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Zwölftes Kapitel

Klinge, süße Stimme, klinge
An mein Herz im Tongewimmel,
Trag auf Deiner Engelschwinge,
Mich Verwandelten gen Himmel!
Jüngst noch Nacht und Winter war es,
Nun ist's plötzlich Tag geworden,
Tag und Mai! und wunderbares
Sein in Strahlen und Accorden!

Dingelstedt.

 

Als Nennderscheidt in Goseck's Zimmer eingetreten war, hatte der Graf ihm weder überrascht noch fragend entgegen gesehen. Er schien seinen Besuch erwartet zu haben, und die Motive desselben genau zu kennen. Kühl und abweisend, mit feindlichem Blick erhob er sich, schlug das religiöse Werk, welches er studirte, zu, und verschränkte die Arme über der Brust. »Keinerlei Auseinandersetzungen, Baron Nennderscheidt.« schnitt er jegliche Begrüßung schroff ab. »Ich bin genau über die Lage der Dinge orientirt und war, wie Sie sehen, nicht auf Ihren, sondern auf den Besuch Ihres Se cundanten vorbereitet!« Seine knappe Kopfbewegung wies nach dem offenen Pistolenkasten auf dem Tisch. Durch zwei Zimmer hindurch war eine Scheibe aufgestellt. Die Kugeln, welche das Centrum durchlöchert hatten, bewiesen, wie fleißig Graf Goseck sich geübt haben mußte. So sehr sich in dem ganzen Wesen Eustachs eine fast fieberhafte Erregung verrieth, so ruhig und gelassen stand Olivier ihm gegenüber.

»Um eines Altweiberklatsches willen schießen sich zwei langjährige Freunde nicht. Ich bin von Deiner und Marie-Luise's vollkommenster Treue überzeugt; Dich zu fragen, auf Ehre und Gewissen zu fragen, ob das versprengte Gerücht eine Lüge ist, komme ich hierher. Deine Antwort wird mir maßgebender seine wie die Anklage böser Zungen.«

Goseck wich seinem Blick aus und wandte sich brüsk zur Seite. »Ich verweigere diese Antwort.«

Nennderscheidt zuckte zusammen. »Dadurch schlägst Du Dein Leben in die Schanze, das ist gleichgültig, aber Du compromittirst auch ein schuldlos Weib

Ein stummes Achselzucken war die Entgegnung.

»Bei Deiner ewigen Seligkeit, Eustach, hast Du mein Vertrauen mißbraucht, und hat Marie-Luise mich verrathen?«

»Ja, liebe sie, und sie liebt mich; bist Du nicht zufrieden damit, so liegt es in Deiner Hand, unsern Geschmack zu corrigiren. Ich bin bereit, mit ein paar Bleikugeln um das verrathene und verlassene Weib, welches Du mir selber in die Arme getrieben, zu wür feln. Es ist Zeit, daß die Comödie zu Ende geht. Spielen wir zum letzten Mal ein Hazard zusammen, eine geladene und eine ungeladene Pistole, und wenn's knallt, zeigt sich's, wer das Spiel gewonnen hat!«

Vom Scheitel bis zur Sohle maß Nennderscheidt's flammender Blick sein Gegenüber. »Ja, es soll zu Ende gehen, aber ... beim ewigen Himmel ... nicht wie eine Posse, sondern wie ein Drama, in welchem die Vergeltung ihren Sieg über ehrlose Buben feiert!«

– – – – – – –

Wie still es in seinem Zimmer ist. Der Kampf in Olivier's Herz hat ausgetobt, ein verzweifelter Kampf. Goseck hat Marie-Luise gerichtet. Er selber tritt ihre Ehre unter die Füße. Kann er nicht anders, oder will er nicht? Vor dem Bild seiner Mutter bleibt Nennderscheidt stehen; ein schmerzgebrochener, von Leidenschaften durchtobter Mann. »Sie hat Deine Augen, Mutter, die lügen nicht. So wahr mir Gott helfe, ich glaube ihnen.«

Und seiner Mutter Antlitz lächelt zu ihm nieder, wie damals, als sie noch seine Kinderhände zum Gebet zusammen legte. Auch jetzt neigt er sein Haupt und befiehlt seine Wege Dem, der Himmel und Erde lenkt. Da überkommt es ihn wie eine felsenfeste, freudige Zuversicht. »Eine feste Burg ist unser Gott!« ... Seine Seele scheint auszuströmen in den Klängen, welche durch die stille Nacht voll und mächtig dahin ziehen. Und dann ein leiser Jubellaut, ein Emporspringen mit geöffneten Armen: »Marie-Luise!«

Vor ihm steht sie auf der Thürschwelle. Bleich und bebend, und dennoch verklärt wie ein Heiligenangesicht.

