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Siebentes Kapitel

Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
Die lang ich vergessen geglaubt?

Chamisso.

Wir üben heut' ein gleiches Thun,
So lasset uns die Hände falten,
Und in uns selbst einkehrend nun
Zusammen Aschermittwoch halten!

Adolf Stöber.

 

Fürstin Tautenstein hatte mit wachsendem Erstaunen bemerkt, daß der Freiherr von Nennderscheidt, welcher stets ihr Schatten gewesen, heute ihre Unterhaltung kaum vermißte, geschweige sie suchte.

Als der Großherzog und Erbgroßherzog, mit welchen sie in lebhafter Unterhaltung promenirte, die Staatsministerin und Gemahlin des russischen Gesandten begrüßten, benutzte sie den Moment, sich in ihrer eigenwilligen Weise unter die Gesellschaft zu mischen. Ohne sich durch eine directe Conversation fesseln zu lassen, hie und da zunickend, dort im Vorüberschreiten die Hand mit den klirrenden Goldreifen darbietend, und zeitweise im Begegnen eine Bemerkung in fremden Disput streuend, schritt sie kreuz und quer durch die eisglitzernden Parkwege. Wie ein Irrlichtflämmchen tauchte die feuriggelbe Aigrette ihres Capothütchens im launigen Zick-Zack auf und nieder, und die mächtige Ulmer Dogge mit dem Halsband »à chien de Charles V.« drängte sich mit geneigtem Kopf ihrer schönen Herrin nach.

Claudia trug noch die Hälfte des großen Straußes blühender Schneebälle in der Hand. Ihr Blick schweifte suchend durch die Menge, und als sie den Freiherrn von Nennderscheidt ganz vertieft in eine Unterhaltung mit Fräulein von Speyern sah, brach sie schnell einen Schneeball vom Zweig und warf ihn neckend gegen Olivier's Brust. Ein zweiter folgte und traf die Schulter der Hofdame.

Nennderscheidt zog verbindlich den Hut, neigte sich und nahm die Blüthe auf. Nach wenigen Minuten schritt Fürstin Tautenstein wieder an ihnen vorüber, und wieder flog ein Schneeball.

»Viel Kugeln verfliegen in Lüften frei –
Fängt sich eine im Herzen, ist Alles vorbei!«

Sie wandte lachend das Köpfchen. Als Antwort folgte den beiden ersten Blüthen eine dritte. Sie traf nicht, schoß weit über das Ziel hinweg und fiel in's Gebüsch. Die Dogge stürzte ihr nach.

»O, wie schießt Ihr schlecht! Ade, mein Land Tyrol!«

»Vorläufig haben Sie weder dem Lande Tyrol, noch mir ›guten Tag‹ gesagt!«

Olivier trat an ihre Seite.

Die Unterhaltung war nicht so lustig und animirt wie sonst. Nennderscheidt schien schlechte Laune zu haben und sah sie mit anderen Augen an wie sonst; schärfer, prüfender. Er bemerkte zum ersten Mal, daß sie sich stark gepudert hatte, und in dem hellen Sonnenlicht nicht so jung aussah wie sonst.

»Ich freue mich so sehr auf den Beginn des Carnevals, welcher dieses Jahr in etwas rheinländischer Manier von der Stadt gefeiert werden soll,« sagte sie im Lauf des Gespräches. »Für einen Festzug sorgt die Kunstschule und die Akademie, und etliche der renommirtesten Maler, welche ich gestern am Künstler-jour fix der Ministerin kennen lernte, versprachen mir eine höchst amüsante und bunte Zeit. Ich hasse alle Langeweile und liebe es, wenn man den ganzen Tag über vor Amüsement kaum zur Besinnung kommt! Das Leben ist so kurz, man muß genießen, so viel wie nur irgend möglich für grüne Blätter im Immortellenkranz der Erinnerung sorgen! Jede Stunde, welche ich gelangweilt auf meiner Chaiselongue vergähne, erachte ich für zwecklos und vergeudet, und doch bietet hier in dieser unglaublich soliden und pedantischen Welt kein Tag vor dem Mittagessen eine Abwechslung!«

