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VII.

Severa hatte vor dem eleganten Toilettentisch in ihrem Zimmer Platz genommen und duldete es voll lässiger Grazie, daß die Kammerjungfer der Gräfin Herdern, welche von dieser ihrem schönen Gast zur Verfügung gestellt war, das dunkelglänzende Haar in moderner Weise frisierte.

Die Proben sollten fürerst in Gesellschaftstoilette stattfinden und Fräulein Hoff rüstete sich soeben, an der ersten teilzunehmen.

Sie, die nie im Leben bedient worden war, fand sich mit außerordentlicher Gewandtheit in ihre neue Rolle und imponierte dem feinen Kammerkätzchen durch ihre »anspruchsvolle Hilflosigkeit« beinahe mehr, wie die Hofdame selber. Severa rührte kaum einen Finger, – mit der Gelassenheit und dem Selbstbewußtsein einer Fürstin nahm sie jede Dienstleistung entgegen. Für Maxels Geld hatte sie die feinste, spitzenbesetzte Wäsche, – nur so viel, wie für die kurze Zeit notwendig war – eingekauft, ebenso die seidenen Unterkleider, Fächer, Handschuhe und Taschentücher, alles, was der Luxus einer eleganten Dame vorschreibt.

Ihr kluges Rechenexempel war gemacht und hatte nicht getrogen.

Nur nicht » pauvre«, nur nicht bettelhaft in der neuen Umgebung auftreten!

Die Dienstboten sind auch in Fürstenschlössern die wandelnden Telephone, durch welche die Neugier alles und jedes erfahren kann, und wenn man ein großes Los gewinnen will, darf man nicht mit dem Einsatz knausern.

So gelassen auch Severa ihrem Spiegelbild entgegenschaute, so heiß brannten dennoch ihre Wangen, so ungestüm pulsierte das Leben in ihren Adern.

Sie befand sich auf völlig fremdem Terrain und mußte sich geschickt und unauffällig über die einzelnen Figuren auf dem Schachbrett der Königin orientieren.

Obwohl sie es unter ihrer Würde fand, sich mit Dienstboten zu unterhalten, so gebot es fürerst doch die Klugheit, zurzeit eine Ausnahme zu machen. Sie schlang das blaßblaue Seidenband ihres Frisiermantels um die Finger und begann in der sehr herablassenden Weise, welche ihr eigen, zu plaudern.

»Es ist fatal, als völlig Fremde in eine Gesellschaft eingeführt zu werden. Man sieht hundert neue Gesichter, hört unzählige neue Namen und wirrt schließlich alles durcheinander! Sind Sie schon längere Zeit im Dienst der Gräfin, Dorette, und kennen Sie die Persönlichkeiten der Hofgesellschaft, – wenigstens dem Namen nach?«

Die Jungfer probierte das heiße Eisen an einem Seidenpapier und knickste, sichtlich erfreut, ein wenig schwatzen zu können.

»Bei der gnädigsten Gräfin bin ich freilich erst zwei Jahre, gnädiges Fräulein, aber davor habe ich Ihre Exzellenz die Frau Staatsrat von Angeck acht Jahre lang bedient und weiß infolgedessen in der Gesellschaft sehr genau Bescheid! Wenn ich dem gnädigen Fräulein vielleicht einige Auskunft geben dürfte ...?«

»Ah, vortrefflich! Fangen wir sofort bei dem Nächstliegenden an, der kleinen Tafelrunde, welcher ich heute mittag eingereiht war. – Da wäre zuerst Exzellenz von Kramer, – über diese gab mir die Gräfin bereits alle nötige Auskunft. Dann saß zu meiner Rechten Baron Slavitz, dessen Gattin fehlte heute, – kennen Sie diese?«

»Nicht allzu genau, gnädiges Fräulein! Der Herr Flügeladjutant ist erst vor einem halben Jahr hierher versetzt. Die Frau Baronin ging den Winter nicht aus, da Anfang Februar ein Söhnchen geboren wurde. – Aber soviel ich hörte, soll sie eine recht elegante Dame sein, nicht auffallend hübsch, aber sehr schick, – zu Pferde am vorteilhaftesten!«

»Soso! – Nun, ich lerne sie wohl später kennen. Zu meiner Linken hatte Kammerherr von Tempelburg Platz genommen, – er war ebenfalls ohne Gemahlin anwesend –«

»Oh ... gnädiges Fräulein, er ist ja Witwer!!«

»Witwer?« Severa sah sehr überrascht aus. »So, ... das ahnte ich nicht! Der arme Mann –! Hoffentlich nur arm an Glück und nicht auch an Geld und Gut! Das wäre ja zu viel des Beklagenswerten!«

Dorette sah nicht den forschenden Blick, welcher sie traf, sie legte just das Haar sehr sorgsam zwischen die Brennschere.