»Kommst Du endlich, Marie-Luise!«

Sie streckte die zitternden Hände abwehrend gegen ihn aus. »Ich komme, um Dir für ewige Zeiten Lebewohl zu sagen. Ich gehe von Dir, ich bin von diesem Augenblick an nicht mehr Dein Weib, ich bin eine Fremde, an die Dich keine Pflicht mehr kettet, an die Du keine Rechte mehr hast.« Der Athem versagte ihr, sie preßte die kleinen Hände gegen die Brust.

Er stand vor ihr, mild und lächelnd. »Unmöglich, Marie-Luise. Du hast keine andere Heimath, wie dieses Haus, und wagt sich die Taube allein hinaus in die fremde Welt, so fällt sie dem Habicht zum Raub. Ich gebe Dir Deine Freiheit zurück, aber erst dann, wenn ich Deine Zukunft gesichert weiß. Warum gewaltsam schon jetzt ein Band lösen, welches vielleicht in Tagesfrist vom Schicksal zerrissen wird, schneller und sicherer, als Du ahnst.«

Der wehmüthige Klang seiner Stimme durchschauerte sie wie Todesqual.

Nicht das ... nicht dem Schicksal überlassen!« rang es sich fast schluchzend von ihren Lippen. »Du sollst nichts mehr gemein haben mit dem Weib, dessen Ehre die Welt brandmarkt, dessen Namen sie in den Schmutz zieht! Ich bin ausgestoßen, verachtet, verabscheut von Allen ...«

Da faßte er mit leuchtendem Blick ihre Hände und zog sie fest und leidenschaftlich an sich. »Wehe der Zunge, welche es wagen wird. Dich zu verketzern, wehe der Hand, welche noch einen Stein auf die Unschuld werfen will! Ich stehe für Dich ein, ich kämpfe für Deine Ehre und Dein Recht, und wenn die ganze Welt Dich verdammt, und wenn Alle an Dir zweifeln, ich glaube an Dich, Marie-Luise! Ich vertraue Deiner Treu und Redlichkeit, ich stehe ein für Dich und Deine Unschuld, mit Leib und Seele, mit Gut und Blut!«

Schwerer und schwerer sank ihr schlanker Körper in seinen Armen zusammen, mit unnatürlich großen, weit offenen Augen starrte sie ihn an, und dann klang ein leiser, zitternder Jubelschrei aus ihrer tiefsten Brust empor. »Du glaubst an mich!« Einen Augenblick war es, als wolle sie die Arme um seinen Nacken schlingen und sich voll stürmischer Leidenschaft fest und ewig an seine Brust flüchten, dann riß sie sich los und trat tiefathmend zurück. »Gott segne Dich für dieses Wort, Olivier; ich will es mit hinaus nehmen in die Welt, wie ein Pilger, der die heiligen Kleinodien mit sich führt, damit sie in Wüste und Elend sein Stecken und Stab seien. Du sollst nicht um meinetwillen Dein Leben einsetzen, darum gehe ich von Dir, und dadurch will ich gut machen, was ich je an Dir gefehlt habe, und damit will ich danken für Alles, was Du Gutes an mir gethan – –«

Thränen erstickten ihre Stimme, sie wankte nach der Thüre und sah noch einmal nach ihm zurück. »Wenn ich gehe, werden die Menschen nichts Böses mehr reden, dann ist Alles gut. Du bist wieder frei und Niemand zieht Dich für meine Fehler zur Rechenschaft. Was ich verschuldet habe, will ich allein büßen, darum soll kein Blut fließen. Und so behüte Dich Gott, und lohne es Dir, daß Du mich nicht im Grolle von Dir gestoßen hast!« Und sie winkte ihm noch einmal zu und war im nächsten Augenblick hinter der Thüre verschwunden. Er hatte sie halten wollen. Die letzten Worte lähmten seine Füße. »Was ich verschuldet habe? meine Fehler?« Allbarmherziger Gott, sollte es dennoch möglich sein? Wieder schauerte es eiskalt durch sein Herz. Nein, und tausendmal nein! Es muß sich Alles aufklären, es muß ein Irrthum sein. Der Großherzog wird Fürstin Tautenstein zwingen, zu reden, noch ist ja Alles ein wirres Vermuthen, ohne Gestalt und Farbe. Ist Marie-Luise schuldig, so lügen auch Gottes Engel, so ist das Heiligste in Himmel und Erde auch nur Falsch und Trug! Wird Marie-Luise sein Haus heimlich verlassen? Olivier preßt die Hände gegen die hämmernden Schläfen. »Ich darf sie nicht preisgeben, sie hat keinen andern Schutz wie mich!« Er steigt die Treppe empor. Alle Zimmer sind leer und dunkel. In ihrem Boudoir entzündet Olivier Licht, setzt sich an den Schreibtisch und bestellt mit festen, klaren Federstrichen sein Haus. Er achtet auf jegliches Geräusch. Nebenan, in Marie-Luise's Ankleidezimmer flackert Kerzenschein, wie leises Aufschluchzen klingt's ein paar Mal durch die tiefe Stille. Bis zum Morgengrauen verweilt Nennderscheidt und behütet die Schwelle; zu seines Weibes Heil und Segen.

