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Fünftes Kapitel

»Drum hält Euch Gram und Leid umfangen,
Seid eigner Schuld Ihr Euch bewußt,
So lehnt die thränenfeuchten Wangen
An Eurer Mutter treue Brust.
Und ist die Mutter Euch geschieden,
Weint Ihr allein in finstrer Nacht,
O glaubt: ihr Herz ließ sie hienieden,
Es hält bei ihrem Kinde Wacht. –«

Albert Träger.

 

Marie-Luise war bei Hofe präsentirt worden und hatte einen äußerst günstigen Eindruck hinterlassen. Die Erbgroßherzogin und Prinz Maximilian schienen ein ganz besonderes Wohlgefallen an ihr zu finden, und auch der Großherzog unterhielt sich außergewöhnlich lange mit ihr. Er schien sich eine ganz falsche Vorstellung von Frau von Nennderscheidt gemacht zu haben, und blickte frappirt in das madonnenhafte Gesichtchen, aus welchem zwei geist- und seelenvolle Augen voll ernster Wehmuth zu ihm empor leuchteten. Auch die Antworten, welche »das Gänschen von Buchenau« gab, schienen ihn zu überraschen. Er wandte sich zu Fräulein von Speyern. »Ich gratulire Ihnen zu Ihrem sich stets so trefflich bewährenden Geschmack, liebe Speyern! Ihre Schutzbefohlene ist eine ganz charmante kleine Frau ... begreife nicht, wie Fürstin Tautenstein sich eine so irrige Meinung über sie bilden konnte. Habe extra auf das so bös beleumundete Compliment geachtet und kann nur behaupten, daß es mit aller Würde und Grazie ausgeführt wurde!«

Fides lächelte wie eine Mutter, welcher man eine Eloge über die gute Erziehung ihrer Tochter sagt. »Ich begreife es sehr wohl, Königliche Hoheit, daß Frau von Nennderscheidt sehr wenig dem Geschmack der Fürstin entspricht; die Gegensätze sind zu grell, um sich auch nur in einem einzigen Charakterzug harmonisch berühren zu können.«

»Sehr richtig. Ich bin außerordentlich zufrieden mit der Wahl des Barons, hatte einen solch' vortrefflichen Geschmack kaum bei ihm vorausgesetzt, und bekenne mich völlig versöhnt mit seinem etwas übereilten Streich, welcher mir anfänglich zu ernsten Befürchtungen Anlaß gab. Apropos ... man sagt mir, der unverbesserlich tolle Junker habe sich in auffallendster Weise vor den Triumphwagen der Fürstin Tautenstein gespannt?«

»Nennderscheidt war stets ... d'après la dernière mode!«

Der hohe Herr lachte leise auf. »Aber auch stets charaktervoll und unbestechlich genug, um bei Seite zu werfen, was bei näherer Prüfung seinen hohen Anforderungen nicht genügte.«

»So ist es doppelt interessant, zu beobachten, was er für Gold und was für Talmi erklären wird.«

Der Großherzog strich langsam seinen ergrauten Bart, klar und fest hastete sein Blick auf dem ernsten Antlitz der Hofdame. »Unbesorgt, liebe Speyern, der Demant rollt durch vielerlei Gestein, aber er schleift sich nur am Demant, und Menschenherzen gleichen zartgeschliffenen Gläsern, die nur dann klingen, wenn sie harmoniren. Auch ist manch' ein Schifflein planlos auf hoher Fluth umhergeschweift und hat schließlich doch den heimathlichen Hafen gefunden. Olivier's Steuermann aber ist sein Herz, und das ist brav und gut. Gleicht ganz seinem Vater, wild und ruhelos, bis er sich selber auf den rechten Weg arbeitete, und der beste Ehemann der Welt wurde. Haben Glück im Spiel und in der Liebe, die Nennderscheidt's, hat Keiner jemals im Hazard verloren!«

Und der Sprecher nickte lächelnd vor sich hin, hob dann jäh das Haupt und winkte seinem Flügeladjutanten, ihn zu der Ministerin zu geleiten; der hohe Herr hatte durch einen Fall auf der glatten Marmortreppe das Knie verletzt, und bedurfte der Stütze beim Gehen.