»Lesen oder musiciren Sie nicht?«

»Nein, ungern. Andere Menschen und ihre Schicksale sind mir viel zu gleichgültig, um auch nur einen Finger zum Umschlagen der Seiten zu heben, und wissenschaftliche Werke zu studiren, bin ich ehrlich gesagt viel zu träge. Musik jedoch ist mir höchstens ein unangenehmes Geräusch, welches ich als ›Mittel zum Zweck‹ im Ballsaale ertrage und in Oper und Concerthaus erdulde, als Eine, welche dem Connivenzmärthrerthum zum Opfer gefallen!«

Olivier sah starr vor sich nieder, auf die flimmernde Schneedecke des Weges, über welche im wirren Durcheinander die dunkeln Fußspuren liefen. Eine Erinnerung tauchte blitzartig in ihm auf. Er sah sich als Kind in der großen Eßhalle von Roggerswyl stehen. Seine Mutter, im schlichten, weißen Gewand, saß vor dem Harmonium und spielte die Begleitung zu dem Morgenchoral, welcher von sämmtlichen Schloßbewohnern gesungen wurde. Machtvoll, feierlich und ergreifend in schlichter Innigkeit erbrausten die Töne, und die Pfingstmaien dufteten, und das Sonnenlicht fiel warm und hell in sein junges Herz. Da schlang er voll Entzücken die Arme um seine Mutter und rief: »Laß mich ein Musikant werden, Mutter, daß ich singen und spielen kann wie Du!« Sie küßte sein Antlitz und hob ihn empor an die Brust und sprach leuchtenden Auges die Worte Luthers: »Wer sich die Musik erkiest – Hat ein himmlisch Werk genommen – Denn ihr erster Ursprung ist, Von dem Himmel selbst gekommen; – Weil die lieben Engelein, Selber Musikanten sein!«

»Ueber was denken Sie denn so lange nach, Herr von Nennderscheidt?« spottete es leise kichernd an seiner Seite.

Er zuckte zusammen. »Arbeiten Sie gar nichts?« fragte er schnell, »oft eifern die Damen dem Beispiel der Penelope nach, sich die Zeit zu vertreiben.«

Nun lachte sie laut und schallend auf. »Für arme Kinder Strümpfe stricken, oder Rosen und Vergißmeinnichts in zarte Vielliebchen sticken? Nein, bester Baron, zur Nähmamsell hat mich meine Mama, Gott sei Dank, nicht ausbilden lassen, denn Begriffe, welche nicht durchaus ladylike waren, kannte sie überhaupt nicht. Was haben Sie für wunderliche Ideen heute? Aschermittwoch feiert man erst in vierzehn Tagen; bis dahin aber trägt auf unsern Köpfen selbst die Narrenkappe aristokratische Farben!«

Und wieder tauchte ein Bild der Erinnerung jählings vor ihm auf. Sein Vater war zum Großherzog befohlen und öffnete seine Schatulle, sich mit ehemals getragene Kleinodien zu schmücken. Seine Hand aber war ausgearbeitet, und sein Finger für den Wappenring zu stark geworden. Neben ihm stand seine Gemahlin ... und sie nahm strahlenden Blicks diese ungefüge Hand und drückte die Lippen darauf. »Kein adeliges Wappen kann diese liebe Rechte tragen, als die Spuren solch' edler Arbeit!« – Seit jenem Tage aber glänzte der höchste Orden des Landes auf des Vaters Brust, mit welchem der Großherzog seines wackeren Edelmannes schwielige Hand anerkannt und belohnt hatte.

»Pst! ... Pst! ... Graf Goseck ... Esperance ... still da! ... den Mund halten ... stört den Herrn von Nennderscheidt nicht, er denkt schon eine halbe Stunde lang darüber nach, was sich geistreicher ausnimmt, sein Reden oder Schweigen!«

Lautes Gelächter. Olivier macht gute Miene zum bösen Spiel und lacht mit. Aber er bleibt zerstreut und einsylbig. Erst als Marie-Luise und Fräulein von Södermann durch die Gitterthüre der Götterallee eintreten, belebt sich sein Blick. Goseck eilt der jungen Frau wie in ganz selbstverständlicher Galanterie entgegen und begrüßt sie sehr herzlich, beinahe vertraulich. Sie bedankt sich für den köstlichen Fliederstrauß, welchen er ihr heute Morgen geschickt hat, und er bittet um Verzeihung, daß er sie nicht aus dem Hospital abholte, wie das sich wohl gehört hätte.