– – – – – –

Zu ungewöhnlich früher Morgenstunde ist der Freiherr zum Großherzog befohlen. Als er durch den Saal, welcher den Eintritt zu dem Privatgemach des hohen Herrn gewährt, schreitet, schrickt er beinahe zurück vor Fürstin Tautenstein, welche ihm in langschleppender Morgenrobe aus weißen Spitzen entgegen tritt. Reizender wie jemals sieht sie aus Mit süßem Lächeln streckt sie ihm beide Hände entgegen. »Ich wußte, daß Sie kamen, Baron!« flüsterte sie … und habe Sie erwartet!«

Er verneigt sich kühl und förmlich, ohne ihre Fingerspitzen zu berühren. Da er nicht antwortet, gleitet sie weich und schmiegsam wie ein schmeichelndes Kätzchen näher, und legt die Hände auf seinen Arm. Zauberisch ist der Blick, welcher zu ihm empor glüht. »Kommst Du, wilder, stolzer Löwe, um endlich Deine Ketten zu zerbrechen? All' meine Pulse fieberten diesem Augenblick entgegen! Mein ganzes Dasein gipfelt in dieser Stunde! Ich schien Eis in den letzten Tagen, weil das Feuer, noch genährt, mich in den Gluthen der Leidenschaft verzehrt haben würde. Jetzt ist die qualvolle Nacht überwunden, die Sonne steigt noch einmal blendend empor, für Sie und für mich, und die Zukunft redet wonnetrunken von unsagbar süßem Glück!« Näher und näher schmiegte sie sich an ihn, berauschende Duftwogen wehten aus dem Goldhaar und den niederrieselnden Spitzen zu ihm empor. »Zerreißen Sie die Bande, welche Sie elend machen, Olivier! Treten Sie die blasse, betrügerische Giftblume unter die Füße, und nehmen Sie die Rose zu eigen, welche mit tausend glühenden Purpurblättern Ihnen entgegen bebt!« Leiser, zischend fast klang ihre Stimme. »Sie wissen es, daß der Großherzog durch uraltes Landesrecht die Macht besitzt, eine Ehe sofort, kraft seines Wortes zu trennen! Wenige Minuten entscheiden und machen Sie frei! Marie-Luise ist schuldig. Klagen Sie die Verrätherin des Treuebruchs an, und schleudern Sie durch ein einziges Wort den Ballast von sich, welcher Ihr Glücksschifflein in den Grund zieht, und dann? … da drüben ... die dritte Thüre ... sehen Sie? Da klopfen Sie nachher an; ich harre Ihrer und öffne. Still, still jetzt ... man kommt!« Und sie preßte seinen Arm nochmals mit leidenschaftlichem Druck, und entfloh wie ein lichter Schemen über die weichen Teppiche. An der Thüre wandte Sie sich noch einmal zurück, breitete wie in übermächtigem Gefühl die Arme nach ihm aus und flüchtete im nächsten Moment über die Schwelle.

Regungslos, hochaufgerichtet stand Nennderscheidt und starrte ihr nach. Dann strich er wie in zorniger Hast über seinen Arm, als müsse er jede Spur tilgen, welche die weißen Händchen hinterlassen. Sein Auge blitzte, Verachtung und Bitterkeit zuckten um seine Lippen. Er warf das Haupt in den Nacken und trat in das Antichambre des Großherzogs.

Voll warmer Herzlichkeit empfing der hohe Herr den Sohn seines vertrautesten Freundes. Und wie ein Kind sein übervolles Herz vor dem Vater ausschüttet, so legte auch Nennderscheidt eine Beichte ab von all' dem Ringen und Kämpfen, welches seit den letzten Tagen seine Seele durchtobt. Der Großherzog schritt mit sorgenvoller Stirn in dem Gemach auf und nieder. Er hatte die Beobachtung, welche Fürstin Tautenstein gemacht, das Rendez-vous an Fenster und Balkon der Villa Hazard betreffend, dem Freiherrn mitgetheilt. Fräulein von Gironvale stimmte der Aussage ihrer Herrin bei, und auch Herr von Diersdorff bestätigte sie; allerdings mit viel diplomatischer Vorsicht. Prinz Hohneck gab die Thatsache ebenfalls zu, doch bemerkte er, daß seine Kurzsichtigkeit ihn keine bestimmte Persönlichkeit habe erkennen lassen.

