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Erstes Kapitel

»Ihm ward zur Hut gegeben
Mein Glück und meine Ruh'!«

Wilhelm Hertz.

 

Fürstin Tautenstein hatte nach Graf Goseck gefragt und sich den »interessanten« Mann vorstellen lassen. Auch zu ihm flog ihr Blick gleich sengendem Funken empor, aber wundersam, er zündete nicht. Tief und sehr verbindlich neigte sich der Freund Nennderscheidt's vor der sylphenhaften Erscheinung jenes Weibes, welches seit zwei Jahren der Inbegriff all' seiner leidenschaftlichen Sehnsucht, seines ehrgeizigsten Strebens gewesen war. Und nun lächelte die Nixe Kalypso mit den weißen Zähnchen zu ihm auf, und er schaute mit klaren, nüchternen Augen auf sie nieder, wie auf einen Maskentand, welchen plötzlich helles Sonnenlicht bescheint, es offenbarend, wie viel trügerische Flittern man zuvor für echtes Gold genommen.

Als der Hof sich zum Thee zurückzog und Claudia am Arme des Prinzen Hohneck die Loge verlassen hatte, um dem Großherzog mit silberhellem Lachen zu versichern: »Baron Nennderscheidt sei ein mehr wie origineller Mensch, man könne ihn wirklich nicht streng genug halten! viel strenger und knapper noch, wie alle anderen Staubgeborenen, und seine Frau? die repräsentire in bedauerlicher Weise das Gänschen von Buchenau!« – da trat Goseck hastig zu Olivier und zog ihn etwas abseits.

»Die Tautenstein hat Dich colossal bevorzugt und mich wie sauer Bier zur Seite geschoben; willst Du mir einen Gefallen thun und mich vor einer kleinen Blamage bewahren?«

Nennderscheidt's Stirne färbte sich noch höher. »Um was handelt es sich?« fragte er durch die Zähne.

»Du weißt, daß ich von jeher zu den begeisterten Verehrern der Schönheit gezählt habe, und Claudia als die Krone aller Weiber per distance anschmachtete, wie der verliebte Schäfer, welcher laut Uhland's Versicherung seine Lämmlein am Königsschloß vorüber trieb und zu der Holdseligen emporseufzte. Ich schmeichelte mir, ihr vielleicht Eindruck zu machen, und traf dem zu Folge die praktische Anordnung, daß mein Gärtner – auf eine anonyme Einzahlung hin – heute Abend die Gemächer der Fürstin mit einem Rosenregen überschütten solle. Jetzt nach ihrer mehr wie kühlen Behandlung –«

»Aber Goseck, ich begreife Dich garnicht! ich war im Gegentheil nahe daran, eifersüchtig zu werden« ...

»Pst!« Der Genannte zuckte mit fast ungeduldigem Lächeln die Achseln. »Wozu solche Zuckerplätzchen! ich gönne Dir Deine Triumphe neidlos, alter Junge, einem Andern gegenüber würde ich die Lanze einlegen. Also kurz heraus: ich mag mich nicht lächerlich machen in den Augen der Fürstin, und bitte Dich um den gewiß nicht unangenehmen Freundschaftsdienst, die Ovation auf Deine Kappe zu nehmen. Die glücklicherweise anonym gemachte Bestellung ermöglicht es, und wenn das wonnige, kleine Weib Dir mit leuchtenden Augen dankt, dann bitte ich Dich inständig, Olivier, nimm diesen Dank an!«

»Natürlich, selbstredend, trifft sich ja ganz brillant! Sei so freundlich und laß mich Deine Auslagen wissen, damit die Herrlichste von Allen thatsächlich meine Blüthen unter die kleinen Füße tritt! Welch' ein seliges Sterben!« und der Freiherr athmete schwer auf und legte momentan die Hand über die Augen wie ein Berauschter.

Goseck schüttelte lachend den Kopf. »Beleidige mich nicht. Herzbruder!« flüsterte er mit der Miene eines Mephisto, welcher versichert: »Hab ich doch meine Freude dran!« klopfte ihn auf die Schulter und wandte sich kurz ab.

Er fuhr auch früher nach Hause, wie alle Anderen ließ er seinen Wagen an der Promenade halten und sprang die Marmortreppe der Villa »Hazard« empor.

»Herrschaften schon zurück?«

Der Portier riß die verschlafenen Augen weit auf und schloß erschrocken die goldstrotzende Uniform.