Fürstin Tautenstein hat der jungen Frau mit zwinkerndem Blick entgegen gesehen, und es däucht Olivier, als bekämen ihre »Taubenaugen« etwas ungewöhnlich Scharfes und Stechendes, als sie die schlanke Gestalt Marie-Luises mustert, welche heute ganz besonders lieblich und anmuthsvoll aussieht. Halbwegs hat sie ihr sogar die Hand entgegen geboten, sie mit gnädigem Kopfneigen zu grüßen, plötzlich aber reißt sie die Hand los und taumelt wahrhaft entsetzt von Frau von Nennderscheidt zurück. »Hospital? ... Sie sagen Hospital, Graf Goseck? Mon dieu, kommen Sie etwa direct aus den Krankensälen zu uns, Baronin?«

Marie-Luise wird dunkelroth vor Schrecken. »Ja, Durchlaucht, ich komme allerdings direct, aber ich bin den ganzen Weg zu Fuß durch die kalte Winterluft gegangen! Außerdem haben wir keine Patienten mit bösartigen Krankheiten.«

Claudia's Lippen haben sich entfärbt vor Schreck und Angst, eine zornige, namenlose Gereiztheit sprüht aus ihren Augen. »Ganz egal! Es ist eine starke Zumuthung für Ihre Mitmenschen, allein den Gedanken zu ertragen, mit Jemand in Berührung zu kommen, welcher soeben an Krankenbetten gestanden hat! Gräßlich! Mich kann nichts mehr chokiren, als an Diphtheritis- und Scharlach-Misèren erinnert zu werden! Kommen Sie mir um Gotteswillen nicht zu nah! Sonst rieche ich den ganzen Tag Lazarethluft!«

Marie-Luise trat einen Schritt weiter zurück. Ihr ganzes Wesen athmete Ruhe und Milde, und ihr lächelndes, furchtloses Antlitz bot einen seltsamen Contrast zu den mehr wie angsterregten Zügen Claudias.

»Ich versichere Sie, Durchlaucht, daß es mir schon die einfachste Rücksicht für meine Umgebung geboten hätte, mich nicht unter Menschen zu mischen, wenn ich dieselben dadurch im mindesten gefährdet hätte! Die Schwerkranken soll ich nur dann besuchen, wenn Mangel an Pflegerinnen ist.«

»Unerhört! Sie werden sich durch solchen Leichtsinn unglücklich machen! Sich anstecken! Ich würde sterben vor Ekel und Widerwillen und habe selbst meine eigene Mama nicht nach Madeira begleiten dürfen, weil ich eine solch' unüberwindliche Aversion gegen alle Kranken habe!«

»Wenn man sich nicht fürchtet, steckt man sich auch nicht an!« entgegnete die junge Frau leise, mit ihrem geduldigen, wehmüthigen Lächeln, und Fräulein von Södermann legte in ihrer etwas tollpatschigen Weise die große Hand auf Marie-Luises Schulter und nickte eifrig. »Ist auch Unsinn mit dem Fürchten! wovor denn?«

»Wovor?« Claudia zuckte ärgerlich die Achseln. »Sind Sie so naiv, Todesgefahr kein Risico zu nennen?« Olivier hatte bis jetzt geschwiegen, aber er war näher und näher zu seiner Frau heran getreten, und jetzt legte er plötzlich ihre Hand fest auf seinen Arm.