Olivier schlug die Hände vor das farblose Antlitz und schien momentan unter der herben Wucht dieser Worte zusammen zu brechen. Langsam trat der Großherzog an seine Seite und legte die Hand auf das tiefgeneigte Haupt des jungen Mannes. »Halten Sie nach der Aussage dieser vier Augenzeugen Marie-Luise für schuldig?« fragte er leise.

Da wuchs die gebeugte Gestalt empor, fast heftig schüttelte er das Haupt. » Nein und tausendmal nein, mein allergnädigster Herr! Ehe ich das Eingeständniß ihrer Schuld nicht von Marie-Luise's eigenen Lippen mit dürren, klaren Worten höre, eher glaube ich, daß die Sterne am Himmel aus ihren Bahnen weichen, treulos einander zu verlassen!«

Ein Aufleuchten ging über das Antlitz des greifen Fürsten. »Brav, Olivier, Gott erhalte Ihnen diesen Glauben und die Zuversicht, welche ich von ganzem Herzen mit Ihnen theile!«

Feste Schritte klangen durch den Saal und verhallten im Treppenhaus des großherzoglichen Schlosses. Hinter der »dritten Thüre« jedoch funkelten zwei Augen, ballten sich zwei sammetweiche Händchen in zitterndem Haß. Die Thüre war sorglich verriegelt gewesen und das spöttische Auflachen, mit welchem Claudia ihre Rache feiern wollte, hatte bereits um die Lippen triumphirt, jetzt lächelte eine Andere, boshaft und schadenfroh. Esperance, welche hinter der Portière gelauscht hatte.

– – – –

Vergeblich hatte sich Olivier bemüht. Zutritt in das Zimmer seiner Gemahlin zu erhalten. Die Zeit drängte, und so biß er die Zähne zusammen und eilte zu Fräulein von Speyern, sie um ihre Vermittelung zu bitten.

Fides war sofort bereit, den Freiherrn zu begleiten. Sie drückte ihm herzlich die Hand. »In Gedanken war ich bereits auf dem Weg, Marie-Luise aufzusuchen und sie über die Verläumdung zu trösten, welche nur die perfideste Bosheit ersinnen konnte!«

Sein glanzloses Auge leuchtete auf. »Sie glauben an Marie-Luise?«

»Wie an mich selbst.«

»Und selbst wenn sie in ihrer Verlassenheit und Einsamkeit auf Abwege gerieth, so trüge nicht sie, sondern ich daran die Schuld. Dieses Bewußtsein ist von allen Qualen, welche ich in den letzten Tagen durch lebte, die entsetzlichste. Ich habe kein Recht dazu, von dem Schicksal ein treues Weib zu fordern, ich stehe an dem Abgrund, welcher mein Liebstes verschlungen, mit, dem fürchterlichen Bewußtsein: ›Du selber stießest es hinab. Mit mir hat die Welt abzurechnen, nicht mit ihr.‹«

Mit einem wundersamen Gemisch von Ernst und Milde sahen ihn die klaren Augen an. »Ich entsinne mich eines Ausspruchs, welchen Sie vor einiger Zeit gethan. Sie nannten die Ehe ein Hazard, die Frau die blindgezogene Karte im Spiel. Cœur- oder Piquedame, Herz oder Kreuz, wer sagt's voraus? Jetzt ist der Moment gekommen, in welchem es sich offenbaren wird, welcher Art die gedeckte Karte ist. Und wie in solchem Augenblick den Spieler die Leidenschaft schüttelt, und wie er alle Folterqualen eines Hangen und Bangen in schwebender Pein durchmacht, so erkaufen auch Sie die Entscheidung des Hazardspieles mit der fieberischen Aufregung, welche vom Herzblut zehrt. Solch' ein Moment ist jedesmal eine Krise im Leben, gebe Gott der Allmächtige, daß dieselbe Ihnen zu Glück und Segen gereiche!«

Mit krampfhaftem Druck umspannte er die kühle, kräftige Hand. »Ich habe kein Zutrauen mehr zum Glück, darum stelle ich es Ihnen anheim, den letzten Trumpf auszuspielen!«

Als der Freiherr Fräulein von Speyern den Arm bot, sie die breite Marmortreppe der Villa Hazard empor zu führen, trat ihnen ein Diener mit eilfertiger Beweglichkeit entgegen.

