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Zweites Kapitel

»O Du listiger Teufel!
Wer kann ein Weib durchschauen?«

Shakespeare, Cymbeline.
V. Aufz., 5. Sc.

 

In dem kleinen Saal neben der Bildergallerie wurde das Diner von der Großherzoglichen Familie eingenommen.

Es waren für den heutigen Tag keinerlei Einladungen ergangen, nur das Erbprinzliche Paar und Fürstin Tautenstein erschienen bei Tafel, und außer ihnen schlossen die wenigen, dienstthuenden Hofchargen die kleine Runde. Prinz Maximilian schien entweder schlechte Laune zu haben, oder dem Geschmack der modernen Welt nicht recht zu huldigen. Seine vielreizende Nachbarin konnte sich allerdings über keinerlei Vernachlässigung beklagen, dazu war der fürstliche Seefahrer ein viel zu respectvoller Verehrer von Frauenschönheit und Frauenwürde, aber dennoch wollte die Unterhaltung zwischen ihm und Fürstin Claudia nicht so üppige Blüthen treiben, wie man es sonst bei fast jeglichem Zwiegespräch mit ihr gewohnt war. Das große, geistvolle Auge des Prinzen, welches so leicht in fast übermüthiger Heiterkeit aufblitzen konnte, schien im Anschauen der beweglichen Erscheinung der Fürstin zu erstarren, und wiederum wirkte dieses klare, durchdringende und ruhig beobachtende Auge wie lähmend auf alle Lebensgeister der schönen Frau ein, welche anfänglich die Wimpern zwinkernd zusammenkniff, als sehe sie in unangenehm blendendes Licht, und schließlich dem Blick des »langweiligen Seebären« ganz auswich, welcher es so gar nicht verstand, seine Nachbarin in der Weise zu unterhalten, wie sie es liebte. Schließlich stockte das Gespräch und brach gänzlich ab. Claudia wandte sich zu dem Erbgroßherzog und verstand es, durch ihre Fragen zu interessiren; sehr geschickt lenkte sie das Thema auf den Opernhausball und hatte auch bald die Genugthuung, den Baron von Nennderscheidt und seine Vermählung als Tagesfrage von der ganzen Tafelrunde behandelt zu hören.

»Ich habe dem vielbesprochenen Mann wirklich die größten und freundlichsten Sympathien entgegengebracht, wie wohl die Hofloge am besten bezeugen kann,« sagte sie mit weicher, etwas klagender Stimme und copirte dazu die träumerisch großen Augen des Bodenhausenschen Märchens, »aber so grausam enttäuscht war ich wohl noch im Leben, als wie von diesem ›Talmi-Original‹, welches wahrlich nicht mit geistvoller Freimüthigkeit seine Streiche in Scene setzt, sondern lediglich wie der Riese vom Sundland einherstolpert, mit Keulen drein zu schlagen!«

»Sie überraschen mich, Durchlaucht!« Prinz Maximilian legte Messer und Gabel nieder und richtete sich noch höher empor. »Entweder haben Sie sehr viel Geduld und Selbstbeherrschung, einer unliebsamen Persönlichkeit freundlich zu begegnen, oder mir mangelt jegliche Menschenkenntniß. Gestern Abend hätte ich darauf schwören mögen, daß der Glückspilz Nennderscheidt eine neue Protectorin gefunden habe, die energisch gegen alle Verläumdung und Klatschsucht, mit welcher man seine Capricen aufbauscht, zu Felde ziehen wird!«

Claudia lachte leise auf und rümpfte ein ganz klein wenig das Näschen. »Es ist und bleibt eine alte Geschichte, daß der Schein trügt ... und der große Britte hat wohl zu mehr als einer unserer modernen gesellschaftlichen Begegnungen das Motto geschrieben: ›Wie oft birgt innere, schwere Schuld, der außen Engel scheint an Huld!‹ Auch ich schien von engelhafter Langmuth und Milde, und dennoch machte ich mich wahrhafter Barbarei schuldig!« Sie zertheilte mit scharfem Schnitt ein Stück Ananas auf dem Teller, ihr Blick huschte zu dem Erbgroßherzog empor. »Der Herr Baron von Nennderscheidt offerirte mir nämlich in einer unglaublich faden Sauce sein Herz und seine drei Quäntchen Verstand zur gefälligen Kenntnißnahme, und ebenso wie diese schöne, goldige Fruchtscheibe hier, zerlegte ich nun – langsam und gründlich dieses tolle Herz.« –

»Seien Sie vorsichtig. Durchlaucht, ich bin ein enragirter Gegner der Vivisection!«

Fürstin Tautenstein wandte das Köpfchen und lachte Prinz Maximilian mit perlweißen Zähnchen an. »Wer sagt Ihnen denn, Hoheit, daß ich mein Opfer quälte? Es hielt so behaglich still, daß ich überzeugt bin, es hatte auch keine Ahnung von der ›moralischen‹ Operation, welche ich an ihm vornahm! Da jedoch mit einem einzigen Blick so viel Verrücktheit, plumpe Tölpelei und Keckheit, welche jeden Augenblick droht, als formlose Dreistigkeit über die Stränge zu schlagen, nicht übersehen und bemessen werden kann, so bedurfte es längerer Zeit zu meiner Studie. Und da ich doch, nach dem Betragen dieses tollen Junkers, kaum annehmen kann, ihm und seiner Gemahlin auf hiesigem Parquet wieder zu begegnen, so mußte ich eben die Zeit benutzen, mein geistiges Skizzenbuch um eine Carrikatur zu bereichern!«

Die Stimme der schönen Frau hatte ebenso wie ihre Züge einen fast gehässigen Ausdruck angenommen; scharf und lauernd traf ihr Blick das Antlitz des Großherzogs, welcher auf's Höchste frappirt, ebenso wie alle Anwesenden, die Sprecherin anstarrte, als traue er seinen Ohren nicht. Dann zog eine leichte Wolke des Unmuths über seine Stirn.

