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XVI.

Janek Proczna hatte nach dem Reiten, als er Frau von Drach voll ostensibelster Galanterie die Hand küßte, um die Erlaubnis gebeten, heute abend den Thee bei seiner verehrten und gnädigen Tante trinken zu dürfen. Selbstverständlich war es in liebenswürdigster Weise bewilligt worden, mit dem etwas kokett schmollenden Zusatz, daß es doch unter so guten Freunden der Anfrage gar nicht bedurft hätte; er sei ja Kind im Hause und jeder Zeit und Stunde herzlich willkommen! – Dabei hatte die Kammerherrin so familiär seinen Arm genommen und sich dann aus dem Wagen heraus so vertraulich von ihm verabschiedet, daß sie selber überzeugt war, Frau Leonie müsse schier sterben vor Neid.

Viel früher, als ihn Frau Clara erwartet hatte, erschien Janek in Villa Florian. – Die Salons waren noch nicht einmal erleuchtet, und Frau von Drach noch dringender Korrespondenzen halber an ihr Boudoir gefesselt – nur der Kammerherr war sofort zur Stelle.

Der gute Onkel war wirklich gar nicht neugierig, aber so manches wollte er doch schrecklich gern wissen, und darum zog er seinen »Goldjungen« voll nervösen Eifers neben sich auf einen Diwan und dokumentierte sich als Diplomat.

» Wer liebt wen?!«

Frau Leonie ist gar nicht gut accreditiert bei ihm. Der elegante, so ganz und gar mit Glacéhandschuhen und Lackstiefeln verwachsene Kammerherr läßt sich sogar zu Ausdrücken hinreißen, welche in ihrer kernigen Unumwundenheit jeden Unteroffizier entzückt haben würden. –

Er erzählt, daß die schöne Excellenz als Mädchen in den dürftigsten Verhältnissen gelebt und just im Begriff gestanden habe, eine Stelle als Gesellschafterin anzunehmen, als sie in Karlsbad, wohin sie eine kranke und reiche Freundin begleitet, die Bekanntschaft Gärtners gemacht habe. – Ganz Karlsbad wisse, wie verzweifelt sie sich um den alten Herrn bemüht, und mit wie viel Raffinement sie ihn umstrickt habe – – und jetzt? – Armer, alter Narr, der sich selber zum überflüssigsten Schatten im eigenen Hause gemacht.

Janek scheint sehr interessiert: er forscht auch über das eigentümliche Freundschaftsverhältnis, welches zwischen der Prinzessin und Excellenz Gärtner besteht.

Da ist Onkel Drach im rechten Fahrwasser.

»Das Weib ist eine Schlange! – eine Seelenfängerin!« alteriert er sich, »Gott mag wissen, durch welche Ränke sie Anna Regina so völlig unter den Daumen gezwungen hat! – Sie ist die Allmächtige bei Hofe, und durch diese unglaublich gesicherte Stellung zwiebelt sie die ganze Gesellschaft! – Glaube mir, Janek, wenn die Gärtner nicht wäre, sähe es gewaltig anders hier aus! Die Regimentsdamen sind fast durchweg recht liebenswürdige, harmlose Wesen, durch ihre schneidigen Männer vielleicht etwas mehr als nötig für Sport interessiert, und durch den abgeschlossenen Verkehr mit flotten, wenig prüden Kavalleristen in Manieren hineingedrängt, welche ein unbefangenes Publikum verblüffen müssen. Eine Frau, die im Pferdestall ebenso zu Hause ist wie im Salon, kann und wird niemals die Allüren einer Frau Stiftsoberin annehmen. – In der ganzen Stadt skandalisiert man über das Benehmen der Ulanen und der intimeren Hofgesellschaft; der Ton, welcher eingerissen ist, ärgert die Menschen, weil sie ihn nur in mißlautenden Bruchstücken zu hören bekommen. Hätten die Leute aus dem Bürgerkreise und die am meisten räsonnierenden Artilleristen und Infanteristen Gelegenheit, unsere Damen wirklich kennen zu lernen, sie würden ein vollständig anderes Urteil bekommen. Aber wie soll das kommen? – Excellenz Gärtner hat eine chinesische Mauer um das Häuflein ihrer Getreuen gebaut und jeden Verkehr abgeschnitten! Aus Rache, denn wie man sagt, hat es der Kommandeur des Infanterieregiments einmal gewagt, sie moralisch auf den Fuß zu treten, und zur Revanche brechen ihm ihre weißen Händchen das Genick. Jegliche Opposition der Ulanen gegen die Infanteristen geht von Frau Leonie aus. Durch ihren Einfluß auf die Prinzessin hat sie auch sämtliche andere Damen vollständig in der Hand, und durch die Frau kommandiert sie den Mann. – Ich versichere dir, Janek, das Weib ist ein Satan!«

Herr von Drach fuhr hitzig mit dem Taschentuch über die Stirn, er hatte sich in große Aufregung gesprochen, und doch sah man es ihm an, welche Wohlthat es für ihn war, einmal die Seele frei zu reden!