Prinzessin Caroline hatte nach dem diner, welches sich der Vorstellung angeschlossen, Marie-Luise an ihre Seite gewinkt und ihr mit warmen Worten Dank gesagt, daß die junge Frau die Abgesandte der städtischen Mission so freundlich empfangen und Hülfe und Unterstützung zugesagt habe. »Gewöhnlich sind die Damen viel zu sehr beschäftigt in der Saison, um Zeit für Samariterdienste zu finden,« sagte sie mit ihrer leisen, leidenden Stimme, den grauen Seidenstoff ihres Kleides nervöse zwischen den Fingern reibend; »darum hat es mich doppelt angenehm überrascht, bei einer so jungen Frau wie Sie, welcher die bunte Welt zum ersten Mal ihren vollen Becher kredenzt, so viel Opfermuth und ernsten Sinn zu finden. Ich werde morgen meine liebe Agathe, das Fräulein von Mühlheim, zu Ihnen schicken, Frau von Nennderscheidt, die soll Ihnen genau die Tage und Stunden angeben, wo die Damen bei mir sind, für arme Kinder zu nähen! Werde mich herzlich freuen, Sie unter uns begrüßen zu können!«

Prinz Maximilian hatte in der Nähe gestanden und das Gespräch mit angehört. Er wendete sich zu Hovenklingen. »Wenn ich etwas Menschenkenntniß besitze, und die Baronin recht beurtheile, so werden ihr diese meist sehr gesprächigen Damenversammlungen von debattirenden Blaustrümpfen der heiligen Schrift wenig zusagen. Sie sieht der Defreggerschen Madonna gar zu ähnlich, und wenn sie Gutes thut, so ist's in aller Stille, wo die rechte Hand nicht weiß, was die Linke thut.«

Acht Tage waren vergangen. Schneidender Wind pfiff durch die Straßen, hartgefroren knirschte der Schnee unter den Sohlen. Die Laternen glühten wie rothe Funken durch das Gestöber, welches fein wie Nebel und Reif hernieder stäubte, sich hier und da zu einer Wolke verdichtend, wenn die scharfe Luft über die Dächer fegte und die weißen Massen niederschüttete. Die Schaufenster strahlten Licht und wiesen tausend lockende Kostbarkeiten, welche zeitweise die Schritte eiliger Passanten mäßigten.

In warmen Pelz gehüllt, gefolgt von einem Diener, schritt Marie-Luise von dem nahen Palais der Prinzessin Caroline nach ihrer Wohnung zurück, stehen bleibend, um sich der ungewohnten Pracht der Läden zu erfreuen, oder mit lebhaftem Blick das Getriebe der Großstadt überschauend, welches hastig, immer wechselnd, und dennoch sich immer gleichend, an ihr vorüber lärmt.

Wo die Straße nach dem Park einbiegt, und die Villen sich vornehm und voll kühler Reserve zwischen die Handelshäuser drängen, wird es stiller und dunkler. Nur noch vereinzelt öffnet sich hinter mächtiger Glasscheibe ein Stücklein Schlaraffenland.

Plötzlich bleibt Marie-Luise stehen. Vor ihr glänzt das Schaufenster eines Backwaarenladens, und in seinem hellen Schein gewahrt sie die Gestalt eines kleinen Mädchens, welches auf dem niederen Simse kauert, die Füße frierend empor gezogen, und die beiden Hände in die Schürze gewickelt. Ein kleines dunkles Tuch ist zipfelig um den Kopf gebunden, und rechts und links hinter den Ohren krümmen sich zwei rattenschwanzartige Zöpfchen, an deren Ende ein abgerissener Wollfaden vergnüglich im Winde schwänzelt. In die glitzernden Eisblumen der Scheibe ist ein Loch gehaucht; das rothe Näschen drückt sie platt dagegen, und die Aeuglein glotzen voll stierer Nachdenklichkeit auf die süßen Wunderdinge, welche so nah und doch so unerreichbar fern stehen, ob das Züngelchen noch so sehnsüchtig schmatzend das Terrain unter der Nase bearbeitet...

