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XX.

Janek Proczna stand im Mittelsalon seiner Hotelwohnung unter der Gaskrone, welche, voll entzündet, ihre Lichtstrahlen in tausendfachem Reflex auf den blanken Metallschilden brach oder kleine, zuckende Funken über die Beschläge und Edelsteinagraffen der verschiedenen Dolche, Pistolen, türkischen Säbel und Schwerter warf.

Sein Blick richtete sich auf die Pendule; es waren noch sechs Minuten bis zu der Ankunft des Prinzen, dessen militärische Pünktlichkeit stadt- und landbekannt war. Proczna kannte keine Nervosität, dennoch durchmaß er mit unruhigen Schritten das Zimmer, hier und da stehen bleibend, um ein besonders kostbares oder originelles Stück seiner Waffensammlung von der Tafel zu nehmen und es nachdenklich anzuschauen. Es war, als memoriere er die Geschichten, welche sich, voll historischer oder interessant privater Bedeutung, an jede einzelne dieser Waffen knüpften. –

Sehr viele waren es nicht, für einen Kenner hätte die Besichtigung wohl längere Zeit in Anspruch nehmen können, für einen Liebhaber war das Terrain bald umschritten, und was dann, wenn der Prinz, noch einmal zum SchIosse zurück fuhr, seiner Gemahlin die kleine Hand zur »Gute Nacht« zu küssen?

Jähe Röte stieg in Janeks Stirn, seine Rechte knitterte krampfhaft das duftige Billet, welches ihm eben von Frau Leonie zugeschickt war.

»Ich glaube kaum, daß die Idee, den Prinzen durch eine Besichtigung Ihrer Waffen aufzuhalten, etwas nützen kann, solches Ansinnen ist einem Manne, welcher anstatt eines Herzens eine Uhr in der Brust trägt, doch zu naiv, ich habe herzlich über Sie gelacht, mon petitroi de Sabe‹! Immerhin versuchen Sie es; ich werde auf alle Fälle bei der Kany sein und meinen Plan im Anschlag bereit halten, falls Ihnen der Durchlauchtigste zu früh aus den Fingern schlüpft.«

Der Erbherr von Proczna biß schweratmend die Zähne zusammen und schleuderte das Briefchen in die Kaminglut; – drunten rollte ein Wagen vor – auf dem Korridor wurden die Schritte der Dienerschaft laut.

Janek warf das Haupt in den Nacken, er war zum Äußersten entschlossen. Mit festem Schritt trat er in das Vorzimmer, Seiner Königlichen Hoheit entgegenzugehen.

August Ferdinand war außergewöhnlich heiter und gut gelaunt.

»Lassen Sie mich erst ein Weilchen Ihre Gesellschaft genießen, Verehrtester, ehe Sie mir den Anblick Ihrer Sammlung gestatten! Mir geht es wie dem Einsiedler auf Marks-Riff, der die Wandervögel in ihrem Fluge aufhielt, damit sie ihm erzählen sollten, wie es draußen in der weiten Welt aussieht!«

»Wenn Marks-Riff hier droben auf nordischem Festland liegt, Königliche Hoheit, bin ich überzeugt, daß die Schwalben ihr Nest unter dem Dache des Einsiedlers gebaut haben!«

Der Prinz ließ sich lächelnd in einem Fauteuil nieder.

»Für kurze Zeit vielleicht, sowie der Sturm daran rüttelt, fliegen sie auf und davon! Wer wie Sie die Lieder der Sehnsucht singt, Proczna, den zieht's zur südlichen Heimat zurück – ob früher oder später; es hat noch niemals ein Lorbeer in unserm Boden Wurzel geschlagen, den eine heißere Sonne aus dem Keim gelockt!«

»Ich bin Pole, Königliche Hoheit.«

»Ihrer Nationalität – das heißt dem Geburtsschein nach, welcher in politischer Sprache ausgestellt ist. Ihr äußerer Mensch ist nur eine Enveloppe für die Künstlerseele, und diese hat in Italien und Paris ihre Schwingen entfaltet, wo Ihnen Apollo den Weihekuß auf die Stirn gehaucht. Ich dächte aber, solch eine geistige Wiedergeburt müsse alle nationalen Bande des Blutes lösen und Sie auch als Menschen an dasjenige Stückchen Erde ketten, welches Sie für eine ganze Welt und für Ihre eigene höchste Bestimmung geboren hat!«

Proczna lächelte fast wehmütig.

