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XIX.

Nach dem Rennen hatten sich die Herren abermals um die Equipagen versammelt, um sich »per Achse« nach Hause befördern zu lassen. Donat hatte schleunigst von dem Platz an Bickys Seite Besitz ergriffen.

Frau von Hofstraten bestieg den Wagen Procznas, ihr Mann und Hechelberg folgten. Excellenz Gärtner hatte nur einen einzigen Platz in ihrem Kabriolett zu vergeben, sie winkte Janek an ihre Seite.

»Flandern wird anstatt Ihrer dem Ehepaar Hofstraten die Honneurs machen – ich möchte noch ein wenig mit Ihnen plaudern.«

Proczna rief seinem Jockey einen kurzen Befehl zu und sprang in die Equipage. Xenia sah, wie die Pferde ausgriffen, wie ein leichter Luftzug die langwallenden Federn des Amazonenhuts Ihrer Excellenz aufwogen ließ, dann entzog eine kurze Biegung der Chaussee das Gefährt ihren Blicken.

»Sie denn gar nicht neugierig, Procznas?«

»Ich brenne!«

»Soll ich grausam sein und die neueste und interessanteste Nachricht als Zauberfädchen benutzen, um Sie daran auf den so schnöde ignorierten Klavierstuhl in meinem Boudoir zu ziehen?«

»Was will ein Seidenfädchen gegen das Ankertau männlicher Halsstarrigkeit ausrichten! Sie kennen ja das Mittel, das zauberkräftige, welches mich jeden Augenblick auf den verlassenen Posten zurückruft. Warum geizen Sie so gewaltig mit Ihrem Briefpapier?!«

»Weil ich sehen will, ob Janek Proczna wirklich so verwöhnt und eigensinnig ist, wie die böse Welt behauptet!«

»Solcher Wissensdrang läßt mich an Ihrem guten Herzen zweifeln. Man muß die Feste feiern, wie sie fallen, und die Menschen nehmen, wie sie sind – sowie man eine scharfe Brille aufsetzt, verdirbt man sich selber die Augen und andern den Spaß an der Maskerade des Lebens.«

Leonie lehnte das schöne Haupt noch weiter zurück und heftete den Blick voll auf das Antlitz des Sprechers.

»Es ist eine Eigentümlichkeit Ihrer Scherze, Graf, daß dieselben meist recht ernsthafter Natur sind. Aber Sie haben recht, die Welt ist eine große Maskerade, und wer die Narrenkappe am tiefsten über die Ohren zieht, sich sowohl wie anderen, der kann eines ungeheuren Spaßes gewiß sein!«

Ein eigentümlicher Ausdruck lag auf dem geistvollen Antlitz des jungen Mannes.

»Nicht immer, Excellenz, Keckheit und Übermut thun es nicht allein; es dringt auch unter die schwache und harmlose Lämmerherde hie und da ein Wolf, welcher dem Leithammel das trügerische Mäntelchen zerfetzt.«

»Und wenn dieses ›tonangebende‹ Wesen sich klug und schlau zwei wachsame Freunde an die Seite stellt, deren Zähne scharf genug sind, es eventuell mit einem Wolfe aufzunehmen?«

Janek lächelte fein.

»Was nennen Sie einen Freund, Excellenz? Die Welt ist so freigebig mit diesem Titel! Und die Menschen sind oft so blind; sie denken, wenn der Krieg nicht offiziell erklärt ist, so sei tiefster Friede.«

Leonie lächelte fast mitleidig.

»Bester Proczna! Es gehört viel Naivetät und blitzwenig Menschenkenntnis dazu, Schein für Wahrheit und Talmi für Gold zu nehmen!«

»Selbst in die schärfsten Augen kann einmal Staub wehen, und Galanterie und Schmeichelei sind oft so ›fein gerieben‹, daß sie gefährlicher durch die Luft wirbeln, wie ein Ascheregen!«

Leonie richtete sich empor und sah dem Sprecher lachend in das Gesicht.