Das Stillleben dieses weiblichen Tantalus hat etwas äußerst Drolliges, und erfüllt dennoch das Herz der jungen Frau mit Rührung und Theilnahme. Sie tritt herzu und neigt sich freundlich zu dem Kind hernieder.

»Du suchst Dir wohl etwas aus, was Du gerne essen möchtest, Kleine?«

Weder Ueberraschung noch Schrecken verursacht diese Anrede. Das Köpfchen verharrt unverändert, und nur das Schnütchen schiebt sich noch etwas weiter vor und sagt lakonisch – »Nee!« –

»Und warum nicht?«

»Weil ick et man doch nich kriege!« Das ist logisch gedacht und erstaunt Frau von Nennderscheidt gewaltig. Sie lacht und greift in die Tasche.

»Ich werde Dir Geld geben, dann kannst Du Dir doch etwas kaufen!«

Da wendete sich ihr das kleine Gesicht zu. Die Aeuglein funkeln, und der Mund zieht sich wohlgefällig in die Breite, aber die Hände rühren sich nicht aus der Schürze heraus. »In det feine Jeschäft draue ick mir nich rinn, die keilen mir womöglich, und denken, ick hätte den Fünfert irjendwo jelangt!«

Wieder war das Mamsellchen klüger gewesen, wie Frau von Nennderscheidt, und Marie-Luise erwidert höchlichst amüsirt: »So soll ich Dir wohl etwas kaufen?«

Die Kleine erspart sich durch ein kleines Geräusch mit der Nase das Taschentuch, und gleitet von dem Fensterbrett herab, mit dem rechten Fuße den niedergefallenen Latschpantoffel herzu angelnd. »Wenn Se so freundlich sind wollen, man zu!« gestattet sie huldvollst.

»Was soll ich denn kaufen?«

Die resolute kleine Person wendet sich wieder nach dem Fenster und stemmt überlegend die blaurothen Fäustchen in die Seiten »Von die jelben Kuchens da, den nach merscht hierzu liegenden mit die zwei Rosinen an die Seite!« entscheidet sie kurz.

»Und warum gerade den?«

Ein Blick trifft Frau von Nennderscheidt, welcher die vollste Ueberzeugung ausdrückt: »Bist Du dumm!!« und dann folgt die prompte Antwort: »Na, weil det man der Jröste is!«

Marie-Luise ist überzeugt, daß man in dieser Beziehung auf das Augenmaß des praktischen Mamsellchens Häuser bauen kann, und darum tritt sie in den Laden und kauft eine Tüte voll gelber Kuchen. Von draußen quetscht sich die Stumpfnase wieder gegen das Fenster, um zu controlliren, ob auch der richtige mit dem Rosinenmerkmal gebracht wird.

»Daß Du Dich aber schön bedankst bei der gnädigen Frau!« instruirt der Diener mit einem wohlmeinenden Knuff, da seine stumme Anwesenheit durchaus keinen Eindruck zu machen scheint.

»Man erst wat haben!« ist die vorsichtige Antwort.

Marie-Luise tritt wieder auf die Schwelle und reicht die volle Tüte dar. »Hier Kleine, nun laß es Dir schmecken, der Rosinenkuchen steckt auch mit darunter; und geh' nun hübsch artig nach Hause, es ist viel zu kalt und zu spät, als daß solch' kleine Mädchen noch herum laufen dürfen.«

»Danke schön, Madam'chen.« Die runden Arme umklammern mehr voll altkluger Sorgsamkeit als freudiger Hast den dicken Papiersack. »Sollen die Alle vor mir? Die kann ick aber nich uff enmal zwingen!«

»Das sollst Du auch garnicht, und würdest höchstens krank davon werden! Wirst Du denn nicht hingehen und hübsch mit Deinen Geschwistern und Deiner Mutter theilen?«

»Nee.«

»Nein? Das wäre ja sehr ungezogen von Dir! Warum sollen die nichts abbekommen?«

»Weil ick man jar keene nich habe. Mein Oller is uff Bedienung, und die Schulzen, bei die ich Tags über bin, jiebt mich och nischt ab, wenn se Zervielatsworscht ißt!«

Der Diener schnaubte sich krampfhaft, sein Lachen zu unterdrücken, die Nase. Frau von Nennderscheidt aber neigte sich voll jähen Mitleids noch näher zu dem Kind.