»Einer Sage gleich lebt die Ansicht unter den Leuten, polnisch Blut verleugne sich nie. – Wie geheimnisvolle Kräfte die Magnetnadel, ihr selber unbewußt, nach Norden ziehen, mag sie hinausgeschleudert werden in die fernsten Lande und Meere, so bindet eine rätselhafte Gewalt die Herzen der Polen an ihr Vaterland, sie umstrickt mit tausend Zauberfäden den flüchtigen Fuß, sie lockt und zieht zurück wie der Pulsschlag, welcher den Sohn an die Brust des Vaters treibt! – Man sagt's – wer kann's beweisen! – Ich habe erst als erwachsener, deutsch erzogener Mann die polnische Sprache erlernt und dennoch ist sie mir leicht und mühelos von den Lippen geflossen, und hat sich mir ins Ohr geschmeichelt, wie eine Muttersprache!«

»Weil Sie wußten, daß Sie polnischer Abkunft sind! – Die Phantasie ist eine gewaltige Betrügerin und leiht uns unendlich viele Mittel, eine Einbildung zu unterstützen!«

»Sehr wohl, Königliche Hoheit, aber dennoch mit einem gewissen Eigensinn. Wie gern hätte ich mir oft eingebildet, recht glücklich zu sein, und wie gern hätte mich meine Phantasie dabei unterstützt! Künstlerisch und phantastisch geht fast immer Hand in Hand, nur bei mir nicht. Im Vollgenuß meiner Erfolge habe ich die Augen geschlossen, und unter dem Lorbeer und zwischen der Rosenglut des Südens von wirbelnden Schneeflocken, Nordlandsstürmen und einsam ragenden Tannen geträumt, mein Herz hing voll nagender Sehnsucht an der ernsten, nordisch kühlen Heimat!«

August Ferdinand hob lächelnd das Haupt.

»Und davon profitieren wir jetzt! Möchte sich doch die liebenswürdige Sage von dem polnischen Blut bestätigen und die deutsche Erziehung sich nicht ganz verleugnen, dann würden wir den Vorteil daraus ziehen und Janek Proczna dauernd auf der Grenze zwischen Deutschland und Polen hier in unserer Mitte behalten!«

Das Gespräch spielte sich auf andere Themata über; der Prinz zog Leutnant Gower mit in die Unterhaltung und erhob sich erst nach geraumer Zeit, die Waffen zu besichtigen.

Janeks Blick streifte die Pendule – über eine halbe Stunde war der Zeiger vorgerückt. Nun galt es für ihn, Kapital aus den Studien zu schlagen, welche er in Paris gemacht, erzählen, ohne zu ermüden – fesseln, ohne ein Seil zu drehen! – Die Märchen der Königin von Navarra!! –

August Ferdinand trat an die Tafel und überflog das ganze Arrangement mit einem prüfenden Blick.

»Ich liebe es, wenn ein edler Kern auch eine geschmackvolle Schale hat, und esse ein Gericht mit doppeltem Appetit, wenn es mit einigem Raffinement serviert wird! – Diese kleine Ausstellung beweist durch die kostbare Fassung am besten, welch edle Perlen sie birgt!«

Er nahm eine Pistole empor und besichtigte ihre eigenartige Gravierung.

