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Elftes Kapitel

Das Wort der Frau, – es bleibt dabei! –

Heyden.

»Als ich mit mei'm Schatz in die Kirche wollt' gehen,
Viel falsche, falsche Zungen unter der Thüre stehn.
Die Eine redt dies und die Andere das.
Das macht mir gar oftmals die Aeuglein naß!
Die Dornen und Disteln, die stechen all' sehr.
Die falschen, falschen Zungen aber noch viel mehr!«

Altes Volkslied.

 

Der Carnevalszug der Künstler bewegt sich wie eine buntglitzernde Schlange durch die Straßen der Residenz. Man will versuchen, süddeutsches Faschingsleben in die Straßen der nordischen Großstadt zu verpflanzen. Theilweise gelingt es, oft aber artet es auch in wüsten Tumult aus, oder das kühle Blut sträubt sich, ehrbare Sitte zu brechen und von der Narrenfreiheit Gebrauch zu machen. In den Räumen des Ministeriums hat sich ein Theil der Hofgesellschaft versammelt. Fräulein von Speyern lehnt allein an einem Parterre-Fenster, und schaut so forschend die Straße herab, als erwarte sie Jemand. Plötzlich weicht sie zurück und hat die Empfindung, als ob sie erröthet wäre. Das ärgert sie. Eine Hofequipage rollt herzu. Prinz Maximilian und Hovenklingen mustern die Hausfront und treten hastig ein. Im Nebensaal laute Begrüßung, dann schwirren die Stimmen näher.

»Servus, mein gnädiges Fräulein. Brillant, daß noch ein Platz hier am Fenster frei ist; Sie gestatten, daß ich Ihrem Marmorbild die nöthige Folie gebe?«

Frisch, mit außergewöhnlich geröthetem Antlitz, die Cigarette noch zwischen den Zähnen, lacht Hovenklingen seine stolze Fregatte an.

Fides zieht die Augenbrauen zusammen und blickt scharf auf die Cigarette. »Ich habe dieses Fenster für Nennderscheidt's reservirt.«

»Bis dieselben kommen, kann ich also bleiben!«

Statt aller Antwort treibt sie mit ihrem feinem Spitzentuch die Rauchwölkchen zurück.

Er blinzelt sie verschmitzt an. »Meine Cigarette genirt Sie? Bedaure; in Ihrer Gegenwart, mein gnädiges Fräulein, muß ich rauchen!«

»Ah ... Sie überraschen mich. Darf ich fragen, weshalb?«

»Weil um Engelsköpfchen Wolken gehören! Hübsch gesagt, was?«

Sie lacht unwillkürlich leise und melodisch auf.

»Es giebt auch böse Engel.«

»Sie meinen, die auf mich böse sind?«

»Auch solche.«

Er wirft die bläulich kräuselnde Türkin durch das Fenster und sieht Fides plötzlich mit ernstem Blick in die Augen. »Hand auf's Herz, Fräulein von Speyern, verdiene ich es? Warum haben Sie mir noch nie ein freundliches Wort gegönnt? Ich war mein ganzes Leben über so arm an Güte und Frauenhuld, bin stets ein Stiefkind der Zärtlichkeit gewesen und möchte doch so gern ein einziges Mal eine freundliche Erinnerung mit hinaus in die Einsamkeit des Weltmeeres nehmen!«

»Sie sind ungerecht, alle Herzen fliegen Ihnen zu!«

»Solche, die ich nicht begehre. Und das ist mein Schicksal von Jugend auf.«

Sie hat sich halb zur Seite gewandt, die leise Wehmuth in seiner Stimme trifft sie bis in das Herz.

»Sie haben mir nie aus Ihrer Jugend erzählt!« sagt sie. »aber ich weiß, daß Sie früh verwaist waren!«

Er nickte langsam vor sich hin. »Ich war ein armer Bub, überall im Wege. Keinem lieb. Onkel York kennen Sie; wenn Sie jemals von seiner verstorbenen Frau gehört haben, werden Sie begreifen, daß ich nicht auf Rosen gebettet war, als ich auf dem Gut dieses Paares erzogen wurde. Ich bin immer ein strammer Bengel gewesen und hatte einen so normalen Appetit, daß den sparsamen Pflegeeltern die Haare zu Berge standen. Sah stets verdammt flau aus mit den Portionen, und vollends im Winter habe ich mir manch liebes Mal einen Stuhl auf den knurrenden Magen gelegt, um einschlafen zu können!«

»Und keine mitleidige Seele fand sich, die Ihnen zu Hilfe kam?« lächelte Fides.