»Das eben ist der Unterschied zwischen den Anschauungen, Durchlaucht.« sagte er ernst, und dennoch mit leicht ironischer Stimmfärbung. »Die naiven und gläubigen Seelen, für welche der Tod nur die Pforte zum ewigen und glückseligen Leben ist, beben vor seinen Schrecken nicht zurück, weil sie sich auf ihr reines und gutes Gewissen verlassen können. Andere jedoch, welche zur Flagge der Hölle schwören, und mit lachendem Munde die ungeheuere Luftigkeit ›drunten‹ rühmen, mißtrauen meist ihrer eigenen Theorie und zittern vor dem Tod, als vor der gähnenden Kluft banger Ungewißheit oder dem ewigen Ende alles Lebens und Seins.«

Mit großen, überraschten Augen starrte Marie-Luise auf die Lippen des Sprechers. Fürstin Tautenstein aber ballte die kleinen, zornbebenden Hände im Muff und war Schauspielerin genug, nur mit spöttischem Lächeln den Kopf zu schütteln. »Sauve qui peut! Der Freiherr von Nennderscheidt leitet seinen neuesten Geniestreich ein! Er wird als ›John Fox‹ den heurigen Carneval unsicher machen, mit dem Unterschied, daß nicht er das ›Zittern‹ bekommt, sondern alle Diejenigen, welche ihm zuhören!« Und sie winkte Goseck an ihre Seite und löste unter allgemein wiederkehrender Heiterkeit die kleine Gruppe der Plaudernden auf.

Hovenklingen trat sehr eilig an Marie-Luise heran. »Darf ich um einen einzigen Augenblick Gehör bitten, gnädigste Frau? Sécret de Polichinell!!«

Nennderscheidt gab lächelnd den Arm seiner Gemahlin frei, drohte dem jungen Officier scherzend mit dem Finger und wandte sich zur Seite.

»Unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit eine Frage, Frau Baronin!« flüsterte Adalbert hastig. »Wann pflegt Fräulein von Speyern bei Ihnen zu musiciren?«

»So oft es ihre Zeit erlaubt. Als jour fix haben wir jedoch jeden Samstagabend von sieben bis zehn Uhr bestimmt, weil die Erbgroßherzogin an diesem Tage den Thee bei Prinzessin Caroline trinkt. Warum fragen Sie?«

Hovenklingen machte ein Gesicht wie ein Bettelmann, der durch viel Mimik rühren will. »Ach, ich möchte so schrecklich gern einmal dabei sein!«

Marie-Luise sah sehr verlegen aus. »Ich würde Sie unendlich gern einladen, Herr von Hovenklingen, aber meine Freundin ist in dieser Beziehung unerbittlich ... namentlich nächsten Sonnabend wäre es direct unmöglich ...«

»Warum denn, gnädige Frau?!« Was er für Augen machen konnte!? Marie-Luise hatte den lustigen Seemann immer gern leiden mögen, und schlug ihm ungern etwas ab. Sie sah ihn treuherzig an. »Ja, sehen Sie, die Sache ist folgende: Fides componirt und will ihre Lieder um keinen Preis vor fremden Ohren singen! Nächsten Sonnabend nun will sie mir, als eine ganz heimliche Auszeichnung, von ihren Compositionen vortragen, und ist es wirklich ganz unmöglich, daß ich Gäste dazu bitte; sie würde garnicht singen, und dann hätten weder Sie noch ich eine Freude!«

»Sehr richtig, nein, um Alles in der Welt, ich möchte nicht aufdringlich sein!« versicherte der Lieutenant zur See seufzend, und dennoch saß ihm der Schalk im Nacken und blinzelte aus jedem Grübchen seines frischen Gesichtes. »Bitte, erwähnen Sie meinen Wunsch mit keiner Sylbe, ich möchte es nicht noch mehr mit Fräulein von Speyern verderben. Oh, kommen Sie, bitte, etwas schneller! Mein Onkel York scheint Anny Södermann betreffs ihres neuen Hutes fürchterlich in den Klauen zu haben, ich muß retten!«

Richtig, der alte Fürst hatte sich sein Nichtchen bei Seite gewinkt und schien ihr energisch den Standpunkt über blödsinnige Verschwendung und verrückte Modenarrheit klar zu machen. Er war vor Aerger noch gelber wie sonst und gab in seinem verschossenen hechtgrauen Sommerüberzieher und dem baumwollenen Touristenschirm unter dem Arm genau die gekrümmte Kladderadatschfigur des »Müller« ab.