»Gnädige Frau empfangen keine Besuche heut, und lassen sich bei den Herrschaften mit freundlichem Gruß entschuldigen.«

»Ich danke Ihnen, Franz, diese Weisung betrifft nur Fremde. Ich werde von Frau Baronin erwartet.« Fides neigte freundlich das Haupt und schritt gelassen weiter. Olivier war unmerklich zurückgezuckt, der Blick der Hofdame zwang ihn, an ihrer Seite zu bleiben.

Auf dem Corridor vor Marie-Luise's Zimmer stand Madame Verdan. Blaß und sichtlich aufgeregt. Sie hob abwehrend die Hand. »Unmöglich, gnädiges Fräulein ... Frau Baronin empfangen nicht.«

»Mich und ihren Gemahl wird sie empfangen.«

»Beim besten Willen, es ist undenkbar! In dieser Stunde um keinen Preis der Welt!«

»Ich muß sie sprechen, liebe Frau Verdan, und werde alle Verantwortung auf mich nehmen!« Fräulein von Speyern öffnete schnell die Thüre und trat hastig ein, die alte Frau folgte ihr mit wahrhaft verzweifeltem Schreckensruf und umklammerte den Arm der Hofdame. »Beim ewigen Himmel, Sie dürfen jetzt nicht in das Boudoir ... ich habe geschworen, die Thüre bewachen zu wollen, es giebt ein Unglück, gnädiges Fräulein!«

Olivier war mit stürmendem Schritt voran geeilt durch die nächsten zwei Salons, jetzt kam er zurück. Leichenblässe lag auf seinem Antlitz. »Ich höre Stimmen in dem Zimmer meiner Frau, Madame Verdan, ... ist sie nicht allein?«

Ein Zittern flog durch die Glieder der Kammerfrau. Sie konnte nicht sprechen, rang die Hände und nickte stumm.

»Wer?« Heiser und fremd klang seine Stimme.

»Nur Graf Goseck!« versicherte die Alte beschwichtigend.

Ein dumpfes Aufstöhnen. Olivier's hohe Gestalt schwankte einen Moment, als wolle er zusammen sinken. Dann trat er neben Fides. »Kommen Sie ... lassen Sie uns umkehren!« murmelte er durch die Zähne.

Zuversichtlich hob sich ihr Haupt auf den Schultern. Mit eisernem Griff faßte sie seine Hand. »Ich bin nur eine Freundin Marie-Luise's,« flüsterte sie, ihn bei Seite ziehend, »und dennoch lege ich meine Hand für sie in's Feuer! Sie aber sind der, welcher ihrem Herzen am nächsten steht, und Sie wollen die Flinte in's Korn werfen und an ihrer Treu und Redlichkeit zweifeln? Gott sei gelobt, daß Goseck hier ist! Jetzt ist es nicht freier Wille, mir zu folgen, sondern Ihre Pflicht. Kommen Sie!«

Wie gezwungen von dem Ausdruck ihres hoheitsvollen Angesichts wandte sich Nennderscheidt, ihr zu folgen.

»Bleiben Sie hier im Zimmer, Madame Verdan, und sorgen Sie dafür, daß Niemand Zutritt zu dem Boudoir der gnädigen Frau erhält!« nickte Fides der schluchzenden Alten freundlich zu. »Graf Goseck ist der treue und langjährige Freund des Hausherrn und dazu berechtigt, seinen Besuch zu machen, auch dann, wenn andere Herrschaften abgewiesen werden.«

Sie nahm Olivier's Arm und verließ das Zimmer, wandte sich aber nicht nach der Treppe, sondern führte ihn hastig den Corridor entlang, öffnete eine Thüre und betrat das Schlafgemach der jungen Frau. Sie durchmaß es mit schnellen Schritten, öffnete lautlos das Toilettenzimmer und winkte dem Freiherrn einzutreten.

Laut und deutlich vernahm man die Stimmen nebenan. Marie-Luise schien dem Grafen durch dieses Zimmer entgegengetreten zu sein, die Thüre stand noch etwas geöffnet, und die Portière war dadurch leicht zurückgeschlagen.

