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Neuntes Kapitel

»Mich friert, mich friert!
ich möcht' zu Hause sein!«

Herwegh.

»In meiner Brust, da sitzt ein Weh,
das will die Brust zersprengen!«

Heine.

 

So war's geschehen. Die ehrwürdigen Mauern von Hersabrunn beherbergten ein junges Paar, auf welches der greise Priester soeben Gottes Schutz und Segen herabgefleht hatte. Die Stiftsdamen standen mit gesenkten Häuptern und trockneten die Augen; Frau von Körberitz im grellsten und feierlichsten Putz, nur nicht mehr decolletirt wie vor zwei Jahren, hatte öfters Miene gemacht, die Predigt voll Ungeduld zu unterbrechen, wenn der Pfarrer es wagte, mit ihr verschiedener Meinung zu sein, und nur die Oberin und Goseck hatten sich tiefer in die Fensternischen zurückgezogen, um aufmerksame, aber unbeobachtete Theilnehmer der Feier zu sein.

Marie-Luise war tief ergriffen, und als sie nach der Trauung die Hand des väterlichen Freundes mit feuchten Augen an die Lippen zog, da weilte der Blick des Predigers wie angstvoll forschend auf dem sanften Gesichtchen, und um seine Lippen zuckte es wie tiefe Wehmuth. Nie hatte er einen Bräutigam getraut, welcher ihm so wenig sympathisch gewesen, wie Nennderscheidt. Ein Kind seiner Zeit, leichtfertig, oberflächlich, ohne das mindeste Verständniß für den wichtigen Schritt, welcher vor Gottes Altar führt. Der Freiherr hatte ihn sehr heiter begrüßt, und mit einem cordialen kleinen Schlag auf die Schulter des alten Herrn, in sein Ohr geraunt: »Na, Herr Pfarrer, nun machen Sie die Geschichte mal kurz und schmerzlos!« und dabei hatte er ihn so treuherzig angeschaut, daß sein Blick in keinerlei Einklang mit seinen Worten stand.

Während der Traurede waren ein paar flüchtige Schatten über sein Antlitz gezogen, im großen Ganzen aber saß er so behaglich in seinem Sessel und hörte so seelenvergnügt zu, als unterhalte ihn der brave Mann im schwarzen Talar von dem schönen Wetter draußen. Die Art und Weise, wie Baron Nennderscheidt seiner jungen Gemahlin die Hand küßte und dabei die Augen schon wieder bei Frau von Körberitz hatte, um im nächsten Moment das Kätzchen in ihrem Arm unversehens in den Schwanz zu zwicken, gefiel dem Pfarrer auch nicht, und da er in der Oberin Antlitz sah, verstand er, was auch sie meinte, und drückte ihr fast heftig die Hand: »Wie ist es möglich gewesen?!«

Die Matrone zuckte die Schultern. »Die klaren Augen meiner Marie-Luise waren diesmal blind! Sie liebt und verehrt ihn mit der ganzen lautern Arglosigkeit ihres Herzens, und kleine Bedenken, welche sie selbst anfänglich hegte, sind vollständig niedergeschlagen durch den regen Briefwechsel, in welchem sie mit Nennderscheidt stand. ›O Tantchen, lies diesen Brief und sage mir, ob er nicht der edelste und beste Mann der Welt ist!‹ und ich versichere Sie, lieber Pfarrer, ich habe die Zeilen angestarrt wie eine Träumende und mir schließlich, gleich wie Luischen, gesagt, das ganze Auftreten des Barons hier in Hersabrunn muß einer gewissen Verlegenheit entspringen, von so vielen Frauenaugen als Liebhaber beobachtet zu werden! Klug werde ich nicht aus dem seltsamen Mann, aber die Kleine ist glücklich, und bei der traurigen Lage Marie-Luise's ist es unendlich schwer, bei einer solchen Parthie abzureden. Sie sagte oft selber in ihrer rührenden Demuth: Da lachen nun die Leute über Märchen, und dennoch steht es in Gottes Willen, sie täglich wahr werden zu lassen! Was bin ich Anderes als ein armes, kleines Aschenbrödel, zu welchem der schöne, strahlende Königssohn gekommen?«