»Tag, Onkelchen! Verzeih', wenn ich Dich einen Augenblick unterbrechen muß ...«

Der alte Herr schoß wie ein Kreisel herum und funkelte den kühnen Neffen kampfesmuthig an. »Aha! Du kommst mir gerade gelegen! fehlst nur noch. Du solides Bürschchen, das im Club Karten spielt. Strümpfe mit seidenen Zwickeln trägt, und als Vielliebchen maroccanische Bronceschalen –«

»Verzeih', Onkelchen, wenn ich Dich abermals unterbreche, nachher stehe ich Dir auf Alles Red' und Antwort,« drängte Hovenklingen fast athemlos. »Du mußt mich nur erst einmal gründlich über das Alter unserer Familie orientiren! Da war heute Morgen so ein Sonntagsfex im Café, welcher behauptete, York sei ein ganz neuer Adel ...« Weiter gedieh die Rede nicht. Onkelchen pfauchte wie ein Hamster und machte eine Geste, als wolle er dem Neffen an die Gurgel fliegen vor Wuth. »Neuer Adel, die Yorks ein neuer Adel? den Kerl wirst Du fordern, Adalbert, fordern sag' ich, hast Du verstanden?«

»Das versteht sich ganz von selber, Onkelchen, aber vorher muß ich ihm gründlich die Meinung sagen! Sieh' mal, das interessirt mich selber ja colossal, wie alt Deine Familie eigentlich ist, und alle Welt weiß, daß Du darüber ganz genau orientirt bist! also –«

»Ganz genau orientirt, bin ich auch, mein Junge.« Das runzliche Gesicht hellte sich auf, der Fürst trat mit flinkernden Aeuglein noch näher, und tippte den Adjutant des Prinzen mit dem Finger, welcher die Spitze des verwaschenen Zwirnhandschuhs längst gesprengt hatte, bei jedem Wort nachdrücklich auf die Brust. »Interessirst Dich also dafür, he? Na, werde Dich mal mit in mein Archiv nehmen, kannst Dich überzeugen, daß unsere Familie die der echten, alten Yorks ist ... englischer Abkunft ... Vollblut sag' ich Dir ... so reines Vollblut, wie die meisten gekrönten Häupter, he? Lächerlich, wenn ein Mensch sagen will ... Familie sei erst um das Jahr 1420 gefürstet. Neid gemeiner! ... Bosheit infame ... he?«

Hovenklingen legte die Hand auf den Rücken und machte seiner Cousine und Frau von Nennderscheidt ein Zeichen, so sachte durch die Lappen zu gehen.

»Natürlich, Onkelchen, man erzählt sich ja von den Yorks die famose Geschichte mit Noah ...«

»Geschichte mit Noah? ... welche Geschichte ... he?«

»Als Noah sich gerade eingebarckt hatte, sah er plötzlich einen Menschen mit Anstrengung aller Kräfte an die Arche heran rudern. Es war ein Bedienter in Yorkscher Livrée, welcher einen Stoß Acten empor reichte. ›Ah, monsieur! A, s'il vous plait, monsieur! Sauvez les papiers de la noble famille du Prince York!‹«

Marie-Luise und Anny Södermann hielten à tempo den Muff vor die Lippen, der alte Erbonkel aber warf sich in die Brust und nickte ein Gemisch von Beifall und Verachtung.

»Lächerlich ... mit solcher Geschichte das! he? Kenne ganz andere Familientradition ... bedeutend glaubwürdiger, obwohl aus Neid infamem oft angefeindet! Hat sich da in England alter Stammbaum der Yorks gefunden ... vorzüglicher, alter Stammbaum ... war an der Wurzel desselben zu lesen ›Homo Yorkus, principe I.‹ ... darüber ›Homo Yorkus, principe II.‹ und abermals eine Linie darüber ›Homo Yorkus III. Um die Zeit dieses Homo Yorkus III hat Gott die Welt geschaffen.‹ Heh?«

Adalbert's Hand arbeitete immer gewaltiger und dringender in der Zeichensprache, und dabei versicherte er ganz exaltirt sein »Großartig! ... sehr glaubwürdig, Onkelchen!« Die Damen aber entfernten sich mit einer gewissen Hast, und zwar mit allen Anzeichen eines Stickhustenanfalls.