»Nein, Herr Graf, ich erwarte aber die Equipage jeden Augenblick.«

»Die Zimmer des Freiherrn erleuchtet?«

»Durchgängig, Ew. Gnaden.«

Goseck wandte sich in den Seitencorridor, schritt hastig in das Rauchzimmer des Freundes und riß den Mantel auf. Aus seinem Portefeuille nahm er die Photographie der Fürstin Claudia, welche er bis vor wenigen Wochen voll eifersüchtiger Heimlichkeit, gleich wie ein Kleinod vor jedem fremden Blick verborgen gehalten hatte, und stellte sie so auffallend wie möglich mitten auf den Tisch. Ruhig und gleichgültig, als trenne er sich höchstens von einer überflüssigen Nippesfigur. Um seine Lippen zuckte ein scharfes Lächeln, eiserner, erbarmungsloser Willen trotzte von seiner Stirn. Dann schloß er die Thüre hinter sich und schritt ohne Wort und Gegengruß an dem Diener vorbei nach seinem Wagen zurück.

Niemand wunderte sich darüber, man war an derartiges Kommen und Gehen des Grafen gewöhnt.

Als die Kammerfrau der Fürstin Tautenstein vor ihrer zurückkehrenden Herrin die Flügelthür öffnete und mit bedeutsamen Lächeln Fräulein von Gironvale ein unmerkliches Zeichen machte, wich Claudia momentan zurück vor den Duftwogen, welche ihr süß und lieblich entgegen quollen. Mit schnellem, eigenthümlich scharfem Blick überflog sie den Salon. Blühende Rosen bedeckten den Fußboden, glühten in mächtigen Sträußen auf Tischen und Consolen, und fielen in graziösen Zweigen selbst durch die Krystallprismen des Kronleuchters. Purpurne, leuchtende, heiße Liebesrosen. Claudia lächelt, ein böses, triumphirendes und erbarmungsloses Lächeln. Vor wenigen Stunden hatte sie in diesem selben Zimmer gestanden und die Hände über der Vermählungsanzeige des Freiherrn von Nennderscheidt geballt, welche von Esperance mit aufgeregtesten Tiraden überbracht wurde. Da hatte es sich wie ein schweres Wetter auf der schneeweißen Frauenstirn zusammengezogen, da hatte es in ihren Augen geblitzt wie die Lichtfunken auf scharfem Dolch, welchen die Rache zum Stoße hebt. »Das ist nicht Opposition gegen den Hof, sondern gegen mich!« waren die ersten Worte, welche sich fast zischend von ihren Lippen rangen, und Fräulein von Gironvale lachte boshaft auf. »Der Narr muß daran glauben, Durchlaucht, der muß dahin kommen, daß er jeden einzelnen dieser gedruckten Buchstaben mit den Fingern aus Demant kratzen möchte, könnte er sie damit löschen!«

Fürstin Claudia antwortete nicht, sie lachte nur leise auf und sagte: »Wähle Du meine Toilette für heute Abend aus, meine gute Esperance!« und die gute Esperance wußte nun genau, wie die Actien standen, und umschmeichelte ihre Herrin wie ein Kätzchen, welches sich klug und glatt jeder Bewegung derselben anzuschmiegen weiß.

Und nun stand das schöne zürnende Weib, das bitterböse Teufelchen, welches wie von Engelschwingen getragen, liebreizend und lächelnd durch die Räume des Opernhauses geschwebt war, abermals auf der Schwelle ihres Salons, und sie lachte wieder, lachte, daß sie sich auf den Arm ihrer Vertrauten stützen mußte. Dann hob sie jählings das Haupt: »Wer hat das Zimmer schmücken lassen, Madame Salier?«

Die Kammerfrau zuckte die Achseln. »Der Gärtner wußte es selber nicht, wer den Auftrag gegeben hat, Durchlaucht, aber er meinte, es sei der Kutscher des Herrn von Nennderscheidt gewesen, welcher heute Abend, nach neun Uhr, mit seiner Bestellung das ganze Geschäft alarmirt habe! Die Blumen sind erst seit einer knappen Viertelstunde hier.«

»So.« Claudia riß den köstlichen Strauß, welchen Fräulein von Gironvale bewundernd aus einer Vase hob, ihn darzureichen, der Gesellschaftsdame aus der Hand und schleuderte ihn weit von sich auf die Erde, daß die zarten Blättchen hoch empor wirbelten.

