Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XI.

Wenn es hauptsächlich die Eitelkeit gewesen war, welche Herrn von Tempelburg zu der Verlobung mit der berühmten Schönheit, Severa Hoff, getrieben hatte, so fand er wohl volle Befriedigung in dein Erfolg, welchen diese sensationelle Neuigkeit zu verzeichnen hatte.

Am lebhaftesten erfreut schien Kronprinzessin Ingeborg, welcher das Brautpaar zuerst Mitteilung von dem Geschehenen machte.

Sie gratulierte so strahlend heiter und richtete sogar durch Gräfin Herdern ein Glückwunschtelegramm an die Mutter der Braut, so daß der Kammerherr, von letzten Zweifeln befreit, glückselig aufatmete und nun völlig sicher war, daß seine Wahl nicht den mindesten Schatten auf seine Stellung bei Hofe werfen werde.

Severa hatte der Mutter so eingehend wie möglich depeschiert und ein paar sehr hastige Zeilen folgen lassen, welche hauptsächlich der so äußerst glänzenden Vermögenslage des Bräutigams Erwähnung taten und mit den Worten schlossen, daß Tempelburg und Severa nicht anders gekonnt hätten, als ihre hohe Protektorin, die Kronprinzeß, sofort von ihrem Verlöbnis zu unterrichten, da sie doch der Einwilligung der Mutter sicher zu sein glaubten. Damit gedachte Severa am einfachsten und sichersten jede etwaige Einrede der wunderlichen Pedantin abzuschneiden, welcher es wohl zuzutrauen war, daß sie auf eine Verbindung mit Manfred bestand, falls dieser indiskret genug gewesen war, der Tante von dem Jawort zu sprechen, welches Severa ihm in einer liebestrunkenen Stunde gegeben. Die Antwort der Rätin lautete sehr lakonisch und durchaus nicht so hoch überrascht und entzückt, wie ihre Tochter es vorausgesetzt hatte.

Sie sprach die Hoffnung aus, daß eine wahre und tiefe Neigung die Stifterin dieser Verlobung gewesen, und fragte an, wann sie wohl das Brautpaar bei sich erwarten dürfe.

Diese Frage bewegte Severas Herz in beunruhigendster Weise.

Es kostete ihrem Stolz eine schwere Überwindung, Tempelburg in ihre mehr wie bescheidene Häuslichkeit zu führen, und so wußte sie dem so leicht beeinflußten Verlobten klar zu machen, daß es für ihre so leidende Mutter eine große Aufregung bedeuten würde, ein Verlobungsdiner in ihrem kleinen Witwenheim herrichten zu müssen, daß es fatal sei, nicht alle Bekannten dazu einladen zu können, und daß es ihr am einfachsten und ratsamsten erscheine, wenn Mutter und Brüder hierher in die Residenz kämen und ein Verlobungsessen » en famille« in einem Hotel stattfände.

Tempelburg wußte, daß die Verhältnisse seiner Braut keine glänzenden waren, er ging daher sehr bereitwillig auf den Vorschlag ein und bat um die Erlaubnis, diese Zusammenkunft seiner Sorge zu überlassen.

Die Rätin war zuerst gar nicht einverstanden mit diesem Vorschlag, da aber ihr armer Maxel seit Tagen fieberte und sehr elend durch einen quälenden Husten war, so schien es ihr doch eine große Annehmlichkeit, kein Fest in dem kleinen Häuschen herrichten zu müssen, und sie fuhr mit ihren beiden jüngsten Söhnen für wenige Stunden nach der Residenz, um den Verlobten ihrer Tochter kennen zu lernen. Es war ein seltsames Fest, – steif und geniert, ohne all den bräutlichen Trubel und Jubel, welcher sonst solch glückseligen Tag zu begleiten pflegt.

Mehr wie einmal hing der Blick der Rätin wie in unbegreiflichem Staunen an dem Bräutigam, welcher ihrer Ansicht nach so gar nichts hatte, was sich ein Mädchenherz zu eigen nehmen konnte.