»Ich muß gestehen, liebe Fürstin, daß mich Ihre Kritik in hohem Grade überrascht, und daß dieselbe sehr vereinzelt steht. Baron Nennderscheidt ist einer unserer beliebtesten Cavaliere, und werden Sie vielleicht nur durch seine etwas drastische Art und Weise, der Gesellschaft seine junge Gemahlin zuzuführen, in Ihrer Meinung beeinflußt sein!«

Ein undefinirbares Lächeln neigte Claudia's Mundwinkel, dann aber blickte sie mit großen, träumerischen Augen fast traurig zu dem hohen Herrn hinüber. »Hätte ich zuvor die tactlose Comödie, welche der Freiherr ausnahmslose der ganzen Residenz vorgespielt hat, in all' ihren Einzelheiten gekannt, Königliche Hoheit, ich würde ihn selbstverständlich so ignorirt haben, wie er es verdient hat, eine Zeit lang völlig links liegen gelassen zu werden, aber ich war durchaus ahnungslos und unbeeinflußt, im Gegentheil, durch sein Renommée für ihn eingenommen, und habe dennoch diesen wenig günstigen Eindruck von ihm erhalten. Von ihm sowohl wie von seiner Frau, welche meiner Ansicht nach erst noch in eine Pension geschickt werden muß, ehe sie courfähig wird!«

»Oh, oh, halten Sie ein in Ihrem Grimme, durchlauchtigste Fürstin!« lachte der Erbgroßherzog, dieweil sich alle Köpfe in athemlosen Lauschen vorneigten, »ich habe allerdings die junge Frau nur von Weitem gesehen, aber sie so allerliebst und comme il faut gefunden, wie nur möglich!«

»Comme il faut!!« Fürstin Tautenstein faltete die diamantglitzernden Händchen mit einem humorvollen Stoßseufzer vor dem Teller. »Der blaue Dunst der Ferne idealisirt Alles, Königliche Hoheit. Es ist mir selbst schon passirt, daß ich einen Kohlkopf für eine Rose, und eine rosig schimmernde Glatze für ein lächelndes Mädchenantlitz gehalten habe, und daß ich bei einer Fahrt durch die Felder der Vogelscheuche mit eingetriebenem Zylinder sehnsuchtsvoll entgegen winkte – ›da kommt mein süßes Männchen!!‹«

Claudia verstand es, wirkungsvoll zu erzählen, sie hatte die Lacher auf ihrer Seite, nur, schräg von der Tafel herüber traf das graue Auge des Fräulein von Speyern kalt und groß das ihre.

»Nun ... was zum Beispiel haben Sie an der jungen Frau auszusehen, liebe Claudia?« fragte die Großherzogin in ihrer ruhigen, würdevollen Weise, und Prinz Maximilian neigte das Haupt näher zu der Erbgroßherzogin, welche ihm hinter dem Fächer etwas zuflüsterte. Er nickte hastig zustimmend. Beide waren fast stets der gleichen Meinung.

»Ihr ganzes Wesen ist ridicule! und das ist wohl der Extract meiner Kritik, gnädigste Herrin! Einen Knix producirte sie ... tausendmal schade, daß ich ihn jetzt nicht vormachen kann, aber ich hatte den unwillkürlichen Schrecken, sie möchte sich in dem Momente etwas innerlich verstauchen!«

»Brillant illustrirt!«

»Und dann hat sie entschieden ein halbes Dutzend Glieder zu viel, welche ihr überall im Wege sind. Sie nahm Alles mit, was nur niet- und nagellos war; was die Ellenbogen nicht faßten, wischte die Schulter mit fort, und was den Fußtritten entging, gerieth in Collision mit den Knieen; wahrlich, ich habe ganz unwillkürlich die steinernen Eckpfeiler am Portal darauf hin angesehen, ob sie der Rücken der Frau von Nennderscheidt vielleicht auch polirt habe!«

»Also ... wie man zu sagen pflegt, noch ohne jegliche Dressur!« lachte der Großherzog, mehr und mehr von dem Charme befangen, welcher über dem ganzen Wesen der sehr animirten Erzählerin lag, »aber da läßt sich leicht nachhelfen, und das Fegefeuer der Chronique scandaleuse, welches unsichtbar und dennoch fühlbar hier auf dem Parquet lodert, wird bald die kleinen Schlacken der Unbeholfenheit abgeschmolzen haben!«

»Der tolle Junker würde gewiß toll genug sein, die hiesigen Säle als Kinderstube oder Erziehungsanstalt zu benutzen, falls man ihm die Erlaubniß dazu gäbe!«

Der hohe Herr blickte jäh auf, seine Augenbrauen zogen sich ein klein wenig zusammen. »Ah ... Sie unerbittliche Richterin wollen die Piken vor dem freiherrlichen Paare kreuzen lassen?«

Claudia nickte eifrig, aber nicht gehässig oder zürnend, sondern wie ein schmollendes Kind. »Nicht für immer, Königliche Hoheit, aber eine Lection verdient der dreiste Patron, und das ist wohl die Ansicht der ganzen Residenz, welche mit sich selber schon einmal spaßen läßt, es aber um alle Welt nicht zuläßt, daß das Unkraut Tactlosigkeit und Uebermuth über den Stamm hinaus bis in die Krone emporwuchert!«

Aller Gesichter wurden ernst, besorgt blickte Rudolphine-Alexandrowna in die verdüsterten Züge ihres Gemahls, welcher langsam mit der Hand über die hohe, gefurchte Stirne strich. »Man beschäftigt sich in der Gesellschaft sehr viel und sehr lebhaft mit diesem crimen laesae majestatis des Herrn von Nennderscheidt, ohne Unsere Erlaubniß eine Frau zu nehmen?« forschte er mit außergewöhnlicher Schärfe in der Stimme, gleicherzeit auch die Hofmarschallin mit einem fragenden Blick streifend.