»Arm?!« – sie lachte leise auf. »O nein, gnädiges Fräulein, der Herr Kammerherr gilt für eine der besten Partien, auf welchen es alle Mamas mit Töchtern sehr abgesehn haben! – sagt man! – Ich kenne die Verhältnisse ziemlich genau, da die verstorbene Baronin die Nichte meiner Exzellenz war und die Herrschaften viel bei uns im Hause verkehrten. Man sagte immer, die arme Baronin sei nicht die allerklügste gewesen, aber Geld hatte sie mächtig viel, denn der Großvater war ja der Geheimrat Lang, einer unserer größten Bankiers. Und der Herr Kammerherr hat das ganze Vermögen zu gleichen Teilen mit der Tochter geerbt ...«

»Eine Tochter ist nur da? Nicht auch Söhne?«

»Nein, keine Söhne, nur Fräulein Ethel! Und die ist ja nun konfirmiert worden und wird wohl nächsten Winter bei Hofe vorgestellt! Dazu muß dann der Herr Papa wieder heiraten, damit ein Haus gemacht werden kann!«

»Man munkelt bereits, daß er gewählt hat?«

»O nein! Er ist sehr zurückhaltend und viele sagen, er würde sich überhaupt nicht wieder binden! Aber so was kann man ja nie wissen! Wenn die Rechte kommt, tut Amor ganz plötzlich mal den Schuß ins Zentrum!!«

»Kennen Sie das Töchterchen?«

»Und ob! – Ach, war das immer ein liebes, gutes Kind! Ich glaube, die hat nie ein Mensch unartig gesehn. Man sagt ja, die Engel und Teufel werden nicht erst, sondern sind gleich so geboren! Na und Fräulein Ethel ist auch mächtig fromm geworden! Die Engländerin, welche sie erzieht, ist mehr eine Nonne, wie eine Weltliche, und davon hat das junge Würmchen viel abgekriegt!«

Severa zuckt beinahe mitleidig die schönen Schultern.

»Solche Kinder, welche beim Gebetbuch anstatt bei dem Struwelpeter aufwachsen, sind sehr zu beklagen! Jedes Menschenkind muß sein Dasein fröhlich genießen, und vor allen Dingen der Welt, in welcher es nun doch einmal leben soll, sein Interesse und seine Liebe zuwenden. Alte Nonnen sind begreiflich, die jungen aber sind Unnatur! Hoffentlich verlobt sich die kleine Heilige bald, damit sie den Psalmen ihrer Erzieherin entrückt wird!«

Die Sprecherin lachte sehr anmutig und erhob sich, um ihre Frisur durch einen kleinen Handspiegel von allen Seiten zu mustern. Sie sah sehr zufrieden aus.

»Welch eine Künstlerin sind Sie, Dorette! Meine Jungfer daheim hat nicht ein einziges Mal einen so kleidsamen Haarknoten geschlungen, obwohl sie auch ihre Studien in einer Großstadt machte! Nun reichen Sie mir bitte das Kleid, – hoffentlich wird es passen!«

»O, das gnädige Fräulein bedürfen wirklich keiner Kunstleistungen um schön zu sein!« schmeichelte das gewandte Kammerkätzchen mit bewunderndem Blick, griff nach den duftigen Kreppwogen und ließ sie über den alabasterweißen Hals der jungen Dame gleiten. Severa aber fuhr harmlos plaudernd fort: »So habe ich also ganz ahnungslos heute den Löwen des Tages kennen gelernt, denn Ihrem Berichte nach ist Herr von Tempelburg der meistbegehrte Herr der Saison, – oder hat er noch Rivalen bei den jungen Mädchen, jüngere Heiratskandidaten, welche vielleicht noch reicher und vornehmer sind wie der Kammerherr?«

