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Zweites Kapitel

Freut auch des Lebens,
So lang noch das Lämpchen glüht!

(Volkslied.)

 

Nach Sonnenuntergang war es kühl geworden; Frau von Körberitz hatte in Folge dessen eine sehr schäbige, unförmig weite Pelzjacke über ihr grünseidenes Kleid gezogen, und zwei Stückchen Kuchen in Zeitungspapier gewickelt, welche die Erbgroßherzogin den Kinderchen zu Hause von Tante Körberitz mitbringen sollte. »Ich habe eine Tüte gemacht, kleines Frauchen, und dieselbe ringsherum zugenäht, jawohl, zugenäht!« flüsterte sie der Prinzessin zu, »falls die Hofdame den Kuchen tragen muß, wohlverstanden! Naschen ja alle wie die Katzen, die Hofdamen, weiß das, weiß das noch aus Erfahrung!« – und ihre scharfen Aeuglein flinkerten feindselig zu Fräulein von Speyern hinüber. –

Dieweil die Wagen bestellt wurden, nahm sie die »Allergnädigste« noch einmal geheimnißvoll bei Seite und erschöpfte sich in Aufträgen, welche sie der Groß herzogin zur gütigen Besorgung mit in die Residenz gab. –

Mit außerordentlicher Huld und Güte ließ die hohe Frau den Wirbelwind von Worten über sich hinstürmen, winkte der schier verzweifelnden Oberin lächelnd ab und versprach der Frau Rittmeister, Alles zur vollen Zufriedenheit zu erledigen. –

Darauf bestiegen die Herrschaften die Wagen.

»Also ja nicht vergessen, bei dem Schuster tüchtig zu handeln!« – schärfte die Körberitz den Damen noch einmal mit wichtig erhobenem Finger ein, und dann vermißte sie plötzlich Luischen, – das dumme kleine Luischen, welches sich mal wieder in irgend einen Winkel verkrochen hat. – Laut rufend und gestikulirend, flatterte sie davon, und der Strickbeutel tanzte in heftigen Schwingungen nebenher, und die Blumen und Federn der Dormeuse schwankten vornüber. – – »Ein Königreich für einen Maler!« seufzte Baron Nennderscheidt mit lustblitzenden Augen!

Die Rosse griffen aus, und die starren Grashalme zwischen dem Hofpflaster beugten sich unter die zermalmenden Räder. Olivier's Blick aber flog noch einmal über die Schloßfront, und er schwang grüßend den Hut nach den alten Damen zurück und schied so ungern von Hersabrunn wie ein Kind, welches man mitten aus dem schönsten Spiele reißt.

Als er nach den wunderlich verschnörkelten Giebeln und Erkerchen emporschaute, da däuchte es ihm, als schimmere hinter einer Dachluke die unförmige Haube Marie-Luisens ... er lachte laut auf und nickte zu ihr empor.

*

Klirrend schlug droben das Fenster zu – und die Equipage sauste scharf um die Ecke, in die laubige Lindenallee hinein.

Fräulein von Speyern war nachdenklich und schweigsam, Excellenz Wolter etwas ungehalten über den »niederträchtigen Kaffee, welcher sicherlich nichts in den Weg gelegt hätte, wenn man auf dem tiefsten Grund der Tasse Trichinen und Bacillen mit großer Klarheit hätten erkennen wollen; außerdem drohe es jetzt noch zu allem Ueberfluß mit Regen – und der Abend sei sehr kühl geworden« – und der alte Herr schlug vor sittlicher Entrüstung den Rockkragen empor und wickelte die getigerte Decke fester um die Kniee.

Baron Nennderscheidt trug fast allein die Kosten der Unterhaltung. Er war im Gegensatz zu seinen Reisegefährten äußerst animirt, drehte den blonden Schnurrbart in die kühnsten Façons, schob den Hut seiner Angewohnheit gemäß in den Nacken und versicherte, daß er sich ganz famos amüsirt habe. Selbst dem Kaffee habe er all seine Schlechtigkeit verziehen und sei im Stande, noch einen Eimer voll von diesem Gift einzunehmen, wenn er zum Lohne dafür in Hersabrunn den Geist aufgeben dürfe! – Und er erzählte in seiner übermüthigen, aber niemals boshaften Weise all die kleinen, scherzhaften Scenen, welche sich zwischen ihm und der ergebenen Körberitz, sowie einigen anderen Originalen abgespielt hatten. Der kleinen Gräfin Herff gedachte er mit herzlichstem Bedauern, gleich eines Vögelchens, welchem man gern die Thüre des Käfigs öffnen möchte.