»Oeffnen Sie die Fenster, es ist ja ein unausstehlicher Geruch!« befahl sie mit harter Stimme und schritt quer durch das Zimmer nach dem Nebensalon. Ihre Hackenschuhe zermalmten erbarmungslos die duftigen Kelche, und die goldfunkelnde Schleppe fegte sie zusammen, wie gefallenes Laub, welches Reif' und Frost getroffen.

Esperance aber warf sich exaltirt neben ihrer Brodherrin auf das weiche Wolfsfell vor dem Kamine nieder und jubelte laut lachend: »Köstlich, unbezahlbar. Sie himmlische Zauberin! Wenn Turandot sich treu bleibt und marmorkühl und ungerührt über die Rosen und das Herzblut des Herrn von Nennderscheidt hinweg schreitet, dann werden wir einen großartigen Spaß erleben und einen Carneval im hohen Norden feiern, in welchem die Göttin »Revanche« triumphierend die Pritsche führt!«

Claudia schloß zwinkernd die Augen. »Abwarten!« sagte sie kurz.

– – – – – – –

Am nächsten Morgen malte die klare Wintersonne das Spitzenmuster der zartduftigen Gardinen auf den Teppich in Marie-Luisens Boudoir, und die junge Frau blieb einen Augenblick zögernd auf der Schwelle stehen, um die Pracht dieses kleinen Raumes zu bewundern, welcher, in helles Tageslicht getaucht, einen völlig neuen Anblick bot.

Im Kamin flammte ein offenes Feuer, die Pendule auf dem Schreibtisch, in einem Gehäuse verborgen, welches ein Edelstein besetztes Schiff mit blauen Emailsegeln darstellte, tickte leis und behaglich, und in dem Erker, inmitten einer genialen Wildniß von Palmwedeln und Farren, zwitscherten fremdartige bläulich schillernde Vögelchen ihren Gutenmorgengruß. Außerordentlich anheimelnd und wohnlich war das Zimmerchen, und dennoch sah sich Marie-Luise rath- und hülflos darinnen um und verschlang die Hände mit tiefem Aufseufzen: »Was sollst Du hier den ganzen langen Tag über beginnen?« Hier gab es keine Arbeit wie in Hersabrunn, kein Sorgen und Schaffen, keine knappe Zeit und kein ungeduldiges Mahnen aus so und so vieler Damen Mund, nur eine stille vornehme Ruhe, eine bleischwer lastende Einsamkeit inmitten ungewohnter Eleganz.

Groß und verwundert und ersichtlich nicht im mindesten auf solch' frühe Befehle vorbereitet, hatte die Kammerfrau ihre junge Gebieterin angestarrt, als Marie-Luise bereits um sieben Uhr schellte, sich von Madame Verdan in der Garderobe zurechtweisen zu lassen. Sie war bereits frisirt, trug das Haar wie früher in schlichtem Knoten am Hinterhaupte aufgenestelt, und nur die kurzen Löckchen, welche ihr der Friseur am gestrigen Abend über der Stirn geschnitten hatte, fielen in natürlichen Wellen darauf nieder und gaben ihr ein etwas verändertes Aussehen. Madame Verdan schlug die Hände zusammen. »Ei Du lieber Gott, gnädige Frau haben sich wohl in der Zeit geirrt? oder haben Frau Baronin ein außergewöhnliches Tagesprogramm für heute bestimmt?«

»Nein, Frau Verdan, ich stehe stets um sechs Uhr auf, im Sommer sogar weit früher.«

»Da wird Frau Baronin der Morgen aber entsetzlich lang werden! Hier in der Residenz fängt man überhaupt den Tag erst an, wenn er zur Hälfte vergangen ist, und all die Damen, welche ich im Leben schon bedient habe, tranken ihre Chokolade im Bett und schlüpften frühestens um elf Uhr in das Morgenkleid. Nun, ich denke mir, gnädige Frau werden auch noch ein paar Stunden zugeben, wenn erst Nacht für Nacht durchtanzt wird, ist ja sonst gar nicht auszuhalten! Der Herr Baron erheben sich auch erst um zehn Uhr, sagte mir Franz!« und dabei hatte die würdige Matrone ein Morgenkleid von weißem spitzenbesetzten Cachemire aus einem der Spinden genommen und breitete es vor ihrer Herrin aus. »Befehlen gnädige Frau diese Matinee? oder sind die fraisefarbenen Schleifen heute nicht vortheilhaft? Sie sehen ein wenig blaß aus ... aber vielleicht hilft es, wenn wir etwas rosa Puder auflegen?«