Da lachte er in seiner vergnügten Weise ebenfalls.

»O ja, das Gesinde hatte den kleinen, hungernden Junker gar sehr in's Herz geschlossen! Wenn es im Hofe zum Essen klingelte, so schlich ich mich in die Gesindeküche, und dann machte ich die schönsten blauen Augen, die ich auf Lager hatte, und wandte mich an das gefühlvolle Geschlecht und sprach: »Wer mi a Klösli giebt, der darf mi a dutze!« Das war nämlich damals die einzige Auszeichnung, welche ich zu vergeben hatte!«

Fräulein von Speyern hatte sich dem Sprecher längst zugewandt und blickte ihn so freundlich und herzlich an, wie nie zuvor, und über die »Klösli« amüsirte sie sich außerordentlich und blickte erst wieder auf die Straße hinaus, als der schlaue Herr Lieutenant auch jetzt wieder seine schönsten blauen Augen machte, welche er auf Lager hatte.

Aber horch? was war das? ... Durch all das Jubeln und Lärmen der vorüberwogenden, erwartungsvollen Menge klingt helles Pfeifen. Ein Straßenjunge schlendert vorüber, die Hände in den Hosentaschen, und leistet sich im Polkatact eine sehr schöne Melodie. An dem Trottoir steht ein schlanker Jüngling mit großem Künstlerhut und hält den Jungen scharf im Auge. Fides beugt sich vor und starrt dem Kleinen sprachlos nach.

»Infamer Bengel! muß so ein neuer Gassenhauer sein, den er pfeift, man hört ihn jetzt überall bis zur Erschlaffung!« Und Hovenklingen zieht das Taschentuch und stäubt gelassen das Fensterbrett ab. »In Hasselforst finden die großen Saujagden statt, ich werde Hoheit morgen früh auf zwei Tage dorthin begleiten – –«

Fides hört gar nicht auf ihn. Dort kommt schon wieder ein Junge und pfeift ... nein ... unmöglich ... es klingt nur so ähnlich wie ihr schönstes und liebstes Lied ... wie ihre Composition ... und dennoch Ton für Ton –

Glühende Röthe steigt in ihr Antlitz. Träumt sie? Existirt dieses Lied bereits ... hat ein Zufall sein Spiel mit ihr getrieben ... Undenkbar! ... Ah ... und dort kommen wieder Zwei –

»Was pfeifen denn die Lümmels nur! kennen Sie die Musik, gnädiges Fräulein?« Adalbert's Augen blitzen vor Uebermuth und Spaß.

Fides stützt sich schwer auf das Fensterbrett und neigt sich athemlos vor. – Ja ... jene Beiden singen. Sie wird Worte verstehen ... näher und näher kommen sie ... jetzt hört sie deutlich ... alle guten Geister – ihr Lied!!

»Heda, Jungens!« ruft Hovenklingen, und die kleinen Kerle steuern wie eingedrillt nach dem Parterrefenster und stellen sich davor auf.

»Was singt Ihr denn da?«

»Ein neues Lied, gnädiger Herr. »›Gewonnen!‹ heißt's.«

»Ah!« – –

»Von wem ist es denn componirt?«

Die Jungens grinsen verlegen. »Von Fräulein von Speyern!«

»Danke schön, 's ist gut.«

Fides ringt nach Athem, sie ist sprachlos, fassungslos; da dringt helles Lachen an ihr Ohr. Prinz Maximilian steht hinter ihr und legt grüßend die Hand an die Mütze: » Gewonnen! Gnädigste! Nun streichen Sie die Segel, stolze Fregatte, und salutiren Sie dem glücklichsten Sterblichen, dessen Namen künftighin über Ihrer Liedersammlung prangen wird!«

Fräulein von Speyern ist heiß erglüht. Dann stimmt sie, wie tief aufathmend, in das Lachen ein und reicht Hovenklingen herzlich die Hand. »Das Wort der Frau: es bleibt dabei! Neidlosen Glückwunsch zu Ihrem Sieg. Herr von Hovenklingen! Vorläufig ist es mir noch ein Räthsel, aber wie es sich auch lösen möge, es wird von jeder vernünftigen Frau stets nur freudig anerkannt werden, wenn im lustigen Kriege der Stärkere Recht behält!«

Als Hovenklingen sich strahlenden Blicks auf die schlanke Rechte nieder neigte, sie zu küssen, däuchte es ihm, als erbebe sie unter seinen Lippen. – – –

Neue Herrschaften traten ein und begrüßten Fides.