Proczna blickte, fast mechanisch vor sich hinnickend, auf das türkische Muster des Teppichs nieder, plötzlich hob er den Kopf.

»Ich bin dir aufrichtig dankbar für diese Mitteilungen, lieber Onkel, du ahnst gar nicht, von wie großem Interesse dieselben für mich waren. Eine Frage noch, Verehrtester – existiert – oder hat einmal in dieser Stadt ein männliches Wesen existiert,welches ›Carlos‹ hieß oder genannt wurde?«

Der Kammerherr starrte einen Augenblick geradeaus ins Leere. –

»Carlos? … Carlos …? – Nein, einen Carlos kenn ich nicht! – gibt's hier nicht, auch nicht mal im Spitznamen! Kenne sie ja sämtlich im Regiment – ›Raubritter – der verlorene Sohn … Paprika … – Schneid' – Beauty-patch …‹ – nein, einen Carlos gibt's nicht – verlaß dich drauf, ich wüßte es ganz genau! – Habe ja sonst nichts zu thun!« und Onkel Drach rückte eifrig näher und legte die Hand auf Janeks Schulter. »Warum willst du denn das wissen, mein Jungchen? Wer hat von einem Carlos gesprochen? Wo … wie … wann … liebt man ihn? – Ah – ich kombiniere … Andeutungen … Neckerei unter den Damen … ah, das werden wir sehr bald heraus haben! – Nach dem nächsten Diner bei Tarenberg anhorchen … die Frau erzählt ihm alles – und er ist ein Riesenklatschmaul … habe das längst weg – längst – «

Proczna war plötzlich sehr nachdenklich geworden, eine Falte grub sich zwischen seine Augenbrauen.

»Also ein fremdes Element …« murmelte er, » eh bien … Frau Leonie selber muß mich auf die Fährte bringen.«

Die Thür wurde ungestüm aufgestoßen, mit lautem Jubel flog Bicky den beiden Herren entgegen.

»Du bist hier, Janek?! – Schon eine Viertelstunde lang, und ich erfahre das nicht? O, es ist empörend – geradezu beleidigend! Der August kann sich noch immer nicht daran gewöhnen, daß die Visiten jetzt auch mir gemeldet werden! – Ich bin doch eine erwachsene Dame, und der Esel thut immer noch, als wäre ich ein Kind!«

»Dem Mann muß sofort gekündigt werden, Onkel!«

Proczna hielt Bickys beide Hände und war geradezu entrüstet, der Kammerherr aber trat starr vor Staunen neben seine Tochter und fragte mit gedämpfter Stimme:

»Aber Bicky nennst du den hier etwa auch ›du‹, wenn ihr allein seid?«

Janek lachte hell auf, Beatrice aber warf das Köpfchen trotzig zurück und machte ein sehr decidiertes Gesicht.

– »O Gott bewahre, Papa, nicht nur, wenn wir allein sind – stets und ständig nenne ich ihn ›du‹, und wenn ihr euch alle auf den Kopf stellt! – Janek hat es mir allerdings verboten, und darum habe ich ihn bis jetzt in Gesellschaft gar nicht genannt, aber wenn es nicht anders zu machen ist, und ich ihn anreden muß, dann sage ich auch ›du‹ – erst recht ›du‹! Und meinetwegen selbst dann, wenn die Xenia daneben steht! Die hat mir absolut nichts mehr zu verbieten, ich bin jetzt gerade so gut eine Dame wie sie!«

Ganz begeistert schloß Herr von Drach seinen kühnen Backfisch in die Arme. –

»Du bist ein Blitzmädel, Bicky! – Weiß der Kuckuck, wo du die Courage her hast!«

»Was hast du denn für blaue Flecken auf dem Kleid?!«

»Blaue Flecken?« –

Das kleine Fräulein sah flüchtig an sich herab.