»Genug der Metapher, Sie mißtrauischer Mensch! Denken Sie, ich wüßte nicht, wohin Ihre Pfeilspitzen zielen? Armer Flandern! Er hat so oft das Unglück, für falsch gehalten zu werden, man läßt sich so leicht von seinem spitzen Schnurrbart und dem kurzen Fuß terrorisieren, die Leute hängen nun einmal an dem Ammenmärchen des › diable boiteux‹ und fragen nicht lange um den Kommentar zu einem solch hinkenden Drama! – Unbesorgt, mon ami, auf den guten Flandern kann ich schwören! Wäre er mir nicht aus Anhänglichkeit oder Überzeugung treu, so geschähe es aus Egoismus, denn er kann mich noch weniger entbehren, wie ich ihn. – Er benutzt mich als Mauerbrecher, das aus dem Weg zu räumen, was lästig ist, und ich habe einen ›Hans in allen Ecken‹ nötig, der mir das Taschentuch aufhebt, wenn es hingefallen ist! Das wäre die herbste und sarkastischste Deutung unserer Freundschaft. – Daß er mich jedoch wahrhaftig verehrt und als Frau – «

» Schöne Frau!«

» Eh bien, schöne Frau vergöttert, das ist eine Überzeugung, welche ich Ihnen nicht einimpfen kann!«

»An dem vollen Bewußtsein, daß Sie eine mehr wie schöne Frau sind, kranke ich bereits schon seit längerer Zeit! …«

»Spötter! Ist es wohl möglich, Sie fünf Minuten lang bei der Sache zu halten! Dort tauchen schon die ersten Häuser auf, und ich habe noch kein Wort gesprochen von dem, was mir auf der Seele brennt!«

»Ich halte den Atem an!«

»Kurz heraus, Proczna,« Sie müssen mir helfen! – Die Angelegenheit ist folgende.« –

Leonie hob mit kurzer, entschlossener Bewegung das Köpfchen.

»Die Artilleristen feiern heut abend ihr Barbarafest und verknüpfen damit die Einweihung eines Bildes, welches irgend ein Genie von der Knalldroschke verbrochen hat. – Nun sagt mir Flandern, daß August Ferdinand in einer Anwandlung von Menschenfreundlichkeit und Schwäche seine Anwesenheit in Aussicht gestellt habe, falls er sich, bei seiner jetzigen Indisposition, wohl genug fühlen werde. Ich nehme an, diese Indisposition, von welcher kein Mensch etwas weiß, ist bereits ein Retourbillet, aber, mon dieu, wer steht für die Einflüsterungen eines Gower! Der Mensch brennt natürlich darauf, seinesgleichen zu montieren, und triumphiert über die Auszeichnung, welche den Kanonenleutnants widerfährt. Bis jetzt hat August Ferdinand in freundschaftlicher Weise nur an den Liebesmahlen der Ulanen teilgenommen, zum namenlosen Ärger und Neid der Fußregimenter, und nun mit einem Mal ein Herz und eine Seele mit der heiligen Barbara! – Das ist die erste Heldenthat des neuen Adjutanten, welcher das Ohr Seiner Königlichen Hoheit mit den Stichworten: ›Kameradschaft‹ und ›Waffengleichheit‹ belagert. – Er soll sich aber verrechnet haben, der wackere Gower! – Ich hasse den Kommandeur des Artillerieregiments und will es ihm beweisen, daß ein harter Kopf, welcher zu arrogant ist, sich den freundschaftlichen Winken einer Frauenhand zu beugen, sich schließlich den Schädel an der kleinen Fingerspitze derselben einrennt!« –

Ein unaussprechlicher Triumph funkelte aus den Augen Ihrer Excellenz, sie neigte sich noch dichter zu dem Ohr Procznas und kicherte:

»Die schiefe Stellung der beiden Fußregimenter ist mein Werk, Proczna – man wagte es, Front gegen mich zu machen, und dafür rächte ich mich.« –

Leonie schwieg einen Augenblick und sah Proczna mit einem scharfen Blick in das nachdenklich gesenkte Antlitz. –

»Was überlegen Sie, Graf?«

»Ich suche nach einem Mittel, den Besuch des Prinzen in dem Artilleriekasino zu verhindern – Sie verlangen meine Hilfe, Excellenz, und rühmen dabei den Einfluß der Frau – ich glaube bei Gott, Sie behalten recht mit Ihrer Ansicht; wenn Sie den mindesten Rat wissen, mir fällt beim besten Willen nichts ein!«

