämlichen Platz. Plötzlich gräbt mein Herr Leutnant, welcher bereits während des Rittes auffallend wattiert aussah, ein pfundschweres Opus aus der Ulanka und entfaltet es feierlichst als eine gigantische Landkarte. Immer größer – immer endloser breitet sich die Sache aus, bis schließlich Roß und Reiter wie durch eine spanische Wand verdeckt dahinter verschwinden, und dabei hält Seine Durchlaucht das Papier dicht vor die Augen und starrt und starrt darauf nieder, als könne er sich gar nicht satt sehen! – ›Na, zum Teufel, Hüningen, was machen Sie denn da?‹ – frage ich, an ihn heran reitend, und ohne nur aufzublicken, ganz aufgelöst vor Eifer, antwortet mir der hoffnungsvolle Stratege: ›Ich studiere das Terrain, Herr Rittmeister!‹ – – Bis dahin ist nun die Angelegenheit sehr hübsch und lobenswert, meine Damen, aber der hinkende Bote kommt nach. Ganz gerührt neige ich mich nun ebenfalls zu dem Papier hernieder und erblicke … eine Karte von Europa!! – tableau mes dames! – – Und solch einen rankünösen Menschen, der seinem besten Freund und Vorgesetzten derartigen Schabernack spielt – dem wollen Sie künftighin noch verzuckerte Redensarten glauben, mein gnädiges Fräulein?«

Eiliger Hufschlag annoncierte Prinz Reussek. Die Offiziere ritten ihrem Kommandeur entgegen, und unter den seitwärts haltenden Burschen, welche die ungesattelten Pferde und kurzen Peitschen ihrer Herren bereit hielten, entstand eine lebhafte Bewegung.

Janek Proczna hatte reihum die Damen begrüßt, dann jedoch seinen Rappen abermals neben die Equipage der Präsidentin Gärtner dirigiert, welche ihn, ganz wie selbstverständlich, an ihre Seite fesselte.

Xenias Blick haftete auf seinem lachenden Antlitz. – Er schien ihn zu fühlen, wandte plötzlich das Haupt und schaute ihr voll in das Auge, sagte noch ein paar hastige Worte zu Frau Leonie hernieder und hielt im nächsten Augenblick wieder neben Xenia.

»Riefen Sie mich?« –

Er fragte es leise und neigte sich vor, um sie forschend anzusehen. Xenia biß die Zähne aufeinander und hob das Haupt.

»Nein!«

Frau von Drach und Bicky schüttelten sich aus dem Wagen heraus mit Gräfin Ettisbach und Tarenberg die Hand, Janek beugte sich noch tiefer.

»Man braucht nicht immer mit Worten zu rufen, Xenia«, fuhr er mit weichem Klang in der Stimme fort, »Sie haben mir nach langer Trennung die Rechte eines Bruders eingeräumt und mir damit auch die Pflichten eines solchen übertragen; ich appelliere an Ihre Nachsicht, wenn ich viel in diesem so sehr ungewohnten Amt versäume und bitte Sie, mich zu kommandieren, wenn Sie meiner bedürfen!«

Xenia blickte schnell empor.

»Müssen Sie mir gegenüber wirklich an die kleinen Ritterdienste gemahnt werden, welche Ihnen andern Damen gegenüber vollkommen selbstverständlich erscheinen?«

»Gewiß – ich stehe selbst der fremdesten Dame nicht so fern wie Ihnen, Xenia. Sie messen mich mit einem ganz besonderen Maß, und was andere höflich nennen, deuten Sie für zudringlich.«

»Janek Proczna hat bis jetzt alle Schranken niedergebrochen und keines Menschen Seele dabei um Erlaubnis gefragt!«

» Tempi passati! – Die Stunde, in welcher Ihr eigener Wille den ›Grafen Hans Stefan Dynar‹ von den Toten auferweckte, legte Janek Procznas tollkühne Waghalsigkeit in Ketten; was ich als freier Künstler bekämpfen konnte, muß ich als Repräsentant eines ehrwürdigen Namens achten und abwarten, bis die Hand, welche mich so kühl zurückgeschoben, mich freimütig näher winkt!« –

Die letzten Worte waren im Scherz gesprochen, und auch über Xenias reizendes Antlitz flog ein Lächeln.