»Tinte! – Konstantin hat gemanscht und dann gewiß seine Hände an mir abgetrocknet, während ich schrieb, das thut er meistens!«

»In der Kinderstube hast du geschrieben?«

Mit eifrigem Blinzeln nickte Beatrice dem Frager zu und hob sich auf den Fußspitzen zu seinem Ohr empor:

»Ich habe dem Stanzy zu seinem Recht verholfen – aber der Papa darf's noch nicht wissen!«

»Bomben und Granaten! – Teuerster Onkel, betrachte dir, bitte, einmal die Albums, deine Tochter will mir ein Geheimnis anvertrauen! – Siehst du, er hat sich herumgedreht … nun schnell erzählt!«

Bicky machte ein sehr wichtiges Gesicht und hielt die Hand an den Mund.

»Du weißt doch, daß Stanzy absolut Matrose werden und um die Welt reisen will? – Na siehst du, das wollen ihm nun die Eltern nicht erlauben und sagen: ›er wäre ein dummer Junge, das Wasser hätte keine Balken, und wenn er verunglückte, würden sie sich zeitlebens Vorwürfe machen.‹ – Konstantin war außer sich darüber und wußte sich gar keinen Rat, bis ich ihm heute zu Hilfe kam. Wir haben nämlich einen großen Zettel geschrieben – das heißt, ich schrieb, denn Stanzy kann ja noch nicht ordentlich mit Tinte! – also einen Zettel, und darauf steht folgendes: ›Ich, Konstantin, Freiherr von Drach und Sulsberg, erkläre hiermit, daß, falls das Schiff untergeht, auf welchem ich fahre, meine Eltern nicht daran schuld sind!‹ – – Ist das nicht brillant? Nun sind sie doch jede Verantwortung los und können den Bengel ruhig fortlassen!«

Im Hintergrund prustete es laut vor Lachen.

Janek aber sagte sehr ernsthaft:

»Großartige Idee! Ich bin außerordentlich überrascht! – Wenn du derartig mit Hilfeleistung um dich wirfst, könntest du mir eigentlich auch einen Gefallen thun! Willst du?«

»Dir einen Gefallen?« – Bicky jubelte laut auf: »Sechse für einen! Für dich gehe ich durchs Feuer, Janek, denn dir verdanke ich ja all mein Glück! Sogar meine neue Frisur, denn ich weiß wohl, daß du daran schuld bist, daß Mama mich jetzt gerade so frisieren läßt wie sich selber.«

»Also bist du bereit? – Scharmant! Komm schnell hierher und setze dich an meine Seite, die Sache ist sehr ernsthaft und wichtig und muß für ewige Zeiten ein tiefes Geheimnis zwischen uns bleiben!«

»Ach ein Geheimnis für ewige Zeiten! Das habe ich mir ja schon so furchtbar lange gewünscht!« und mit glühenden Wangen und schwärmerischem Blick setzte sich das Backfischchen auflauschend neben Proczna nieder und faltete die Hände über den Tintenklecksen.

»Du weißt, daß ich morgen abend bei Hofe singen werde?«

Bicky nickte eifrig.

»Frau Leutnant Gower wird mich begleiten und brillant spielen – wenn sie aufsteht, klatschst du laut in die Hände – dir nimmt man das nicht übel – und gehst zu ihr hin und sagst ihr, du seist ganz entzückt von ihrem Spiel …«

»Aber Janek … die Gower? – Excellenz Gärtner sagte ja zu den Damen …«

»Hat Excellenz dir verboten, mit Frau Gower zu reden?«

»Nein!«

»Nun also! Dann thue es mir zuliebe, ich bitte dich darum! Und weiter: du mußt Donat ebenfalls aufstacheln, zu ihr hinzugehen.«

»Donat? – fällt ihm ja gar nicht ein!«

»Die Bitte einer Dame muß für ihn Befehl sein; wenn er dir nicht gehorcht, behandelt er dich eben noch wie ein Kind, und das darfst du dir nicht gefallen lassen, du mußt energisch werden, mußt sagen: Entweder zeigen Sie mir jetzt, daß Sie Courage haben, oder …«