Die dicke Excellenz legte erschrocken das Stück Confect, welches sie soeben zum Munde führen wollte, auf den Teller zurück. Claudia aber kam ihrer Antwort zuvor. »So viel ich als Fremde beurtheilen kann, hat der Sturm ausgetobt; – in den Hofkreisen wenigstens. – Man hat nach Verdienst gerichtet und den Herrn Baron nebst Gattin zu dem alten Eisen gelegt.«

Das klang wie vollkommen selbstverständlich.

»Thatsächlich? wie man sich doch irren kann! Ich glaubte bemerkt zu haben, daß man dem jungen Paare wohl anfänglich etwas unnahbar gegenüber stand, daß aber die Stimmung sehr bald umschlug, und Frau von Nennderscheidt in auffallender Weise von Damen und Herren umringt war?« Prinz Maximilian's Blick schweifte dabei wie Bestätigung heischend über die Tafel-Runde. Allgemeine Verlegenheit.

»Allerdings ließen sich viele jungen Cavaliere vorstellen ...«

»Man war etwas neugierig.«

»Königliche Hoheit selber hatten durch den Vergleich mit der Defreggerschen Madonna einen Kampf der größten Meinungsverschiedenheit entfacht.«

Fräulein von Gironvales durchdringendes Organ übertönte die sehr vorsichtig eingeworfenen Bemerkungen, ihr Blick zuckte wie eine Dolchspitze nach Fides herüber, aber sie spielte sich vollkommen auf die harmlos Naive aus. »Halten zu Gnaden, Hoheit, ich glaube den plötzlichen Umschlag des Stimmungsbarometers erklären zu können! Erst zeigte er allerdings auf Sturm und Gewitter, nachdem aber Fräulein von Speyern mit lauter Stimme versicherte, daß Königliche Hoheit der Großherzog das Benehmen des Freiherrn gebilligt habe und ihn nach wie vor voll Huld und Gnade empfangen werde, da stieg das Quecksilber selbstverständlich wieder auf Sonnenschein, denn nun war doch absolut kein Recht mehr vorhanden, öffentlich zu revoltiren!«

Claudia machte der kleinen Französin ein sehr anerkennendes, wenn auch unmerkliches Zeichen; der Großherzog aber wandte sich auf's Höchste überrascht zu der Hofdame, welche ihm frei und grad' in's Auge schaute.

Wie in jähem Schrecken legte die Erbprinzessin die Hand auf den Arm Maximilian's.

»Sie haben muthig und kühn die Vorsehung gespielt, und um des lieben Friedens willen etwas eigenwillig die Loose für den verfehmten Mann gemischt, Fräulein von Speyern?«

»Dazu würde nicht Muth, sondern sehr viel unverzeihliche Dreistigkeit gehören. Königliche Hoheit.« Voll und klar klang die Stimme der Sprecherin gegen das schrille Organ ihrer Vorrednerin. »Fräulein von Gironvale beherrscht als Ausländerin unsere Sprache nicht so vollkommen, um meine Aeußerung dem Wortlaute nach wiederholen zu können, und erlaube ich mir, sie in ihrer Mittheilung der Wahrheit gemäß zu corrigiren. Auf die Fragen verschiedener Herrschaften, welchen Frau Fama Unwahrheiten und Verläumdungen in die Ohren geflüstert hatte, antwortete ich nach Pflicht und Gewissen, daß Baron Nennderscheidt den Tact gewahrt, und seinem Königlichen Herrn in privater Audienz Mittheilung von seiner bevorstehenden Vermählung gemacht habe. Diese Behauptung glaubte ich vertreten zu können.«

»Selbstverständlich, meine liebe Speyern, Sie verkündeten nur eine Thatsache.« Das Antlitz des hohen Herrn hellte sich auf, voll freundlichen Interesses weilte sein Auge auf der stolzen, kraftvollen Gestalt, welche einzig den Muth gehabt hatte, für Recht und Wahrheit in die Schranken zu treten. »Sie haben also von vorn herein Parthei für den tollen Junker genommen, aus welchem Grunde? Wer garantirt Ihnen die Möglichkeit, Ihren Clienten aus diesem Diluvium allgemeiner Empörung an ein rettendes Eiland zu lootsen?«

Fides lächelte. »Mein Vertrauen auf edle und machtvolle Hülfe, welche als Steuermann das Schifflein lenkt, Königliche Hoheit!« entgegnete sie furchtlos; »ich weiß, daß die Fluth der Verketzerung niemals so hohe Wogen treiben kann, um Purpurstufen zu bespülen, und darum flüchtete ich meine Schiffbrüchigen zu ihnen, und weiß, daß man sie daselbst beschützen wird!«