Maximilian trat dicht neben seinen Adjutanten.

»Na, Hovenklingen? toblocks?«

»Schon mehr vermoort, Hoheit, ich liege mit zwei Ankern vor meiner Fregatte.«

»Kurz splissen lassen vor Altar und Standesamt?«

»Am liebsten mit 14 Knoten Fahrt!«

»Gratulire.«

Fräulein von Gironvale balancirte sehr graziös näher. Sie hatte eine blauroth gefrorene Nase und sah in der viereckigen Polenmütze höchst unvortheilhaft aus.

»Herr von Hovenklingen! der Zug kommt! man hört schon Musik! Lassen Sie mich schnell hier an das Fenster!«

»Seien Sie doch nicht so neugierig!«

»Neugierig?« Esperance schüttelte halb vorwurfsvoll, halb sentimental den Kopf. »Ich will eine neue Blüthe in den Kranz meiner Erinnerungen flechten! Sie spielen sich heute wieder auf den Barbar auf, oder« ... sie trat dicht neben ihn und schmachtete zu ihm auf, »oder sollten Sie nur kokettiren wollen, und es viel besser noch wie ich wissen, daß es das einzig Wahre ist, die Blüthen zu pflücken, wie und wo man sie findet? Es giebt Rosen, welche sich dornenlos darbieten ... sich gerne pflücken lassen ... man muß nur Courage haben! Die Zukunft ist eine Seifenblase, aber das Bewußtsein, genossen zu haben, immer ein Glück –«

»Gott bewahre, nicht immer!«

»Zum Beispiel?«

Hovenklingen sah furchtbar nüchtern und trocken zu ihr nieder. »Wenn Einer seekrank ist, dann wird Alles, was er zuvor genossen hat, ein Fluch für ihn!«

»Fi donc!« Scharf und zischend klang's, und die kleine Französin schwenkte brüsk auf den Hacken um. Nach wenigen Minuten aber stand sie schon wieder an seiner Seite, als er mit Fräulein von Södermann an der Nebenthüre plauderte. Das Gespräch drehte sich um die baldige Abreise des Prinzen und seines Adjutanten. Esperance wurde sentimental und malte in lyrischen Gleichnissen die Qual eines sehnsuchtskranken Herzens aus. Hovenklingen hörte schweigend zu und zog ganz wunderliche Grimassen, just, als wolle er seine Rührung gewaltsam niederkämpfen. Fräulein von Gironvale beobachtete ihn mit athemlosen Interesse, und fuhr grausam fort: »Die Welt ist kalt und öde ohne den Geliebten, der Himmel regnet nicht, nein, er löst sich auf in unermeßlichen Thränenströmen, die Sonne hat aufgehört zu scheinen –«

»Nein, um Gottes willen nicht!« fuhr Adalbert ganz nervös empor. »Wo ist die Sonne, ich muß die Sonne sehen!!« und er wandte sich und stürmte nach dem Fenster.

Esperance umkrampfte den Arm Anny Södermann's. »Sehen Sie? ich habe es erzwungen! er ist doch eine poetische Natur, jetzt kommt sie zu Tage!«

Mit beiden Händen stützt sich der Lieutenant zur See auf das Fensterbrett, das Antlitz sehnsuchtsvoll zum Himmel gehoben, und wieder arbeitet es in seinen Zügen, und plötzlich erklingt es kraftvoll mächtig: »Habschieh! habschieh!« Und drunten auf der Straße johlen ein paar Stimmen: »zur Jesundheit, Männeken!!«

Fräulein Esperance aber überkam es, bei dem schallenden Gelächter ringsum, wie ein Schlaganfall ...

Fürstin Tautenstein hatte heute viel zu flüstern, in die Ohren zu raunen und geheimnißvoll die Achseln zu zucken. Die Damen standen dicht gedrängt um sie her. Man rief nach Fräulein von Gironvale ... nach Herrn von Diersdorff und Prinz Hohneck. Leider, leider dasselbe bestätigende Kopfnicken! das dumpf geheimnißvolle: »Ein Skandal ... unmöglich in unserer Gesellschaft!« und dazu schlug man höchlichst alterirt die Hände zusammen, und die Augen aller Mütter mit heirathsfähigen Töchtern, schimmerten vor Lust und Schadenfreude über diesen Eclat!