Der Prediger nickte leise vor sich hin und schaute zärtlich auf das junge Weib. »Sorgen wir uns nicht vor der Zeit, meine verehrte Freundin! Mir däucht es, als stünde der Engel Gottes neben unserm Liebling, schirmend die Flügel über sein Glück zu breiten!«

Das Festmahl war kurz, aber außerordentlich lebhaft und heiter. Olivier hatte für verschiedene Ueberraschungen gesorgt, welche das Menu bereicherten und von den alten Fräuleins mit unverhohlenem Jubel begrüßt wurden. Namentlich der Champagner erzielte großartigen Effect, und Nennderscheidt flüsterte bei einer innigen Umarmung in Goseck's Ohr: »Du, Eustach, ich will Hans-Narr heißen, wenn die ganze Garde uns nicht mit einem gehörigen ›Spitz‹ entläßt.«

Der Graf lächelte zerstreut. Er bekam wieder etwas mehr Farbe, als er hastig ein paar Gläser Wein herab gestürzt hatte. Marie-Luise saß ihm vis-à-vis, sie lächelte ihm freundlich zu und redete ihn verschiedentlich an. Bei dem allgemeinen Toast auf das junge Ehepaar erhob sich auch Goseck und schritt um die Tafel herum zu der Gemahlin seines Freundes. Er wartete bis zuletzt, dann trat er dicht an ihre Seite und blickte mit langem, fascinirendem Blick in ihr Auge. »Lassen wir die Zukunft und das Glück leben, gnädigste Frau,« flüsterte er durch die Zähne, »auf daß ein Jeder, der da kämpfet, siegen möge!«

Sie schüttelte heiter das Köpfchen. »Halten Sie das wirklich für wünschenswerth? Es sind meist Gegner, welche uns bekämpfen, und auf deren Glück anstoßen, wäre leichtsinnig, sagen wir also: Unser der Sieg.

Er lächelte seltsam. »Ich habe keinen Gegner.«

»Und dennoch wollen Sie zu Felde ziehen?«

»Gewiß. Stellen Sie sich vor, drüben in des Nachbars Garten steht eine köstliche Rose« – Die junge Frau setzte sich langsam wieder nieder, und Goseck lehnte sich tief auf ihren Stuhl, um fast Wange an Wange mit ihr, hastig weiter zu reden, »eine Rose, welche mich anlockt und reizt, den süßen Duft ihres Kelches in berauschendem Liebestrank zu schlürfen. Der Mann, welcher sie besitzt, ist blind und fühllos, er sieht und kennt seinen Reichthum nicht und wird ihn nicht vermissen; also pflücke ich die Rose, ehe er sie verwelken und verschmachten läßt!«

Erschrocken fast blickte sie zu ihm auf: » Stehlen wollen Sie, – die Hände nach fremden Eigenthume ausstrecken?«

»Nach gewöhnlichen und juristischen Begriffen ja, im poetischen Sinne erkämpfe ich mir mein Glück!«

»Ohne Gegner?«

»Ohne Gegner!«

»Dann ist es kein Kampf!«

Sein Auge brannte in düsterer Gluth, und seine Hand legte sich einen Moment auf ihre Schulter, deren zarte Haut rosig und warm durch den Tüll leuchtete. »Wahrlich nicht? Giebt es nicht Gräben, Mauern und Hecken, welche den Weg zum Ziel aller Wünsche sperren? ist es kein Wagstück, in fremdes Gebiet zu dringen, und ist es schließlich kein Kampf mit der Rose selbst, sie zu brechen, ohne daß sie Dornen weist, sie zu erringen, daß sie sich willig der errettenden Hand zuneigt, anstatt in gewissenhafter Gegenwehr ihren Kelch im Sturme zu entblättern?!«

Groß und verständnißlos blickten ihn die sanften Augen seiner Zuhörerin an. Olivier aber wandte sich lachend herzu und rief: »da sehe Einer den frechen Kerl an! fängt er jetzt schon an, meiner Frau die Cour zu machen! Das fordert Blut! Hier, alter Junge, schieß los, aber über's Schnupftuch!!« und damit hielt er den Knallbonbon dem Freund unter die Nase und bog sich auf dem Stuhl zurück.

»Gnädigste Frau haben die Güte zu secundiren!« und mit jenem Lächeln, welches dem Grafen das Aussehen gab, als weise er die Zähne, faßte er das Goldpapier und zog.