Fides blickte ihm sinnend in das Antlitz; die schnell zunehmende Dämmerung malte tiefere Schatten um ihre Augen und ließ sie noch ernster denn sonst erscheinen. »Sie beklagen die Kleine, Herr von Nennderscheidt, und wissen doch gar nicht, ob sie in der That beklagenswerth ist. Wohl dem, welcher die Welt mit ihren spärlichen Blüthen und ihren wuchernden Nesseln und Dornen nicht kennt; er weiß es selber nicht, wie viel bittere Enttäuschung, Qual und Aufregung ihm erspart bleibt. – So lange Marie-Luise hinter den Mauern von Hersabrunn lebt, in diesem stillen, wohligen Frieden, einsam und ohne rauschende Lebensluft, aber auch ohne die Fieberschauer von Liebe und Haß, so lange werde ich sie nicht bedauern, sondern sie vielmehr beneiden. Wenn aber das Gitter sich öffnet, und das unerfahrene, verwaiste Vögelchen in die Welt hinaus getrieben wird, in das Aprilwetter von Regen, Schnee und Sonnenschein, das junge Seelen wie ein Wirbelwind erfaßt, – dann werde ich Marie-Luise von Grund meines Herzens beklagen, denn dann wird sie solchen Mitleids bedürfen.«

Olivier faltete die Hände und machte die fromme Miene, mit welcher er den feierlich ernsten Ton der Hofdame mit Vorliebe persiflirte. Dann lachte er lustig auf. »Gott sei Lob und Dank, daß es nicht viele junge Damen giebt, welche Ihren mehr wie einsiedlerischen Geschmack theilen, sonst könnten wir vom starken Geschlecht wohl schließlich mit Honigkuchenfrauen fürlieb nehmen! Apropos ... Honigkuchen! Das erinnert mich ja wieder an den Kaffeetisch von heute Nachmittag! Als die Lakaien die Wagenladungen von Süßigkeiten auspackten, da rieselte es mir kalt über den Rücken, und ich dachte, – »von dem Kuchen knuppern die alten Fräuleins bis zum nächsten Osterfest!« – Aber proste Mahlzeit! Haben Sie gesehen, wie die alte Garde weder starb, noch sich übergab« – –

»Hm ... hm ..., e rgab! lieber Baron!« – hüstelte Excellenz Wolter mit freundlichem Grinsen.

»Wie Sie befehlen, Gestrengster. – Also man legte die Lanze ein und stürmte die Schanzen von Bisquit und Blätterteig, und da dieselben solcher Kampfbegier nicht widerstehen konnten, verfuhr das Amazonencorps mit ihnen, wie weiland der grausame Scipio mit Karthago. – es blieb nichtsauch gar nichts übrig!« – –

Nennderscheidt hatte seinen Willen erreicht, – Excellenz Wolter warf das lauschend vorgestreckte Haupt mit krähendem Auflachen zurück, und durch die Lippen der Hofdame leuchteten die weißen, gleichmäßigen Zähne. Tiefer und tiefer sanken die Schatten, und die Stimmung des Freiherrn ward immer animirter, und der Plan, welchen er für einen nächsten Besuch in Hersabrunn entwarf, immer abenteuerlicher und toller. Wie unförmige Riesengebilde tanzten die Bäume des Waldrandes zur Seite vorüber. Nebel stiegen über den morastigen Wiesen empor, und fernab in einem Dörfchen blitzten die ersten Lichtfunken auf. – Ein kleiner Fluß schlängelte sich unter tiefhängenden Gebüschen durch das flache Land und ward an der Chaussee durch eine schmale Brücke überspannt. Weidenstümpfe standen rechts und links der weißen Ecksteine und streckten einander die trockenen Aeste zu, wie wunderliche Spukgestalten, welche sich mit wehendem Haar zum Tanze umschlingen wollten.