»Ich werde Sie beim Wort nehmen, Janek, und Ihren Opfermut prüfen; wer weiß, wie bald Sie schon unter der Bürde seufzen, welche Ihnen die Ansprüche einer Schwester auferlegen werden! – Als erste Revanche dafür werde ich Ihnen jetzt den Daumen halten, daß der gigantische Blumenkranz, welchen Graf Hechelberg für den Sieger bereit hält, den Hals Ihres edlen Renners schmückt!« –

Xenia war plötzlich wie ausgewechselt, sie sprach so lebhaft und heiter wie selten zuvor.

»Um Gottes willen nicht, Xenia, auf diese Huld verzichte ich!« lachte er voll heiteren Gleichmuts auf, »Sie würden dadurch den Zauber brechen, welchen Excellenz bereits um jenen Kranz gesponnen hat! Von zwei ›gehaltenen‹ Daumen hebt einer den andern auf, und da der Aberglauben verlangt, daß ein ›herzliches Gedenken‹ damit verknüpft sei, so halte ich es wirklich für richtiger, wenn Frau von Gärtner die Rolle der Fata allein übernimmt!«

»Selbstverständlich; – ich trug Ihnen meine Offerte später an – ich trete zurück.«

Das klang wieder sehr kurz und unnahbar, wenngleich Gräfin Dynar dabei lächelte.

»Reservieren Sie mir Ihre Fürsprache bei dem Schicksal, ich habe sie vielleicht bei einem anderen Rennen nötiger, wo mehr auf dem Spiel steht, als ein Kranz von bunten Blumen!«

»Wenn Sie dann von der Excellenz im Stich gelassen werden, thue ich's – vielleicht!«

Janek sah plötzlich sehr ernst aus – strich langsam über den schlanken Hals seines Rosses und schwieg. – Excellenz Gärtners Wagen verließ seinen Platz und fuhr in einem kurzen Bogen neben die Equipage der Gräfin Dynar.

»Ich muß hören, was die Geschwister für wichtige Dinge verhandeln!« rief Leonie lachend, Xenia die kleine Rechte in dem langen schwedischen Handschuh entgegenstreckend, »ihr seht ja beide so böse aus, habt ihr euch gezankt?«

Das klang sehr vertraulich, neckisch und herzlich zugleich.

Proczna lachte fast übermütig auf.

»Gewiß, Excellenz! Ohne Krieg kann kein Frieden geschlossen werden, und wer siegen will, muß vorher streiten! Ich habe eine unendlich schwere Arbeit, mir die Sklavenringe zu erkämpfen, denn meine Schwester geizt selbst mit dieser niedrigsten Klasse aller Hausorden!«

»Hoheit hat die Parforcejagd für übermorgen angesetzt«, – lächelte Excellenz, die Lorgnette vor die Augen hebend, um Prinz Reussek zu beobachten, welcher soeben an die Wagen heranritt, um zuerst Gräfin Kany und die stellvertretende Hofdame, Baronesse Zeutler, ein blasses, mit stets liebenswürdigen und milden Augen in die Welt blickendes junges Mädchen, zu begrüßen. »Wir Damen reiten sämtlich mit, selbst ich, die leider Gottes noch herzlich unsicher im Sattel sitzt. – Ich brauche natürlich an jeder Seite einen ritterlichen Schutz und vortrefflichen Reiter, – Flanderns treuer Minnedienst ist selbstverständlich, aber er genügt noch nicht …«

Xenia hatte sich erhoben, sie stand hoch aufgerichtet im Wagen, wie eine trotzige Herausforderung blitzte ihr Auge zu der Sprecherin hernieder.