Claudia's Finger krampften sich um den Fächer, mit fast verletzendem Blick musterte sie die Hofdame, welche es wagte, offiziell gegen sie Front zu machen. Der Großherzog aber neigte sich lebhaft vor und schien plötzlich sehr wohlgelaunt. »Eine andere Lesart, meine liebe Fürstin! es freut mich aufrichtig, daß Fräulein von Speyern uns ein wenig ihre Ansicht über diese ganze fatale Affaire entwickelt und Sie hoffentlich von einem Vorurtheil curirt, welches ganz entschieden nur durch die momentan schiefe Stellung des Freiherrn gebildet wurde. Auf Baronesse Fides kann man sich verlassen, sie spricht selten ein directes Urtheil aus, thut sie es aber, so legt sie auch für ihre Ansicht die Hand in das Feuer!«

Fürstin Tautenstein lächelte sehr höflich. »Ich bin äußerst gespannt, Königliche Hoheit,« erwiderte sie, entfaltete den Fächer und lehnte sich an den Stuhl zurück. Das ruhige Antlitz der Hofdame aber glühte auf, als sie das Haupt dankbar gegen den hohen Herrn neigte.

»Sie finden also den Baron garnicht so verbrecherisch, als wie man ihn verschreit?«

»Wenigstens nicht schuldig genug, um eine völlig harmlose Persönlichkeit, seine junge Frau, zugleich mit ihm zu verdammen und sie für eine unüberlegte That ihres Mannes so schwer leiden zu lassen, wie sie es gestern schon that. Warum nimmt man dem Herrn von Nennderscheidt den Uebermuth, welchem man früher applaudirte, jetzt so gewaltig übel? Daß er erst im letzten Augenblick, gewissermaßen auch als Ueberraschung, seinem Herrn und Großherzog die Anzeige von seiner Vermählung machte, war angesichts der großen und vielen Beweise fast väterlicher Huld, welche er von Hochdemselben empfangen, entschieden tactlos, aber im Verhältniß zu seiner fast sprichwörtlichen Originalität und den Eulenspiegeleien, welche ihm so oft gnädigst nachgesehen wurden, kaum in Betracht zu ziehen.«

»Sehr richtig! außerdem muß man mit der Thatsache rechnen, daß es im gewöhnlichen Leben kaum einen größeren Scherz giebt, als die Welt durch seine Verlobung zu überraschen!«

»Und meiner Ansicht nach hatte Herr von Nennderscheidt keinerlei Verpflichtung, irgend eine Person der Gesellschaft in seine internsten Herzensangelegenheiten einzuweihen.«

» Herzensangelegenheit! hahaha ... der Heiligenschein zerbricht Ihnen zwischen den Fingern, ehe Sie ihn dem tollen Junker, gleich einem Panamahut, über die Locken stülpen können!«

Fürstin Tautenstein preßte das Spitzentuch lachend gegen die etwas blaß gewordenen Lippen, und Fräulein von Gironvale fuhr mit bissigem Ton dazwischen: »Das eben finde ich das Unerhörte, daß der Herr Baron mit den heiligsten Gefühlen seinen Spott treibt, daß er nicht den Eid der Treue schwört, um ihn zu halten, sondern lediglich, um ein Possenspiel aufzuführen und die ganze Residenz zu düpiren!«

Fides zuckte die Achseln, und da sie der Großherzog, eine Antwort erwartend, ansah, hob sie mit etwas ironischem Lächeln das Haupt. »Düpirt konnten nur diejenigen sein, welche auf die beste Parthie des Landes speculirten; es ist leider Gottes stets der alte Refrain bei dem Lied vom grünen Jungfernkranz, daß die Damen einem Manne Alles vergeben, nur nicht die Brutalität, sich mit einer Anderen zu verheirathen.«

Schallendes Auflachen des Großherzogs und Prinz Maximilians, in welches fast die ganze Tafelrunde einstimmte, nur Mademoiselle Esperance machte ein Gesicht, als sei sie geohrfeigt worden, und starrte fassungslos auf ihre Herrin, welche einen Moment den Eindruck machte, als ob ihren rosigen Fingerspitzen Krallen wachsen wollten Dann warf Claudia das Köpfchen zurück und maß Fräulein von Speyern mit feindlichem Blick.

»Der alte Refrain kann aber auch mancherlei Variationen haben!« entgegnete sie voll scharfen Hohnes, »und soll es zeitweise auch vorkommen, daß verschmähte Liebhaberinnen sich späterhin voll aufopfernder Freundschaft des betreffenden jungen Paares annehmen, um dadurch den Schein der Eifersucht und Mißgunst von sich abzuwälzen.«

Des Großherzogs Auge schien zu wachsen in zornig aufflammendem Blick. Prinz Maximilian legte den Eislöffel härter wie nöthig auf den Teller zurück. Fides aber blickt voll stolzer Ruhe, kaum die Farbe wechselnd, in der Fürstin schönes Antlitz.