»Weiß es die Speyern schon?«

»Nein! wo ist sie? Nirgends zu finden. Seltsam, aus welchem Grunde mag sie gegangen sein? Vielleicht oben in den Sälen? Der Prinz und Hovenklingen sind auch hinauf gegangen! Auch dort nicht. »Laisset la courir!« würde petit Riquet sagen! Sie wird es zeitig genug erfahren!«

»Nennderscheidts kommen!« Allgemeine Aufregung. Frau von Södermann faßte ihre Tochter Anny mit eisernem Griff am Arm und warf ihr einen strengen Blick zu. Dem jungen Mädchen standen die Thränen in den Augen.

Marie-Luise trat am Arm ihres Mannes ein. Sie war schwarz gekleidet und sah noch zarter und bleicher aus wie sonst. Ein müdes, unendlich liebes und wehmüthiges Lächeln lag um ihre Lippen. Graf Goseck folgte. Er hatte zufällig am Portal gestanden und sich dem jungen Paare angeschlossen. Ein Flüstern und Raunen, ein Kopfbewegen und Aufhüsteln ging durch die Gesellschaft.

Ein überraschter, sich mehr und mehr verfinsternder Blick Olivier's schweifte über sie hin. Er gab den Arm seiner Frau nicht frei, er trat an ihrer Seite vor die Oberhofmarschallin, mit etlichen ausgewählt höflichen Worten sein Nichterscheinen bei ihrem letzten Fest zu entschuldigen.

Marie-Luise schrack leicht zusammen. Das war derselbe entsetzliche, unvergeßliche Ausdruck in dem fetten Gesicht, welcher damals im Opernhaus ihr Blut fast erstarren machte. Ein Blick von oben bis unten, ein sehr kühles: »Fatalitäten, Herr von Nennderscheidt! ... Man muß sie zu verschmerzen suchen!« Und Excellenz wandte dem Majoratsherrn von Roggerswyl und seiner Gattin sehr ostensibel den Rücken. Und wohin sich das junge Paar auch grüßend wandte, überall dasselbe, kaum merkliche Neigen der Nasenspitze, das scharfe Mustern durch halb zusammen gekniffene Augen, das schroffe Abwenden und völlige Ignoriren. Goseck folgte Schritt für Schritt. Ein eigenthümliches, fast triumphirendes Lächeln spielte um seinen Mund und senkte kleine Fältchen in die Augenwinkel. Er sah Niemand an. Seine Wimpern fielen wie tiefe Schatten auf die farblosen Wangen.

In Olivier's Wangen und Stirn aber stieg es immer röther und immer drohender empor. Er fühlte die kleine Hand auf seinem Arm zittern, fester und sicherer schloß er sie an sich. Draußen hallte es »jû nârro!« Die Musik schmetterte, und Prinz Carneval warf von prunkvollem Thronwagen seine Rosen unter die johlende Menge.

Zwei junge Offiziersfrauen, welche sonst die Liebenswürdigkeit selber gegen Marie-Luise gewesen, traten voll auffälliger Hast von dem Fenster hinweg, zu welchem Nennderscheidt seine Gemahlin führte. Nur Goseck folgte wie ein Schatten, und lehnte sich neben der Baronin an die offene Scheibe.

Ein Zittern und Beben ging durch die schlanke Gestalt der jungen Frau. Der Lärm gellte ihr betäubend in die Ohren, und ihr Herz schien still zu stehen in der Qual und dem Gefühl dieses plötzlichen Geächtetseins.

»Was ist passirt, Goseck? Was soll dies mehr wie empörende und beleidigende Benehmen der Gesellschaft?«

Der Graf zuckte die Achseln. »Klatschereien. Entweder räuchert man böse Zungen mit Pulver und Blei, oder man ignorirt sie.«

Zum ersten Mal richtete Marie-Luise die Augen auf ihren Gatten. Thränen glänzten an den dunkeln Wimpern. »Ich ahne es, Olivier ... eine Unvorsichtigkeit ... eine Rücksichtslosigkeit von mir ...«

Goseck zuckte empor. »Sie haben der Hofdame der alten Prinzessin Ihren Entschluß mitgetheilt, künftighin die Wohlthätigkeitsversammlungen nicht mehr besuchen zu wollen! Das war allerdings etwas kühn, aber durchaus kein Verbrechen, und hat in der Gesellschaft der Lebenslustigen eher Anlaß zu Beifallslachen, als zu Aergerniß gegeben –«

»Selbstredend!« nickte Olivier überzeugt.