»Ja, ich habe einen Plan, zwar etwas verzweifelter Natur – aber im Notfall anwendbar. – Anna Regina ist etwas erkältet, wie Sie wissen, und der Prinz sehr leicht besorgt. Es würde mir eine Kleinigkeit sein, die kleine Hoheit zu bestimmen, ein paar heftige Krankheitssymptome zu simulieren, um August Ferdinand dadurch von dem Souper zurückzuhalten!«

Janeks Lippen preßten sich momentan zusammen, jähe Röte flammte an den Schläfen empor, dann lächelte er etwas gewaltsam erstaunt und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Glauben Sie, daß die Prinzessin darauf eingeht ihren Gatten in solch raffinierter Weise zu dupieren? Ich spreche ihr jegliches Talent dazu ab!«

Leonie lächelte fast grausam.

»Ich werde es ihr schon einstudieren – seien Sie ohne Sorge! Mein Einfluß reicht glücklicherweise noch dazu aus.«

»Dank der unvorsichtigen Billets der kleinen Frau!«

Proczna lachte laut auf.

»Ich ziehe den Hut vor Ihnen, Excellenz, und fühle mich um einen Kopf gewachsen durch die Freundschaft, mit welcher mich die geistreichste Frau, der ich bis jetzt begegnete, auszeichnet!«

Eine düstere Wolke lag auf der Stirn der Präsidentin.

»Ein jeder Mensch hat sein Steckenpferd – das meine war seit jeher der Ehrgeiz. Die Liebe hat mich stiefmütterlich behandelt und mich an die Seite eines Mannes gestellt, welcher mir eine Qual und Last ist.«

»Heben Sie die strahlenden Schwingen und überfliegen Sie die Schranken – !«

Leonies Blick tauchte in den seinen, dann sanken die dunkeln Wimpern tief über die Augen.

»Wenn ich jenseits dieser Gefängnismauern ein Herz fände, dessen heiße Glut mich an die Liebe und ihr namenloses, berauschend süßes Glück glauben ließe …« – sie brach kurz ab und sah ihn schelmisch an, »die Allmächtige des Hofes schmückt die Brust ihrer getreuen Lieblinge mit Band und Stern; Ihr Knopfloch sieht immer so öde aus, Sie Ordenverächter, ich aber will dafür sorgen, daß es meine Farben trägt!«

Janek zog die kleine Hand an die Lippen.

»Nach Kreuz und Stern verlangt's mich nicht, meine reizende Herrin, ich weiß eine bessere Dekoration, nach welcher all mein Sinnen und Trachten strebt, ein rosa Streifen Papier, auf welchem ich es mit eigenen Augen lesen kann, daß ich der glücklichste Mann auf der Welt bin!«

Leonie entwand ihm ihre Hand.

»Die Leute stehen an den Fenstern und beobachten uns, wollen Sie die Klatschbasen mit einem interessanten Stoff versorgen? – Lassen Sie uns zu einem Schlusse kommen! Überlegen Sie sich die Angelegenheit mit dem Barbarafest noch einmal, kommt Ihnen ein rettender Gedanke, so lassen Sie mir noch vor sechs Uhr Nachricht zukommen; andernfalls bleibt es bei meinem Plan; ich fahre jetzt direkt zu der Kany und bespreche mich mit ihr.«

»Sie wissen, Excellenz, daß ich Pech mit meinen pfiffigen Ideen habe, denken Sie an den Vortrag der Frau Gower! – Aber trotzdem werde ich mir den Kopf zerbrechen und Ihnen all mein bißchen Raffinement zur Verfügung stellen!«

»Der gute Wille ist schon eine That! Au revoir, mon ami – vielleicht kaufe ich rosa Papier!« –

Der Wagen hielt vor dem Hotel, dessen erste Etage Janek Proczna bewohnte. – Der Diener sprang von dem Bock und stellte sich mit gezogenem Hut neben dem offenen Schlag auf; Proczna verabschiedete sich mit verbindlichstem Danke und grüßte der schönen Frau in seiner chevaleresken Weise nach, bis die Rosse in ihr beschleunigtes Tempo verfielen, dann schritt er, an den devoten Kellnern vorüber, die Treppe empor und trat in sein Rauchzimmer.