Die alten Fräuleins kreischten fein jungferlich auf und hielten die Hände vor die Ohren. Goseck aber wickelte triumphirend Bonbon und Seidenpapiermütze aus der Hülse und warf einen hastigen Blick auf die Devise.

»Denn wo drei Verliebte sein,
Da muß der Eine verlassen sein!«

las er, laut auflachend, legte den süßen Inhalt chevaleresque in Marie-Luises Hand und wandte sich schnell zu Nennderscheidt, um ihm die bunte Narrenkappe aufzustülpen! Es sah sehr übermüthig aus, und Graf Goseck umarmte den Freund dabei mit vertraulicher Zärtlichkeit, aber um seine Lippen zuckte es unmerklich, und in seinem Auge glimmte ein Funken, grell und stechend wie der Lichtstrahl, welcher sich auf einer Dolchklinge bricht.

Nennderscheidt duldete die carnevalistische Kopfbedeckung in harmloser Lustigkeit, gedachte des Narren Rigoletto, der nicht so närrisch war, wie er sich den Anschein gab, und schmachtete die »ergebene Körberitzen«, welche sich einen Augenblick mit Goseck beschäftigte, vorwurfsvoll an, »ach wie so trügerisch sind doch die Weiberherzen!«

Marie-Luise hob unbemerkt die Hand und zog die bunte Kappe leise von dem Haupt ihres Mannes.

Olivier erzählte der Oberin als Antwort auf ihre diesbezügliche Frage, daß er heute Morgen seine Vermählungsanzeigen in der Residenz habe versenden lassen, und daß er dem Großherzog, eine Stunde vor der Abreise nach Hersabrunn, in privater Audienz die Mittheilung von seiner bevorstehenden Trauung gemacht habe. Dabei lachte er über das ganze Gesicht und blinzelte seinem Freund verständnißinnig zu. »Jetzt ist die Bombe bereits geplatzt, Eustach! Ob es wohl genug Droschken in der Stadt giebt, den erhöhten Verkehr zu bewerkstelligen? Heiliges Rataplan noch eins! Wenn ich doch jetzt hinter etlichen Portièren und Boudoirthüren horchen könnte!« und er faßte mit jähem Griff sein Glas und hob es blitzenden Auges empor: »Es lebe der Zufall, es lebe die leichtsinnige Lachesis, welche blindlings die Fäden zusammen spinnt! Der Vorhang rollt empor, und Pauken und Trompeten schmettern die Ouvertüre zu einem Lustspiel, dessen Acteurs mehr lachen werden wie das Publikum! Va banque! heißt das Stichwort, es ist gefallen, und in dem Hazard wurde die Karte ausgespielt, welche über Schicksale entscheidet; Glück auf, meine Freunde! auf daß sie nicht übertrumpft werde! Ich halte die Pfeife in der Hand, laßt sehen, ob die braven Residenzler danach tanzen, oder ob es noch eine mächtigere Musik giebt, welche die Marionetten der Comödie wie ein Sturmwind über den Haufen bläst!« – Und Olivier warf den Kopf keck in den Nacken, überflog mit triumphirendem Blick die schweigende Tafelrunde und führte das Glas an die Lippen; plötzlich zuckte seine Hand zurück, auflauschend hob er das Haupt und langsam stellte er den schäumenden Kelch auf die Tafel nieder.

Voll, gewaltig und tief ernst erbrausten vor dem Hause die Musikklänge der Kapelle, welche Graf Goseck dem jungen Paar als Ueberraschung zur Tafelmusik engagirt, und nach Hersabrunn bestellt hatte, und welche, nach Art der Ständchen, mit einem Choral eröffnete.

Langsam wandte sich Olivier zu Marie-Luise, eine gewisse Betroffenheit malte sich in seinen Zügen. »Kirchenmusik?« fragte er erstaunt, »was ist dies für ein Lied?«

Unwillkürlich hatte die junge Frau die Hände gefaltet und sie in glückseligem Auflauschen gegen die Brust gelegt; mit leuchtenden Augen blickte sie zu ihm auf.