»Gewiß giebt es auch davon Beispiele, Durchlaucht, aber leider recht wenige, denn die Zahl jener willensstarken Frauen, welche ihr eigen Herz besiegen, und deren Tugend größer ist, wie ihre Laster, sind selten. Ich habe einst ein Gleichniß gehört, welches die Charaktere der Frauen verschiedener Nation beleuchtet. Die Französin sagt« – der Blick der Sprecherin streifte Fräulein von Gironvale –: »›Ich habe ihn geliebt, er hat mich verrathen ... n'importe! ich tröste mich mit einem Andern!‹ Die Italienerin tobt: ›Ich habe ihn geliebt, er hat mich verrathen, ich werde mich rächen und ihn tödten!‹ Die Russin grübelt: ›Ich liebte ihn, er verrieth mich, ich werde ihm schaden, wo ich kann!‹ – Und die Engländerin zuckt die Achseln: ›Der, den ich liebte, hat mich verrathen; wie gut, daß er mich nicht noch bestohlen hat!‹ Die Deutsche aber faltet weinend die Hände und legt sie auf ihr blutend Herz: ›Ich habe ihn geliebt, und er hat mich verrathen, nun will ich beten, daß er trotzdem glücklich werde!‹« Fides machte einen Augenblick eine Pause, ihr Blick schweifte über die ernsten, theilweise geneigten Gesichter, und wieder den früheren Ton einschlagend, fuhr sie fort: »Da Sie nun eine geborene Russin sind, Durchlaucht, so mag Ihnen das deutsche Weib, welches vergiebt und vergißt, allerdings ein Gegenstand des Spottes sein; wenn Sie sich aber überzeugen werden, daß Ehr' und Sieg nicht nur mit den Waffen germanischer Heere zu erringen sind, sondern auch mit jenen unsichtbaren des Geistes, welche die Frauenhand führt, dann werden Sie die goldene Variation des alten Refrains aus vollster Ueberzeugung mitfingen!«

»Hoffen wir das Beste. Ich werde mir künftighin alle Mühe geben, Baron Nennderscheidt mehr und gründlicher wie bisher zu studiren!« zuckte Claudia gelangweilt die Achseln, und doch sprühte es in ihrem Auge wie Triumph; der Großherzog aber nickte der Hofdame freundlich zu und gab der kleinen Debatte voll diplomatischer Gewandtheit eine versöhnliche Schlußwendung. Dann spann er den Faden der Unterhaltung geschickt auf ein anderes Thema hinüber. Nach der Tafel zogen sich die hohen Herrschaften, außer Prinz Maximilian, sofort zurück, während das Gefolge den Kaffee stehend im Nebensaal einnahm.

Fräulein Esperance hatte sich zu ihrem Entzücken an Hovenklingen's Seite laviren können. Aber Seeleute haben das Privilegium, langweilig und bärenhaft unhöflich zu sein, wenn es ihnen just in den Kram paßt. Der seltene Verkehr mit Damen ist eine unfehlbare Entschuldigung. In Folge dessen capricirte sich Mademoiselle de Gironvale darauf, den struppigen Pelz so lange mit seidenweicher Bürste zu striegeln und zu cacholiren, bis er glatt und gefüge wurde. Namentlich sollte es ihre Aufgabe sein, den Barbaren von Anker und Rahe ein wenig poetisch zu färben, denn der Sinn für lyrische Gleichnisse und schmachtende Elogen fehlte ihm vollkommen.

»Welch eine Uebung müssen Sie haben, auf Reisen alle Schönheiten der Natur und der Kunst sofort mit Kenneraugen herauszufinden! Reisen Sie nach bestimmten Grundsätzen?«

Der junge Offizier hatte gerade die Tasse an den Mund gehoben. Er knurrte blos: »hm!«

»Ach bitte, bitte, sagen Sie mir nach welchen!« bat sie mit schief geneigtem Köpfchen.

»Höchst einfach. Die Berge von unten, die Kirchen von außen und die Wirthshäuser von innen ansehen. Dann ist die Sache erledigt.«

»O Sie Unmensch! Und Sehenswürdigkeiten respectiren Sie gar nicht?«

»Na, wenn's welche giebt, jedesmal! Aber es ist mir nur zweimal passirt, einmal in Callao und einmal in Peking; da wurden gerade ein paar arme Sünder einen Kopf kürzer gemacht, ... verdammte Schinderei das, namentlich in China, aber man mußte es doch mit ansehen, der Rarität wegen. Denken Sie mal, wie der eine Kerl ...«

»Fi donc! ... entsetzlich! ... um Gottes Willen seien Sie still! ich werde ohnmächtig bei solch' gräßlichen Erzählungen!« Und Esperance hielt sich sehr graziös die Hände vor die Ohren, »erzählen Sie mir lieber von dem berühmten Lamatempel! Von Sachen, die schön und ideal sind!«

»Lamatempel? Davon weiß ich nichts mehr, ... ich glaube, ich habe ihn garnicht gesehen; ist ja Unsinn, ein Götze sieht aus wie der Andere, machen egal so!« und Herr von Hovenklingen streckte die Zunge heraus und schnitt nickend eine Fratze, welche jegliche, selbst die mindeste Spur von Eitelkeit ausschloß.

Esperance war sehr alterirt. »Wie kann man sich so fürchterlich entstellen! Schnell von den Götzen hinweg! Ich habe einmal von einem Herrn der Gesandtschaft über einen feenhaft schönen Sommerpalast des Kaisers in der Nähe von Peking schwärmen hören ...«

»Stimmt. Yuen-ming-yuen! heißt ›sehr glänzender Garten‹ und wenn man hinkommt? Proste Mahlzeit, dann muß man durch ein Loch in einer alten Backsteinmauer kriechen, und watet bis an die Kniee im Sumpf, und wenn Sie sich hier einen Schweinestall zusammen reißen lassen, und ein paar alte Gesimse und Waschtischmarmorplatten mit hinein buddeln, und obendrauf als Vegetation ein paar Kohlköppe pflanzen, dann haben Sie den ganzen Kladderadatsch von Yuen-ming-yuen!«

»O, Sie machen wieder eine Mördergrube aus Ihrem Herzen! Sie wollen nur nicht eingestehen, wie Sie dort bei Mondschein und Bül-Bül's geschwärmt haben!«