»Du hast keine Mutter mehr ... arme Kleine ... wie heißt Du denn?«

»Aujustchen Spillike!«

»Und wo ist Dein Vater?«

»Dient bein neuen Baron in die Villa hier draußen!« und Aujustchen tauchte mit dem Arm in die Tüte, langte ein Küchlein heraus und beroch es gründlichst von allen Seiten, die Dauer des Genusses dadurch zu verlängern.

»Spillike?« Die junge Frau wandte sich plötzlich voll lebhaften Interesses zu dem Diener zurück. »Heißt nicht unser Portier Spillike, Franz?«

»Befehl, Frau Baronin.«

»Schicken Sie ihn sofort einmal zu mir herauf, wenn wir zurück kommen! Es ist Platz genug im Hause, und Madame Verdan sitzt den ganzen Tag allein und langweilt sich; sie wird gewiß besser für das arme Kind sorgen, wie die gewissenlose Pflegemutter. Gute Nacht, Augustchen, sei hübsch artig und geh' jetzt sofort nach Hause.«

»Wenn ick man blos könnte! die Schulzen is Aushülfe in's Resterant und kommt erst jegen Neune rum, mir'n Keller uffzuschließen! Manchmal jehe ick in Jrünjram nebenan, und passe uff, det Keener wat maust, wenn Eener rinn kommt; seit ick aber neulich uff de verschütten Bollen rumjelatscht bin, is et alle mit die Jastfreundschaft.«

Und gleich den großen Geistern, welche sich resignirt über die Miseren des Erdenlebens hinaus setzen, biß Augustchen Spillike in einen gelben Kuchen und trampelte dabei vor Kälte mit beiden Beinchen.

Schnell entschlossen faßte Marie-Luise die Hand des Kindes und führte es mit sich. »Komm, Augustchen, ich bringe Dich zu Deinem Vater in eine warme Stube, wo Du von jetzt an immer bleiben wirst.«

»Och jut, dann keilt er mir, sonst hätt's die Schultzen jethan, und die haut man noch derber zu, wie Vater!« und Augustchen Spillike schlurrte so gottergeben in diese traurige Alternative ihrem Schicksal entgegen, wie weiland die Franzosen in den See von Murrten liefen; Feinde rechts und Feinde links, und Prügel auf alle Fälle!

– – –

Baron von Nennderscheidt war allein der Einladung des Oberlandstallmeisters zum diner gefolgt. Seine Frau war zur Prinzessin Caroline befohlen und hatte sich dem zu Folge entschuldigen lassen. Allem Anschein nach wurde sie nicht vermißt. Fürstin Tautenstein war von einer seltenen, fast aufgeregten Lebhaftigkeit, und je stiller und finsterer Olivier an ihrer Seite wurde, je schärfer er die Zähne in die Lippe grub, und den Champagner hastiger hinab stürzte, desto schlechter behandelte sie ihn. Ihre Worte stießen ihn zurück, und ihre Augen zogen ihn mit tausend magischen Banden näher und näher an sich. Seit den letzten zehn Tagen war Nennderscheidt der Schatten der schönen Frau gewesen, war mit ihr geritten und gefahren und hatte ihr durch die verschiedenen Festlichkeiten gleich einem getreuen Pagen die Schleppe getragen. Dennoch erntete er kaum Dank dafür. Als Claudia während einer Schlittenfahrt ein Armband verloren hatte, suchte Olivier bei Fackelbeleuchtung den ganzen Weg danach ab, und da er es nach stundenlanger Mühe endlich gefunden und es seiner Herrin mit gerechtem Stolz überreichte, lächelte sie ein etwas ironisches: »Das sah Ihnen mal wieder ähnlich, bester Baron!« und sie nahm die breite Goldkette und warf sie Prinz Hohneck zu. »La voilà, Prinz, lassen Sie Ihrem Pintscher ein Halsband davon machen!« Eine halbe Stunde später reichte sie Olivier verstohlen ihre »idealste Photographie, welche außer ihm kein Sterblicher mehr besitzen würde.«