Sein Antlitz war verändert. Ein Gemisch von Schmerz und Grimm senkte scharfe Linien hinein, sein tiefer Atemzug glich einem Aufstöhnen. Er warf sich in einen Sessel und stützte das Haupt schwer in die Hand, seine Lippen preßten sich zusammen, als erdulde er physische Qualen.

»O, Anna Regina, wäre es nicht um deinetwillen, schnitte mir nicht dein Elend in das Herz und empörte mich nicht die unwürdige Behandlung, welche du erdulden mußt, ich könnte es nicht durchführen, dieses erbärmliche Spiel, gegen welches sich jeder Nerv und jede Faser meines Herzens sträubt! Welch eine Waffe aber führt Männerhand gegen ein Weib! – List gegen List, Verrat gegen Verrat! –

Es ist ein edles und schönes Werk, für die Unschuldigen und Unterdrückten zu Feld zu ziehen, der Falschheit die Larve herabzureißen und ein gepeinigtes Reis von giftigen Parasiten zu befreien! Stände mir nur ein Gegner gegenüber, welchen ich in ehrlichem Kampf mit den Fäusten packen könnte! So ist's ein hinterlistig Einfangen, ein Krieg, dessen Waffen Leimruten und Fallen sind!«

Proczna legte die Hand über die Augen, es kämpfte und rang in seinem Innern und rüttelte an dem Männerstolz und ritterlichem Sinn, welcher sich dagegen aufbäumt, ein Weib zu demütigen.

»Ein Weib! Ist Excellenz Gärtner dieser liebreizenden Benennung würdig? Nein, sie tritt mit den verwerflichsten Gesinnungen, welche je ein Männerkopf gehegt, alles in den Staub, was als Frauenwürde auf den Schild gehoben! Ist es feige, wenn man die Wespe nicht mit derben Fäusten greift, sondern sie klüglich an den Flügeln erhascht? Man behandelt sie ihrer Art gemäß und überlistet sie!«

Janek beißt die Zähne zusammen:

»Ich verabscheue und verachte dieses Weib wie eine Schlange, und muß es dennoch dulden, daß sie sich an meinem Herzen emporringelt, um sie desto sicherer fassen zu können! – Für dich geschieht es, Anna Regina, für dich und dein unglückliches, gequältes Lächeln, für deine müden Augen, die von zahllosen durchweinten Nächten sprechen, für dein und deines Gatten Glück, welches frevlerische Hände in Stücke brechen wollen, um dem – Ehrgeiz ein sündlich Opfer zu bringen!«

Er schüttelte trotzig das volle Haar aus der Stirn, sprang auf und durchmaß ein paarmal mit hastigen Schritten das Zimmer, ein Zug eiserner Entschlossenheit lag auf seinem Antlitz.

»Kämpft Frau Leonie etwa mit ehrlichen Waffen? – Sie schnellt ihre giftigen Pfeile aus sicherem Versteck heraus, sie kennt kein Mitleid für die tyrannisierte Frau, welche sie zu ihrem Werkzeug macht, sie muß gewärtig sein, daß auch ihr mit dem Maße gemessen wird, mit welchem sie selber so willkürlich ihren Nächsten mißt!«

Die Stirn des jungen Mannes hat sich geglättet, freudige Zuversicht strahlt sein Auge, und um die Lippen zuckt es beinahe wie Humor, welcher philosophiert:

»Sich selber zu betrügen, ohne daß man es merkt, ist ebenso leicht, wie es schwer ist, andere zu betrügen, ohne daß sie es merken! Heilige Barbara, stehe mir bei, daß ich deinem Fest zu Ehre und Sieg verhelfe!«

 

Kurze Zeit darauf verließ Janek Proczna seine Wohnung und begab sich direkt nach dem Schloß; er hatte seinem Kammerdiener etliche Befehle hinterlassen, ebenso zwei Billets, welche sofort besorgt werden sollten. Das eine trug die Adresse der Excellenz Gärtner, das andere war an Herrn von Flandern gerichtet, und bat denselben, »Janek Proczna bei dem Offiziercorps zu entschuldigen, wenn er plötzlicher Hindernisse wegen heute nicht an dem gemeinsamen Diner teilnehmen könne.«

Tiefe Stille herrschte in dem kühlen Vestibül des Schlosses, welches jene feuchtschwere Luft, die alten Palästen eigen, gleich einem feierlich ernsten Atemzug durchwehte.