»O König, dessen Majestät,
Weit über Alles steiget,
Dem Erd und Meer zu Diensten steht,
Vor dem die Welt sich neiget,
Der Himmel ist Dein helles Kleid,
Du bist voll Macht und Herrlichkeit,
Sehr groß und wunderthätig.«

Die Stiftsdamen neigten ernst die Köpfe, ließen Messer und Gabel ruhen und legten ebenfalls die Hände zusammen, wie zum Gebet. Marie-Luise aber neigte sich näher zu Nennderscheidt und fuhr leiser fort: »Wie dank ich Dir für diese liebevolle Aufmerksamkeit, Olivier! Jene köstliche Melodie erklang rechtzeitig, um all die bangen Zweifel zu ersticken, welche Dein Toast in mir erregt; ja Du hast recht, Herzlieber, Du bist ein wunderlicher Gesell, und Deine gesprochenen und geschriebenen Worte sind verschieden wie Tag und Nacht.«

In Olivier's Schläfen stieg es roth empor, er sah die Sprecherin verständnißlos an, wußte nicht recht, was er erwidern sollte, und beschränkte sich darauf, die kleine Hand, welche die seine mit warmem Druck erfaßt hatte, ritterlich an die Lippen zu ziehen.

Er ward plötzlich nachdenklich. Jene ernsten, getragenen Klänge, und die Stimme des Fräulein von Speyern hatten etwas Aehnliches, nah Verwandtes. Es däuchte ihm, als habe Fides die Lippen geöffnet, um ihm in ihrer Art auf seine frivole Rede zu antworten. »Laßt sehen, ob es noch eine mächtigere Musik giebt, welche die Marionetten der Comödie wie ein Sturmwind über den Haufen bläst?« – ja, es gab eine gewaltige, Herz und Sinn erschütternde Melodie, welche die kecke Tanzweise seiner Pfeife jämmer lich erstickte, und die Frau an seiner Seite, die als wesenloser Geist nur über die Bühne der Welt schweben sollte, die öffnete plötzlich die Lippen und stimmte einen Psalter an, gleich dem Cherub, welcher mit flammendem Schwert die Schlange aus dem Paradiese trieb.

Olivier wußte nicht recht, ob er dem Freund für diese Ueberraschung danken sollte; erst als das Programm drunten in heitere Farben überspielte, als sich an den Hochzeitschor aus dem Lohengrin ein übermüthiges Operettenpotpourri anschloß, welches die heitersten Erinnerungen wachrief, vergaß der »tolle Junker« seine ernsthaften Reflexionen.

»Die Rosen aus dem Süden!« Nennderscheidt's Auge leuchtete auf, er zupfte aus dem sehr bunten Bouquet der Frau von Körberitz eine Rose und streute ihre Blätter neckend über Haupt und Schultern seiner jungen Frau.

»Luischen,« flüsterte er in ihr Ohr: »Ich habe heute noch eine süperbe Ueberraschung für Dich in Bereitschaft; höre Dir nur genau diesen famosen Walzer an, den Einzigen, welchen ich noch mit wahrer Fähnrichsleidenschaft tanze! à propos ... hat Dich eigentlich jemals ein Maître Rocco unter der Fuchtel gehabt?«

»Du meinst, ob ich das Tanzen lernte?« sie lächelte fast schelmisch: »Ich denke die Rundtänze einfacher Art sind jedem Mädchen, welches einigermaßen graziös ist, angeboren? So las ich wenigstens aus Youngs Feder geschrieben: › Geschaffen ward das Weib zur Tochter der Terpsichore.‹«

Er bog den Kopf zurück und kniff die Augen leicht zusammen. »Was der Teufel! solch altmodische Schunken studirst Du? Fürchterliches Geistesfutter! Na wart' nur, Luischen, das soll jetzt Alles besser werden! Ich werde Dir gleich ein paar amüsante moderne Romane anfahren lassen, aus welchen Du das neunzehnte Jahrhundert kennen lernen wirst! Als Frau darfst Du ja getrost drauf los schmökern, meinetwegen Zola, bin da absolut nicht engherzig und halte es sogar für ganz gut, wenn Dich mal eine etwas flotte Luft anbläst! Haha, Du hast allzusehr an die Frau Oberin angestreift, petite, und der Nonnenschleier weht bei uns nur zur Carnevalszeit durch die Hofluft, wenn das Ewig Weibliche interessante Masken braucht! Uebrigens, um wieder auf das Tanzen zurück zu kommen, wenn Du irgend welche Hülfe oder Rath und That brauchst, wende Dich nur immer an Goseck! Tanzen, Schlittschuhlaufen, Reiten, Fahren, der Mensch ist ja auf jeglichen Sport patentirt und wird sich eine Ehre daraus machen. Dich einzutrillen ...«