An der Thürseite stand ein Sessel. Olivier sank darauf nieder wie ein alter Mann. Seine Hände lagen gefaltet auf den Knieen, und tiefe Schatten durchfurchten sein Antlitz. Regungslos lehnte er das Haupt zurück. Nebenan sprach Marie-Luise. Leise, voll flehender Angst »Kein Mensch auf der Welt kann helfen, als nur Sie, Graf Goseck! Und auch Niemand wird es so gern und gewiß thun wie Sie! ... Meine Hoffnung klammert sich an Sie, mein ganzes Vertrauen wurzelt in Ihnen! Sie ahnen ja noch nicht das Schlimmste, das Furchtbare, welches mich zu dem kühnen, außergewöhnlichen Schritt, Sie heimlich hierher rufen zu lassen, veranlaßte! Durch Zufall erfuhr ich, daß Olivier die Absicht hatte, sich mit Ihnen zu duelliren ...«

»Er hat sie glücklicherweise noch!«

»Unmöglich ... Sie irren, Graf ...« ihre Stimme klang wie ein Schreckensschrei, »er kann Sie ja garnicht mehr fordern.«

Kurzes Auflachen. »Und warum nicht?«

»Weil ... weil ... o sagen Sie, um Gottes Barmherzigkeit willen, hat er es vielleicht schon gethan?« Sie sprang empor. Der Sessel knarrte leise auf dem Parquet. Auch er erhob sich.

»Heute Morgen, und es ist gut so. Marie-Luise, ich ertrage die Ungewißheit nicht länger, es muß zu einem Ende kommen.« Und abermals ein kurzer Aufschrei voll Schreck und Qual. »So war es vergeblich mein Opfer? so war die martervollste Stunde meines Lebens umsonst durchlitten?«

»Welch eine Stunde? welch ein Opfer?« Er schien zu ihr heran zu treten. Olivier zuckte empor und krampfte die Hände um die Sessellehne.

»Das Größte, welches je ein Weib darzubringen im Stande ist! Mein Herz hab ich aus der Brust gerissen und es unter die Füße getreten, meine Ehre habe ich selber gebrandmarkt, um dieses Duell zu verhüten! Losgesagt habe ich mich von Olivier, den Schein der Schuld auf mich geladen, damit er frei sein solle, damit –«

»Losgesagt von ihm?« Goseck faßte ihre beiden Hände und riß sie von ihrem Antlitz weg an seine in Leidenschaft zitternden Lippen. »Gott segne Sie für dieses opfermuthige Werk der Liebe, Marie-Luise! Warum beben Sie vor einem Zweikampf, welcher das heilige Gepräge eines Gottesurtheils tragen wird, der wahren Liebe zum Sieg zu verhelfen! Ich werde –«

»Graf Goseck!« wie beschwörend in flehender Angst klang ihre Stimme. »Ich verstehe Sie nicht. Wie können Sie eine blutige Lösung wünschen, wo doch Alles in friedlicher Weise geschlichtet werden kann! Wie durften Sie die Forderung meines Mannes annehmen, wo sie wußten, daß der Grund zu derselben nur eine Lüge, eine Verläumdung ist! Haben Sie ihm unsere Unschuld betheuert?«

»Nein.« Kurz und schroff ward's hervorgestoßen.

»O, so thuen Sie es noch! so bald, so schnell wie möglich! Er muß Ihnen glauben und er wird es! Ach, daß er Sie kennen möchte, wie ich Sie kenne! Wollte mir ein Mensch von ehrlosen Thaten des Grafen Goseck erzählen, ich würde voll stolzen Glaubens die Hand zum Himmel heben und schwören, daß es böser Leumund sei!« Weich und unsagbar rührend in ihrer schlichten Innigkeit klang ihre Stimme. Olivier hatte sich erhoben, heiße Gluth brannte auf seiner Stirn, er trat lautlos an die Thürspalte und versuchte mit einem Blick die Gestalt seines Weibes zu umfassen. Mit dem vollen, thränenüberströmten Antlitz wandte sie sich ihm zu, die gefalteten Hände zu Goseck erhoben. »Solch festen Glauben an Sie würde ich hegen, Graf, denn ich weiß es ja, wie edel, wie brav und fromm Sie sind, und weil ich es weiß, so wende ich mich an Sie, als an den einzigen Menschen, welchen ich für würdig halte, der ritterliche Schutz eines hülflosen Weibes zu sein, und ich beschwöre Sie, bei all' der Freundschaft und Güte, welche Sie stets für mich gezeigt haben, treten Sie ein für meine Ehre! treten Sie ein, mit all' Ihren Kräften, jenes unselige Duell zu verhüten! Nur Sie können mir helfen, denn nur Sie wissen es ja, daß ich niemals, weder in Wort noch Blick und That die Treue gebrochen, welche ich gelobt! Wer es auch sein möge, den die Lästerzungen mit meinem Namen in Verbindung bringen. – Sie wissen, daß es Lüge ist!«