Der Portier war mit devotem Gruß zur Seite getreten, und aus der, etliche Stufen höher gelegenen, mit einem vergitterten Thürfenster versehenen Lakaienstube waren diensteifrig zwei Galonnierte herzugeeilt, nach den Befehlen des gnädigen Herrn zu fragen.

»Ist Herr Leutnant Gower noch zu sprechen?«

Die wohlfrisierten Häupter verneigten sich à tempo.

»Der Herr Flügeladjutant werden noch bei Seiner Königlichen Hoheit im Arbeitskabinett beschäftigt sein, aber in spätestens einer Viertelstunde nach Hause fahren, der Herr Leutnant dinieren heute nicht mit den Herrschaften. Wenn Herr Graf vielleicht wenige Augenblicke verweilen wollen?«

Proczna nickte hastig zustimmend.

»Ich habe Zeit und werde warten; melden Sie mich, sowie der Herr Leutnant zu sprechen ist, die Angelegenheit eilt.«

»Darf ich ersuchen, mir gütigst zu folgen?«

Wie ein Schatten glitt der Lakai die breite, durchbrochene Eisentreppe hinauf.

Ein mächtiger Korridor, eckig und weit wie ein Tanzsaal und geschmückt mit weit über lebensgroßen Gemälden verdienstvoller Bürgermeister und Magistratspersonen, dehnte sich in dem ersten Stockwerk aus, zwölf niedere, von der Zeit gebräunte Thüren, Meisterstücke altdeutscher Holzschnitzerei, führten in die anliegenden Säle und Empfangsräume für offizielle Feste, während ein etwas schmälerer Flur, dick mit Teppichen belegt, rechtsab durch die beträchtliche Länge des Frontflügels führte. Kreuz- und Quergänge zweigten sich von ihm ab, kleine Wendeltreppen verbanden die einzelnen Etagen. – Thür neben Thür. Hie und da waren Visitenkarten angeheftet. »Melanie, Gräfin Kany«, las Proczna im Vorüberschreiten, und zwei Thüren weiter: »Ida, Baronesse Zeutler.«

Er entsann sich, die junge Hofdame heute kennen gelernt zu haben, sie erzählte mit einem wahren Märtyrerlächeln, daß sie längere Zeit, heftiger Gliederschmerzen wegen, das Zimmer habe hüten müssen, es sei ihr so ungewohnt, dekolletierte Kleider zu tragen und dazu das viele Stehen in den meist sehr kühlen Räumen! … Arme kleine Ida, auch auf dem Parkett muß man Lehrgeld zahlen.

Hinter der nächsten Thür wurde eine weinende Kinderstimme von Gesang mit ausgeprägt englischen Gaumenlauten überschrien. » God save the queen!« – – Aha, der kleine Prinz, welcher mit Patriotismus eingeschläfert werden soll!

Proczna lachte leise vor sich hin. Wenn die Engländerin nichts ausrichtet, löst sie eine deutsche Kollegin mit: »Heil Dir im Siegerkranz« ab! – Französinnen sind bei diesen Dienstleistungen zur Disposition gestellt.

Er hätte den kleinen Stammhalter gern einmal gesehen, um zu schauen, ob er die schönen, leuchtend großen Augen der Mutter geerbt.

Der Lakai riß eine Thür auf:

»Darf ich gehorsamst bitten, näher zu treten, das Zimmer des Herrn Adjutanten.«

Der große Kachelofen strömte behagliche Wärme aus, feiner Cigarrenduft wehte dem Eintretenden entgegen. Die Vorhänge an dem Schreibtischfenster waren weit zurückgeschlagen und ließen helles Licht auf die Manuskripte fallen, welche noch genau so ausgebreitet lagen, wie der junge Offizier sie eilig verlassen hatte. Bücher, mit dem unscheinbaren Einband strategisch-wissenschaftlicher Werke, Landkarten, Croquis und trigonometrische Instrumente lagen auf dem Tisch inmitten des Zimmers, anscheinend eine aufgefrischte Rückerinnerung an die Generalstabsreise, welche Gower nach Beendigung seiner kriegsakademischen Studien gemacht.