Verwundert blickte sie zu ihm auf. »Ist das nicht Sache des Mannes? stehst Du mir nicht viel näher wie dieser Wildfremde, welchen ich doch niemals mit einem solchen Vertrauensposten belehnen möchte?«

Olivier lachte zerstreut auf und streckte die Hand über den Tisch, um einem Stiftsfräulein einen Knallbonbon anzubieten.

»Bewahre, Luischen, Ehegatten sind langweilige Menschen, amüsirst Dich ja tausendmal besser, wenn ein getreuer Page vor der Thürschwelle liegt. Nicht wahr, Eustach, Du hast eine ganz besondere Verve darin, die seidene Schleppe junger Königinnen zu tragen?«

Goseck zuckte die Achseln. »Verspottest Du meine grauen Haare?«

»Graue Haare! eine nichtswürdige Koketterie! Unter dieser Devise schwindelt er sich nämlich bei allen Damen in das Vertrauen, Luischen, und zählt ihnen seine sechs weißen Borsten im Scheitel solange auf, bis sie überzeugt sind, daß er ein lieber, alter Onkel ist, dem man die Wange streicheln kann! Hüt' Dich vor seinem frommen Gesicht! Der Duckmäuser ist ein Wolf im Schafspelz, und unter der melirten Perrücke glüht ein Herz, so jung und stürmisch, wie das von einem Confirmanden!«

Marie-Luise vermochte nicht, solche Scherze zu belachen, dumpf und erdrückend legte sich die schwüle Zimmerluft auf ihre Brust und benahm ihr den Athem. Eine angstvolle, ungeduldige Sehnsucht überkam sie, draußen unter Gottes freiem Himmel die wahren Züge dessen zu schauen, den sie liebt und verehrt, dessen Briefe sie beseligt und bestimmt haben, vertrauend ihre Hand in die seine zu legen; jetzt saß ein Fremder neben ihr, dessen Zunge Lügen strafte, was seine Seele ihr in edeln Bekenntnissen geoffenbart. Wie eine jähe Verzagtheit will sie's überkommen, und doch schüttelt sie das Köpfchen und schilt sich in Gedanken eine Kleinmüthige und Ungetreue, die an dem lautersten Herzen zweifeln will! Hatte sie denn alle seine schönen, tiefempfundenen Gedanken, sein Streben, Wünschen und Hoffen nicht verbrieft und besiegelt? Allein mit ihr und seinem Gott, unbeobachtet und unbekrittelt, da gab er sich, wie er war, da warf er die bunten, leichtsinnigen Fetzen von sich, mit welchen er vor der Welt sein Bestes und Heiligstes maskirte. Ein spröder und stolzer Sinn war er, trug sein Herzblut nicht zu Markte und warf kein echtes Gold unter die Flittern und Glasscherben, mit welchen Frau Alltäglichkeit durch den Fasching des Lebens klingelt. Marie-Luise athmet tief auf, unaussprechliche Glückseligkeit strahlt aus ihren Augen, und wie sie zum letzten Mal allein in ihrem Stübchen droben ist, um Abschied zu nehmen von Allem, was ihr lieb geworden, da preßt sie die gefalteten Hände gegen die Brust und lächelt durch Thränen. »Ja, ich scheide gern von Euch! ... Ich glaube an meinen Gatten und folge ihm, treu und zuversichtlich!« Und sie kniet neben dem alten, gebrechlichen Sopha nieder und streichelt seinen blumigen Kattun und schmiegt sich an die alten Bilder an der Wand, die so oft ihre einzigen Freunde gewesen, und drückt die Lippen auf die kühlen Blätter des Asclepiastockes am Fenster und flüstert Allen ein Lebewohl! ... Und wie die Uhr vom Thurm schlägt, mit ihrer tiefen, singenden Stimme, da ist es ihr zu Muth, als spräche eine Mutter zu ihrem Kind: »Zieh hin in Frieden, Gott behüte Dich!«

Ja, Marie-Luise scheidet gern, und doch ist es gar bitter schwer, das Herz von der Heimath loszureißen, mit deren Blüthen und Dornen es so innig verwachsen.