Lachen und lauter Gesang schallte von jenseits der Brücke herüber. Ein leichtes Korbwägelchen, mit einem Schimmel bespannt, rollte in flottem Tempo herzu und erreichte die Brücke eher wie die Hofequipage. Der Kutscher derselben riß die Zügel an und hielt wartend zur Seite, da die Passage zu schmal war, um zwei Gefährten Raum zu geben. – Nennderscheidt richtete sich empor und schaute voller Sympathie nach dem, langsam über die Holzbohlen stolpernden Wagen, welcher so lustige Insassen beherbergte. Dorfmusikanten! – Fidele Kerle mit schiefgesetztem Filz und fadenscheiniger Joppe, mit Pauke und Horn, Clarinette und Triangel, und einem menschenfeindlich kläffenden Spitz auf dem Kutscherbock, welcher während der Concertreise durch die Dörfer der Einzige ist, der nicht mit an der großen Schnapsflasche participirt! Mit einem schnellen Blick hat der »tolle Junker« die Situation überschaut und erfaßt. – Seine Gedanken und Ideen zucken ihm blitzartig durch den Kopf und werden ebenso flink und ohne Ueberlegen ausgeführt.

»Heda! Jungens, wohin?« –

Der Hornist nimmt hastig die Pfeife aus dem Mund. »Nach Obernwies hinter Hersabrunn, Ew. Gnaden!«

»Halt! – ich will mit!« – Und ehe nur der überraschte Jünger Euterpes sein Schimmelchen anhalten kann, und der großherzogliche Kutscher höchlichst überrascht sein Gesicht mit dem englischen Bart umwendet, stößt Olivier auch schon den Wagenschlag auf und springt zur Erde. – »Adieu, meine Herrschaften! – ich muß der Körberitzen ein Ständchen bringen! Bitte, schicken Sie mir morgen meinen Wagen nach Hersabrunn heraus! ... Servus!!« – und ehe nur Wolter oder Fides ein Wort erwidern können, schwingt sich der Reichsfreiherr von Nennderscheidt bereits auf das Rad des Korbwägelchens und verdrängt das wüthend keifende Spitzle von seinem angestammten Platz neben dem kutschirenden Herrn.

»Jungens – Ihr müßt mir in Hersabrunn eins aufblasen! – Je schönere Liebeslieder Ihr könnt, desto besser bezahle ich sie Euch! – Und nun los! macht mal Feuer hinter Euer bleiches Roß, daß wir die Vögel nicht schon im Neste finden, wenn wir kommen!« –

Jubelndes Halloh – – die Trompeten an den Mund und einen schmetternden, undefinirbaren Tusch! – der Kutscher hieb wie besessen auf das Schimmelchen, und heida ging es mit knatternden Hufen zurück nach Hersabrunn. Die großherzoglichen Hoflakaien saßen rückwärts, mit weitoffenen Mäulern und starrten dem Korbwägelchen nach wie einer Vision. Excellenz Wolter aber schlug höchlichst alterirt die Hände zusammen und hob sie wie beschwörend gegen Fides: – »Nun bitte ich Sie um Himmels Willen, meine Gnädigste, was sagen Sie dazu?! In Nacht und Nebel mit dem gewöhnlichsten Musikantenvolk hinaus! Ein Ständchen in Hersabrunn unter dem Fenster der Rittmeisterin! – Ist es zu glauben ... überhaupt auszudenken? – Grâce à Dieu – wie wird sich unsere gute Residenz wieder über solche Tollheit die Mäuler« ... Excellenz mußte sich leider in der Hälfte der Rede unterbrechen, denn er hatte zu hitzig gesprochen und fuhr hastig mit dem feinen Battisttuch nach dem Munde, um die aufklappenden Zähne wieder festzudrücken. Eine feine Falte lag zwischen den Augenbrauen der Hofdame. »Zufahren, James!« befahl sie in ihrer ruhigen und ernsten Weise – und fügte, zu dem alten Reisemarschall gewandt, mit leiserer Stimme hinzu: »Sind Sie thatsächlich über diesen Scherz erstaunt, Excellenz? – Bei mir ist es umgekehrt der Fall, ich bin auf's Höchste überrascht, wenn ein Tag vergeht, an welchem man nicht über einen ausgelassenen Streich des Herrn von Nennderscheidt zu lachen hat!«