Janek ließ sich in einem der altmodischen Damastsessel nieder und starrte gedankenvoll zu dem gepuderten Fräulein empor, welches sich, vis-à-vis an der Wand, noch immer bemühte, aus dem dunklen Rahmen heraus zu kokettieren.

Die Ölfarbe war teilweise von Gesicht und Hintergrund abgesprungen, die eine Seite des Rahmens sah schwarz und angekohlt aus, als habe das Bild eine Feuersbrunst durchgemacht. – Wenn der gemalte Mund erzählen könnte! –

Auf dem Korridor draußen erklangen ein paar scharfe Stimmen; zwei Zofen schienen sich zu zanken, dann wurde eine Thür zugeschlagen. – Tiefe Stille danach. – Eine Klingel schrillte und eine ungeduldige Mahnung schallte gleich hinter ihr her: Gräfin Kany. – Wieder vergingen Minuten, dann nahte ein eiliger Schritt, die Thür wurde hastig geöffnet und mit lautem, herzlichem Willkommen streckte Leutnant Gower seinem Gast beide Hände entgegen. – Kurzes Hin und Wider, Frage und Antwort, dann zog Proczna den Adjutanten neben sich auf das steiflehnige Sofa nieder und legte die Hand auf seine Schulter.

»Wollen Sie mir einen Gefallen thun, Verehrtester?«

»Verfügen Sie über mich – ich bin ganz der Ihre.«

»Der Prinz interessiert sich für meine Waffensammlung und ersuchte mich, ihm dieselbe zu zeigen, wenn die Kisten angekommen und geordnet wären; dies ist der Fall. Hoheit stellte es mir frei, die Stunde zu bestimmen, in welcher mir Höchstsein Besuch am gelegensten käme, und deswegen komme ich heute. Könnten Sie den Prinzen bestimmen, noch heute nachmittag, vielleicht um sechs oder sieben Uhr, bei mir vorzufahren?«

»Eine außergewöhnlich späte Stunde, Königliche Hoheit wird um acht Uhr zum Liebesmahl erwartet« –

»Ich weiß es. Sie sollen sich nicht verspäten und vielleicht direkt von mir aus zum Kasino fahren. Aber dies selbstverständlich unter uns gesagt.«

»Hoheit schwankt noch etwas, ob er thatsächlich das Fest besuchen soll, Sie wissen, daß er sich noch immer unwohl fühlt – ?«

»Lieber, verehrtester Freund, wenn Sie den Prinzen bestimmen könnten, heute meine Waffen zu besichtigen, wäre ich zu größtem Dank verpflichtet, verlangen Sie keinen Kommentar zu dieser Bitte, sondern glauben Sie es meinem ehrlichen Gesicht, daß sie mir dringend am M Herzen liegt!«

Gower drückte herzlich die dargebotene Hand.

»Ich gehe sofort und hole Ihnen Bescheid; was in meinen Kräften steht, geschieht, Ihren Wunsch zu erfüllen, das bedarf wohl keiner Versicherung. Au revoir, ich stehe so schnell wie möglich wieder zu Ihren Diensten.«

Die Thür schloß sich hinter der schlanken Gestalt des Adjutanten.

Leise tickte die kleine Standuhr auf dem Schreibtisch, und ein einzelner Sonnenstrahl flimmerte über das silberne Rauchservice, welches Gower mit stummer Einladung näher geschoben hatte; Proczna schritt auf und nieder in dem Zimmer, sein Schritt verhallte auf dem Teppich, gedankenvoll neigte sich sein Haupt zur Brust.

Nervöse Aufregung erfaßte ihn. Er mußte Anna Regina die Demütigung und Qual ersparen, ihren Gatten um eines intriganten Weibes willen zu düpieren, er konnte und durfte es nicht dulden, daß die beklagenswerte Frau zu einer Komödie gezwungen wurde.