Die Oberin löst dem jungen Weibe Schleier und Kranz aus dem Haar und küßt voll ernster Weihe die reine Stirn. Und da Marie-Luise die Arme um den Nacken der würdigen Freundin schlingt, und mit zitternden Lippen bittet: »Behalte mich lieb, Tante Margarethe; ich weiß, daß ich nie wieder für immer zu Euch kommen darf, aber schließ die Thüre nicht ganz hinter mir zu, damit ich draußen in der hohen Lebensfluth einen Hafen weiß, da hinein ich mich flüchten und retten kann, wenn die Wogen mich allzu wild bedräuen!«

Da legt die Matrone die Hand auf das liebe Haupt und entgegnet ernst, mit einer Stimme, durch welche es wie bange Ahnung zittert: »Ueber der Thüre von Hersabrunn steht ein goldener Spruch, mein Liebling, dessen sollst Du dich erinnern: ›Kommt her zu mir Alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will Euch erquicken!‹ Für drei kurze Tage steht unsere Thüre Allen offen, die einsam und verlassen sind, Allen, welche die Sehnsucht treibt, treue Freunde wiederzusehen! Gott verhüte es, meine Marie-Luise, daß Du Dich nach dieser Heimath einst sehnen magst!«

Da hob sich das rosige Antlitz, und die junge Frau schüttelte mit verklärtem Lächeln das Haupt. »Wenn Einer hinaus in die Ferne zieht, sein Glück zu suchen, so ist er nicht willens umzukehren, aber er stößt den Steg hinter sich nicht in den Abgrund, damit ihm der Trost bleibe: ›Du kannst zurück, wenn Du willst!‹ So meine ich's auch, Tante Margarethe. Mein Platz ist hinfort an Olivier's Seite, ich gehe mit ihm, Schritt für Schritt, ... aber wenn ich den Blick wende und nach Dir zurückschaue, dann darf mir nichts den Weg versperren, der wieder in Deine Arme führt!«

– – – – – – – – – –

In der tollen, laut aufbrausenden Melodie eines Galopps, unter dessen Klängen der Schlitten des jungen Paares hinaus in die frühe, sterndurchglitzerte Winternacht sauste, erstarben die feierlichen Glockentöne, welche dem bräutlichen Weibe ein letztes Lebewohl nachriefen. Nur durch zorniges Sträuben hatte Frau Rittmeister von Körberitz den Entführungsversuch vereitelt, welchen Baron Nennderscheidt mit ihr geplant. All seine Bitten, ihm in die Residenz zu folgen, waren an dem Eigensinn der alten Dame gescheitert, und auf's Aergerlichste enttäuscht, warf sich Olivier in die warmen Pelze der Schlittenecke zurück. »Ist ja jammervoll, Luischen, daß die ›Ergebene‹ nicht mitfährt! Hätte einen famosen kleinen Scherz gegeben und sicher Sensation erregt, wenn ich heute Abend mit der Schwiegertante im Ballsaal angetreten wäre ...«

»Heute Abend im Ballsaal?« Die junge Frau hob wahrhaft entsetzt den Kopf. »Gott sei Dank, Olivier, daß uns die Weigerung der Tante vor solch leichtsinnigem Streich behütet! der heutige Tag ist so ernst und feierlich, daß mir Tanzmusik wie eine Entweihung vorkommen würde.«

Er lachte amüsirt auf. »Kleine Nonne Du! es ist ja fürchterlich, wie Dich die Einsamkeit von Hersabrunn angekränkelt hat! Gerade zur ganz besondern Feier des Tages habe ich für uns Beide Billets zum Opernhausball genommen, um vor der versammelten Residenz mit meiner netten kleinen Frau zu renommiren.«