»Sie haben keine Zettel oder Schilder angehängt, verehrtester Graf, wollen Sie meiner Wißbegierde ein Cicerone sein?!«

»Wenn Königliche Hoheit gestatten, sogar ein recht ausführlicher, denn das hauptsächlichste Interesse nimmt zum größten Teil nicht die Waffe selbst, sondern die Geschichte in Anspruch, welche sich daran knüpft!«

»Scharmant! Beginnen wir sofort bei diesem originellen ›Geschütz!‹ – Eine mir völlig fremde Konstruktion …« Der Prinz versuchte den Hahn zu spannen – »Haben Sie versucht, damit zu schießen?«

»Versucht wohl, Hoheit, aber … ich muß bekennen, daß ich ein sehr schlechter Schütze bin; außer meinen beiden Steckenpferden ›Singen und Reiten‹ habe ich kein Talent und keine Passion. Diese Pistole ist ein Geschenk des Herzogs von Valence, der Austrag einer Wette Gouttes d'or betreffend …«

»Ah, ich hörte bereits; Sie kennen den Herzog persönlich und haben durch besagte Gouttes dem braven Hechelberg drei schlaflose Nächte bereitet – «

»Der Graf behauptet jetzt noch steif und fest, meine Verpackung wäre vielleicht echt, aber die Gouttes selber seien nichts anderes wie Firnewein mit merveilleuser Blume …«

»Firnewein?« – August Ferdinand blickte lebhaft auf, »da würde er zu überführen sein! Ich trinke seit Jahren die Auslese des R...Klosters, dessen Abt mir persönlich bekannt ist, es steht Ihnen mein Weinkeller zur Verfügung, lassen Sie es aus einen Vergleich ankommen!«

»Die Streitfrage wäre wohl am sichersten entschieden, wenn Königliche Hoheit die Gnade hätten, die Gouttes d'or einer Prüfung zu unterziehen!«

Procznas Auge leuchtete auf, hastig trat er zu dem Schellenzug.

»Ich würde stolz und glücklich sein, einen Becher, welcher auf der Tafel eines der größten Kaiser gestanden, einem deutschen Prinzen und Feldherrn präsentieren zu dürfen!«

August Ferdinand nickte ihm in seiner einfachen und schlichten Liebenswürdigkeit zu.

»Gewiß, mein lieber Graf, es wird mich sehr interessieren, Ihre vielbesprochene Marke kennen zu lernen! Um so mehr, wenn ich sie in einem Pokal gereicht bekomme, zu welchem mir mein freundlicher Wirt eine historische Erinnerung erzählen kann!«

Proczna verneigte sich dankend, trat unter die Portiere und flüsterte dem Kammerdiener einen kurzen Befehl zu, dann kehrte er an die Seite des Prinzen zurück und begann in amüsantester und anregendster Weise den Cicerone zu spielen.

Eine außerordentlich lebhafte und heitere Unterhaltung entspann sich, die Herren probten die einzelnen Waffen, stellten Ansicht gegen Ansicht und wickelten den Faden des Themas oft kreuz und quer durch ein Labyrinth alter und neuer, strategischer und civiler Verhältnisse.

Die Gouttes d'or funkelten in den geschliffenen Kelchen, bläuliche Rauchwölkchen kräuselten von den Cigaretten empor, und Janek Procznas vornehme, ungezwungene und dabei doch respektvoll gemessene Art und Weise bewies am besten, wieviel hohen Besuch er schon in seinem Hause empfangen.

August Ferdinand war außerordentlich animiert und vollkommen im Bann seiner Passion; er war leidenschaftlicher Jäger und renommierter Pistolenschütz, sein Auge leuchtete auf bei dem Anblick alter Waffenschmiedekunst.

Im Erwägen, ob nur schön oder auch jetzt noch brauchbar, ersuchte ihn Proczna, einen Versuch anzustellen. Man ließ Munition kommen, lud die Pistole und stellte durch zwei Zimmer hindurch ein Ziel auf; das alles beanspruchte Zeit, zwischendurch aber rankten sich die humorvollen Kommentare, welche der Pflegesohn des Grafen Dynar zum »Ausfüllen der Pausen« erzählte.