Frau von Nennderscheidt schüttelte das Köpfchen. »Ich bin es gar nicht gewohnt, Morgenröcke zu tragen, liebe Frau Verdan!« sagte sie in ihrer freundlich treuherzigen Weise: »Geben Sie mir lieber gleich das Kleid, welches ich den ganzen Tag über tragen werde!«

Dagegen wehrte sich aber die kleine Dame mit aller Energie. »Gott erbarme sich, gnädige Frau, was sollten wohl der Herr Baron dazu sagen! Mir würde er eine Reprimande ertheilen, daß ich nicht für eine passende Wahl der Toilette gesorgt habe, denn die Herren haben nun einmal sämmtlichst die Schwäche, eine Dame in geschmackvollem Negligé am allerreizendsten zu finden! Also um des Herrn Gemahls willen, gnädige Frau, welcher all' diese Roben mit so viel Sorgfalt und Interesse ausgewählt hat!«

Ein unmerkliches Beben ging über das Antlitz Marie-Luise's. »Seien Sie unbesorgt, Madame Verdan, mein Mann kann Ihnen unmöglich Vorwürfe machen, da er erst das zweite Frühstück in meiner Gesellschaft einnehmen wird, und ich bis dahin auf jeden Fall meine Toilette beendet haben will. Wenn es Ihnen jedoch zur Beruhigung dient, und es allgemein Brauch und Sitte ist, werde ich keine Ausnahme machen, sondern mich kleiden, wie es von mir verlangt wird.«

Es lag etwas rührend Geduldiges und Resignirtes in Wesen und Stimme der jungen Frau, und die Französin, welche gestern noch spöttisch die Nase über das sichtlich unbeholfene und mehr wie schlichte Auftreten ihrer Herrin gerümpft hatte, streifte ihr jetzt fast zärtlich die spitzenduftigen Falten über das Haupt, so sorgsam und eifrig, als gälte es, ihr eigen Töchterlein zu schmücken.

Ein Stubenmädchen und ein Diener standen noch vergnüglich schwatzend im Boudoir, sie den Staubwedel und er den Holzkorb in Händen. Beide prallten erschrocken vor der unvermutheten Erscheinung der Baronin zurück. Ein devoter Gruß, ein zierlicher Knix, und dann rauschten die blaßblauen Damastportieren vor den Flügelthüren zusammen, und die electrischen Klingeln tobten im Corridor, dem Hausmeister zu vermelden, daß er sich ganz gewaltig in der Frühstücksstunde seiner Gebieterin verrechnet habe.

Marie-Luise aber seufzte leise auf. Wie anders hatte sie sich ihre junge Häuslichkeit gedacht, und welch' ein ander Lied von Glück hatten damals die Morgenglocken gesungen, als sie über See und Fluren klangen. Langsam tritt sie an die Volière, voll wehmüthiger Freude die kleinen Sänger zu liebkosen, welche hinter goldenem Gitter gefangen gehalten werden.

Scheu und angstvoll flatterten sie gegen die Stäbe. Marie-Luise kennt die Qual eines zitternden Herzens, sie wendet sich ab und schlägt die seidenrauschende Gardine vor dem Erkerfenster zurück.

In weißglitzernder Pracht dehnt sich vor ihrem Blick der Park mit seinen kahlen, graziösen Laubholzwipfeln, zwischen welchen grüne Tannen, wie von Silberduft umhaucht, empor steigen, und aus denen fernhin Thürme und metallfunkelnde Kuppeln ragen.

Die Promenade liegt zu dieser frühen Zeit still und menschenleer, nur ein paar Lakaien schreiten quer durch die vierreihige Lindenallee und zeichnen breite Stapfen in die fleckenlose Schneedecke. Der Erker, in welchem die junge Frau steht, ist thurmartig gerundet und weit vorgebaut, und gewährt den Blick auf den gewaltigen Quaderbau des Erbgroßherzlichen Palais, welches mit imposanter, Säulen gestützter Front den Paradeplatz flankirt und seinen Garten bis dicht an das Grundstück der Villa Hazard vorschiebt. Von der Terrasse derselben blickt man direct in eine der Kastanienalleen des fürstlichen Besitzes hernieder, und weiter zurück, hinter den Gebäuden, sind die Gärten nur durch ein hohes, spitzenartiges Eisengitter getrennt.