»Olivier, Du scherzest!«

»Sehr gern und sehr viel, aber in diesem Augenblick ist es mir tiefster Ernst!« Er nahm ihre Hand und zog sie schmeichelnd an die Lippen. »Sei kein Spaßverderber, ma petite, und nimm das Leben von der fidelen Seite, wie es Dein Gatte auch thut! ›Immer mit leichtem Sinn tanzen durch's Leben hin!‹ Ist ja ein Kapitalwitz, wenn wir gleich flott in die Ehe hinein chassiren!«

Marie-Luise's Herz erzitterte wie eine Blüthe unter dem ersten eisigen Hauch des nahenden Winters. Baron Nennderscheidt aber fuhr mit seiner wohltönenden Stimme, in welcher sich Leichtsinn und warme Herzlichkeit so wunderlich mischten, fort. »Du bist ja eine vernünftige kleine Frau, Luischen, und darum will ich die ganze Angelegenheit mal offen und ehrlich mit Dir besprechen! Ich habe Dich aufrichtig gern, etwa wie ein Bruder seine Schwester lieb hat, und werde eifrigst bemüht sein, Dir das Leben so angenehm wie möglich zu machen. Es giebt heut zu Tage tausende von Ehen, wo die beiden Gatten als gute Kameraden nebeneinander hermarschiren, sich die Zeit so amüsant wie möglich vertreiben und dabei colossal glücklich sind. Siehst Du, so wollen wir es auch machen! Du brauchst einen Gatten, welcher Dir Namen, Geld und Stellung giebt, und ich suchte mir eine Frau, die in meinen Salons repräsentirt. Ich denke, wir haben Beide das Richtige gefunden! Also wollen wir uns keine thörichten Illusionen machen, sondern ›vorwärts mit frischem Muth‹ der Zukunft entgegen marschiren, wie zwei gute Freunde und Kameraden, die sich die Hand gereicht haben, um vor der Welt gemeinsam ein Wappenschild zu tragen! Einverstanden, Marie-Luise?«

Ihr Köpfchen sank tiefer noch auf die Brust, regungslos lag ihre Hand in der seinen. Träumte sie denn? Quälte sie eine entsetzliche Fieberphantasie, die mit seiner Stimme all diese Worte in ihr Ohr flüsterte, Worte, unter deren Klang ihr Herz sich zusammenkrampfte, als falle tropfenweise ein fressend Gift auf es hernieder? Wie es braust und saust, wie die Sterne am Himmel durcheinander flirren, als breche das Firmament mit dumpfem Klageschrei auf die Welt hernieder. Ja sie träumt, sie muß träumen, so kann ein Mann nicht sprechen, dessen Briefe die heiligsten und höchsten Ideale der Ehe auf das Schild gehoben! Sie faßt seine Hand in jäher, zitternder Erregung. »Warum treibst Du ein solch grausames Spiel mit mir, Olivier! Warum redest Du so wunderlich mit doppelten Zungen! Nur eine Sprache kann wahr und echt sein, die Deiner Zunge oder Deiner Seele; entweder bist Du der, dessen Bild Du eben voll grausamen Spottes gemalt, was Gott der Allmächtige verhüten möge! oder Du bist jener edle, fromme und rechtlich denkende Mann, der mir die Briefe schrieb, auf deren Inhalt hin ich meine Hand vertrauend in die Deine legte!«

Wie ihre schlanke Gestalt an seiner Seite empor wuchs, wie die blindgezogene Karte des Hazard, die Piquedame, den Immortellenkranz aus dem Haar nahm und sich ein Diadem auf die Stirn drückte, dessen Glanz dem tollen Junker wie ein Heiligenschein die Augen blendete! Ein Gefühl von Unbehagen und Beschämung überkam ihn, er hob in jähem Entschluß den Kopf und schaute ihr ehrlich in das Gesicht; das rothe Flackerlicht der Fackeln, welche vier Jockeys, neben dem Schlitten sprengend, in Händen hielten, ließ das Antlitz der jungen Frau nur undeutlich erkennen.