Seine wundervolle Villa, seine elegante Equipage und reiche Dienerschaft imponierten ihr so wenig, dies alles schien jedoch in Severas Augen die Hauptsache, um das Fundament ihres Glückes zu bauen.

Armes, verblendetes Kind!

Wie hatte sie stets voll leidenschaftlichen Verlangens nach solchem Prunk und Tand gestrebt, – wie stolz und zufrieden blitzten ihre Augen, als sie dies zweifelhafte Ziel einer erträumten Zukunft so plötzlich erreicht hatte!

Nein, all die kalten, bunten, gleißenden Äußerlichkeiten konnten der Rätin kaum Bewunderung, geschweige Wohlgefallen abzwingen, wohl aber traf es wie ein einzig warmer Sonnenstrahl ihr Herz, als sie in die Augen der jungen Stieftochter sah, welche ihr Severa mit ein paar zärtlich schmeichelnden Worten zuführte.

Ja, dieses treuherzige, fromme Kind war in all seiner schlichten Lieblichkeit die schönste Perle, welche des künftigen Eidams reiches Haus zierte, und so fremd und kühl sie dem Kammerherrn gegenüber blieb und kaum ein Thema zu intimerer Aussprache mit ihm fand, so schnell vertraut war sie mit Ethel und Miß Maud, welche sich seltsamerweise viel inniger an die Rätin, wie an die neue Stiefmama anschlossen, obwohl Severa es nicht an Liebenswürdigkeit fehlen ließ. Als man sich bald nach dem Diner trennte, da küßte Ethel die Hand der alten Dame und bat mit weichem Flüstern: »Da ich dich Großmama nennen darf, mußt du auch erlauben, daß Miß Maud und ich dich einmal besuchen! Die Buben sind so schüchtern, sie sprachen kaum mit mir, und doch möchte ich gut Freund mit ihnen werden und auch den armen kranken Maxel kennen lernen! – Vergiß nur nicht die Blumen, welche ich dir für ihn mitgab, und bald komme ich selbst und bringe ihm frische!«

So herzlich wie diese reine Kinderstirn hatte die Rätin wohl seit Jahren nichts geküßt, und als sie nachdenklich im Eisenbahnabteil saß und zerstreut auf die begeisterten Reden ihrer Jungens hörte, welche jetzt erst in der Erinnerung auftauten und die herrlichen, großartigen Genüsse dieses Tages, sowie den »rasenden Dusel« der Schwester priesen, da zog ihr plötzlich wieder ein Gedanke durch den Sinn, welcher ihr schon während des Diners gekommen war: – »Wie schade, daß Manfred gerade jetzt so eilig verreisen und die Einladung zu dem Verlobungsessen absagen mußte! – Wie würde Ethel ihm gefallen haben! – Sicher hätte er sofort mit dem Auge des Künstlers ihre herzige Eigenart erkannt und würde sie fraglos auf irgendeine Art verwerten und so unsterblich machen, wie Severas Schönheit.

Sie sehnt sich nach Manfred!

Sie möchte so gern seine Ansicht über Tempelburg hören!

In seiner kurzen Glückwunschdepesche konnte er so gar nichts Näheres sagen, als daß die brillante Partie sicher die beste Gewähr für das Glück der Cousine sei!

Hat Manfred sie nicht geliebt?

Wie oft hat ein holder, schlichter Zukunftstraum das Herz der einsamen Frau durchbebt!

Sie sah Severa in Manfreds Arm, geliebt und glücklich, in trautem Heim, welches alle holden Musen schmückten und Gottes Frieden segnete – und sie dachte lächelnd: »Dein Kind kann nie ein besseres Los finden!«

Und nun? –

Ein jeder ist seines Glückes Schmied!

Aber manche Hand zerschmettert das wehe, zuckende Herz eines andern, wenn sie grausam und egoistisch den Hammer schwingt, um aus rotem Gold des Glückes Ring zu schmieden!