Bickys Augen blitzten: »Oder – ! …?«

»Oder ich rede in meinem ganzen Leben kein Wort mehr mit Ihnen …«

»Im ganzen Leben …« wahrhaft entsetzt starrten ihn die großen Augen an, »aber Janek, das wäre ja gräßlich! – Ich mache mir zwar absolut nichts aus dem Donat – ich hasse den Menschen und finde ihn in hohem Grade gleichgültig … aber mein ganzes Leben lang nicht mehr mit ihm sprechen? … Nein, das kann ich nicht … ich würde sterben … ich … o ich … Könnte ich nicht besser sagen: ›Entweder Sie gehen hin oder ich spreche heute abend nur das Nötigste mit Ihnen?‹«

»Macht gar keinen Eindruck. Der Donat muß unter aller Kritik behandelt werden, wenn er eine Dame verehren soll! Du siehst es ja bei Xenia! Je schroffer und unhöflicher sie zu ihm ist, desto mehr macht er ihr die Cour, les extrêmes se touchent! Allerdings würde das ja sehr peinlich für dich sein, wenn er plötzlich umsattelte und dich anbetete … du hassest ja den Menschen und magst ihn absolut nicht leiden …«

»O … bitte … ich kann mich außerordentlich beherrschen … und dir zuliebe brächte ich vielleicht das Opfer, mich von ihm verehren zu lassen …« und plötzlich vollkommen aus der Rolle fallend, mit unverkennbarem Jubel in Blick und Stimme, faßte sie Janeks Hand:

»Wirklich, Janek … glaubst du wirklich, daß er mir dann die Cour machen würde? O, es wäre ja himmlisch! – Das heißt … ich meine, es wäre himmlisch, wenn er zur Gower ginge! O, ich will ihn schauderhaft behandeln – ich sage …« –

Bicky richtete sich stramm empor und machte ein martialisches Gesicht –

»›Mein Herr! Frau Gower hat großartig gespielt, gehen Sie hin und sagen Sie ihr das, denn wenn Sie es nicht thun, halte ich Sie für einen Feigling, und das wird Sie im Mund einer Dame kränken!‹ Und wenn er sich hierauf noch weigern sollte, erkläre ich ihm rundweg: er könne nicht reiten und vertrüg' keine zwei Gläser Wein! – Frau von Hofstraten hat gesagt: ›Etwas Niederträchtigeres, als das, könne man einem jungen Offizier gar nicht anthun!‹«

»Um Gottes willen, sei vorsichtig, Bicky … er thut sonst vor allen Leuten einen Fußfall! …«

Beatrice lächelte geradezu grausam.

»Das wäre ihm recht! – Vor allen Leuten? … Nun, so schlimm will ich's nicht machen und es ihm lieber in einem Nebenzimmer sagen, der Poesie wegen, weißt du! … Denn alle Kniefälle, von welchen ich bis jetzt gelesen habe …«

Die Kleine verstummte erschrocken, Frau von Drach trat rosig und lächelnd wie der junge Morgen durch die Portiere und streckte »dem lieben Neffen« beide Hände zum Gruß entgegen.

»Xenia läßt sich entschuldigen, sie klagt über leichten Kopfschmerz … Ganz plötzlich … Ich glaube aber, daß sie über irgend etwas verstimmt ist, denn derartig erregt und nervös wie heute habe ich sie im ganzen Leben noch nicht gesehen! – Lassen wir sie! Solche Stimmungen müssen austoben!«

Janek zuckte mit höflichem Bedauern die Achseln, »Ja, es muß austoben!« wiederholte er mit gedämpfter Stimme, »und Ruhe und Einsamkeit sind für derartige Leiden die beste Arznei!«

Plötzlich wechselte er jedoch das Thema, indem er die kleine Hand der Kammerherrin abermals an die Lippen zog und sein außergewöhnlich frühes Erscheinen mit viel liebenswürdigen und schmeichelhaften Worten entschuldigte.

»Sie wissen, meine gnädigste Tante, wie außerordentlich wertvoll mir Ihr Urteil ist, und wie dankbar ich Ihnen für einen jeden guten Rat bin! – Ich werde morgen abend im Schloß singen und habe mir so ungefähr mein Programm zurechtgelegt, aber du lieber Gott! wer kennt den Geschmack dieses stürmischen und eisigen Nordens! Darf ich Ihnen die Lieder einmal vorsingen, verehrteste Taute? Vielleicht billigen Sie meine Wahl nicht ganz und schlagen mir Änderungen vor!«

Frau von Drach war entzückt und erhob sich mit einer Lebhaftigkeit, um an den Flügel zu treten und ihre Noten beiseite zu werfen, daß der Kammerherr Janek schmunzelnd zunickte:

»Gott sei Dank, wieder ganz die alte! Sie giebt 's Kopieren auf!!«

Proczna dankte für Beleuchtung.