»Mondschein? Das ist fauler Zauber in solch' netter Gegend. Aber ... amüsirt haben wir uns allerdings, lagerten uns unter den Bäumen und pafften eine sehr stylvolle Giftnudel in die Blüthen und Fächerblätter empor, so zu sagen: ›Volldampf voraus!‹ und dann packten wir das Frühstück aus! Sehen Sie, ... wenn ich etwas Kräftiges in den Magen kriege, verzeihe ich selbst dem sehr glänzenden Garten seine romantische Verwilderung, und wenn ich ein Stück Beefsteak, oder ein handfestes Käsebrod zwischen den Zähnen habe, dann kann ich selbst in der Alhambra oder im Collosseum sitzen und die klassische Umgebung wird mir das Vergnügen nicht beeinträchtigen!«

»Sie scheinen ja sehr viel Werth auf das Essen zu legen, Herr von Hovenklingen!« schmollte Fräulein von Gironvale, und streckte das spitze Kinn noch spitzer vor. »Sie sind wohl selber ein halber Koch, welcher Madame Davidis neben dem Schiffskalender liegen hat?«

Der junge Offizier bemerkte, daß Fräulein von Speyern seiner Unterhaltung folgte, er seufzte tief auf. »Kochen? daß Gott erbarm. Auf diesem tückischsten Fahrwasser der Wissenschaft piere und gehe ich so verdammt quer wie ein Kohlenschiff auf Legerwall! Wenn nicht mal eine stolze Fregatte daher gesegelt kommt, welche sich meiner erbarmt und mich in's Schlepptau nimmt, laufe ich Gefahr, mein Leben lang als armer Junggeselle vor den Sandwich-Inseln ... Sandwich ist nämlich ein ›kaltes Butterbrod‹ – vor Anker zu liegen!«

Fräulein Fides wandte das Haupt noch seitlicher, aber um ihre Lippen zuckte es.

»Als Soldat müßten Sie aber eigentlich ein paar einfache Gerichte zu kochen verstehen!« schüttelte Esperance vorwurfsvoll den Kopf. »Und ist es Pflicht der Damen, Sie ein wenig zu unterrichten. Soll ich Sie einmal in Lection nehmen? Ich lehre Sie die schönsten, süßesten Dinge zubereiten« ... ihre Augen schlugen sich voll etwas herausfordernder Koketterie zu ihm auf, »zum Beispiel ›Mädchenaugen‹, ›des soupirs‹, Marzipanherzen und ... auf Verlangen auch Baisers!«

»Pfui Deiwel!«

»Ah ... kein Freund von Süßigkeiten?«

»Nee, mit solch' elendem Zeug können Sie mich jagen, daß ich an einem Rasirmesser bis in den Himmel klettere! ... schmeckt ja gottsjämmerlich, geradeso, als ob man die Zunge zum Fenster hinausstreckt!«

»Empörend! jetzt lernen Sie zur Strafe erst recht das Kochen bei mir! Haben Sie Talent? Ihren Händen nach zu schließen ...« sie lachte leise auf, »müßten Sie vorzüglich Brot backen können! Noch nie einen Versuch gemacht?«

»O ja, einmal habe ich meinen Kameraden etwas aufgetischt, habe gekocht mit einer Genialität und einem Erfolg, daß ich acht Tage lang noch ganz geschwollen war vor Stolz; jetzt, da Sie anfangen, sich über mich lustig zu machen, erlaube ich mir, zur Revanche Ihnen diesen Schreckschuß in die Glieder zu jagen, ein Marinelieutenant kann Alles

Von rechts und links neigten sich die Köpfe lachend und lauschend näher. »Hört! hört! bitte. Farbe bekennen, Hovenklingen, was haben Sie gekocht?«

Dieser warf sich stolz in die Brust. »Bratwürstel! aber nicht etwa so zubereitet, wie es bei allen gewöhnlichen Christenmenschen usus ist, nein! so, wie es mir selbst die beste Köchin nicht nachthut, ohne Feuer gebraten!«

»Hut ab! ... hahaha! ... wohl auf Ihrem Herzen, Hovenklingen?!«

Er machte ein wahrhaft verächtliches Gesicht. »Auf meinem Herzen? Nein, da habe ich sie nur transportirt, so lange sie auf Eis liegen mußten!«

»Bravo! gut gebrüllt, Löwe! ... Aber bitte um dieses phänomenale Recept! Das Recept! ein Königreich für dieses Recept!«

»Ja, das Recept, meine Damen, das hat Aehnlichkeit mit dem Ei des Columbus; wenn man die Sache weiß, sieht sie collossal einfach aus, und doch war es nur Einem beschieden, sie zu erfinden. Also bitte, sich folgende Scenerie auszumalen ...«

»Unmöglich, es ist ausnahmsweise heute kein einziger Pinsel hier!!«

»Ruhe, keine Anzüglichkeiten! Reden Sie. Hovenklingen!«

»Landparthie auf die Felsen von Sanct Domingo. Tolles Wetter. Jagd gemacht, wilde Bestien in Sicht, undeutlich zu erkennen ... da es aber mit dem Schwanz wedelt, muß es ein Hirsch sein, – ergo – bumm – bumm Schnellfeuer, und ein klägliches Ya! – war nur der Esel eines Mulatten gewesen. Schlagen an die Brust, dann weiter hinauf. Riesiger Hunger. Frühstück. Gießender Regen und um die Welt kein Feuer. Was wird mit den Bratwürsteln? Hovenklingen, kluger, weisheitsvoller Mann, komm uns zu Hülfe! Und Hovenklingen kommt, ergreift Nummero 122 des Militair-Wochenblattes, taucht sie in eine Portion Rum, wickelt die Würstel in diese ›rumbedeckte‹ Zeitung, steckt dieselbe mittelst eines schwedischen Schwefelhölzchens in Brand und ... ah! Triumph und Heil und Segen über den Erfinder, die Würstel braten!«

Alle Tassen hoben sich in stummem Salut, hinter Fächer und Taschentuch lachte es hell auf, und nur Prinz Maximilian schüttelte den Kopf und sagte in seiner trockenen Weise. »Nicht zu bescheiden, Hovenklingen! Malen Sie das Bild nach vollem Verdienste aus, und sagen Sie den Damen, daß Sie an dem nämlichen Tage noch einen Hasen im eigenen Speck gebraten und noch etliche Schoppen Fett abgefüllt haben!«

Allgemeiner Jubel, dann schallte abermals die Stimme der Fürstin Tautenstein vernehmlich durch das Gelächter, und Alle horchten hoch auf, da dieselbe das Thema Nennderscheidt von neuem angeregt hatte.