»Sehr wahr, meine Gnädige ... hahaha! ... sehr wahr! warum hieße er sonst auch der tolle Junker?« –

Fides athmete tief auf und biß die Zähne zusammen. »Nicht durch eigenes Verdienst heißt er so, Excellenz, – wenn aber ein Demant in Blech gefaßt wird, so verliert er seinen echten Glanz und wird um dieser gemeinen Umgebung willen von der Welt für einen Kiesel angesehen!«

Das Kinn des alten Höflings klappte auf's Höchste verblüfft auf den Rockkragen hernieder. »Ah ... Sie glauben die Gesellschaft jenes, jenes anderen Sonderlings ... des Grafen Goseck wirke schädlich auf den jungen Mann ein?!«

»Ja! – Nennderscheidt ist ein braver Mensch, ein goldgetreues Herz,« – nickte Fräulein von Speyern herbe, – »aber Graf Goseck knetet dieses Gold zwischen den Händen und zersetzt es künstlich mit all' jenen Schlacken, welchen das geschmackverderbte Publikum als Originalität und amüsanter Tollheit applaudirt!«

Einer solch klar ausgesprochenen Ansicht war Excellenz Wolter bis jetzt noch nie begegnet, und da er es sich sein Lebenlang zum Princip gemacht: niemals eine ganz directe Meinung zu haben, geschweige sie auszusprechen, so beschränkte er sich auch jetzt darauf, ein undefinirbares Gemisch von Zustimmung und Zweifel zu hüsteln und hinter vorgehaltenem Taschentuch sehr verbindlich sein: »Ah, wahrhaftig ... ganz charmant, ganz charmant!« zu lächeln. Der Wind pfiff scharf übers Feld und schnitt die Unterhaltung ab; – Fides aber wandte das Haupt zur Seite mit einem Gesichtsausdruck, wie Jemand, der sich plötzlich erinnert, daß es Verschwendung ist, Körner zu bieten, wo man nur leere Spreu verlangt.

– – –

Still und friedlich lag Hersabrunn im Schatten seiner hohen Linden und Kastanienbäume. – Die Fensterreihe des ersten Stockes war dunkel, nur der Eßsaal im Parterre, woselbst die alten Damen nach Tisch noch ein Stündchen zusammen blieben, schickte durch drei helle Fenster freundlich einladenden Gruß in das Dunkel der Nacht hinaus. – Um das Rondel auf dem freien Platz vor dem Schloß schlich eine weiße Katze, und von dem Kiesweg herüber tönte ein schlurrender Schritt, pinkte es zwei, drei Mal und sprühte dann ein paar Funken ... Der alte Gärtner Conrad, welcher sich auf dem Weg in sein Nachtquartier ein Pfeifchen leistete. – Dann klappte eine Thür ... und aus dem Souterrain erschallte eine hohe Fistelstimme, welche unendlich kläglich das Lied von dem »Tannebaum – o Tannebaum« – in nicht immer zutreffender Melodie anstimmte. – Zwischendurch rasselten ein paar Teller ... quietschte ein ersichtlich schlecht behandeltes Hündchen auf, – polterte und nieste es und versicherte zum Schlusse doch wieder: »O Tannebaum – o Tannebaum, wie grün sind deine Blätter!« – Heimlich, vorsichtig einherschleichend, wie die Diebe in der Nacht, tauchten im Dämmerschein des Schloßplatzes ein paar schwarze Gestalten auf, flüsterten und gestikulierten und drückten sich behutsam in den Schatten des Hauses, um sich auf leisen Sohlen an der Mauer entlang bis zu dem Rasenstück vor der Mittelfront zu pürschen. Dann wurde ein Kreis gebildet ... blanke Musikinstrumente erglänzten, und der Freiherr von Nennderscheidt trat lachend zwischen seine Künstler und flüsterte: »Für's Erste also einen recht rührenden Stoßseufzer, vielleicht ›Du, Du liegst mir im Herzen ...‹ oder ›Hätt' ich ein rothseidenes Bändchen, dann bänd' ich's Christinchen um's Händchen!‹ – Man losgeschossen! – Ich werde zur Bekräftigung mit auf das Kalbfell pauken! – Achtung! ... ›Du ... Du liegst mir‹ ... und einen Tusch voraus! Eins, zwei, drei ...«