»Was die Leute so gewaltig chokirt hat, muß eclatanterer Art sein. Wer sagt Ihnen, daß man Front gegen Sie macht? Olivier hat die Cour gemacht, und ist fahnenflüchtig geworden, warten Sie es also erst ab, wohin der Wind bläst.« Er neigte sich sehr vertraulich näher, und warf Marie-Luise einen Blick zu, wie Einer, der heimlich mit Jemand im Einverständniß ist. »Was es aber auch sei, unbesorgt, gnädigste Frau! ich stehe an Ihrer Seite, und halte den Schild! Kein giftiger Pfeil soll Sie treffen.«

Mit sprühendem Blick hob Olivier das Haupt. Er wollte die Lippen zu heftiger Entgegnung öffnen, und biß schweigend die Zähne zusammen unter dem kalten, ironischen Blick, welcher ihn aus den grauen Augen Eustach's traf.

»Ich komme soeben aus der Kirche;« fuhr der Graf, nur zu seiner Nachbarin sprechend, fort, »es ist mir ein Lebensbedürfniß geworden, Orgelklang zu hören, zu beten und zu beichten. Wie ein unauslöschlicher Durst ist's über mich gekommen, ich lechze nach dem Quell der Gnade, der Wahrheit und des Lichtes. Sie haben mich auf den schmalen Weg gewiesen, und nun ist mir zu Sinnen, als müsse ich ohne Rast und Ruhe vorwärts stürmen. Alles nachzuholen, was ich bis jetzt versäumte ...«

Olivier wandte sich jählings ab. Der widerlich salbungsvolle Ton, welchen sich Goseck seit kurzer Zeit angewöhnt, war ihm unerträglich. Er sah, daß auch Marie-Luise erstaunt zu dem Sprecher aufsah. Nein, sie war gewiß nur die allerunschuldigste Ursache von dem religiösen Rappel, welcher ihn plötzlich erfaßt hatte. Einen Augenblick hörte er noch mit zusammengezogenen Augenbraunen zu, wie Goseck unter gellender Narrenmusik, oft unterbrochen durch das wüste Beifallsgeschrei der Menge, welches die einzelnen Gruppen des Zuges begrüßte, einen Vortrag über die unendliche Wohlthat der Beichte und Absolution hielt. Und er verschränkte mit ironischem Lächeln die Arme und dachte: »Er mag recht haben! Es muß eine angenehme Zuversicht beim Sündigen geben, wenn man weiß, daß ein paar Silberlinge und wundgerutschte Kniee die Seele wieder weiß wie Schnee waschen können! ›Du sollst nicht begehren Deines nächsten Weib!‹ Bah. Graf Goseck streckt beide Hände nach ihr aus, und kauft sich einen Ablaßzettel!«

Nennderscheidt schüttelte mit herbem Lächeln die feuchtgewordenen Haare aus der Stirn. Wohl dem, welcher mit Gold und Fleischwunden abbüßen kann! Er, der Protestant, dem das goldene Thor der Absolution verschlossen bleibt, er hat lange, qualvolle Nächte hindurch auf der Folter gelegen, er hat seine Seele zermartert und in wildem Kampfe mit den bösen Mächten der Vergangenheit gerungen. Reue und Gewissensbisse sind wie zweischneidige Schwerter durch sein Hirn gefahren. Liebe und Eifersucht haben sein Herzblut tropfenweise verzehrt, und was er je im Leben gefehlt und gesündigt hat, das wird zu riesenhaften, unbarmherzigen Geistern, die kein Ablaßzettel zurückschrecken kann. Die kommen und schüren selber die Flamen, welche das Gold seiner Seele von den Schlacken reinigen sollen. Graf Goseck's Geldbeutel ist schnell wieder gefüllt, seine gebettrockenen Lippen schnell befeuchtet, seine Kniee bald geheilt. Nennderscheidt aber trägt die Spuren seines Sühnekampfes lebenslang als Ehrenzeichen auf der Stirn, tiefe Furchen, Falten, welche ein paar kurze Nächte gegraben.