»Der gute Adalbert!« rief Anny ganz gerührt, »mit diesem Kunstkniff opfert er sich so oft für uns auf! Nun läßt er sich geduldig den ganzen Stammbaum herzählen, und nach einer halben Stunde ist der Onkel bester Laune und lädt ihn zu einer Tasse Pfeffermünzthee ein.«

»Pfeffermünzthee?!«

»Ja, den läßt er felderweise auf seinem Gut ziehen und trinkt mit seinem alten Diener Jahraus, Jahrein nichts anderes.«

»Aber ohne Zucker!« mischten sich lachend ein paar junge Damen und Ulanen ein.

»Selbstredend!«

»Und mit dem Speck, den er sich bei Halsschmerzen um den Hals wickelt, brät er seinen ganzen Fleischbedarf für Monate!«

»Pfui Kuckuck, Herr von Diersdorff!!«

»Da kommt Hovenklingen schon zurück!«

»Losgeeist? Adalbert, Du bist schon wieder frei? Mensch, wie haben Sie sich so schnell drücken können?«

Der junge Marineoffizier lachte sein behaglichstes Lachen. »Hoheit kam mir zu Hülfe ... liebt es auch, sich einen kleinen Scherz mit Onkelchen zu machen! Haben um zehn Pfennige gewettet, ob man in einer Stunde von hier bis zur Fasanerie gehen könne!«

»Haha! köstlich!«

»Natürlich breschte der Alte darauf los und gewinnt glänzend, denn in seiner Gier läuft er Trapp und ist in einer halben Stunde längstens am Ziel!«

Lauter Jubel. Prinz Maximilian tritt mit vergnügtem Schmunzeln herzu und klopft seinem Adjutant und gleichzeitigen Freund auf die Schulter. »Die Bahn ist frei, Herrschaften! Für den Preis eines Silberlings erkaufte ich den Frieden, und das angenehme Aeußere der Götterallee! Nun giebt es einen Kapitalscherz, wenn ich mich auf den Vergeßlichen spiele und den Austrag der Wette acht Tage lang völlig ignorire; bin überzeugt, der Fürst ängstigt sich um seinen Silbergroschen die Cholera an den Leib!« –

Als die Musik schwieg und die höchsten Herrschaften sich verabschiedet hatten, bot der Freiherr von Nennderscheidt seiner Gemahlin etwas hastig den Arm.

Goseck wollte sich als »selbstverständlicher« Tischgast anschließen. Olivier aber reichte ihm in aller Freundschaft die Hand, und »hoffte ihn Abends im Erbgroßherzoglichen Palais« wieder zu sehen. Auch Herr von Diersdorff, welcher sich mit erwartungsvollem Gesicht verabschiedete, erhielt keine Einladung zu Tisch und drehte sich ziemlich indignirt auf den Hacken um. Marie-Luise, die kühle, unnahbare Minnigliche, hatte es gewaltig bei ihm verdorben, seit sie dem blassen Fuchsgesicht von Anfang an nur höchst ungern einen Blick gespendet hatte. »Oh, ahnungsvoller Engel Du!« hatte Goseck gelächelt, als sie ihm ihre Aversion gegen den süßlichen, phrasenhaften Herrn eingestanden.

»Wen hast Du heute zu Tisch gebeten, Olivier?« fragte Marie-Luise, als sie durch den Park schritten.

»Niemand! Ich sehe garnicht ein, warum stets ein Dutzend fremde Gesichter um uns herum sitzen müssen!«

Sie blickte überrascht auf. »Wirft Du Dich nicht langweilen?«

Er sah in ihre dunklen Augen und lächelte plötzlich. »Wie kann sich ein junger Ehegatte in Gesellschaft seiner kleinen Frau langweilen!«

Eine feine Röthe jäher Verwirrung stieg in ihre Schläfen. »Du versichertest so oft, daß Du ein tête-à-tête bei Tische nicht liebst!«

»Ganz recht. Darum wird Augustchen Spillike die Dritte in unserm Bunde sein. Oder wäre Dir courfähige Gesellschaft angenehmer?« Es lag etwas so Un gewohntes in seinem Wesen, daß Marie-Luise in jäher Bestürzung die Augen niederschlug. Ihre Hand lag plötzlich leichter auf seinem Arm, und es schien, als werde der Raum zwischen ihnen breiter.