Als die Rätin heimkehrt und sich über das Lager des kranken Sohnes neigt, blicken sie ein paar fieberglänzende Augen wie in bangem Forschen an.

»Hat dir Severa nichts für mich mitgegeben?«

»Severa? – Nein, mein Maxel, aber ihre künftige Stieftochter, die liebe, holde Ethel, schickt dir all diese wundervollen Blumen hier ...«

Ein tiefes Aufseufzen.

»Kein Brief von Severa ... gar nichts ... auch nicht ...« Der Kranke senkt das Haupt tief zur Brust und schweigt, – mitleidig kühlen die duftigen Blumenkelche seine abgezehrten Wangen.

Nein! Die stolze, glückliche Schwester hat nicht an ihr Versprechen gedacht, ihm das geliehene Geld bald zurückzugeben ... und gerade jetzt hat er Gelegenheit, eine herrliche Geige so sehr preiswert zu kaufen!

Ach, nur einmal – einmal auf solch einer schönen, echten Geige spielen! – Seine Seele jammert danach, – wie ein Dürstender lechzt er nach den süßen Tönen, diesem Traum so langer, banger Jahre!

Aber nein, – gerade jetzt wird Severa viele Ausgaben haben, und erst wenn sie verheiratet ist, kann sie ihm das Geld wohl zurückgeben! Mutter sagt, die Hochzeit soll schon sehr bald sein, und der Musikdirektor wartet wohl noch so kurze Zeit und läßt ihm das Vorkaufsrecht! Er war ja so liebenswürdig zu ihm ... und ist kein armer Mann, welcher je eher, je besser, verkaufen muß!

Ein müdes Lächeln der Hoffnung huscht um die Lippen des Kranken. – Noch warten ... noch ein kleines Weilchen warten ... ach wie lange hat er schon auf dieses Wunsches Erfüllung warten müssen ... er wird's auch jetzt noch aushalten! Und gut war es ja, daß er der Schwester das Geld gab – sie hat wohl in der Tat ihr Glück dafür gekauft!

* * *

Auf stürmisches Verlangen sollten die Darstellungen des Wohltätigkeitsfestes wiederholt werden, ein Umstand, welcher Severas Anwesenheit in der Residenz noch für weitere acht Tage notwendig machte.

Wie ausgesucht günstig sich dies alles traf!

Severa wollte diese kurze Zeit benutzen, um sich ihre Ausstattung zu besorgen, welche ja glücklicherweise nur aus Toiletten und Leibwäsche zu bestehen brauchte.

Der bis zur Willenlosigkeit verliebte Bräutigam hatte seiner bezaubernden Verlobten in das Ohr geflüstert: »Kaufe ein, was du brauchst und willst, Geliebte, und laß die Rechnungen auf keinen Fall an deine Mutter schicken, ich weiß, daß es ihr unmöglich ist, sie zu bezahlen!«

»Dann muß ich mich damit auf das äußerste einrichten und beschränken, du Geliebter!« seufzte Severa, »denn es ist doch undenkbar, daß ich deine Güte auch in diesem Punkt in Anspruch nehme!«

Er lachte hell auf und bedeckte ihr schönes Antlitz mit Küssen.

»Was mein ist, das ist auch dein! und was täte ich lieber, als dich, du Herrlichste zu schmücken!« –

Voll bezaubernder Glut leuchten ihn die dunklen Augen an.

»Gibst du mir so viel – so will ich dir noch mehr geben, – die Versicherung, daß mir unsere Hochzeit je eher – je lieber ist!«

»Severa!« Er preßt ihre Hände leidenschaftlich in den seinen. »Wann? – wann? nenne den nächsten Tag!«

Sie lacht und schmiegt sich an ihn.