Sein Blick huschte unbemerkt zu dem goldenen Zifferblatt, tief aufatmend hob sich seine Brust. Noch eine Viertelstunde, und alles ist gewonnen! August Ferdinand, der peinlich Pünktliche, hat alsdann die Stunde der Einladung versäumt und wird ohne Verzug zum Kasino fahren! Aber womit ihn noch halten? Die Sammlung ist besichtigt, und August Ferdinand blickt, wie fragend, auf Gower.

»Ihre ganze Wohnung scheint ja aus Raritäten zusammengesetzt zu sein, Verehrtester!« lachte er, auf ein kleines, altertümliches Heft blickend, welches Proczna zufällig von dem Klavier gestoßen hatte, und nun mit auffallender Behutsamkeit wieder aufnahm.

»Dieses vergilbte Papier dürfte wenigstens das wertvollste Stück sein, welches diese vier Wände bergen« – nahm Proczna die Frage mit gewisser Hast auf. »Eine Handschrift Chopins.«

»Ah, thatsächlich? Bitte, lassen Sie sehen – « der Prinz streckte die Hand nach den Blättern aus, wandte aber gleichzeitig den Kopf aufhorchend nach dem Fenster.

»Es regnet?!«

Gower eilte an die Scheibe.

»Ja der That, Königliche Hoheit, das Tauwetter macht sich in jeder Façon bemerklich!«

»Recht fatal … ich hatte den Wagen zurückgeschickt, um die kleine Strecke nach dem Schloß als Promenade zu betrachten, es war köstlich milde Lust! Apropos, bester Gower, es ist wohl Zeit, an den Aufbruch zu denken« – August Ferdinands Blick schweifte über den nahen Schreibtisch, eine Uhr auf demselben zu entdecken – »ich habe nämlich meine Anwesenheit bei einem Fest zugesagt, welches die Artilleristen in ihrem Kasino veranstalten.«

»Ah, die Enthüllung des Barbarabildes! Dazu kann man gratulieren, denn es ist thatsächlich eine ebenso amüsante, wie originelle und dabei doch künstlerisch wertvolle Gabe, welche der ›jüngste Leutnant‹ seinem Regiment damit spendet.«

»Sie kennen das Bild, Graf? Sie haben es gesehen?«

»Ganz recht, Königliche Hoheit. Einer der Herren war so liebenswürdig mir den Genuß zu gewähren.«

»Eine Karikatur?!«

»Nicht im groben Sinne, obwohl dem Gemälde ein feiner und graziöser Humor nicht abzusprechen ist …«

»Bitte, beschreiben Sie – «

»Die heilige Barbara selber ist als Schutzpatronin der Artillerie in einer würdigen und geradezu idealen Weise genau in der Art wie die Sixtinische Madonna aufgefaßt. Anstatt des Kindes hält sie eine kleine Kanone in dem einen Arm, während sie mit dem anderen eine krepierende Granate darbietet. Die kleinen Engel zu ihren Füßen sind ebenfalls genau in der Art des klassischen Vorbildes gruppiert, allerdings mit der Abweichung, daß dieselben kleine Leutnants markieren, mit Epaulettes auf den nackten Schultern, Helm, Schnurrbärtchen und Cigarette, eine unglaublich drastische und humorvolle Zeichnung!«

Der Prinz lachte laut auf.

»Vortrefflich! Muß in der That einen originellen Eindruck machen – ich werde mir das Bild auf alle Fälle ansehen! Haben Sie herzlichen Dank für diese interessante Stunde, mein verehrtester Proczna Dynar oder Proczna – ich weiß nie recht, wie man Sie nun eigentlich nennen soll! – «

August Ferdinand reichte ihm die Hand entgegen, und Gower griff nach dem Degen seines hohen Gebieters, Janek aber riß an dem Schellenzug.