Der Zug ist vorüber. Olivier tritt hastig unter die Gesellschaft und begrüßt sehr ostensibel Fürstin Tautenstein. Sie reicht ihm sehr freundlich die kleine Hand, wie Mitleid zieht sich's durch ihr Lächeln. Auch die andern Damen und Herren können es ihm gar nicht ausdrucksvoll genug zeigen, daß man gegen ihn nicht im mindesten eingenommen ist, daß man ihm sehr wohl will. »Armer Mann! ... scheint ganz ahnungslos! ... Er ist sehr zu bedauern!« schlägt's ihm oft in heimlichem Flüsterton aus den Nebenunterhaltungen an das Ohr.

So aufgeregt er zuvor war, so zuversichtlich stolz und ruhig wird er jetzt. Er schreitet zu Marie-Luise zurück, bietet ihr den Arm und führt sie nach dem Wagen. Aller Köpfe wenden sich ab, da sie vorbei schreitet. Goseck küßt ihr die Hand. »Rufen Sie mich, wenn Sie Schutz und Beistand brauchen!« flüstert er ihr zu. Dann geht er directen Wegs wieder nach dem Dom.

Schweigend lehnt die junge Frau in den Polstern der Equipage. Sie ist sehr bleich, aber nicht mehr angstvoll erregt wie zuvor. Ernste Klarheit leuchtet von ihrer Stirn, und in dem Blick, welcher sich sinnend zum Himmel hebt, flackert es nicht wie ein böses Gewissen. Auch Olivier schweigt. Vor dem Gebäude des Adelclubs ruft er den Kutscher an. »Entschuldige mich, Marie-Luise, ich möchte sehen, ob Rittmeister von Bergen hier zu treffen ist.«

»Du willst ihn um Auskunft fragen?«

Er lächelt. »Pfläumchen ist ein braver Kerl und mein Freund. Aengstige Dich nicht, ich werde dem infamen Klatsch bald auf die Spur kommen, madame la Reine-Claude wird uns den Schlüssel dazu liefern. Behüt's Gott!« Und er nickt ihr fast heiter zu und springt aus dem Wagen.

Der Rittmeister ist nicht im Club. Er ist gestürzt und liegt an einer Muskelzerrung im Oberschenkel zu Bett. Nennderscheidt eilt nach seiner Wohnung. Ueber eine Stunde sitzt er am Lager des jovialen, liebenswürdigen Kameraden und unterredet sich mit ihm. Bergen ist noch völlig ahnungslos. Aber er wird es sicher erfahren, was da im Spiele ist! Seine Frau weiß Alles, und länger wie zwei Stunden behält sie kein Geheimniß auf der Seele. »Ich schreibe Ihnen, lieber Baron, noch heute Abend erhalten Sie des Räthsels Lösung. Gott verhüte, daß Ihre Vermuthung sich bestätigen möge!«

Es ist Abend. Marie-Luise hat ein gutes Gewissen, dennoch schüttelte es sie wie Fieberfrost und treibt ihr kalte Tropfen auf die Stirn. Was hat sie gethan, daß sich Alle von ihr wenden, wie von einer Geächteten? Alle? Nein, er, von dem sie es am wenigsten erwartet, er, den sie gestern kalt und stolz von sich gestoßen, er hat ihre Hand nur fester gehalten und hat ihr zugelächelt mit der stolzen Zuversicht: »Es muß ein Irrthum sein, welcher sein Spiel mit Dir treibt!«

Wo bleibt er? Es ist schon spät. Um diese Stunde trat er gestern und all' die vorhergehenden Tage bei ihr ein. Hat jenes unbekannte, entsetzliche Gespenst, welches ihr Verderben geschworen, auch ihn erreicht? Hat es sein Gift auch in Olivier's Herz gegossen? Wendet auch er sich von ihr, verachtend, kalt und, erbarmungslos wie die Menschen, welche sie in Acht und Bann gethan? Allmächtiger Gott nur das nicht! Alles will ich ertragen. Alles leiden und dulden, nur er soll nichts Schlechtes von ihr denken, nur er soll sie nicht von sich stoßen um fremder Zungen willen. Sie hat nicht mit Bewußtsein gefehlt, sie hat gethan, was er ihr einst selber befohlen hat, das, was ihr recht und gut erschien, gleichviel, ob es die Welt bekritteln wird. Abermals holt die Uhr zum Schlage aus. Und drunten in seinem Zimmer werden Thüren geworfen. Der Diener, welcher wenige Minuten später eintritt, nach dem Kaminfeuer zu sehen, antwortet auf ihre Frage, daß der Herr Baron bereits seit einer Stunde zu Hause sei.