Goseck's Haupt war tiefer und tiefer auf die Brust gesunken. »Ich weiß es!« murmelte er, »und ich verstehe es ja gar wohl, daß Ihre reine Seele zurückschaudert, vor dem scharfen, blutigen Schwerthieb, welcher einzig gordische Knoten lösen kann, aber dennoch überschätzen Sie meine Macht. Sie ahnen nicht, in welch' eisernen Klammern sich das Räderwerk der gesellschaftlichen Formen dreht, und kennen als Weib nicht die Mimose, die allzuleicht verletzbare, welche Ehre heißt!«

Noch erregter, noch flehender denn zuvor schlang sie die Hände in einander: »Graf Goseck! Wenige Wochen sind es her, da standen Sie hier an dieser selben Stelle und sprachen: ›Bedürfen Sie jemals Hülfe oder Schutz, gnädige Frau, so kommen Sie zu mir, so rufen Sie mich! Mit Gut und Blut trete ich ein für Sie, mit meinem Leben, wird's gefordert, erkämpfe ich Ihr Glück!‹ – entsinnen Sie sich dieses Gelöbnisses nicht mehr?«

Sein Blick brannte auf ihrem Antlitz, ungeduldig und verzehrend. Er glich dem Dieb, welcher die Hände gierig nach dem Altarkelche ausstreckt und es dennoch nicht wagt, das Heiligthum anzutasten.

»Ich entsinne mich, beweise ich es nicht?«

»Nein! noch stehen Sie kalt und gleichgültig vor mir, sehen meine Angst und Verzweiflung und helfen nicht!« Hochaufgerichtet, voll jäher Kraft und Entschlossenheit trat sie ihm gegenüber. »Wehe dem Mann, dessen Schwüre Spreu im Winde sind! Sie selber haben sich meines Glückes Hüter genannt, jetzt sollen Sie es bethätigen und es sein!«

Dicht an ihre Seite trat er, faßte ihre Hand und neigte seine Wange fast an die ihre. »Wundersames Weib! Schlag' ich denn nicht Blut und Leben in die Schanze zu Ihrem Glück? Ein Pistolenlauf richtet sich auf meine Brust, so sicher wie auf die jenes Andern!«

»Das eben sollen Sie verhindern,« rief sie außer sich, »wenn Sie mein Glück nicht morden wollen!«

Leidenschaftlicher noch glühte sein Blick, tiefer noch suchte er in ihr Auge zu tauchen: »Va banque, Marie-Luise! Ihr Glück ist Ihre Freiheit! denn nur diese allein führt Sie der Liebe in den Arm!«

Sie wich weiter und weiter von ihm zurück, die Hände gegen ihr Herz gepreßt, das Antlitz erhoben wie verklärt. »Nein, Graf Goseck ... nicht die Freiheit!« sagte sie leise mit zitternder Stimme. »Sie wissen, daß ich nur einmal im Leben Sehnsucht nach ihr hatte, an jenem ersten Morgen nach meinem Hochzeitstag, als Heimweh und Verlassenheit mich fast verzweifeln ließen! Dann fand ich mich in mein Geschick, und als Sie meines Glückes Hüter sein wollten, da ging es wie ein Aufschrei der Erbitterung durch meine Seele, daß man auf ödem Schneefeld rothe Rosen pflegen wollte! Aber der liebe Vater im Himmel hat es meinem Kleinmuth und meiner Verzagtheit nicht angerechnet. Der Schnee thaute ...und aus dem öden Herzensboden sproßte das junge Hoffnungsgrün, und über Nacht in wildem Wettergraus brachen die Knospen ... rothe Rosen glüh'n und blüh'n in meinem Herzen, rothe Liebesrosen!« Immer inniger und glückdurchjubelter ward ihre leise Stimme, immer leuchtender ihr Blick, und wie sie dastand, die kleinen Hände über der Brust gefaltet, da war es, als ob unsichtbare Gewalten das Haupt des Grafen Goseck niederbeugten, wie vor dem Engel der Unschuld. Olivier aber preßte die Stirn gegen die kühlen Atlasfalten der Portière, und Fides sah, wie seine starke Gestalt erbebte, als brause der Sturmwind über sie hin.

Tiefathmend fuhr Marie-Luise fort: »Was nie ein Mensch ahnen soll, will ich Ihnen beichten. Graf Goseck, denn Ihre Freundschaft um mich und Olivier hat es verdient, und wer könnte sich über die fromme Wandlung eines Herzens wohl mehr und aufrichtiger freuen, wie Gottes Engel im Himmel, wie Ihre große, edle Seele, Graf! Sie haben mein Leid gekannt und es mir tragen helfen; Sie allein sollen auch Glück und Seligkeit mit mir theilen.« Und wie in süßer Verschämtheit das Köpfchen neigend und dennoch sich fortreißen lassend bis zum jauchzenden, Alles vergessenden Bekenntniß sprach sie hastiger noch weiter: »Mein Glück aber ist meine Liebe, und meine Liebe, all' mein Denken und Sein gehört ihm, den ich von mir gestoßen, den ich durch Unglauben und Zweifel gekränkt habe bis in das tiefste Herz hinein, und der dennoch der Einzige war, welcher zu mir hielt, da alle mich verdammten, welcher auf meine Dornen mit Rosen zurückzahlte, welcher treu blieb, da Himmel und Erde mich verließen. – Olivier!«