»Königliche Hoheit werden doch hoffentlich meinen Rappen die Ehre angedeihen lassen, den Weg bis zum Schlosse zu messen, es regnet sehr stark, und ich würde mir ewig Vorwürfe machen, wenn sich die Indisposition meines gnädigsten Herrn verschlimmern würde, außerdem dürfte eine Promenade zu lange aufhalten.«

»Zu lange aufhalten? Um alles in der Welt, Gower, wieviel Uhr hat das eben geschlagen?«

»Dreiviertel Acht, Königliche Hoheit, zu Befehl.«

Proczna gab dem Kammerdiener einen Wink, August Ferdinand aber lachte laut auf und legte die Hand auf die Schulter des jungen Sängers.

»Was zum Teufel haben Sie mit mir angestellt, Proczna, daß die Stunden zu Minuten geworden sind! Soll ich mich um Ihrer kostbaren Waffen willen zum erstenmal im Leben verspäten?! Es sieht mir stark danach aus, denn in einer Viertelstunde kann ich unmöglich in der Kaserne sein – «

»Befehlen Königliche Hoheit, nicht von hier aus direkt zu fahren?«

Der Prinz sah einen Moment unschlüssig vor sich nieder.

»Ich beabsichtige noch einen Orden anzulegen, und meine Handschuhe!«

Er nahm die Genannten aus Gowers Händen entgegen und sah prüfend darauf nieder, der Adjutant jedoch wechselte einen schnellen Blick mit Proczna.

»Halten zu Gnaden, Königliche Hoheit, ich hatte diesen Fall, in anbetracht der reichen und interessanten Sammlung, welche unserer hier harrte, vorgesehen und die betreffenden Toilettenstücke für ein halb acht Uhr hierher bestellt!«

»Excellent! – Das war ein vortrefflicher Gedanke, lieber Gower! Wollen Sie die Güte haben, sich zu überzeugen, ob man Ihren Befehl pünktlich ausgeführt hat? Dann bliebe mir vielleicht doch noch Zeit, beim Schlosse vorzufahren, um mich nach dem Befinden meiner Frau zu erkundigen.

Ah voilà, Gower! nebst allem, was ich brauche! Scharmant … Danke tausendmal, Verehrtester. Und Ihre Geschichte, Proczna – läßt sie sich noch erzählen, bis Ihre Liebenswürdigkeit die Pferde vor die Thür stellt? Die Geschichte jener Handschrift meine ich?!«

Proczna, welcher das Notenheft noch immer in den Händen zusammenrollte, verneigte sich und offerierte dem Prinzen die vergilbten, eng beschriebenen Blätter.

»Es knüpft sich eine Erinnerung an dieses unscheinbare Papier, welche meiner Ansicht nach für jedermann interessant sein muß – es ist eine nie veröffentlichte Komposition Chopins, die einzige, welche einen heiteren, beinahe übermütigen Charakter trägt. Die Worte sind an eine der ersten Sängerinnen der Großen Oper in Paris gerichtet, welche die Hauptrolle einer Meyerbeerschen Oper zum erstenmal in der Weltstadt fang.«

»Ah – ein lustiges Lied Chopins? Wie kamen Sie zu dieser Rarität?!«

»Auf sehr originelle Weise, man hatte in den Tuilerien eine Ausstellung historischer oder künstlerischer Wertgegenstände zum Besten eines Waisenhauses veranstaltet. Wer im Besitz eines antiken oder interessanten Stückes war, gab dasselbe leihweise an das Komitee, und dieses stellte daraus die bunteste und verschiedenartigste Kollektion zusammen.