Lange steht die Gemahlin des Freiherrn von Nennderscheidt und blickt hernieder auf die fremde, stolze und frostige neue Heimath, in welcher sie sich verlassen und verloren fühlt, wie ein Vögelchen, welches eine rauhe Hand aus dem Neste gerissen, es hülflos und verwaist in die unbekannte Welt hinaus zu stoßen. Wieder faßt sie die unaussprechliche Qual wilden Heimweh's und keine Menschenseele ist da, zu welcher sie sich flüchten könnte, all' ihr Herzeleid in tausend bitteren Thränen auszugießen! Ganz allein! Noch durchzittert von dem Todesweh grausam verrathener Liebe, geängstigt von einem Wirbelsturm neuer Eindrücke, welche auf sie eindringen und sie schwanken lassen auf dem glatten Parquet der Convenienz und Ceremonie. Ganz allein. Keiner steht an ihrer Seite, sie liebevoll zu stützen und zu leiten; die Hand, welche sie hierher geführt, welcher sie voll kindlich treuen Glaubens gefolgt ist, reißt sich los von ihr und überantwortet sie unbarmherzig den hohen Wogen, welche ihr Lebensschifflein in wildem Spiele schleudern. Ganz allein! Und dennoch ... Marie-Luise zuckt empor und hebt das Thränen überströmte Antlitz mit starrem Blick, … und dennoch ist sie nicht völlig vereinsamt; einen Talisman besitzt sie, einen köstlichen Schatz, welcher gleich festem Felsgestein aus Sturm und Fluthen ragt, daß sie, die Verzagende, sich daran klammere. Seine Briefe! jene süßen, berauschenden Zeilen, welche sie mit unzähligen Küssen bedeckt hat, welche mit ihrem Herzen verwachsen sind, und welche ihr in treuster Lauterkeit versichern: »Du bist geliebt!«

Und wie ein furchtsames, geängstigtes Kind in der Dunkelheit jedem Lichtstrahl aufathmend entgegen stürmt, so flüchtete sich Marie-Luise ebenfalls zu dem einzigen Wiederschein des Glückes, welcher ihr geblieben.

Auf ihren Knieen lag das kleine Päckchen Briefe, hastig geöffnet, mit zitternden Händen emporgehalten, wieder und wieder gelesen. Und die Thränen versiegten, und die müden Augen strahlten auf in unaussprechlichem Entzücken, und ein Lächeln verklärte das blasse Antlitz, wie Sonnenlicht, welches regenschwere Blüthenkelche küßt.

Dann aber erlosch es Schein um Schein, und Marie-Luise strich langsam mit der Hand über die Stirn und starrte hernieder auf die Worte: »ich habe Dich lieb!« Und diese Worte hatte ein Anderer geschrieben, als ihr Mann, ein Anderer, welchem sie vertraut und an welchen sie glaubt wie an sich selber. – Goseck. – Da raschelt es wieder in den giftigen Sumpfblüthen verbotener Gedanken, und die Schlange, die Versucherin, ringelt sich schmeichlerisch herzu, höher und höher empor an dem schwachen Weibe, es verderbend in das Herz zu stechen.

Da rang und wand sich die Seele im Kampf, das schwache Weib aber blickte empor zum Himmel und ward eine Riesin und schleuderte die Sünde von sich, daß ihr Natterhaupt zerschmetterte. Ja, diese Briefe waren Alles, was ihr geblieben, ihr einziger Trost in all' dem Elend, aber sie waren gleicherzeit unscheinbare Samenkörner, aus welchen Unkraut empor schießen wird, gleich der umstrickenden Schmarotzerpflanze, welche den Stamm, welcher sie beschützt, nieder in den Staub reißt.

Diese Briefe sind fallende Tropfen, welche mit der Zeit den Grundstein der Treue höhlen müssen, sind rollende Steine, welche sich zu himmelhoher Scheide wand zwischen ihr und ihres Gatten Herz bauen werden. Marie-Luise weiß, daß nicht ihr Verlobter, sondern ein Fremder diese Briefe geschrieben, und dieses Wissen macht sie schuldig, wenn sie jetzt als das Weib eines Anderen, an Liebesschwüre glauben will, die sie als gesprochenes Wort nicht anhören dürfte und nicht anhören würde.