»Bum! – Tschinderadada! ... Bum!« – –

Ein gellender Schreckensschrei in der Küche des Souterrains. – der »Tannenbaum« verstummt, es klirrt und schrillt ... und droben in dem Eßsaal findet die Angst ein Echo; – – sein jüngferliches Aufschreien, lautes Gelächter – Stühle werden umgerissen, und Kopf an Kopf drängen sich die schwarzen Schatten an die Fenster. Welch' ein verändertes Bild von Hersabrunn! Draußen erklingt im fröhlichen Polkatacte das Lied der sehnsuchtsvollen Liebe, in dessen rührende Klänge in regelmäßigen Intervallen von zwei Minuten ein altes Reitersignal schmettert; die einzige Kunstleistung des Trompeters, welche jedoch in jegliches Lied hineinpaßt, und welche in jeglichem Stück, sei es nun »Ueb immer Treu und Redlichkeit – taterata!« – oder »In einem kühlen Grunde, da geht ein Mühlenrad – taterata – mein Liebchen ist gestorben, das dort gewohnet hat – taterata!« gleich große Effecte erzielt. – Zwischendurch aber wüthet die Pauke und macht einen Spektakel, als solle dem Damenstifte Hersabrunn das Bombardement von Straßburg möglichst naturgetreu vor die Seele geführt werden. Ein Ständchen. – Abends neun Uhr ein Ständchen! – Solchen Evenements können sich selbst die Aeltesten von Hersabrunn nicht aus den Annalen des Stiftes erinnern, und darum wirkt diese Ueberraschung ähnlich wie Feuerallarm, – es geht für ein paar Augenblicke Alles drunter und drüber.

Man reißt die Fenster auf – man ruft, lacht – schreit, – und erhält als einzige Antwort von einer johlenden Anzahl Männerstimmen die gesungene Versicherung:

»Du, du liegst mir im Herzen,
Du, du liegst mir im Sinn.« –

Mit schlotternden Beinen kommt der alte Conrad, bereits in halber Nachttoilette in Hemdsärmeln, mit einer Strumpfkappe auf dem kahlen Kopf aus seinem Gärtnerstübchen gestolpert und beleuchtet die nächtliche Scene durch die hochgehaltene Stalllaterne. – Sein Gesicht mit den zahllosen Runzeln und Fältchen schneidet die wunderlichsten Grimassen, ähnlich einem Stotternden, der reden will und nicht kann, und die linke Hand umklammert die Tabakspfeife, an welcher der Alte in seinem ersten Todesschreck, da der Paukentusch ihm meuchlings durch alle Glieder fuhr, das Knöpfchen abgebissen hat. –

Angstvoll sichernd, mit vorgestrecktem Kopf, erscheint die stämmige Figur der drallen Küchenmagd Dörte hinter der halboffenen Souterrainthüre, so allmählich nur in ihrer vollen Rundung auftauchend wie der liebe, gute Mond, welcher sich drüben, hinter den Baumwipfeln seine Bahn durch ziehendes Gewölk bricht. – Beide Hände drückt sie gegen den Magen, als fühle sie die Wirkung der großen Pauke noch immer darinnen nachzittern. –

Die Freitreppe herab aber stürmen die muntersten und »jugendlichsten« der Stiftsdamen. Baronesse Röschen mit dem Babykopf vornweg, als zweite hinter ihr das für gewöhnlich sentimental beanlagte Fräulein Friederika von Geuderheim, welche jedoch der Poesie wegen beansprucht, daß sie »Erika« genannt wird.–

Letztere hat in der Hast das kleine Corridorlämpchen ergriffen und fährt jedem der Musikanten damit beleuchtend unter die Nase, – plötzlich ein jubelnder Aufschrei – »Monsier le baron! ... le baron de Nennderscheidt!!« – und Röschen schreit mit, und je nachdem es die alten Beine erlauben, eilt es die Treppe herab und umringt in höchster Fröhlichkeit den Ständchenbringer, welcher ritterlichst den Paukenschlägel präsentirt und dann mit weit ausgebreiteten Armen und Stentorstimme wiederholt: »Wißt nicht, wie gut ich Euch bin!« –