»Wirst Du mir sehr böse sein, Marie-Luise, wenn ich Dir eine ehrliche Beichte ablege?« fragte er in bittendem Ton, ihre Hand streichelnd, wie die eines Kindes, welches man beschwichtigen will. »Sieh mal ... ich bin ein leidlich brauchbarer Kerl, im Salon, im Sattel, auf dem Fechtboden, und wo mich sonst das Schicksal hinschleudert und auf meine zwei kräftigen Fäuste anweist! Sieh Dir mal diese Pranken an!« Der Sprecher präsentirte voll Humor seine Hand, welcher der dicke Pelzhandschuh ein ausnahmsweise ungefüges Ansehn gab. »Was paßt da hinein? Ein derber Schwertgriff, Hatzpeitsche und Zügel, höchstens auch die Pistole und ein gigantischer Blumenstrauß, welchen das schöne Geschlecht unter die Füße treten soll, aber ein Federhalter? Nee, Luischen, eine solche Unnatur wie Tinte, Gänsekiel und gewalkte Lumpen passen nicht in die Faust eines ritterlichen Sprossen ritterlichster Ahnen! – Und darum ... sieh' mal Kind ... ich kann weiß Gott keine Briefe schreiben! ... Und wenn ich mir jeden Finger einzeln in Butter braten ließe ... weil Du aber so sehr darum batest, und ich Dir keine Bitte abschlagen kann ...«

»Wer hat jene Briefe in Deinem Namen an mich geschrieben?«

Olivier schaute frappirt in das Antlitz der Fragerin; klangen diese heiseren, halb erstickten Worte wirklich über die Lippen seiner sanften kleinen Frau?

Er wagte es nicht, die Hand, welche sich ihm jäh aufzuckend entzogen hatte, abermals zu erfassen. »Selbstredend völlig à discretion ... Luischen ...« stotterte er, zum ersten Mal im Leben voll peinlichster Verlegenheit nach Entschuldigungsgründen suchend. »Goseck ist ja ein Stück von meinem Herzen, mein intimster Freund ... und ich versichere Dich, er ist so colossal auf's Briefschreiben eingedrillt, daß es ein wahrer Spaß ist, seine Episteln zu lesen! Nicht wahr? patenten Styl? und wenn man eine angeschossene Hand hat und dictiren muß –«

»Graf Goseck schrieb einzig seine Gedanken und Empfindungen, oder gabst Du ihm den Inhalt der einzelnen Briefe an?«

Wie im Schüttelfrost schlugen ihre Zähne zusammen, und Nennderscheidt mußte bitten, die Frage zu wiederholen, so undeutlich rangen sich die Worte über ihre Lippen.

»Nein; ich bat ihn, völlig nach seinem Gutdünken die Sache vom Stapel zu lassen! Wozu noch lügen oder beschönigen? ich bin ja willens. Dir die ganze Angelegenheit ehrlich einzugestehn, weil ich überzeugt bin, daß Du vernünftig genug bist, sie ebenso heiter aufzufassen wie ich! – Das ist überhaupt das Einzigste, was ich von Dir verlange. Luischen, daß Du nicht Spielverderberin bist, sondern das Leben auf die leichte Schulter nimmst, und Dich mit Deinem Gatten um die Wette amüsirst! Zwei gute Kameraden! Wen Prinz Carneval am reichsten decorirt, der hat gewonnen!«

Keine Antwort.

»Und wenn Dir Goseck durch seine Briefe sympathisch geworden ist, nun, um so besser! ich freue mich ja, Kind, wenn Du gleich einen Schleppenträger mit in die Saison hineinbringst, der Dich auf dem glatten Parquet gehen lehrt; für den Gatten ist's zu langweilig. Wirst Dich auch tausendmal besser amüsiren!«

Abermals keine Antwort.

Musik und Schellengeläut toste näher. Graf Goseck, gefolgt von den Schlitten der Musikanten, überholte das junge Paar. Er stand aufgerichtet und schleuderte im Vorbeisausen einen Blumenstrauß zu Marie-Luise herüber. Seine Worte wurden übertönt; wie lautes Lachen nur hallten sie nach. –

»Wer a Nestle will baun,
Soll auf's Aestle wohl schaun,
Daß ka Fuchs es beschleicht
Und ka Marder's besteigt.«

schmetterten die Trompeten gleich lustigster Ironie durch die stille, kalte Winternacht.

Ueber die Sterne aber zog ein Nebelschleier, und der Mond barg sich hinter Schneegewölk, gleichsam, als müsse der Himmel die Augen schließen, um es nicht mit anzusehn, wie ein junges Menschenherz in Todesqualen der Liebe und Verzweiflung rang.


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