Wie Entsetzen schüttelt es plötzlich ihre Glieder, klar und deutlich blickt sie in die Zukunft und erkennt die Gefahr, welche sich so harmlos hinter ein paar weißen Blättchen Papier verbirgt. Ein einsames und vernachlässigtes Weib gleicht einer Ertrinkenden, es klammert sich blindlings an eine fremde Hand, wenn dieselbe es empor an ein Herz ziehen will. Marie-Luise aber ist so verlassen, so jung und so unglücklich, und diese Briefe strecken sich ihr entgegen, wie zwei Arme, welche locken und winken: »Stürze Dich uns entgegen, wir halten Dich fester und wärmer, als der, dessen Hand Dich von sich stößt!«

Aufstöhnend schlägt Marie-Luise die Hände vor das Antlitz und dennoch giebt es keine Wahl mehr für sie. Das letzte und einzige Glück giebt sie dahin, um Pflicht und Ehre den schweren Tribut zu zahlen. Kein Gedanken selbst soll in ihrem Herzen sein, der nicht lauter und brav demjenigen allein gehört, welchem sie vor Gottes Altar Treue geschworen.

Und sie legt einen Augenblick die gefalteten Hände auf die Briefe und schaut empor, von droben Kraft zu erflehen, sich aus dem süßen und beseligenden Traum der Liebe selber wach zu rütteln. Da nimmt sie Abschied von Lenz und Jugend, künftighin als ernstes und wunschloses Weib den starren Pfad der Pflicht zu wandeln.

Langsam erhebt sie sich, ergeben und ruhig, schreitet zu dem Kamin und legt mit sicherer Hand die Briefe in die Flammen. Hochaufgerichtet steht sie und starrt hernieder, wie die Funken tanzen, wie die Rauchwölkchen ihre Kreise ziehen und die Gluth mit rothen, gierigen Lippen die Blätter küßt, auf welchen geschrieben steht: »Ich habe Dich lieb, Marie-Luise!«

Da knirscht die Portière leise in den seidenen Falten, und eine Stimme spricht hinter ihr: »Umsonst, gnädige Frau! Das Feuer verzehrt nur Vergängliches, den Becher nur, aus welchem Sie den Zaubertrank des Glückes genossen, das süße Gift selber ist Ihnen zu Fleisch und Blut geworden, und nicht die Opferbrände einer ganzen Welt vermögen es, die Worte aus Ihrem Herzen zu merzen, welche für alle Ewigkeit hineingegraben sind!«

Zusammenschreckend hatte sie das Haupt gewandt, in dem Thürrahmen stand Graf Goseck und blickte ihr mit düstern, tief umschatteten Augen entgegen. Seine Stimme war durchklungen von einer fast unheimlichen Ueberzeugung, und dennoch war es, als bebe ein tiefes Mitleid durch sie hin, als grabe nur Schmerz und Wehmuth die Falten in seine Stirn.

Zartes Roth stieg in die Schläfen der jungen Frau.