Die Frau Rittmeister von Körberitz, welche sich nicht sofort Gehör verschaffen kann und die Geduld verliert, erfaßt den Freiherrn von rückwärts bei den Rockschößen und zieht, was nur das Zeug und Futter halten will. –

»Sie! ... Sie! ... junger Mann ... müssen wir etwa die Kerle hier bezahlen? Bezahlen, frage ich? I, da sollte doch gleich! ei da wollte ich Sie doch gleich!« ... und in höchster Alteration läßt sie Herrn von Nennderscheidt, welcher fest steht wie ein Baum und sich nur ganz verwundert nach der Ursache seiner ächzenden Rocknähte umschaut, fahren und hält laut aufschreiend beide Hände vor die Ohren. Der Trompeter hatte nämlich, dicht neben ihr stehend, mit voller Kraftaufwendung seine Fanfare losgeschmettert, und das nicht etwa aus Rancune gegen zarte Nerven, sondern lediglich aus Pflichtgefühl, – die zwei Minuten Pause waren um. –

Olivier erkannte mit Entzücken seine Freundin Körberitz, that noch einen letzten Schlag auf die Pauke und streckte der Frau Rittmeister alsdann beide Hände entgegen. Nachdem er ihr auf Ehrenwort versichert hatte, daß er als galanter Cavalier ganz selbstverständlich alle Kosten dieses Ständchens allein trage, hatte er auch die Genugthuung, daß sie huldvollst in diese beiden Hände einschlug und ihn einen »ganz charmanten kleinen Schelm« nannte. –

Im Triumph wurde der späte Besuch in das Schloß geführt und die Oberin empfing ihn auf der Schwelle und gestattete voll freundlichen Ernstes, daß Nennderscheidt ihre Hand respektvoll an die Lippen zog. Sie dankte mit heiterem Lächeln für die liebenswürdige Aufmerksamkeit, welche sie sämmtlich in hohem Grade überrascht habe; aus diesem Grunde möge er die allgemeine Confusion und Aufregung freundlichst entschuldigen. Alsdann gab sie Auftrag, die Musikanten in die große Vorhalle zu rufen, und begab sich persönlich in die Küche hinab, um der Dörte die Zuthaten zu einem kräftigen Eierbier einzuhändigen. Nennderscheidt aber befahl seinen Künstlern, ihr Bestes zu leisten, und versicherte alsdann der höchlichst animirten Damenschaar, heute müsse noch ein ganz stylvoller Walzer getanzt werden. – eher würde er das Feld nicht räumen. Als er sich umschaute, sah er eine schlanke Mädchengestalt schüchtern an der Thüre stehen. Er kniff die Augen zusammen und trat einen Schritt näher. Es war Marie-Luise. Sie hatte das schwarze Staatskleid abgelegt und ein sehr schlichtes graues »Nonnengewand« angezogen, welches ihr aber, trotz seiner talarartigen Façon ein besseres Ansehen gab; auch die weiße Haube hatte sie wieder sorglich in die Komode gebettet, und zum ersten Mal sah er das schmale, zarte Gesichtchen, um welches sich das Haar glattgescheitelt, aber in unendlich altmodischer Frisur legte. Er nickte ihr fröhlich zu und reichte ihr die Hand: »Na, Fräulein Luischen, sind Sie zufrieden mit mir?« –

Mit einem ganz eigenartig warmem Aufleuchten blickten die dunklen Augen zu ihm empor: »Ich habe Musik so sehr gern!« sagte sie leise. –