Wie mit einem Schlag waren die heiteren Coulissen wieder verschoben, und da es auch Fräulein von Gironvale plötzlich wagte, das junge Paar, und indirect auch Fides von Speyern zu verketzern, da schwoll die Ader auf Hovenklingen's Stirn an, und er begann, in fast beleidigender Weise seine Nachbarin zu ignoriren. Als Prinz Maximilian zu der Hofdame seiner Schwägerin trat, ihr mit warmem Druck die Hand zu reichen, lavirte sich auch der Lieutenant zur See herzu, seinen blondlockigen Kopf vor Fräulein von Speyern zu neigen. Sein Blick tauchte tief in den ihren.

»Die Fregatte hat guten Cours genommen, mein gnädiges Fräulein, ich gratulire dazu! Sie haben bei Tafel eine Rettungsboje ausgeworfen und allem Anschein nach einen armen Teufel damit über Wasser gehalten!«

Prinz Maximilian nickte mit ernstem Gesichte vor sich hin. »Nicht ihn allein, sondern auch die sturmverschlagene Schwalbe, welche die Fluth mit ihm zugleich verschlingen wollte! Der Seemanns-Aberglauben aber prophezeit Demjenigen, welchem solch' schöne That gelungen, viel Heil und gute Fahrt in den heimathlichen Hafen! Da wir seefahrend Volk ein solches Glück nun alle brauchen können, so lassen Sie es uns wissen, Capitana, wenn Ihre Kräfte den Dienst versagen sollten, die beiden Schiffbrüchigen ganz und gar an Bord zu holen. Wir stehen zu Ihnen, wir legen rüstig die Hände mit an und theilen sowohl das Glück mit Ihnen, als ... die Caplaken! falls Baron Nennderscheidt eine Prämie für Denjenigen ausgesetzt hat, welcher als Schiffsladung die goldenste Treue und Freundschaft führt!«

– – – – – – –

Am Abend desselben Tages findet Empfang bei dem englischen Gesandten statt. Außer der Großherzogin, welche leichten Unwohlseins halber das Zimmer hütet, ist der Hof vollzählig erschienen. Serenissimus hat längere Zeit mit der Gastgeberin und deren Tochter geplaudert, hat seine Minister und etliche Generale durch eine huldvolle Ansprache ausgezeichnet, und begrüßt nun als erste der geladenen Damen Fürstin Tautenstein. Die Unterhaltung ist animirt und anhaltend; Fides von Speyern wendet keinen Blick von der kleinen Gruppe. Die zarte Gestalt Claudia's, umschleppt von lichtgrünem Seidenplüsch, welcher glänzt und spiegelt wie ein Waldsee im Frühling, wenn der Wind stellenweise darauf stößt, wiegt sich auf spitzen Atlasschuhen vor dem hohen Herrn, und sie hebt die Hände bittend zu ihm empor und schmeichelt mit unwiderstehlichen Augen.

Fides macht Prinz Maximilian besorgt darauf aufmerksam, und der fürstliche Navigateur nickt ihr verständnißvoll zu und tritt zu den Plaudernden heran.

»Aber, Königliche Hoheit, ich bin überzeugt, daß man den Mann nur bei Ihnen angeschwärzt hat!« versichert die Fürstin voll warmen Eifers. »Wie um Alles in der Welt soll ein so unbedeutendes Menschenkind, wie dieser Stiftspfarrer revoltiren können! Er gebietet vielleicht über eine glänzende Suade, deren Bilderreichthum mancherlei Deutung zuläßt, und um welche ihn die lieben Collegen und Vorgesetzten beneiden!«

»Allerdings ist Collander ein Redner von packendster Kraft und Ueberzeugung, aber er schlägt über die Stränge und schwingt auf Gebiete hinüber, auf welche er nicht paßt. Ein Pfarrer gehört auf die Kanzel, nicht aber auf die Tribüne, von welcher das Banner des Partheigeistes weht.«

»Mais mon Dieu! ... das ist ja so modern! und warum soll eine Fülle von Geist, Wissen und Energie unverwerthet verkümmern, nur darum, weil ein blindes Schicksal den Talar darüber gestreift hat?«

»Besser es verkümmert, als daß es in Form von Steinen auf glatte Wege geschleudert wird!«

»Wenn man aber die schroffen Ecken solcher Steine, über welche vorläufig noch die friedlichen Erdenpilger stolpern, abschleift und sie bearbeitet und in die richtige Façon bringt, geben sie das beste Pflaster und sicherste Fundament für die breite Heerstraße, auf welcher der goldene Wagen des Staates rollt!«