»Donat wird sich glücklich schätzen, Excellenz, Ihr Kavalier zu sein und sicherlich diesem Vertrauensposten alle Ehre machen!«

»Wie? – Heller-Hüningen?! – Reitet der denn nicht in angestammtem Vorrecht mit Ihnen?!«

Xenia warf den Kopf zurück.

»Nein! Ich habe mir diesmal meinen Bruder an die Seite … kommandiert!« –

Ihr Blick traf Proczna, groß, in brennender Frage.

»Ah, Sie scherzen! – Unmöglich … zwei Geschwister? Das ist ja zum Sterben langweilig!« –

Frau von Gärtner klappte wahrhaft alteriert den Fächer zusammen und schüttelte den Kopf.

»Dagegen revoltiere ich! Dagegen ziehe ich zu Felde!«

Proczna zuckte lächelnd die Achseln.

»Ich bin überzeugt, daß Sie mit den schärfsten und sieggewohntesten Waffen kämpfen würden, Excellenz, und dennoch bezweifle ich diesmal den Erfolg!«

»Wenn ich allerdings von Ihrer Seite auf keinerlei Secours zu rechnen habe …«

Leonie brach kurz ab und wandte sich wie ein schmollendes Kind zu Xenia:

»Sie sind in hohem Grade egoistisch, Gräfin, Sie gleichen dem reichen, hartherzigen Mann in der Bibel, welcher seinem armen Nachbar noch den letzten Trost und Groschen nimmt! Warum wollen Sie mir den einzigen Kavalier, dessen Schutz ich mich mit wirklicher Freude anvertraue, noch vor Thoresschluß wegnehmen?!«

»Damit sich alle andern, welche dadurch aus Ihrer Nähe verdrängt werden, nicht aus Verzweiflung erschießen!«

»Sie kleine Lästerzunge! Ich sag's ja, wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen! Helfen Sie mir doch ein wenig, Proczna! – Unser gemeinsamer Ansturm schlägt vielleicht eine Bresche in die Erbarmungslosigkeit dieser schönen Seele!«

Xenia schien sehr gelassen, dennoch blitzte es in ihrem Auge auf.

»Wenn mein Pflegebruder lieber mit Ihnen reitet, Excellenz, trete ich natürlich zurück – «

»Ah, prächtig! – Haben Sie gehört, Graf?!«

»Ja, ich hörte – aber nur eine Beleidigung, wenn nur Xenia nicht schleunigst die Versicherung gibt, daß sie scherzte!«

» Mon dieu, wie difficil!« Leonie lachte etwas nervös auf. »Ist solch eine Wortklauberei unter Geschwistern überhaupt erlaubt!! – Ihre Ritterlichkeit ist ja die reine Mimose, bester Freund, welche sich selbst gegen die schwesterliche Hand entrüstet auflehnt, wenn dieselbe keine Glacéhandschuhe trägt! – Sie dürfen doch nicht verlangen, Xenia, daß Proczna um seinen Abschied bittet, Sie müssen ihn geben! Wollen Sie?«

Gräfin Dynar richtete das Haupt noch höher empor, um ihre Lippen zuckte es wie starre Entschlossenheit.

»Nein!« entgegnete sie herb.

»Ihr scheint beide schlecht geschlafen zu haben«, versuchte Frau von Gärtner zu scherzen, ein scharfer, fast boshafter Zug schlich sich in ihr Lächeln, »und mit Leuten, welche schlecht zu Mittag gegessen haben oder mit dem linken Fuß ausgestanden sind, soll man nicht prozessieren! Ihnen aber schwöre ich Fehde, unerbittliche Gräfin, und ich werde mir alle Mühe geben, Ihnen Janek Proczna abspenstig zu machen! Zwar sind Sie sehr im Vorteil gegen mich, haben bereits lange Jahre hindurch den Bruder mit Liebe und Güte und Freundschaft überschüttet, haben ihm in stolzer Anerkennung die ersten Lorbeeren gestreut, und es gar nicht erwarten können, ihn der Welt gegenüber als Bruder deklarieren zu können …«

Der Ausdruck namenlosen Hohnes in der Stimme Leonies trieb Xenia das Blut in die Wangen. Ihre Lippen bebten, sie sah den Schatten auf Janeks Stirn und atmete tief auf.