Marie-Luise verschlingt die zitternden Hände und preßt sie gegen das Herz. Es droht zu zerspringen in der qualvollen Aufregung dieses vergeblichen Wartens. Ist sie denn dieselbe noch, welche vor kaum vierundzwanzig Stunden an dieser selben Stelle gestanden und voll stolzer Leidenschaft ihre Hand aus der seinen gerissen hat. »Die Liebe, welche Du unter die Füße getreten hast, ist todt! –?« – Nein, sie ist nicht mehr dieselbe, sie fühlt's mit jeder Minute, die verstreicht, ohne ihn mit sich zu bringen, sie fühlt's an ihrem wehen, gepeinigten Herzen, daß es nur Einen auf der Welt giebt, zu welchem sie sich hinflüchten möchte, Olivier. Und in jäh aufquellendem Gefühl tritt sie vor sein Bild, legt die gefalteten Hände dagegen und flüstert: »Ich habe nur Dich auf der Welt, verlaß mich nicht!«

Die Portière bewegt sich, leichte Schrittchen huschen in das Nebenzimmer und verklingen bald auf dem Corridor.

Drunten an dem Zimmer des Freiherrn klopft es an. Als keine Antwort erfolgt, hebt sich Augustchen auf die Fußspitzen und öffnet. Nennderscheidt ist mit erregten Schritten im Zimmer auf und nieder gegan gen; er bleibt stehen und wendet sich der Kleinen zu. Er sieht anders aus wie sonst, so bleich wie das Taschentuch, mit welchem er über die Stirn streicht, aber nicht böse.

»Du kommst zu mir, Augustchen?« fragt er hastig, »schickt Dich die gnädige Frau?«

»Nee, ick komme von alleene, um Ihnen zu fragen, warum Sie heute jar nicht ruff kommen bei uns? Die jnädige Baronin hat och Sehnsucht!«

»Sagt sies?« Sein Blick trifft in athemlosem Lauschen die Lippen des Kindes.

»Nee, aber sie weent man so doll!«

Er beißt die Zähne zusammen und deckt einen Augenblick die Hand über die Augen. »Ich kann jetzt nicht kommen, Augustchen, ich habe keine Zeit. Aber morgen ... so Gott es will!«

»Herr Baron, der Wagen ist vorgefahren!«

»Gut, ich komme.« Olivier wendet sich zerstreut ab und tritt in das Nebenzimmer. Pelz und Hut zu nehmen. Augustchen schaut sich neugierig um. Droben weint die arme, gnädige Frau, ist denn gar nichts Schönes hier, was man ihr zur Freude mitbringen könnte? Ah, da liegt ein Brief auf dem Tisch! ... Und wie hat sie sich neulich gefreut, als der Franz einen Brief auf silbernem Tablett herein brachte; über diesen freut sie sich gewiß ganz ebenso. Schnell hat Augustchen den kleinen Arm ausgereckt, den Brief erfaßt und die Thüre erreicht. Sehr zufrieden mit sich und der Welt klettert sie die Treppe wieder hinauf.

»Jetzt soll mir Jott nen' Dahler schenken, wenn det nischt nützt!«

Olivier durchschreitet das Zimmer und blickt sich noch einmal zerstreut um. Wo ist der Brief Bergen's ... Er fühlt gegen die Brusttasche. Ja, es knistert darin! er hat ihn wohl schon eingesteckt. Er springt hastig in den Wagen. »Zu der Wohnung des Grafen Goseck!«

Marie-Luise steht unter der hellen Lampe und hält mit zitternden Händen den Brief, welchen Augustchen ihr mit den Worten »vom Herrn Baron!« triumphirend überreicht hat. Vor ihren Augen wallt's wie Nebel.

»Mein verehrtester Herr von Nennderscheidt, lieber Freund!« liest sie. »In aller Eile nur folgende Notiz. Ihre Vermuthung war leider Gottes die richtige. Fama hat ausgesprengt. Ihre Frau Gemahlin stehe zu besagtem Herrn – nomina sund odiosa! – in sehr intimem Verhältniß. Augenzeugen, drei Personen der Gesellschaft, beschwören es, ein etwas scandalöses Rendez-vous mit eigenen Augen beobachtet zu haben. Ich bin überzeugt, daß dasselbe auf einem Mißverständniß beruht. Falls aber ein Duell unvermeidlich wird, so bin ich selbstverständlich bereit, mein bester Nennderscheidt, Ihr Secundant zu sein. Ich lasse mich per Wagen befördern. Vorläufig bin ich jedoch der festen Hoffnung –«

Ein dumpfer Klagelaut. Marie-Luise taumelt zurück und bricht bewußtlos zusammen.