»Ich liebe die Tasten mehr im Dämmerlicht!« lächelte er, »dann sieht man die Fehlgriffe nicht so sehr!«

Eine kurze Zeit präludierte er – dann wandte er plötzlich den Kopf zurück:

»Wird es Xenia auch nicht stören, wenn wir musizieren? In welchem Zimmer ist sie?«

Frau Klara schüttelte eifrig den Kopf:

»Gott bewahre! Das geniert gar nicht! Villa Florian ist massiv gebaut und wenn Ihre Lieder auch bis zu Xenia hinaufdringen, so würde es doch sicher nur die beste Arznei zu Ihrer Genesung sein!«

 

Tiefe Stille herrschte im Salon. Das Haupt gegen die Sessellehne zurückgelehnt, lauschte Frau von Drach wie von süßem Zauber befangen, und Bicky, welche auf niederem Polsterkissen zu ihren Füßen saß, legte das Köpfchen in den Schoß der Mutter und lächelte wie verklärt.

So wunderbar schön hatte Proczna noch nie gesungen, selbst an dem Abend nicht, wo er droben im Saal der Gräfin Dynar alle Welt entzückte; Lied um Lied erklang mächtig anschwellend wie der Sturm draußen, welcher die Klänge gewiß auf seine Schwingen nahm und hinaus in die dunkle Nacht trug, und dann sank die Stimme herab zu zaubersüßem Flüstern, zu Bitten und Flehen – : »Und im Bach die Nixen rauschen, kommt' herab, hier ist's so kühl …« Ja, das lockte und hallte, das sang und klang: »bis wunderholdes Sehnen dich wunderhold bethört …« –

Jählings erhob sich der Sänger. »Es ist ein wenig schwül hier – ich werde in dem Nebenzimmer das Fenster öffnen!« und ehe nur die Lauscher zur Besinnung kamen, teilte Janek die geschlossene Portiere und trat über die Schwelle.

Wie angewurzelt blieb er stehen. Vor ihm, matt beleuchtet von der verschleierten Kuppellampe, lag Xenia in einem Sessel, die Arme auf der Lehne verschränkt, das Haupt fest darauf gedrückt; wie ein Beben und Zucken ging es durch die schlanke Gestalt, in weichen, weißen Kaschmirfalten floß das Morgenkleid über den tiefgefärbten Plüsch hernieder, in duftigem Spitzensaum auf dem Teppich verschwimmend.

»Xenia!«

Sie schrak empor und starrte ihn an wie eine Vision, Thränen glänzten in ihrem Auge und rollten über das blasse Antlitz. Langsam erhob sie sich und richtete sich hoch empor, aufsprühend traf ihn ihr Blick, dann sanken die dunklen Wimpern tief auf die Wangen nieder.

»Sie haben so meisterlich gesungen, Janek, daß Sie mich wirklich herabgelockt haben, ich wollte den Schluß dieses Liedes noch abwarten, ehe ich eintrat.«

Ruhig und kühl wie immer, klang ihre Stimme, wenn auch nicht ganz so fest wie sonst.

»Es war rücksichtslos von mir, zu singen, wo ich eine Patientin im Hause wußte. – Wie geht es Ihnen, Xenia, fühlen Sie sich besser?«

Das war noch derselbe Klang der Stimme, welcher soeben in weicher Innigkeit flehte: »Komm herab – hier ist's so kühl! …«

Gräfin Dynar hob das Taschentuch gegen die Augen und schwieg einen Moment, dann schüttelte sie lächelnd das Haupt. – »Singen Sie weiter, Janek, vielleicht werde ich an Ihren Liedern ganz gesunden!«

Frau von Drach und Bicky standen in der Thür; Xenia trat ihnen entgegen und wurde mit tausend erfreuten und erstaunten Worten begrüßt.

»Ich bitte um ein stilles Lauschereckchen!« sagte sie mit einem Versuch zu scherzen. »Die Nixenstimmen haben mir versprochen, ›daß es kühl … und friedlich … und weltvergessen hier unten sei‹ – und nach all dem habe ich Sehnsucht!« – –

Janek trat an das Fenster und riß es auf, der Sturm sauste noch um seine Stirn, aber droben am Himmel teilten sich bereits die Wolken – ein großer, leuchtender Stern ging über Villa Florian auf.!



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