»Ja, einen nahen, ganz nahen Tag will ich nennen! Hat es etwa Zweck und Sinn, die Hochzeit noch hinauszuschieben? Warum soll ich erst heimkehren, warum von dir ohne Not geschieden sein? – Ich bin so gern hier! – Und sieh den wonnigen, sonnigen Frühling draußen! Noch webt sich sein süßer Zauber um Herz und Sinn, noch lockt er, hinab zu reisen in das Land der Liebe, der Rosen, der Sonne! Dort all die Seligkeit zu genießen, welche nur der Lenz bietet und damit alle Sehnsucht stillt! – Eine große Hochzeit können wir doch nicht feiern, – daheim ist es unmöglich und hier in der Residenz geht es auch nicht an, – also höre meinen Vorschlag: Wir lassen uns in aller Stille so bald wie möglich trauen und reisen unverzüglich an die Riviera oder die französische Küste ab! – Wir leben in süßer, traumhafter Weltverschollenheit, bis hier dein Haus hergerichtet ist, um uns aufzunehmen! Und dann können wir hier unsere Visiten fahren und uns einleben in die häuslichen Verhältnisse, bis du wünschst, daß wir Sommeraufenthalt auf den Gütern nehmen! Dort gehören wir uns abermals so ganz allein, dort währen unsere Flitterwochen bis zum Herbst, wo wir in das Leben zurückkehren und die Hochflut der Geselligkeit über uns zusammenschlägt!«

Atemlos vor Freude hatte er gelauscht, – einverstanden mit allem, was der rote Mund so lockend ausmalte – und schon am nächsten Tag begann das heimliche Vorbereiten, das selige Hasten und Treiben, welches einer schleunigen Heirat galt.

Die Kronprinzessin war selbstverständlich in den Plan eingeweiht, und da die Mutter der Braut leider durch die Krankheit des Sohnes verhindert war, das Fest auszurichten, so bestimmte die hohe Frau voll außerordentlicher Huld, daß die Trauung in kleinstem Kreise in der Schloßkirche stattfinden und daran sich im kronprinzlichen Palais ein Frühstück anschließen solle, zu welchem das erlauchte Paar seinen Kammerherrn und dessen junge Gemahlin einzuladen geruhte.

Gleich nach dem Essen konnte die Abreise festgesetzt werden.

Voll strahlender Hast besorgte Severa ihre Einkäufe, fiebernd vor Seligkeit, nun endlich, endlich einmal kaufen, und immer wieder kaufen und wählen zu können, ohne ängstlich nach dem Preise fragen zu müssen!

Wie der ungewohnte Weingenuß den Neuling berauscht und sein Überlegen lähmt, so wirkte auch dieses »Wühlen« in allen Herrlichkeiten geradezu faszinierend auf Severa.

Von allem das Schönste – Beste, Kostbarste!

Wie die Seide rauscht, wie die Spitzen rieseln und Flitter und Steine blitzen!

Es blendet ihre Augen, – es reizt sie zu unersättlichem Begehren, bis endlich doch eine gewisse Scheu sie beschleicht, wenn sie an die Rechnungen denkt!

Nein, – sie muß sich noch zügeln! Noch hat sie nicht das volle Recht, all ihre Wünsche zu befriedigen, – ist sie erst Frau von Tempelburg, die angetraute Gattin, welche nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte hat – dann – ja dann!

Mit aufblitzenden Augen dehnt sie die schönen Arme und weidet den Blick an der Pracht, welche die neuengagierte Jungfer immer aufs neue aus den Kartons packt, um sie in den eleganten Koffern unterzubringen, und sie lächelt mit hocherhobenem Haupt und schaut in den Spiegel.

Wie ist sie so glücklich! so überschwenglich glücklich jetzt! – All ihr Sehnen, ihr Begehren ist gestillt, und die graue, öde, armselige Vergangenheit deucht ihr wie ein ekler Traum. Weit, weit stößt sie alles zurück, was daran erinnert!

Nur vorwärts hastet sie; einer Zukunft entgegen, welche so golden vor ihr glänzt und noch immer empor zu schwindelnden Höhen führt.