Wie die Stunden schleichen! Die Nacht ist dunkel und stürmisch, und Marie-Luise preßt das Antlitz gegen die kühle Scheibe und starrt hinauf zum Himmel, wo die Wolken wie irre Riesenschatten jagen, wüst und gespenstisch. Sie hat auf den Knieen gelegen und gebetet, und in ihrem Herzen ist es still geworden Nun kennt sie das verzerrte Antlitz der Lüge, welches sie verfolgt, und bebt nicht mehr vor ihm. Sie ist schuldlos, sie trägt das Haupt frei und stolz auf dem Nacken. Aber trotz ihres reinen Gewissens kommt kein Schlaf in ihre Augen. Heiß und thränenlos sind sie. Sie fürchtet sich nicht vor dem Leumund der Welt, welcher ihr die Ehre stiehlt, aber sie bricht zusammen unter der Last jener quälenden Frage: »Wird auch er mich verdammen? wird auch er den Stab über mich brechen, da alle Welt mich steinigt? Wer ist jener Andere, Namenlose, um dessentwillen ich Olivier die Treue gebrochen haben soll? Es gingen so Viele hier im Hause aus und ein. Alle von ihrem Manne selber geladen. Goseck? – Gott gebe es, daß man ihn meint! Er, der edle, brave und fromme Mann wird keinen Hauch des Verdachtes auf ihrer Ehre dulden! Er wird für sie eintreten mit der ganzen Kraft und Ueberzeugung eines redlichen Herzens! Hat er ihr nicht auf dieser selben Stelle hier zugeschworen, daß er ihres Glückes Hüter sein wolle? Und wenn er nicht derjenige ist, dessen Namen man mit dem ihren in den Schmutz ziehen will, dann muß er helfen, die Lüge zu entlarven, dann muß er vor allen Dingen jenes entsetzliche Unglück verhüten, daß Olivier um ihretwillen sein Leben in die Schanze schlägt!« Ein krampfhaftes Zucken fliegt durch ihre Glieder »Und wenn Alles vergeblich ist? Wenn Falschheit und Intrigue ein Netz gesponnen, dessen Fäden nicht zu lösen sind? Wenn Olivier's Blut ihre Ehre rein waschen muß? Allmächtiger Vater im Himmel, nur das nicht! Es darf nicht sein!« Ihr eigenes Herz will sie aus der Brust reißen und es opfern zu seinem Heil und seiner Rettung. Ein wilder, fieberhafter Gedanke jagt durch ihr Hirn. Es ist möglich, daß ein Duell schon am nächsten Morgen stattfindet, ehe sie Goseck zu Hülfe rufen könnte. Das darf nicht sein. Wird ein Mann um eines Weibes willen, welches nicht mehr sein Weib ist, sich noch schlagen? Nein, gewiß nicht. Sagt sie sich los von ihm, rettet sie ihn vor dem Gang mit seinem Gegner! Und wie in einem Taumel wirre Hoffnung, Ungestüm und Zuversicht versetzte sie dieser Gedanke ihres naiven Herzens.

Hinab zu ihm! Noch einmal faltet sie die Hände: »Gieb mir Kraft, mein Herr und Gott, zu diesem schweren, schweren Gang!« und dann wankt sie mit schwindelnden Sinnen die Marmortreppe hinab. Musikklänge. Sie lehnt das Haupt gegen den Thürpfosten, kaum hat sie Kraft, sich aufrecht zu erhalten.

»Eine feste Burg ist unser Gott –« Wie die Töne schwellen und klingen, wie sie unter seinen Händen empor brausen wie ein markiges, jubelndes Glaubensbekenntniß.

»Olivier spielt nur solche Melodien, die seine Seele in dem nämlichen Momente vollständig erfüllen!« hatte Goseck einst gesagt.

Thränen rollen über die Wangen der jungen Frau, wie ein Aufschrei klingt's durch ihre Seele: »Jetzt, da ich von Dir lassen muß, empfinde ich es erst voll Todesweh, wie unaussprechlich ich Dich liebe!«

Das Spiel verstummt. Marie-Luise richtet sich gewaltsam empor. »Und weil ich Dich liebe, darum erkaufe ich mit meinem Glück Dein Leben!«

Sie legte die Hand auf den Thürgriff und trat ein.


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