»Wie kommen Sie zu solch' ungewohnter Stunde hierher? wie war es möglich, daß ich Ihr Eintreten nicht früher bemerkte?« fragte sie erschrocken. Langsam trat er näher und verneigte sich, ohne ihr die Hand zu reichen. »Für dieses ungebührliche Eindringen bitte ich zuvor um Verzeihung und hoffe, daß Sie mir gestatten, mich durch ein Commentar dazu von dem Schein der Indiscretion zu entlasten. Schwebende Fragen über den Ankauf von Ländereien führten mich, der es seit Jahren gewohnt ist, jeder Stunde bei dem besten Freund aus- und eingehen zu können, zu Olivier, und bestand derselbe darauf, daß ich meinen Morgengruß bei Ihnen persönlich abstatten solle.« Goseck hob die Hand, in welcher zwei köstliche weiße Rosen dufteten, etwas unsicher, mit bittendem Blick Marie-Luise entgegen, dann schien er sich plötzlich anders zu besinnen, biß sich auf die Lippe und schüttelte leise das Haupt. »Jene Funken im Kamin leiden es nicht, sie stechen mir grell in die Augen und mahnen mich, daß die Zeit vorüber ist, da ich Ihnen Blüthen und Briefe senden durfte. Ich kenne aber eine Fabel von einem Rittersmann, des Lieb war Nonne geworden und durfte seine Grüße nicht mehr empfangen; da legte er die bleichen Rosen am Altar der Himmelskönigin nieder, welche ihn mit denselben dunkeln Augen anschaute wie sein verloren Glück, ... und durfte es ... und that keine Sünde.« Die letzten Worte verloren sich in kaum noch verständlichem Flüstern. Eustach wandte sich zur Seite und steckte die Rosen in die vergoldete Schnitzerei der kleinen Marien-Kapelle. Es lag ein Ausdruck in den großen Kinderaugen der jungen Frau, welcher ihn ganz plötzlich jäh verändert, lebhaft und fast heiter fortfahren ließ: »Ihr Herr Gemahl hatte die Absicht, mich zu begleiten, und durchschritten wir bereits die ersten Salons, als ihn der Besuch eines Geschäftsmannes wieder zurückrief. Er schickte mich als Avantgarde voraus und läßt gehorsamst bitten, das déjeuner heute bereits um zwölf. Uhr in seiner und meiner Gesellschaft einzunehmen, da es nothwendig sei, im sofortigen Anschluß daran Visiten zu fahren.« Goseck lachte gedämpft auf und zuckte die Achseln »Sie müssen sich schon von vornherein daran gewöhnen, mich sehr oft als Dritten in Ihrem Bund aufzunehmen; Olivier zwingt mich quasi dazu, da er kleine Tafelrunden sehr langweilig findet und behauptet, er müsse sich erst ganz allmählich meine, ihm unentbehrlich gewordene Gesellschaft abgewöhnen!«

Marie-Luise hatte längst durch eine Geste gebeten, Platz zu nehmen. Es lag viel ehrliche Freude in ihrer Versicherung, daß die Freunde ihres Mannes auch ihre Freunde seien, und daß er stets willkommen wäre; gleicherzeit aber sprach sich in ihrem ganzen Wesen eine so unbewußte und ernste Würde aus, ein so naives und rückhaltsloses Vertrauen zu ihm, daß Graf Goseck die Wimpern niederschlug, gleich wie ein Jäger unwillkührlich die Büchse sinken läßt, wenn zwei klare Rehaugen ihn furchtlos ansehen.

Er lehnte sich auf den Sessel und starrte einen Moment mit gefurchter Stirn auf den Sonnenstrahl nieder, welcher einen zitternden Goldstreifen über den Teppich und die weiße Schleppe ihres Morgenkleides malte. Dann athmete er tief auf. »Es ist ein köstlich Ehrenamt, Ihr Freund zu sein, Frau Marie-Luise,« sagte er mit leiser Stimme, »wenngleich wohl kaum eine größere Qual ersonnen werden kann, als einen Verschmachtenden zum Hüter eines krystallklaren Quells zu machen, zu welchem er nicht hernieder sinken kann, weil Hand und Fuß gefesselt sind.«

Fragend und verständnißlos schaute sie zu ihm auf, er aber fuhr mit kaum beherrschter Leidenschaft fort: »Auch meine Seele dürstet nach dem Glück, und dennoch werde ich vor einem vollem Becher stehen und ihn für einen Anderen hüten! Ein Tantalus, welcher dennoch mit keinem König tauschen würde! Ja, Sie bedürfen eines Freundes, gnädige Frau, eines Freundes welcher es künftighin verhindern wird, daß Sie Stunden durchleben, von deren Weh und Verzweiflung jene verkohlten Blätter im Kamin die beredtesten Zeugen sind!«

Sie erröthete, aber sie blickte ihm fest in die Augen. »Sie zürnen mir, daß ich jene Briefe, in welchen Sie mir einen schönen Traum erhalten wollten, vernichtete! Es geschah nach reiflicher Ueberlegung und wird niemals von mir beklagt werden. Morphium betäubt wohl den Schmerz, aber es ist ein gefährlich Gift und heilt nur kleine Leiden, um selber zur unheilbaren Krankheit zu werden! Jene Briefe aber sind nichts anders als wie derartig süße Tropfen, welche über eine qualvolle Wirklichkeit hinwegtäuschen sollen!«

Goseck hob wie jäh entschlossen das Haupt, ein fast starrer Ausdruck lag auf seinem farblosen Gesicht. »Und warum diese Wirklichkeit überhaupt ertragen? Ein Wort von Ihnen, gnädige Frau, und ich erlöse Sie aus all' dieser Noth, ich führe Sie zurück zu Freiheit und Leben und trete mit Gut und Blut für Sie in die Schranken, wenn ich ungeschehen machen kann, was zu Ihrem Fluch geworden, wenn ich den goldenen Reifen zu sprengen vermag, welcher sich als Sclavenring um Ihren Finger spannt. Befehlen Sie über mich!« Voll verzehrender Gluth brannte sein Auge auf ihrem lieblichen, jäh erbleichenden Antlitz, sie aber schüttelte voll wehmüthigen Ernstes das Köpfchen und reichte ihm die Hand entgegen.