Ich durchschritt am Arm eines Freundes die verschiedenen Säle, welche in früher Morgenstunde weniger zahlreich besucht waren. In einem kleinen Glaskasten entdeckten wir dieses Notenheft mit der angehefteten Bemerkung, daß es von dem Besitzer, Herrn Giacomo Meyerbeer, gütigst übersandt sei. Ich las voll regsten Eifers die Worte und summte die Melodie nach den ziemlich undeutlichen Noten vor mich hin.

›Das wäre so etwas für Sie, mon ami!‹ rief mein Freund voll Begeisterung, ›wenn Sie mit diesem Heft vor das Publikum treten und ein Couplet von Chopin derartig singen würden … Denken Sie sich diesen Effekt!‹ – ›Ein Couplet von Chopin derartig singen, daß sich der Meister nicht im Grabe herumdreht, derartig singen, daß doch die Thränen des großen Komponisten durch all die Scherze klingen, das ist unendlich schwer, meine Herren!‹ erklang plötzlich eine Stimme hinter uns. Ein fremder Herr war an uns herangetreten. ›Und wenn sich jemand fände, welcher dieses Kunststück dennoch fertig brächte?‹ erwiderte mein Freund beinahe gereizt. ›Dann wäre es einzig – Janek Proczna!‹ – ›Und wenn Janek Proczna vor Ihnen stände?‹ Der Fremde sah mich einen Moment mit durchdringendem Blick an. ›In der That? Sind Sie Proczna?‹

Ich lächelte. ›Nichts weiter als er, und Sie?‹ … ein Gedanke blitzte mir plötzlich durch den Kopf, ich wußte, warum mir der alte Mann so bekannt vorgekommen war, ›Sie sind der Besitzer dieses kostbaren Heftes!‹ Ein wunderliches Zucken ging über die runzligen Züge, fast sahen sie freundlich aus, er reichte mir die Hand.

›Ich war der Besitzer‹, entgegnete er, nahm einen Bleistift aus der Tasche und strich den Namen Meyerbeer auf dem Papierzettel des Glaskastens aus, um mit zitternder Hand Janek Proczna darauf zu kritzeln. Seit jenem Tage war ich oft im Hause des alten Meyerbeer, und als ich ihm das Couplet vorsang, da drückte er mir die Hand und bat mit feuchtem Auge:

›Nur vor warmen, verständnisvollen Herzen singen, Proczna, nicht vor einem Publikum … Dies Lied ist der Schmetterling auf dem Kranze weißer Blumen, welche Chopin im Wappen trägt!‹«

August Ferdinand reichte dem Sprecher beide Hände.

»Ich habe ein warmes Herz, Proczna, und ein aufrichtiges Interesse an diesem Lied, betrachten Sie mich nicht als Publikum!«

Drunten rollte die Equipage vor.

Janek stellte die Noten auf das Klavier.

»Wenn Königliche Hoheit gestatten, werde ich beweisen, daß ich nur im Sinne Meyerbeers handle.«

Es lag viel Verbindliches und viel aufrichtige Verehrung in Geste und Stimme des Grafen, er setzte sich nieder und sang.

Wie ein lautes Aufjubeln klang es von seinen Lippen, acht helle Glockenschläge hallten von der Pendule dazwischen. » Gewonnen, Frau Präsidentin!« Dann ein hastiger, herzlicher Abschied

»Direkt nach dem Kasino«, befahl August Ferdinand, »es ist zu spät geworden, um noch Abstecher zu machen!«

Die Räder und Hufschläge verklangen in der stillen, vom Regen überfluteten Straße, Janek Proczna aber preßte einen Augenblick die Hände gegen die Schläfen.

»Dieser Nachmittag hat dich zu meiner Schuldnerin gemacht, Anna Regina!« atmete er auf, »das waren die längsten Stunden, welche ich jemals nach Sekunden gemessen habe!«

Der Kammerdiener trat ein und fragte, wann das Souper bereit gehalten werden solle.

Proczna überlegte einen Augenblick.

»Bringen Sie mir Mantel und Hut, ich trinke den Thee in Villa Florian.«



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