Am Vormittag ritt er an dem Schloß vorüber und grüßte zu ihr empor. Sie ignorirte ihn vollkommen, wandte das Köpfchen und trat vom Fenster zurück, und Abends tanzte sie eine Extratour nach der andern mit ihm und wußte ihn gar nicht ostensibel genug zu bevorzugen. Marie-Luise ward entweder völlig übersehen von ihr, oder Fürstin Tautenstein ließ es die junge Frau in herbster und oft boshafter Weise empfinden, wie sehr sie von ihrem Gatten vernachlässigt werde.

In solchem Augenblick war es wohl wie ein zweischneidiges Schwert durch das Herz des gequälten Weibes gegangen, aber sie gedachte der Lilien auf dem Feld, über welchen Gott seine Wetterwolken ballt, damit sie nicht im grellen Sonnenschein dahin welken, ehe sie sich zu voller Blüthe entfaltet.

Nach dem Diner hatten sich die älteren Herrschaften noch zu einer Parthie L'hombre zusammengesetzt, und von der Jugend war in übermüthiger Weise ein »petit Monte-Carlo« entreprenirt worden.

»Neue Zwanzigpfennigstücke sind der höchste Einsatz, meine Herrschaften! Sie täuschen durch ihre Größe das Auge des harmlosen Zuschauers und gestatten selbst einem Lieutenant, am 14. des Monats noch ohne Schulden etwas spieleriger Natur sein!«

»Es lebe mein geehrter Herr Vorredner! Der Erlös wird redlich getheilt! Wir gehen alle zusammen in den Fünfzigpfennigbazar und machen uns einen fidelen Nachmittag!«

»Durchlaucht hält Bank!«

»Wer pumpt mir zwei ›Dittchen‹?!«

»Aber Herr von Hovenklingen! Au secours! au secours! Durchlaucht, der Marinirte hat eine Bratkartoffel vom Büffet als Einsatz auf die Karte gelegt!«

»Werft das Ungeheuer in die Wolfschlucht!«

»Wem gehört dieser herrenlose Pfennig?«

»Fragen Sie ihn doch!«

»Sparen Sie ihn für wohlthätige Zwecke! Ist keine Generalin da, die für das Edelweiß sammelt? Ein rother Heller, zusammengebracht in der Hofgesellschaft durch Lieutenant zur See von Hovenklingen!«

»Diersdorff! bitte setzen Sie mal für mich. Sie sehen mir grade so aus, als müßten Sie stets das große Loos gewinnen!«

»Ich halte sehr dafür, daß die Karten genagelt werden!!«

»Wer zieht denn immer an der Tischdecke?!«

»Grundgütiger! Hovenklingen hat den Musiksessel entdeckt! Ruhe! Faites votre jeu! Wer noch einmal eine Apfelsine über den Tisch rollt, muß sie zur Strafe als Pille verschlucken!« Ein lachendes, übermüthiges Durcheinander, zwischendurch klingt unter Herrn von Hovenklingen der Musiksessel: »Macht mir keine Wippchen vor ... Wippchen vor ...«

Nennderscheidt lehnt auf einem Sessel und starrt mit zusammengezogenen Augenbrauen vor sich nieder auf die Karte der Herzdame, welche er besetzt hat. Sie verliert beständig. Und Claudia sagt jedesmal mit ganz eigenthümlicher Betonung: » Verspielt, Herr von Nennderscheidt, nicht immer gewinnt der im Hazard, welcher wagt!« Sie hat Hohneck und einen jungen, bildhübschen Garde-Ulan an ihre Seite gewinkt und kokettirt gewaltig mit ihnen, für Olivier hat sie bald gar kein Wort und keinen Blick mehr übrig. Die heiße Luft droht ihn plötzlich zu ersticken, er schiebt den Sessel zurück und tritt in den Nebensalon, durcheilt die weiteren Zimmer und stürmt in sinnloser Aufregung die Treppe hernieder. Jede Nerve und Fiber zuckt in ihm, das Blut rast durch die Adern und treibt ihm schwindelnde Gluth in's Hirn. Er ist wie ein Berauschter, und die kühle Nachtluft schlägt wohlthuend gegen seine Stirn.