»Ich werde Goseck auf seinem angestammten Platz an unserem Tische vermissen!« sagte sie mit einem Versuch zu scherzen, dennoch klangen die Worte stockend von ihren Lippen, und sie wußte selber nicht recht, warum sie plötzlich etwas so ganz gegen ihre Ueberzeugung aussprach. »Ich glaube, er wird es Dir nicht zu Dank wissen, wenn Du ihn zeitweise um unseres kleinen Findlings willen zur Disposition stellst!«

Sie sah nicht auf, aber sie fühlte es, daß sein Blick lang und scharf auf ihrem Antlitz ruhte. Auch klang seine Stimme verändert, als er kurz auflachte und entgegnete: »Zeitweise? Goseck hat sich eine Stellung in meinem Hause angemaßt, welche auf die Dauer wohl unmöglich in gleicher Weise durchzuführen ist!«

Sie hob das Haupt. Klar und ruhig sah sie in sein Auge. »Ich glaube nicht, daß der Graf jemals die Absicht hatte, sich aufzudrängen. Es war weder eine angenehme noch leichte Pflicht, die Einfalt vom Lande und Frau eines Andern durch die zahllosen Klippen und Steine zu lootsen, welche ihr überhoch in den Weg gerollt wurden, aber Du hattest ihn als Freund an meine Seite gestellt, und um Deinetwillen opferte er sich in einer Stellung auf, welche gewiß kein Anderer jemals so treulich ausgefüllt haben würde, wie er!«

Es lag weder Vorwurf noch Gereiztheit in ihren Worten, sie sprach in der milden, ruhigen Weise wie stets, und doch stieg heiße Röthe in Olivier's Stirn.

»Er übertrieb ... er war allzueifrig!« stieß er hastig hervor. »Hat seit drei Jahren keinen Schritt mehr getanzt, und jetzt rast er los wie ein Verrückter, und zwar allein mit Dir ...«

Sie, schüttelte, lachend das Köpfchen. »Hast Du ganz vergessen, daß Du ihn selber gebeten: Thu' mir die einzige Liebe, Eustach, und tanze meine Frau etwas ein! Ich habe zu wenig Geduld dazu.«

Nennderscheidt's Zähne schnitten scharf in die Lippe »Allerdings ... ich entsinne mich ... man hat manchmal ein Brett vor der Stirn ... aber gleichviel das Spazierenfahren –«

»Höre mal, alter Junge ... ich möchte Marie-Luise ungern mit den neuen Füchsen allein fahren lassen, ich habe so wenig Zeit am Vormittag, gieb Deinem Herzen einen Stoß und steige als ritterlicher Schutz auf den Hochfahrer, die Zügel um die Arme zu wickeln« ... persiflirte die junge Frau mit einem ganz ungewohnt neckischen Zug um die Lippen, welcher ihr reizend stand.

Olivier lachte und zog ihren Arm wieder fester an sich. »Hast recht, Marie-Luise, ich habe mir selber die Narrenkappe über die Ohren gezogen, geschieht mir ganz recht, wenn ich nun Prügel mit der Pritsche bekomme! Aber es giebt einen Aschermittwoch, welcher dem Fasching ein Ende macht, und der tolle Junker reißt die Schellenmütze vom Kopf und weist einem Jeden die Zähne, der solche Veränderung nicht bemerken will!«

Sie antwortete nicht. Der Wind sauste ihnen eisig entgegen, und es war, als streife sein Athem nicht nur die klirrenden Baumwipfel, sondern auch das bebende Herz der jungen Frau, um Alles darin aufzurütteln und zu schütteln, was es je an Qual, gekränktem Stolz und Todesweh erfüllt hatte. – –

Die kleinen Schneeflocken aber schienen gefrorene Thränen, die thürmten sich zu himmelhoher Scheidewand zwischen sie und ihrem Gatten.


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