Er war zum Äußersten entschlossen. Er wußte, was er in die Wagschale warf, wenn er sich schon jetzt demaskierte und das mühselige Werk, welches er durch jahrelange Vorbereitungen aufgebaut hatte, mit stolzen Händen bis in das Fundament hinein zusammenriß.

Was verpflichtete ihn, für Anna Regina sein eigenes Lebensglück in Trümmer zu brechen? – – Proczna richtete sich empor:

»Mein Gewissen und meine Ehrenhaftigkeit! – Habe ich nicht den Mut, alles einzusetzen für die Grundsätze, welche ich vertrete, so ziehe ich mein Thun und Handeln einer Excellenz Gärtner gegenüber selber in den Kot! Dann wäre ich nicht eines Weibes Streiter, dessen Mittel durch den Zweck geheiligt werden, sondern ein erbärmlicher Intrigant, der nur dann wagt, wenn er nichts verlieren kann … Janek Proczna aber tritt mit Leib und Seele für das Ziel ein, welchem er entgegenstrebt. – Komme es, wie es immer wolle, ich stehe für dich, Anna Regina! Ich schlage zu Boden, was dich überwuchern will, und wenn dieser Schlag selbst mein eigen Glück zersplittern sollte.«

Die Thür bewegte sich leise in den Angeln, Leutnant Gower trat mit lächelnder Hast über die Schwelle.

Procznas Blick hing an seinen Lippen.

»Königliche Hoheit ist um fünf Uhr bei Ihnen, Verehrtester – läßt seinen verbindlichsten Dank ausdrücken für Ihre liebenswürdige Bereitwilligkeit …«

Janek atmete tief auf.

»Glauben Sie, daß der Prinz vor dem Souper noch einmal hierher ins Schloß fährt? Es ist noch sehr früh, um fünf Uhr!«

Der Adjutant zuckte die Achseln, Proczna aber faßte in dringender Hast seine Hand und sah ihm bittend in das Auge.

»Man weiß nicht, wie lange wir plaudern werden, oft fliegt die Zeit schneller als man denkt, erinnern Sie sich an die Märchen der Königin von Navarra! – Eines aber versprechen Sie mir – hinterlassen Sie einen Befehl, den Helm, die Handschuhe und Orden des Prinzen in meine Wohnung zu senden, falls Hoheit nicht im ›Souperanzug‹ meine Waffen zu besichtigen gedenkt, vielleicht wird es nötig, daß Hochderselbe direkt von mir aus in das Kasino fährt!«

»Die Sphinx ist ein offenes Buch gegen Sie, Proczna!« lächelte Gower in seiner liebenswürdig heiteren Weise. »Ich kann Ihrem Wunsche zwar keinerlei Deutung geben, gelobe Ihnen aber bei all der aufrichtigen und herzlichen Verehrung, welche ich für Sie hege, Ihre Bitte als Befehl zu erachten.«

Als Janek Proczna die Schloßtreppe wieder herniederschritt, lag ein freudiges und zuversichtliches Lächeln auf seinem Antlitz; Leutnant Gower begleitete ihn, sehnsüchtig wie ein Bräutigam eilte er seiner trauten Häuslichkeit und seiner kleinen Frau entgegen.

Es war interessant, ihn sprechen zu hören, er entwickelte schlicht und ehrlich seine Ansichten, nichts lag ihm ferner, als die obligate, höfische Wichtigthuerei, welche die Leute glauben machen will, eine Fürstlichkeit sei einzig dazu da, dem Adjutanten die nötige Folie zu geben.

Proczna dachte sich unwillkürlich Herrn von Flandern an seine Seite, dachte an die allerliebsten Fächer, welche er zu malen, und die excellenten Feste, welche er zu arrangieren verstand – Gower war geschmacklos genug, mit ihm über ausländische Militärverhältnisse zu sprechen, welche höchstens für einen recht ehrgeizigen Streber Interesse haben konnten …

Als sich die Wege der plaudernden Herren trennten, schieden beide mit dem Gefühl, einem lieben und langjährigen Freund die Hand gedrückt zu haben.



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