Es soll und muß zu Ende kommen, soll er nicht verrückt werden unter diesen Folterqualen von Liebe, Eifersucht und Aufregung! Claudia hat ihn in einen Taumel wilder Leidenschaft versetzt, er verschmachtet, kann er sie nicht als Eigenthum in die Arme schließen und ihre Lippen, die süßen, grausamen mit flammenden Küssen verschließen! Wozu noch dieses Hin und Her! Durchgehauen den Knoten, welchen er sich selber um die Hände gestrickt! Ein wahnwitziges Spiel hat er getrieben, ohne Sinn und Verstand seine Freiheit im Hazard verschleudert! Aber gleichviel! Er wirft die Karten hin, er mischt sie neu und zieht diesmal Cœurdame, die »Siegerin!« Wie ein Verfolgter stürmt er durch den einsamen Park, die Blicke starr auf den rothen Lichtschein geheftet, welcher aus Marie-Luises Zimmer zu ihm nieder strahlt. Er ist fest entschlossen, noch in dieser Stunde vor sie hinzutreten, ihre Hände zu fassen und zu sagen: »Gieb mir das Wort zurück, welches ich Dir verpfändet; ich will es Dir königlich lohnen, ich will diese beiden Ringe zerbrechen und Dich und mich dadurch glücklich machen!«

Nennderscheidt trat in sein Zimmer, den Mantel abzuwerfen. Er prallte fast zurück vor dem Anblick eines lebensgroßen Oelgemäldes, welches gegen den Tisch gelehnt, grell von der Hängelampe beschienen war. Seine Mutter. Wundersam lebendig schauten ihn die milden, treuen, so klug und ernst blickenden Augen an. Ihre Lippen schienen geöffnet, seinen Namen zu rufen, wie ein Blitzstrahl zuckt die Erinnerung durch sein Ohr, er hört das leise zitternde: »Sei getreu bis in den Tod« ... welches als letzter Hauch über diese erbleichenden Lippen geschwebt ist.

Der Freiherr wendet sich jählings zur Seite: »Wer hat das Bild von der Wand genommen?« herrscht er den Bedienten an.

»Die gesprungene Tapete sollte an der Wand reparirt werden, und glaubten wir nicht, daß Herr Baron so zeitig nach Hause kämen, sonst hätten wir die drei Gemälde schon wieder aufgehängt. Es soll sofort besorgt werden.«

Olivier schwieg. Er schritt mit gefurchter Stirn ein paar Mal im Zimmer auf und nieder. Dann hob er voll finsterer Entschlossenheit das Haupt und stieg die Treppe nach Marie-Luises Gemächern empor. Alle Thüren waren weit geöffnet, er ging durch die matterleuchteten, stillen Zimmer, und die dicken Teppiche dämpften seinen Schritt. Heller Lampenschein fiel ihm entgegen, durch die zurückgeschlagenen Portièren sah er direct auf den altdeutschen, grünen Kachelofen des Speisezimmers und die kirchenstuhlartig gearbeitete Bank neben demselben.

Betroffen stand Olivier vor dem unverhofften Anblick, welcher sich seinen Blicken darbot. Marie-Luise saß mit tiefgeneigtem Haupte und spann. Ein dunkles Wollenkleid fiel in weichen Falten um ihre schlanke Figur, und die beiden geschnitzten Greifen, welche auf ihren Flügeln die Bank trugen, streckten voll behaglicher Würde die Klauen vor, als wollten sie sich demüthig und dennoch zornig schützend zu Füßen ihrer Herrin niederstrecken. Olivier sah nur das zarte Profil seiner Frau, den tiefen Ernst ihrer Stirn, und die Schwermuth, welche die Mundwinkel neigt. Der schlanke Nacken ist gebeugt wie von einer Ueberlast herben Leides, und da Olivier sie zum ersten Mal aufmerksam anschaut, däucht es ihm, als sei ihr Antlitz schmaler und bleicher noch denn sonst. Das Spinnrad dreht sich in flinkem Tanz, und ihre schlanken Hände winden mechanisch den Faden ...