* * *

In dem Hause des Kammerherrn von Tempelburg war kaum eine Veränderung zu bemerken, seit der verschwenderische Blumenflor, welcher es während der Tage vor und nach der Hochzeit schmückte, verwelkt war.

Man hatte viel über das »leider so kleine Fest, welches nur im Familienkreise gefeiert ward« – gesprochen, selbstverständlich in sympathischster Weise, denn die große Huld der Kronprinzessin, welche die schöne Braut in jeder Weise auszeichnete, garantierte derselben die wohlwollendste Aufnahme in der Gesellschaft.

Manch schmerzlich enttäuschte Mutter und Tochter abgerechnet, war man über die Heirat des Kammerherrn sehr erfreut, denn »Villa Freya« hatte ehemals ihre gastlichen Pforten stets weit offen gehalten und die Menschen sind immer tolerant, wenn sie sich gut amüsieren können!

Die Herren warteten voll Spannung auf den neuen Stern, welcher in der jungen Frau von Tempelburg am Himmel der nächsten Saison aufstrahlen sollte.

So reserviert und vorsichtig Severas Verhalten während ihres kurzen Debüts auch gewesen war, hatten die Lebemänner und Weiberkenner dennoch zu beobachten geglaubt, daß ein gar heißes Feuer hinter den so viel gesenkten Augenwimpern lodere, und der rote Mund, welcher so begehrlich dem Leben entgegenlächelte, schien gar nicht dazu geschaffen, einzig und allein den nichtssagenden, anerkannt langweiligen Gatten zu küssen, welcher so viel älter war, wie die berauschende Schönheit an seiner Seite.

Die nächste Saison versprach in jeder Beziehung interessant zu werden, und nicht zufällig war so viel elegantes Publikum auf dem Bahnsteig versammelt, als das neuvermählte Paar nach dem Süden abreiste.

Es war seit Jahren sehr still in »Villa Freya« gewesen und blieb es in unveränderter Weise auch jetzt, wo Miß Maud und Ethel nach wie vor seine einzigen Bewohner blieben.

Als der Kammerherr seiner Tochter die so sehr überraschende Mitteilung von seiner Verlobung machte, hatte Ethels Herz einen Augenblick, wie gelähmt vor Schreck, still gestanden.

Nicht, daß die so mittellose junge Stiefmutter mit dem bürgerlichen Namen ihr fatal gewesen wäre, – derartige Vorurteile kannte ihr schlichter und reiner Sinn nicht, wohl aber durchbebte es sie wie ein banger Schauder, wenn sie an die leidenschaftlich blitzenden Augen des »lebendigen Gemäldes« dachte, welche so gar nichts von der frommen Treue einer jungen Christin an sich hatten.

Sie rief sich ihre kurze Unterhaltung mit Manfred Hoff in die Gedanken zurück, und ein Gefühl banger Sorge beschlich sie, wenn sie an die Zukunft dachte.

Dennoch wäre es ihr nicht möglich gewesen, durch einen einzigen Blick oder ein unbedachtes Wort das strahlende Glück des Vaters zu trüben, und so begrüßte sie Severa voll warmer Herzlichkeit, mit einem Segenswunsch, welcher so fromm und biblisch klang, daß die schöne Braut sehr erstaunt und verständnislos in die sanften Kinderaugen starrte.

Dann entsann sie sich dessen, was Dorette über die kleine »Heilige«, die »Nonne im Flügelkleide« gesagt, und sie fand sich schnell in die Situation, küßte Ethel mehr feierlich wie innig und sprach von Gottes Wegen, welche sie hierher geführt, von seinem heiligen Willen, welcher die Ehen auf Erden schließt, von christlichem Lieben und Leben, von den heiligen Pflichten, welche Mutter und Tochter gegeneinander zu erfüllen haben, daß Ethel ganz entzückt die Hände der Sprecherin küßte und mit leuchtendem Blick versicherte: »O wie werden wir uns verstehen und lieb gewinnen!«

Auch Miß Maud hatte einen überraschend günstigen Eindruck empfangen, und als sie abends mit ihrer Pflegebefohlenen allein saß, sagte sie mit tief erleichtertem Aufseufzen: »Dein lieber Vater scheint eine vortreffliche Wahl getroffen zu haben, Ethel! Wenn wir deine zukünftige Mutter auch nicht für eine Märtyrerin hielten, so ist sie doch fromm und gut und wird euch alle glücklich machen!«

Ethel nickte und lächelte.