»Ich danke Ihnen für Ihre Teilnahme, welche Sie voll edeln Eifers zu meinem ritterlichen Anwalt machen will. Graf Goseck! So Gott will, werde ich diesen Ring ebenso unverändert am Finger tragen, wie ich wankellos das Gelübde der Treue halten will, welches ich geschworen. Auch sehen Sie mein Schicksal schwärzer an, als es ist. Was berechtigt mich zu dem Verlangen, geliebt zu werden? Da ich mich gestern Abend in dem Ballsaal umgeschaut, ist es mir erst offenbar geworden, wie tief sich Olivier hernieder geneigt hat, mich aus der Verborgenheit empor an seine Seite zu heben. Was bin ich, und was habe ich, um solchen Glückes werth zu sein? Wie viele Tausende müssen mich beneiden, daß er mich auserlesen hat, seinen Namen zu tragen, daß er mich mit Pracht und Reichthum umgiebt, daß ich sein guter Kamerad bin, der Lust und Leid und Glück und Noth mit ihm theilen darf? Des Glückes Uebermaß aber bricht die Herzen, welche nicht ganz fest in Demuth und Gottesfurcht stehen, gar leicht in den Staub hernieder, und darum weiß es unser Vater droben wohl am besten, warum er zumeist ein Kreuz errichtet, diese schwachen Menschenherzen zu stützen!«

Ein rührendes Lächeln verklärte ihr Antlitz. Goseck aber wich ihrem Blicke aus und zwang sich fast gewaltsam zur Ruhe. Es tobte und kämpfte in ihm; Zerknirschung und frommes Entzücken, welches sich vor der Geliebten, gleichwie vor einer Heiligen niederwerfen möchte, und die begehrliche, ungestüme Leidenschaft, welche mit Geduld und Berechnung ringt. Langsam strich er mit der Hand über die Stirn.

»Gebe Gott, daß all' diese braven Worte, mit welchen Sie sich selber ein Recept verschreiben, viel Elend mit noch mehr Würde zu tragen, sich bewähren möchten!« sagte er ernst, trat einen Schritt näher und schaute ihr plötzlich fest und tief in's Auge, als wolle er ihre Seele mit diesem Blicke zwingen. »Eines aber geloben Sie mir, gnädige Frau! Sollte jemals die Stunde kommen« – in seiner Stimme lag ein Klang, welcher voll unheimlicher Ueberzeugung versicherte: »und sie wird kommen!« – in welcher Sie rath- und hülflos, verlassen von Allen, verwaist und verloren, Ihr Unglück nicht mehr ertragen können, wenn Sie nicht wissen, an wen sich wenden in aller Noth, dann kommen Sie aus eigenem Antriebe und aus eigenstem Entschlusse zu dem, der Ihnen helfen wird gegen eine ganze Welt, der, wird es gefordert, mit dem Herzblut Ihr Glück und Ihren Frieden erkauft, und keine Gefahr und keine Mühe scheut, kann er Ihnen dadurch eine Thräne trocknen, – zu mir, gnädige Frau!«

Er preßte ihre Hand fest und fester, er neigte sich näher und wiederholte durch die Zähne: »Bei Allem, was Ihnen heilig ist, geloben Sie es!«

Ein jähes, angstvolles Zittern erfaßte Marie-Luise, sie hatte das Gefühl, als lege sie ihre Hand in eine Schlinge, welche sich verderbend darum zusammenziehen wird. Als sie aber in rathloser Pein den Blick hob, da schaute sie just in das lächelnde Antlitz des Schutzengels, welcher ihr gegenüber die Marmorschwingen ausbreitete und ihr zuzunicken schien: »Gelobe es ihm!«

Still' ward's in ihrem Herzen, sie sah zu Goseck empor und zog die Hände nicht zurück. »Ja, ich werde kommen, und Sie werden meines Glückes Hüter sein!« sagte sie schlicht.


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