Olivier greift nach der marmornen Tischplatte an seiner Seite und stützt sich schwer athmend auf. Wie ein nervöses Zittern durchläuft es ihn vom Scheitel bis zur Sohle.

So hatte seine Mutter viel lange, einsame Winterabende in der Speisehalle von Roggerswyl gesessen und mit goldenen Fäden Glück und Segen dem Hause Nennderscheidt verwebt. So hatte er zu ihren Füßen gespielt und, mit neugiergroßen Augen aufhorchend, ihren Märchen und Legenden gelauscht, so lebte sie in seiner Erinnerung wie ein Bild der höchsten Frauenwürde und Frauenschöne. Die Freiheitskriege hatten viel adelige Familien an den Bettelstab gebracht, auch über die Fluren und Aecker des Freiherrn von Nennderscheidt hatte der tobende Kampf seine Massen gewälzt, hatte die Sturmglocke gegellt, und blutrothe Feuerlohe verwüstend zusammengerissen, was das Werk jahrelangen Fleißes gewesen. Die Scheunen leer, die Felder zertreten, das Kapital geopfert auf dem Altar des Vaterlandes, eine schwere, prüfungsvolle Zeit. Da hatte der flotte, lebenslustige Cavalier Dagobert von Nennderscheidt das Tressenkleid der Höflinge abgelegt, war als schlichter Mann hinter dem Pflug einhergeschritten, der erste Arbeiter unter seinen Knechten, aus eigner Kraft zurück zu gewinnen, was ihm das Schicksal genommen. Und an seiner Seite stand die edelste, kraftvollste aller Frauen, welche in rastloser und demüthiger Arbeit von früh bis spät die Hände regte, ein Beispiel zu geben, und ein Vorbild zu sein allen Denen, welche ihr mildes Wort befehligte. Und der Segen des Himmels lag auf Allem, und was je verloren war, ersetzte sich zum Doppelt- und Dreifachen. Die Schloßfrau aber faltete die Hände über dem Haupt ihres einzigen Sohnes und betete zum Himmel, daß der Segen bleiben möge, auch dann, wenn sie's nicht mehr schauen könne.

Warum stürmten all' diese Gedanken wie ein Fieberschauer plötzlich auf Olivier ein? Das kleine, summende Spinnrad redete plötzlich eine Donnersprache, welche den lauschenden Mann bis in's Mark und Bein, bis tief in die Seele traf. Der goldene Segen! Ja, er war ein reicher Mann, er mähte ab, was die Hände vor ihm gesäet hatten. Es genügte ihm aber nicht, die Zinsen dessen zu verprassen, was seine Eltern in opfermuthigster Arbeit erworben, er lebte seit etlichen Jahren über seine Verhältnisse, seit der Zeit, da Graf Goseck seinen Weg gekreuzt, da das tolle, sinnlose Treiben begann, welches drohte, ihm zur zweiten Natur zu werden. Olivier strich langsam mit der Hand über die glühende Stirn, sein Auge starrte gerade aus, unverwandt auf das geneigte Haupt der Spinnerin. Wie lange hatte er kein Spinnrad mehr gesehen, wie lange hatte er nicht zurück gedacht. Wildes, leidenschaftliches Heimweh erfaßte ihn und schüttelte seine Glieder. Es war, als hätte seine Natur mit den überreizten und überstraff angespannten Nerven nur noch des leisesten Anstoßes bedurft, um plötzlich matt und schlaff in sich selber zusammen zu brechen. Der Finger eines Kindes vermag einen trunkenen Riesen umzuwerfen.