Wenn sie es doch Manfred Hoff sagen könnte, daß seine Cousine nun die Gattin ihres Vaters werden wird, daß ihre Augen doch so treu und fromm blicken können ...

Manfred Hoff! –

Gar zu gern denkt Ethel an die Begegnung mit ihm zurück, – sie entsinnt sich so genau jedes einzigen Wortes, welches er sprach, und wenn sie malen könnte, würde sie jeden Zug seines ernsten, edlen Gesichtes wiedergeben können, so deutlich hat es sich ihr eingeprägt.

Sie freut sich so sehr, daß sie nun mit ihm verwandt werden wird, denn gar zu gern möchte sie noch einmal mit ihm reden – über dies und jenes ... Dinge, welche ihr recht am Herzen liegen und über welche er gewiß genau so denkt wie sie.

Als sie eines Abends Severa nach ihm fragte, war sie überrascht von der seltsam kurzen und frostigen Weise, mit welcher die zukünftige Mama dieses Gespräch abbrach.

»Magst du ihn denn nicht leiden?« fragt Ethel noch einmal.

Severas Blick bekam etwas Starres, ein scharfer Zug senkte sich momentan um ihre Lippen, dann zuckte sie gleichgültig die Achseln und antwortete: »Wir harmonieren nicht sonderlich!«

»Ach! Inwiefern das?«

Welch ein langweiliges, überflüssiges Gefrage!

Severa will schon ungeduldig werden, aber sie bezwingt sich und lächelt.

»Weil unsere Ansichten über das Leben sehr weit auseinandergehen!«

»Man sagt, die Künstler sind oft leichtsinnig! Ist er es etwa auch?«

Die Braut des Kammerherrn hört nicht das junge, zitternde Herzchen, welches durch diese bange Frage klingt, sie lacht hart auf, und ohne daß sie es selber will, drängt es sich auf ihre Lippen: »Der Pedant leichtsinnig? – O nein, Kindchen! im Gegenteil, seine spießbürgerliche Engherzigkeit ist mir stets unverständlich gewesen! Ein Mensch, der nur Geld und Gut erwerben will, um recht viel Almosen geben und Gutes tun zu können, ist ein Narr! Leute, die nie mehr beanspruchen wie ein Herz und eine Hütte, passen nicht in diese reale Welt voll Kampf und Streben, – denn sie werden stets von klügeren Leuten unter die Füße getreten werden! – Ein Mensch, welcher nicht versteht, das Glück zu zwingen und auszunutzen, wird es in unserer Zeit der Selbstsucht und des Genusses nie besitzen und stets nur ein Phantast bleiben, welcher hungert, während andere vor vollen Tafeln schwelgen!«

Severa hatte es grollend, hastig hervorgestoßen, mehr zu sich selber und ihrem rebellischen Herzen sprechend, wie zu dem stillen, sinnenden Kind mit den großen Unschuldsaugen.

»Und dies alles tut und ist er ... ein Mensch, der Gutes tun möchte ... der nur nach Herz und Hütte verlangt ... der ...«

Severa griff nach den Modejournalen und schlug etwas nervös die hocheleganten Brautkleider auf. »Nicht wahr, das ist seltsam für einen modernen Mann? – Je nun, es muß ja noch Originale geben, wo sollten alle Paläste herkommen, wenn jeder einen begehrte! – Nun aber komm und sieh dir diese Toiletten an, mein Liebling! Wir müssen uns beeilen und auch für dich ein recht schönes, apartes Hochzeitskleid aussuchen! Deine erste Gesellschaftstoilette! Ist das nicht ein herzbewegendes Ereignis für ein junges Mädchen, namentlich wenn man solch ein kleiner Glückspilz ist wie du und nicht dabei zu rechnen braucht?«

Ach, wie gleichgültig waren Ethel diese kostbaren Kleider, wie einverstanden nickte sie zu allem, was die heißen, begehrlichen Blicke der schönen Braut aussuchten!