»Sie irren, Excellenz!« unterbrach sie mit rauher Stimme, »von all diesen liebenswürdigen Auszeichnungen und herzlichem Verkehr ist nie die Rede zwischen Janek und mir gewesen – leider Gottes durch meine Schuld! – Indem Sie mir soeben vorhalten, wie das Verhältnis zwischen uns hätte sein müssen, empfinde ich doppelt, wieviel ich versäumt und wieviel ich an meinem Bruder gut zu machen habe, und aus diesem Grunde werden Sie es selber am begreiflichsten finden, wenn ich nicht auf seine Begleitung verzichte, sondern ihn im Gegenteil soviel und solange wie möglich an meine Seite fessele!« –

Sie reichte Janek voll warmer Aufrichtigkeit die Hand entgegen.

»Wie Sie alles so feierlich zu sagen wissen, Xenia!« lachte Janek, ihre dargebotene Hand ritterlich an die Lippen ziehend, »Sie wollen Schulden bezahlen, für welche es keinen Gläubiger gibt, und verleihen unserm kleinen Scharmützel die liebenswürdigste Pointe, welche man sich denken kann! Wenn wir unserer reizenden Gegnerin nun noch versichern, daß aller Widerstand nur ein Schild für das wenig feuerfeste Herz des Pflegebruders gewesen, so sind drei Sieger aus dem Streit hervorgegangen! Darf ich um den Vorzug bitten, Excellenz, bei der nächsten Schlittenpartie meine Rosse vor Ihren Triumphwagen zu spannen?«

Leonie drohte ihm voll liebenswürdigster Heiterkeit mit dem Fächer. »Bei Sonnenschein und Tauwind zum Schlittenfahren engagieren, ist eine billige Galanterie!«

»Ich lasse Salz streuen!«

Frau von Gärtner beugte sich voll harmlosester Freundlichkeit wieder zu Xenia hinüber.

»Sie kennen doch Ihren Bruder, Gräfin! Warum hängen Sie diesem gefährlichen Mann nicht eine Warnungstafel mit ›Vorsicht‹ um den Hals? Man steht auf Glatteis, wenn man ihm gegenübertritt!«

Xenia nickte zerstreut, sie hatte in der That das Gefühl, als wehe eine kalte Schneeluft von dem lachenden Gesicht des – Polen zu ihr herüber.

Prinz Reussek parierte sein Pferd neben der Equipage und störte Frau von Drach in ihrer sehr laut und animiert geführten Unterhaltung mit den Insassen des nachbarlichen Wagens; er reichte Xenia die Hand und grüßte zu Excellenz Gärtner hinüber; Rittmeister von Hofstraten meldete, daß Herr von Flandern, der unbegreiflich Unpünktliche, endlich in Sicht sei – was Graf Hechelberg zu dem überraschenden Citat: »Wohl, so kann der Guß beginnen!« veranlaßte.

Die Herren verabschiedeten sich, ihre Rennpferde zu besteigen, und Leonie winkte Janek Proczna noch einmal zu sich heran, um ihm ein paar geheimnisvolle Worte zuzuflüstern.

»Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen, den Grund für Flanderns Verspätung, kommen Sie recht bald!«

Proczna sah sie einen Augenblick fest an.

»Nur inkognito!« –

Dann grüßte er kurz und riß sein Pferd herum. – –

 

Frau von Hofstraten hielt am Ende der kleinen Wagenreihe und beobachtete mit vorgeschobener Unterlippe das höchst amüsante und lebhafte Bild, welches sich »auf ungesatteltem Pferd« entwickelte.