Das leise Summen und Singen eines Spinnrades hatte in seinem Herzen ein Echo geweckt, welches anschwoll zu einem gewaltig brausenden Klang. Alles übertönend, was an wirren Mißaccorden durch seine Seele irrte. Und dieser Klang umstrickte ihn wie ein süßer, unrettbarer Zauber und faßte und zog ihn hin zu jener Einzigen, auf deren Kniee er so oft sein müdes, geängstigtes Haupt gedrückt hatte, wenn wüste Traumbilder ihn schreckten, wenn er in der Finsterniß stand und verzweifelt tastete, den rechten Weg zu finden.

Lautlos schritt er zurück nach seinem Zimmer und warf sich mit sehnsuchtskrankem Herzen in den Sessel vor seiner Mutter Bildniß. Er verschlang die Hände und sah zu ihr empor. Wie ein Lächeln der Milde und Versöhnung strahlte es um ihre Lippen, und die dunklen Augen blickten regungslos zu ihm nieder, treu und ernst wie früher, da sie oftmals seinen Fragen geantwortet: »Was Du thun sollst, Olivier? Männlich braver Sinn bedarf keines Rathes, denn sein Gewissen sagt ihm, was das Rechte ist!«

Deutlich hörte er die Worte, aber es war die Stimme Marie-Luises, welche sie sprach.

Wie ein Aufstöhnen rang es sich aus seiner Brust. Ein Gefühl unaussprechlichen Elends überkam ihn, ein Gefühl der Uebersättigung und Mattigkeit, schal und ekel däuchte ihm die ganze Welt. Draußen auf der Straße lacht eine helle Frauenstimme, stimmt eine Harmonika eine übermüthige Weise an. Olivier preßt die Hände gegen die Ohren, der Klang thut ihm weh im Kopf, und das Lachen erinnert an Fürstin Claudia. Es ist ihm zu Muth wie einem Kranken, welcher in die tiefste Ruhe und Einsamkeit flüchten möchte, ... kein Jubel ... kein Spiel und Tanz ... nur eine kühle, milde Hand, die sich auf seine kranke Stirn legt, ihr Frieden zu geben.

»Die Zeit wird kommen, da Dir das geneigte Haupt Deines Weibes lieber ist, als der prickelnde Humor, mit welchem Andere die feuerblütigen Weine kredenzen,« zieht es plötzlich wie eine traumhafte Erinnerung durch seine Seele. Nennderscheidt stützt das Haupt schwer auf. Wieder haftet sein Blick auf dem Antlitz seiner Mutter, und seine Gedanken fliegen weit zurück, in eine Zeit, da er noch fromm, noch gut und glücklich war. Wie konnte er ihrer so lang vergessen! Er erhebt sich und öffnet mechanisch eine kleine Thüre des Schreibtischaufsatzes. Das Tagebuch seiner Mutter liegt darin, dasselbe, an welchem er sich einst nach schwerer Krankheit gesund gelesen. Er tastet danach und greift auf einen Stoß Briefe. Wie kommen Briefe hierher? Er schaut darauf nieder, sinnt einen Moment und zuckt leise zusammen: Marie-Louises Schrift, kaum erkannt von ihm. Goseck hat diese Briefe damals in seinen Schreibtisch geschoben, und er hat sie weder gelesen noch vermißt. Die Briefe seiner Braut. Jähes Roth steigt wieder in seine Schläfen, er senkt das Haupt tiefer, als wage er nicht, seiner Mutter in das Auge zu schauen. Langsam läßt er sich in den Sessel zurückfallen und beginnt zu lesen.

Die Uhr tickt und schlägt ... und schlägt wieder ... und der Diener steckt den Kopf durch die Portière und zieht sich lautlos wieder zurück ... und als er lang nach Mitternacht wieder mit verschlafenen Augen lugt, da sieht er das Haupt seines Herrn tief auf die Arme gesunken, aber er schläft nicht, ein Schütteln und Beben scheint durch seinen starken Körper zu gehen.

Die Vorhänge schlagen leise wieder zusammen, und die Gasflammen kochen und summen wie das Spinnrad unter Marie-Luises schlanken Händen ... draußen am Himmel aber theilen sich die Wolken, flammt groß und hell der Morgenstern. – –


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