Sie dachte nur an das eine, so herrlich und unbegreiflich Schöne, daß es noch einen Menschen auf der Welt gibt, welcher nur berühmt und reich werden möchte, um der Armut aus seiner Fülle abgeben zu können!

Und mit einem Mann, welcher Pracht und Prunk verachtet und glücklich und zufrieden mit einem Herz und einer Hütte sein will, mit dem harmoniert Severa nicht, den nennt sie einen Sonderling und Phantasten? Wie war das möglich?

Hatten Ethels Gedanken – ihr selber beinahe unbewußt – schon zuvor viel und gern bei dem jungen Künstler verweilt, so galten ihm von nun an manche heimliche Träumereien, manch liebes und trautes Sinnen.

Nicht in dem schwärmerischen Sinn anderer heranwachsender Mädchen, welche nur an Romane denken und in dem Helden, welchen sie bewundern, den Geliebten sehen, – dazu war Ethel viel zu weltfremd und unberührt geblieben.

Sie liebte Schönheit und Tugend um ihrer selbst willen, und wenn ihr Herzchen schneller bei dem Gedanken an das schöne, edle Antlitz des genialen Mannes schlug, so ahnte sie es kaum, daß dies die ersten Keime waren, welche die keusche Myrte jungfräulicher Liebe ganz heimlich und unbemerkt in ihrem Herzen trieben.

Als die Hochzeit vorüber und das neuvermählte Paar abgereist war, lebten Miß Maud und Ethel in unveränderter Weise weiter, nur eine kleine Veränderung hatte sich in den nach Stunden geregelten Tag eingeschlichen, – man besuchte jetzt öfter wie zuvor den Lichtsaal im Nationalmuseum, wo die Gemälde moderner Künstler und in letzter Zeit wieder etliche neue Porträts von Manfred Hoff ausgestellt waren.

Auch Miß Maud hatte es lebhaft bedauert, den genialen jungen Mann weder bei dem Verlobungsfest noch bei der Hochzeit seiner Cousine wiederzusehen.

Zu ersterem hatte er sich mit einer unaufschiebbaren Reise, zu letzterer wegen einer leichten Erkrankung entschuldigen lassen.

Das war schade, denn so erschreckt die Engländerin zuerst über die etwas eigenartige Bekanntschaft mit dem jungen Mann gewesen war, so sympathisch war ihr Manfred doch während des flüchtigen Zusammenseins gewesen. Nun, wo man so lange vor seinen herrlichen Gemälden verweilte, sich voll warmen Interesses in all seine edle, geniale Eigenart, welche alles und jedes idealisiert, was der Pinsel verewigt, hineinlebt, da lernt man erst verstehen, welch ein wahrlich gottbegnadeter Künstler er ist, einer, welcher mutig und sicher seinen eigenen Weg voll Licht und Schönheit geht, wenn auch ringsumher der Gifthauch der Neuzeit die alte Gottesherrlichkeit trivialisiert und das Hohe und Glänzende in den Staub moderner Unnatur und Effekthascherei zieht.

Eine zauberhaft schöne »Frühlingsidylle«, überhaucht von unbeschreiblicher Poesie, ist das neueste Werk Manfred Hoffs, welches abermals alle Blicke auf ihn lenkt.

Eine junge Tirolerin, welche heiß erglühend, voll süßer Scham ihren Miederstrauß teilt, – die eine Hälfte dem Muttergottesbild, – die andere dem feschen Gemsjäger, welcher mit gar so flehendem Blick die Hand danach ausstreckt. Welch goldiger Sonnenduft liegt über der Alpenlandschaft – welches Blühen und Knospen ringsum, es ist, als wehe der Fliederduft von der Leinwand hernieder.