»Das trifft in manchen Fällen allerdings zu,« der Großherzog blickte lächelnd auf die kleine Diplomatin hernieder, »und aus manchem Saulus ist schon ein Paulus geworden! Glauben Sie aber, daß ein solcher Hitzkopf wie Collander, welcher in allen Dingen mit der rücksichtslosesten Schroffheit vorgeht, der sich zum Anführer einer Parthei aufschwingt, um die Menge zu lenken und zu leiten, daß der sich im Geringsten be einflussen ließe? Hier käme es einzig auf die Stärke an, wer an dem Anderen zerschellt, – der Stein, oder der Hammer.«

Claudia schüttelte mit wahrem Engelslächeln das Köpfchen. »Wer weiß, wie viel an den wahren Zügen des Stiftspfarrers modellirt, wie viel an den Gerüchten über sein reformatorisches Vorgehen aufgebauscht wurde! Der Mann beabsichtigt ganz gewiß das Allerbeste, hat mit dem Eifer der Jugend anfänglich die Schranken ein wenig überschritten, sich Feinde gemacht, ist durch Opposition und Verleumdung gereizt und so stürmisch vorgedrängt, daß ihm sein eigenes Werk nun selber über den Kopf zu wachsen droht. Keine Hand reicht sich ihm dar, ihn zu stützen und zurückzuführen, im Gegentheil, dadurch, daß man ihn bei Eurer Königlichen Hoheit so wenig gut accreditirte, und Hof und Hofgesellschaft ihn und Sanct Brigitten vollständig ignorirt, dadurch wird er erbittert und mehr und mehr in falsche Bahnen gedrängt.«

»Ich durchschaue Sie, kleine Versucherin! Sie wollen mich für den Pfarrer interessiren!«

»Mehr noch, Königliche Hoheit, ich möchte meinen allergnädigsten Herrn so sehr für ihn erwärmen, daß nächsten Sonntag ein paar Hofequipagen vor Sanct Brigitten stehen!«

»Was der Tausend! Genügen zwei?«

Claudia jubelte auf. »Gewiß, Königliche Hoheit!«

»Gut, so fahren Sie und Fräulein von Gironvale beide extra vor!« Der Großherzog war sichtlich guter Laune und lachte sehr amüsirt auf, als die Fürstin ganz entgeistert beide bittend erhobenen Hände sinken ließ. Dann fuhr er ernsthafter fort: »Vielleicht haben Sie mehr Glück bei der Erbgroßherzogin, liebe Tautenstein! Dieselbe ist Protectorin des Brigittenhospitals und wird nicht abgeneigt sein, Collander einmal predigen zu hören; ich selber werde mich zu Ihrem Fürsprecher machen, und hoffe, Sie werden alsdann mit meinem Eifer zufrieden sein!« Er wandte sich zu der alten Prinzessin Caroline, seiner Schwester, welche soeben, auf ihren Krückstock gestützt, neben die Erbgroßherzogin getreten war, mit der Bitte, ihr die Kinder für den morgenden Nachmittag zu schicken.

Prinz Maximilian hörte es noch mit sichtlichem Wohlgefallen an, daß beide fürstliche Damen sich gern bestimmen ließen, einem Gottesdienst in Sanct Brigitten beizuwohnen, dann trat er zu Fräulein von Speyern zurück.

»Auf der Back ist Alles wohl. Laterne brennt!« rapportirte er scherzend. »Unserm Protégé drohte keinerlei Gefahr.« Er sah der Hofdame mit ehrlichem Blick in die Augen. »Sagen Sie mal, verehrteste Baronesse, werden Sie aus dem eigenthümlichen Wesen der Fürstin klug?«

»Ich glaube sie durchschaut zu haben!«

»Ah, ich bitte Sie dringend, sprechen Sie ganz aufrichtig zu mir!«

»Gestatten Hoheit, daß ich meiner Sache erst völlig sicher, und von meiner Vermuthung überzeugt bin!« bat sie mit weicher Stimme.

»Selbstverständlich. Ihr Urtheil wird mir um so interessanter sein.« Er neigte sich noch näher. »Wissen Sie vielleicht durch Zufall, ob die Fürstin irgend welche Beziehungen zu Collander hat?«

»Nein. Sprach sie von ihm?«

»In beredtesten Worten, und in einem Sinn, welcher meinen vollen Beifall hat. Eigenthümlich, diese Frau ist aus Widersprüchen zusammengesetzt. Ich habe nie irreligiösere Ansichten aussprechen hören, als wie von ihr; sie behauptet, seit Jahren keine Kirche besucht zu haben, aber nächsten Sonntag fährt sie mit Tante Caroline und meiner Schwägerin nach Sanct Brigitten. Das muß doch einen gewichtigen Grund haben! Dann habe ich von vielen Seiten gehört, kein Cavalier sei gestern Abend so auffallend von ihr ausgezeichnet worden, wie Nennderscheidt, und heute Mittag bei Tafel hat sie ihn geradezu moralisch zerhackt; wie reimt sich das?«

Fides zog die Augenbrauen finster zusammen. »Nichts ist schwerer, als ein Weib zu durchschauen, Hoheit, welches in so viel Farben schillert, wie Fürstin Tautenstein. Dennoch werden wir des Räthsels Lösung finden.«

»Und wenn Sie es früher errathen wie ich, helfen Sie mir auf die Spur. Wir ziehen ja an einem Strang.«

»Ehrlich gesagt, hat mich im Leben nie etwas freudiger überrascht als diese Thatsache!«

Maximilian lächelte. »Bekenntnisse einer schönen Seele. Ich war stets ein wunderlicher Gesell. In den Tropen aber gewöhnte ich mich vollends daran, das Blendende nicht für das Beste zu halten. Ich trete selbst die schönste aller Blüthen erbarmungslos in den Staub, wenn sie giftig ist!«


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