»Is man de reine Bauerngaloppade! De Sattel macht immer den Kohl erst fett, wie de Schnidergesell'n sehn de Kerls allmitnander aus, wenn se so uff'n blanken Buckel hängen! Na nu los! … De Hechelberg hakt natürlich sein'n Schmachtriemen erst drei Loch weiter … und der Hüningen trabt noch 'ne Partie zu Fuße! Man nich so hitzig, klener Saletjonker! He wird sich noch auf de Ulanka treten! – Jetzt hoppt he uff! Vorwärts, Jongs! Könn' de Gäul noch nicht onder het juk breng! – Hep, hep!« …

Die Herren rangierten ihre meist sehr ungestümen Rosse, laut und animiert flogen die Reden und Witzworte noch hin und her, dann trat eine erwartungsvolle Stille ein.

»Kein Fahnensignal – … Glocke!!« rief Prinz Reussek nach dem Wagen herüber.

Die »Harke« spitzte die Ohren und blies die Nüstern auf – Frau von Hofstraten bekümmerte sich nicht darum, ihre ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf die Kommandeuse, welche, in ihrer Equipage stehend, verabredetermaßen das Zeichen zum Starten geben sollte.

»Achtung!« erscholl er abermals.

Die »Harke« drängte vorwärts, der Reihe der Rennpferde zu – die Frau Rittmeister schaukelte momentan im Sattel und riß die Stute mechanisch ins Maul.

Mit schrillem, weithin dringendem Ton erklang die Glocke in der Hand der Fürstin, und wie losgeschossen, in wildem, etwas zügellosem Durcheinander stürmten die Rosse davon; – die Kutscher hieben auf die Wagenpferde, um dem Rennen in möglichst kurzer Distance zu folgen, und die Harke? –

Schallendes Gelächter ertönte aus den Equipagen.

Wie elektrisiert von dem Signal, angereizt durch den Anblick der Renner, legte sich der brave Schwadronsgaul in die Zügel und schoß mit weit vorgestrecktem Hals auf weit ausgreifenden langen Beinen den Reitern nach.

Frau von Hofstraten versuchte mit kräftigsten Fäusten den Durchgänger zurückzureißen, schrie und bremste … – umsonst, völlig stier vor Eifer jagte die »Harke« dahin, immer den Offizieren nach, schneller und schneller wie auf Sturmesflügeln.

Hilf- und ratlos hing das schneidige Holland im Sattel, die Luft pfiff um die Ohren und das unglückselige Knochengerüst der Stute bewies mit jedem harten Stoß und Ruck, daß der Begriff »englisch Vollblut« ihr selbst im Traum noch nicht vorgekommen war.

Heidi ging die Reise!

Die Situation wurde kritisch – Frau von Hofstraten griff zur »Majorstrense« und nahm das Roß schier um den Hals – in demselben Augenblick jagte sie mitten durch das Rennen hindurch.

»Um Gottes willen, meine Gnädigste, wo wollen Sie denn hin?!« – schrie Hechelberg.

»Weiß ich's?!« – klang es voll Galgenhumor zurück.

Das Gelächter der Herren verklang im Wind, die Harke hatte das englische Vollblut überflügelt.

Da war ein Unerhörtes geschehen, etwas in den Memoiren des Regiments noch nie Dagewesenes.

Die Frau Rittmeister hatte auf einem Schwadronsgaul die Kaiser Franz-Ulanen geschlagen, die Frau Rittmeister zog triumphierend als Siegerin in den Kasernenhof ein auf der wackern »Harke«, welche einen gigantischen Blumenkranz um den mageren Hals trug und ihr Hammelprofil zum erstenmal mit etwas geistreicher Arroganz in die Luft streckte.

Bei dem gemeinsamen Diner jedoch hat Frau von Hofstraten mit Graf Hechelberg Schmollis getrunken. – Also zu lesen in den Annalen des Regiments.



 << zurück weiter >>