Auch jetzt konnte Dorette nicht das brennende Interesse beobachten, welches sich in dem Blick der Fragerin spiegelte, sie schloß just deren Taille und fuhr redselig fort: »O, junge Herren gibt es schon genug, hübsch, flott und elegant, unter den Kavalleristen befinden sich wohl auch gute Partien und Graf Deim und Herr Leutnant du Roussol von der Infanterie gelten auch für recht vermögend, aber sie alle sind noch jung und wohl noch von den Eltern abhängig, während Herr von Tempelburg ganz selbständig ist, – das spricht doch auch ein Wörtchen mit, wie man so zwischendurch hört! Nun, gnädiges Fräulein werden das noch alles selber beobachten und – – –«

»Ich? beobachten?« Severa lachte leise auf. »O nein, Dorette, dazu bleibt mir weder Zeit noch Gelegenheit, denn ich bin nur wenige Tage hier und habe infolgedessen kaum das nötige Interesse für all die vielen, fremden Menschen! Die Herrn sind mir vollends gleichgültig, aber von den jungen Damen müssen Sie mir noch Näheres erzählen, denn mit denen hoffe ich etwas besser bekannt zu werden! Welches ist also die Schönste hier?«

Dorette zuckte die Achseln und hatte leider nicht viel »Nennenswertes« mitzuteilen, aber sie plauderte lebhaft weiter, wußte von dieser »dies« und von jener »das« und währenddessen ward die Toilette vollendet.

Nachdem das strahlend schöne Spiegelbild des Fräulein Hoff genügend bewundert war, bat die Jungfer um Erlaubnis, der Gräfin die letzten Handreichungen leisten zu dürfen.

»Zwar bedürfe Komtesse nie vieler Hilfe, sie frisiere sich sogar sehr oft selber, aber mit der Taille könne sie doch nicht ganz allein fertig werden!«

Severa entließ das Mädchen mit sehr gewinnenden Worten und stand im nächsten Augenblick allein vor dem Spiegel, welcher ihre blendende Erscheinung wie ein vollendet schönes Bild widergab.

Wie in tiefem Sinnen starrte Severa es an. Mit Blitzesschnelle jagten sich die Gedanken hinter ihrer Stirn.

Tempelburg war fraglos die beste und geeignetste Partie, welche für sie in Frage kam.

Er verfügte über sein Geld, – das war die Hauptsache.

Seine Persönlichkeit gefiel ihr gar nicht.

Für rotblondes Haar hatte sie nie Sympathien gehabt, – die müden Augen mit den krankhaft schweren Lidern fand sie direkt häßlich!

Neben ihrer hohen, geschmeidigen und doch so imponierenden Gestalt verschwand sein hageres Figürchen wie ein Schatten vor der Sonne.

Was lag daran?

Wenn sie ihn heiratet, wird er nie mehr an ihrer Seite sein wie ein wesenloser Schatten.

Wenn! – Ja wenn!

Er scheint nicht leicht begeistert, kühl wie sein blasses Gesicht scheint auch sein Herz zu sein.

Aber dennoch hatte Severa beobachtet, daß die müden Augen sehr lang und wunderlich blinzelnd nach ihr hinschauten.

Wer weiß, ob nicht unter all der grauen Asche seiner Langweiligkeit doch noch ein Funken glimmt, welchen der Hauch ihres Mundes noch zum grellen Flackerfeuer entfachen wird!

Auf jeden Fall steht das Ziel klar und deutlich vor Severas Augen.

Vornehm, reich, bei Hofe! – Dies sind die drei Faktoren, mit welchen sie einzig und allein voll brennender Leidenschaft rechnet!

Wie ein unersättliches Verlangen glüht's in ihrer Brust!

Sie will, sie muß sich eine Stellung erringen, welche ihren Ehrgeiz und ihre Genußsucht voll befriedigt, gleichviel, was es kostet!

Herz und Liebe!

Manfreds herrliche Gestalt taucht neben dem schmächtigen Figürchen des Kammerherrn empor, seine großen, treuen, redlichen Augen strahlen sie an – –

Mit ungeduldiger Bewegung wirft Severa das Haupt in den Nacken.

Sie will nicht sentimental sein und in den Fehler so mancher Närrin verfallen, welche ein Herz und eine Hütte zu ihrem Ideal gemacht!

Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang.

An der Türe klopft es und ein Lakai meldet, daß der Wagen die Damen erwarte.

Mit blitzendem Blick schreitet Severa über die Schwelle.

* * *

Mitten in den blühenden Parkanlagen lag der Pavillon, welcher seine hallenartigen Säle zu den meisten Wohltätigkeitsveranstaltungen öffnete.

Auch jetzt standen die Türen weit offen und der Lichtschein elektrischer Flammen warf seinen Widerschein auf den blühenden Flieder, welchen noch die letzten Strahlen der sinkenden Sonne vergoldeten.

Eine große Menge promenierenden Publikums sammelte sich an, die Anfahrt der Wagen zu beobachten, und Severa empfand es als höchste Genugtuung, in einer Hofequipage vorfahrend, sich in diesen glänzenden Rahmen einreihen zu können, angestaunt von den neugierigen und neidischen Augen derjenigen, unter welchen sie selber noch vor kurzer Zeit mit einem Herzen gestanden, welches sich im Heißhunger nach Glanz und Genuß schier verzehrte.

Eine erlesene Gesellschaft wogte bereits in der Flurhalle und Gräfin Herdern wurde lebhafter noch wie sonst begrüßt.

Obwohl die so äußerst interessante Tatsache, daß Ihre Königliche Hoheit das Original des »Studienkopfes« sowohl, wie noch verschiedene andere originelle Persönlichkeiten, Künstler und namhafte Gelehrte, deren Porträts der Lichtsaal aufwies, bewogen hatte, zu dem Wohltätigkeitsfeste zu erscheinen und ihre Gemälde selber zu verkörpern – obwohl diese Überraschung noch geheim gehalten werden sollte, war das Gerücht doch bereits zu den Teilnehmern gedrungen und hatte lebhafte Erregung hervorgerufen!

Die jungen Mädchen freuten sich besonders auf eine sehr von ihnen geliebte Schriftstellerin, welche mit ihrem »süßen Baby« wirklich und leibhaftig erscheinen sollte, sich selbst zu stellen, auch teilten sie das lebhafte Interesse der jungen und älteren Frauen für einen berühmten Tenor, dessen gemalte Augen schon Unheil anrichteten – wieviel mehr erst die lebenden! für einen bedeutenden Maler, welcher in seiner feschen Tiroler Tracht bereits mit den derben Nägelschuhen über das Parkett stampfte, und, last not least, für einen weltbekannten Diplomaten und einen Geigenvirtuosen, dessen Glück bei den Frauen schon sprichwörtlich geworden war!

Die beiden letzteren trafen leider erst am Tage vor dem Feste ein.

Die Herrenwelt hingegen begeisterte sich schon jetzt für die leuchtenden Sterne, welche in Gestalt des so viel besprochenen und bewunderten Studienkopfes und etlicher Herzbezwingerinnen von den weltbedeutenden Brettern über der Residenz aufgehen sollten.

Welch ein Flüstern und Tuscheln ringsum, als Gräfin Herdern mit Severa Hoff eintrat! Die meisten der Herren drängten eifrig näher, sich vorstellen zu lassen, andere verharrten in der Ferne, um die »Schönste der Schönen« voll behaglicher Ungeniertheit zuvor mustern und beobachten zu können!

Herr von Tempelburg gehörte zu den letzteren. So kühl und reserviert, wie es seine Art war, trat er weit hinter die Säulenhalle zurück, aber Severas scharfes Auge, welches blitzschnell suchend über die Menge glitt, hatte ihn doch entdeckt und voll Genugtuung konstatiert, daß der Blick des Kammerherrn wie fasziniert an ihrem Antlitz hing.

Auch während sie den Damen vorgestellt wurde und die jungen und alten Herren sie voll liebenswürdigster Galanterie umdrängten, beobachtete sie, daß Herr von Tempelburg nur Interesse für sie zu haben schien.

Aber er blieb noch immer fern und Severa lächelte darüber.

Sie bemühte sich, den Damen gegenüber äußerst liebenswürdig, voll bezaubernder Anmut zu sein, wandte sie aber das Antlitz einem der Herren zu, so ging es wie ein Erstarren über die erst so strahlenden Züge, die großen Augen blickten ernst und die Lippen plauderten, ohne zu lächeln.