Ja, es ist schön, vor Manfred Hoffs Bildern zu stehn, Ethel weiß es gar nicht, wie heiß ihre Wangen jedesmal erglühen.

Daheim schaffen die Arbeiter, um Villa Freya für die junge Herrin so prächtig wie möglich herzurichten, und als es eines Morgens des Hämmerns und Klopfens gar zu viel wird, sagt Miß Maud: »Es würde heute vielleicht ein günstiger Tag sein, um einmal nach X. zu Großmama Hoff zu fahren. Ihre letzten Nachrichten über den armen Max lauteten noch immer nicht besser, da wäre es wohl angebracht, dem Kranken irgendeine kleine Aufmerksamkeit zu erweisen!«

Ethel war hochbeglückt.

Man kaufte Blüten und Leckerbissen, welche einem Kranken gestattet sind, und fuhr nach X.

Zuerst erschrak die Rätin über den unerwarteten Besuch, als sie aber sah, daß ihre Gäste nicht die mindesten Ansprüche machten, ja, daß Ethel alles »so gar lieb und gemütlich« bei der Großmama fand, daß sie voll glückseligen Eifers den Kaffeetisch decken half und sogar in die Küche folgte, um sich »ein bißchen nützlich zu machen« – da leuchteten die Augen der einsamen Frau, und sie sagte: »Wie schön ist es, wenn ein vornehmes und reiches Mädchen so anspruchslos ist!«

Ethel lächelte: »Wenn ich Diakonissin werde, habe ich noch ganz andere Arbeit zu verrichten, Großmama, und ich empfinde es oft sehr schmerzlich, daß ich daheim, all der vielen Dienstboten wegen, so wenig in praktischen Dingen lernen kann! Wie herrlich du alles verstehst! Wie ungeniert und traulich ist deine kleine Küche! Weißt du wohl, daß ich sehr oft zu dir kommen möchte, um alles bei dir nachzuholen, was ich in der Villa Freya versäumen muß?«

»Wie lieb sollst du mir sein, Ethel! Wie glücklich wird es mich machen, in der Enkeltochter all das zu finden, was mir an der Tochter versagt blieb!«

Die Rätin legte den Arm um die schlanke Mädchengestalt. Mit einem ernst forschenden Blick sah sie dem jungen Gast in die Augen.

»Du willst Diakonissin werden, Ethel?«

»Wenn ich die Erlaubnis bekäm', gar gern! Ich denke es mir so schön, sorgen, helfen, pflegen zu können.«

»Wenn es dir vom lieben Gott beschieden ist, wird er dich gewiß Wege führen, wo du so viel aufopfernde Nächstenliebe betätigen kannst! Das Kleid der barmherzigen Schwester ist nicht immer dazu nötig, das Elend kann man überall finden, wenn man nicht im Vorüberschreiten gewaltsam die Augen schließt!«

Ethel nickte mit sinnendem Blick. Ein feines Rot stieg plötzlich in ihre Wangen, sie dachte an Manfred Hoff, welcher auch nur darum Geld verdienen möchte, um Gutes zu tun.

Sie nahm schnell das kleine Tablett mit der Tasse voll Fleischbrühe und wandte sich zur Türe.

»Ich bringe dem Maxel die Suppe und löse Miß Maud beim Vorlesen ab! Es ist so gut, daß er jetzt nicht mehr verlegen ist, wenn wir kommen, nun kann man dir doch etwas helfen, Großmama, und dem armen Kranken die Zeit vertreiben!«,

Sie ging – und seltsam, als ob Gedanken sich von einem Haupt zum andern spinnen könnten, dachte die Rätin plötzlich: »Wenn doch Manfred einmal käme und dieses herzige Kind schauen könnte! Wie würden sie einander so gut gefallen.«


 << zurück weiter >>