Tiefe Stille. Goseck hatte wankend nach einer Stütze getastet. Er war niedergesunken in den Sessel und hatte das Antlitz secundenlang mit beiden Händen bedeckt. Fides von Speyern aber flüsterte leise in Nennderscheidt's Ohr: »Herzdame! – Sie haben das Hazard gewonnen, Baron.« – und dann war ihr Schritt auf dem Teppich verklungen. – »Graf Goseck ... wollen Sie meines Glückes Hüter sein?!« fragte Marie-Luises Stimme.

Da erhob er sich. Farblos, wie gebrochen an Leib und Seele. Sein Auge starrte sie an wie eine Vision, bis sich die Lider bleischwer hernieder neigten und sein Haupt sich zur Brust senkte, als trüge er erdrückende Last. »Ich will es. Ich will sein, was ich scheine.« Seine Stimme klang heiser und fremd. »Ich will in Zukunft dem Bild der ewig Gnadenreichen Mutter Gottes ehrlich in das Auge schauen können ... ehrlich wie auch Ihnen. Ja, ich will Ihr Freund sein, ich will zu Ihnen empor streben. Ihre Verachtung ertrüg' ich nicht. Gott segne und erhalte Ihnen Ihr Glück, welches ich Ihnen erkaufen werde, theurer vielleicht, als Sie jemals ahnen. Dafür aber schließen Sie mich in Ihr Gebet ein, wenn Sie all' Jener gedenken, welche fehlten und welche der Fürbitte bedürfen. Und wenn ich für ewig von Ihnen scheide ...« er unterbrach sich kurz und legte die Hand über die Augen, dann reichte er ihr die Hand entgegen und zwang sich gewaltsam zu einem leichtern Ton. »Ihre Beichte hat mich überrascht; wir sind Alle nur schwache Menschen und stehen so unsicher auf der rollenden Glückeskugel, daß uns der einzige Hauch eines Mundes, wie entwurzelte Stämme über den Haufen bläst. Gott behüte Sie, Frau Marie-Luise; Sie werden bald von mir hören, nur Gutes, und zum Dank? Geben Sie mir eine Erinnerung an diese Stunde!«

Sie drückte ihm tief aufathmend die Hand. »Welch eine Ruhe, welch ein Frieden kommt plötzlich über mich!« und dann wandte sie sich zur Seite und zog einen weißen Fliederzweig aus der Vase und reichte ihn dar: »Vergelte es Gott, was Sie für mich thun!«

– – – – – –

Heimweh stimmend tönt der Glocken
Wiederhallendes Geläut. –

            H. Vierordt.

Still war es in dem kleinen Zimmer. Goseck war gegangen. Die Sonne brach durch das Schneegewölk und tauchte die Gestalt der jungen Frau in goldenes Licht. Sie trat an das Fenster und öffnete es. Klare Winterluft quoll durch die Spitzengewebe, und Schneesternchen rieselten wie Blüthenflocken über die weiße Hand. Da erklang es ernst und feierlich und dennoch so traut und wonnesam wie einst über den Hersabrunner See. – Kirchenglocken. Und wie Marie-Luise in übermächtiger Sehnsucht in die Kniee sinkt und ihre Thränen über lächelnde Wangen thaun, da ruft es ihren Namen. – und wie sie empor springt und die Hände mit leisem Jubelschrei gegen die Schläfen preßt – da tritt er näher ... er ... Olivier ... und er breitet die Arme aus – und schlingt sie fest um ihre wankende Gestalt, und als sie sich zitternd befreien will, da sieht er ihr lächelnd in die Augen und schüttelt das Haupt: »Nicht im Leben, nicht im Tode laß ich Dich! Du hast mich lieb. Marie-Luise, und Du bist mein eigen!« Da ist's, als ob alle Glocken »Amen« riefen, als ob die glitzernde Schneeluft die Seele empor in den Himmel trüge – und sie lehnt das Köpfchen an seine Brust, wie eine Blüthe, welche allzu heiß und blendend hell der Strahl der Sonne trifft.

Er küßt ihre Lippen, und sie schlägt die Augen auf und flüstert; »Nun giebt's kein Trennen mehr!«


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