»Das freut mich! – freut mich weiß Gott von Herzen! Sehen Sie, Comteßchen, es giebt faktisch keinen größern Spaß für mich, als wenn ich Jemand eine Freude machen will, und die Leute haben dann auch wirklich ihr Vergnügen daran! – Also nun mal fröhlich und guter Dinge sein! Sie sollen heute sämmtlich vergessen, daß Hersabrunn das langweiligste Nest im ganzen Deutschen Reiche ist!« Das junge Mädchen blickte zu ihm auf, wie verklärt. Olivier sah es ihr an, daß sie mit sich kämpfte, ihm ein paar Worte zu erwidern, – plötzlich aber stieg glühende Röthe in ihr Gesichtchen, sie neigte wie jäh erschrocken das Haupt und trat dann, wie erlöst aus quälender Situation, hastig der Oberin entgegen, welche mit einem Tafeltuch auf dem Arme in den Saal trat. – Die Damen umringten ihren so köstlich amüsanten Gast mit tausend jubelnden Fragen und Zurufen, und dieweil Hersabrunn vor Uebermuth und Glückseligkeit schier auf den Kopf gestellt wurde, waltete Marie-Luise still und bescheiden an dem Tisch, stellte Gläser auf und füllte sie mit dem duftenden Würzebier. – Ihr Blick flog wohl öfters zu dem blonden Mann, mit dem lustigen Gesicht und der schönen, vornehmen Gestalt herüber, sie dankte ihm auch heißerglühend, da er mit seinem Glase zu ihr trat, um anzustoßen; als aber Tisch und Stühle bei Seite geschoben wurden, um »Bahn frei!« für's Tanzen zu schaffen, da versteckte sie sich schüchtern hinter der Oberin, welche kopfschüttelnd, aber mit nachsichtigem Lächeln dem fröhlichen Treiben zusah. Das Engagement Nennderscheidt's zur »Eröffnungs-Polonaise« lehnte diese dankbar ab und sah es selber mit innigem Ergötzen an, wie die »ergebene Körberitz« triumphirend den einzigen Tänzer beschlagnahmte. Die Musik spielte: »Und als der Großvater die Großmutter nahm,« und in übermüthiger Weise die gute, alte Sitte persiflirend, tänzelte der Freiherr in graziösen Pas vor dem sich sehr geräuschvoll ordnenden Zug der Damen her. Die Frau Rittmeisterin, welche noch in der vollen Gala des Nachmittags prangte, legte die Pelzjacke ab und trippelte voll fiebernder Aufregung neben dem riesenhaften Tänzer einher, an dessen Arme sie wie ein verlorener Pompadour hing. Sie erklärte aber mit boshafter Schadenfreude, daß sie entschieden die Jüngste und Schönste von Allen sei, und daß er ihr nur getrost den Hof machen möge; sie genire sich absolut nicht um die andern, neidischen Giftspinnen! –

Aufs Zierlichste wippend und hüpfend, schlängelte sich die Polonaise durch den Saal, und die Oberin sagte leise zu Marie-Luise: »Ein ganz absonderlicher Mensch, dieser Herr von Nennderscheidt. – anfänglich hatte ich den Soupçon, er wolle sich über meine gute, alte Heerde lustig machen, wenn man aber in seine ehrlichen, blauen Augen sieht, die vor Freude und Spaß wahrhaft Funken blitzen, dann weiß man, daß er thatsächlich nichts Anderes bezweckt, als Vergnügen zu bereiten und mit fröhlichen Menschen fröhlich zu sein!«

Marie-Luise nickte hastig. »Ich glaube, daß er ein sehr braver Mensch ist!« –

Mit strahlenden Augen schaute sie dem Tanze zu, bis sie bemerkte, daß Olivier's Blick sie suchte, und daß er auf sie zuschreiten wollte, sie zu einem Walzer zu engagiren. – Da gings wie ein Zittern durch ihre Glieder, und sie stürmte davon, sich vor ihm zu verstecken. – Auf leisen Sohlen entfloh sie durch den Corridor, die Treppe hinab in das Souterrain. An der offenen Küchenthür blieb sie überrascht stehen und schaute auf das närrische Bild, welches sich ihr darbot. – Dörte hatte eine weiße Schürze vorgebunden und schwang sich in dröhnenden Holzschuhen mit dem alten Conrad im Tanze! – Dem war das Eierbier in den grauen Kopf gestiegen. Er hatte die Strumpfkappe verwegen auf dem linken Ohr und sprang laut jauchzend mit steifen Beinen und in wundersam grotesker Weise um die dicke Dörte, welche sich wie ein Kreisel um die eigene Achse drehte. Im Kessel aber brodelte es und schoß schäumend über – – und die Trompete schmetterte, und die Flöten klangen: »Freut Euch des Lebens, so lang noch das Lämpchen glüht!«


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