Man schritt nach dem Nebensaal, und Severas duftiger Kleidersaum streifte beinahe die Füße des Kammerherrn.

Da verneigte er sich tief und förmlich, – als er aber aufschaute, sah er, daß Fräulein Hoffs Lippen zum erstenmal einem Herrn entgegenlächelten, ihm!

Er war so überrascht, daß ihm das Blut in die Wangen schoß, aber er blieb stehen und folgte ihr nicht.

Komtesse Frieda wandte den Kopf.

»Sie warten auf die Herrschaften, Herr von Tempelburg? – Ich komme sofort zu Ihnen zurück, will Fräulein Hoff nur schnell in den Saal zu Exzellenz Kramer bringen!«

Die Minuten flogen dahin. – Wagen rollten in scharfem Tempo vor und ein gedämpftes Hurra schallte von dem Park durch die weit offenen Fenster herein.

Das Kronprinzliche Paar.

Wie ein verkörpertes Frühlingsgedicht schwebte die hohe Frau in den Saal.

So strahlend heiter und angeregt hatte man sie selten gesehen, so bildschön wie heute hatte sie wohl noch nie zuvor Toilette gemacht.

Welch ein Geschmack! Welch eine zarte Lieblichkeit! Das mattblaue Kleid von Seidenkrepp ward von dem Saum empor von knospenden Apfelblüten, so fein gestickt als wären sie gemalt, überrankt. Ein Gewirr von Spitzen und Chiffon schloß die Schleppe und gestaltete Taille und Ärmel zu wahren Duftwogen, aus welchen Sträuße von Apfelblüten hervorlächelten.

Die hohe Frau hatte den Hut nicht abgelegt. Riesengroß, eines jener undefinierbaren Gebilde von Seide, Blüten, Flittern und Tüll umrahmte er das Köpfchen wie ein Heiligenschein, so kleidsam und eigenartig, daß man den Blick kaum losreißen konnte.

Mit schnellem Blick musterte Severa dieses Meisterwerk der Frau Mode, als die Kronprinzessin, ein paar ältere Damen begrüßend, auf ihrem Weg zum Bühnensaal stehen blieb.

Wie ein jäher Stich ging es durch ihr Herz.

Ja, solche Toiletten! Wenn man sich derart kleiden und seiner Schönheit solche Folie geben kann, erlebt man wohl Triumphe!

Zuerst war sie mit ihrem schönen Seidenkleid so sehr zufrieden gewesen, jetzt plötzlich fand sie, daß es doch sehr alltäglich und durchaus nicht so eigenartig war, wie das der Prinzessin Ingeborg. Und diese Überzeugung fiel wie ein Gifttropfen in den vollen Becher der Freude und vergällte sie ihr.

O, wenn sie könnte wie sie wollte – sie würde der Welt noch andere Toiletten zeigen, – sie würde nicht rasten und ruhen, bis sie Erfolge erlebte, die selbst ihrem unersättlichen Ehrgeiz genügten! Wie brannte dies Verlangen und Wünschen in ihrem Herzen, selbst in diesem Augenblick, wo sie so viel erreicht hatte, so tausendmal mehr als sie je hoffen konnte, verbitterte der Hunger nach einem »noch mehr« die schönsten Augenblicke!

Die hohen Herrschaften wurden auf ihrem Weg noch des öftern aufgehalten, endlich war der Bühnensaal erreicht und die Prinzessin stieg in ihrer lebhaften Weise die kleine Treppe empor, das Podium zu betreten.

Aller Augen ruhten auf ihrer reizenden, lichtumflossenen Erscheinung.

»Sind unsere ›Porträts‹ eigentlich schon vollzählig versammelt?« rief sie heiter. »Ich habe den ›Studienkopf‹ noch nicht gesehn! Fräulein Hoff, wo sind Sie?«

Die junge Dame trat vor, sich tief und graziös zu verneigen, und die Prinzessin lachte abermals und winkte.

»Kommen Sie herauf, damit ich Ihnen auf dem ›Feld der Ehre‹ bonne chance wünschen kann!«

Severa stieg die wenigen Stufen empor und küßte im nächsten Augenblick die Hand der Prinzessin.

Von allen gesehen, im Schein der elektrischen Lampen standen die beiden schönen Gestalten, und die hohe Frau war so angeregt wie selten, spann die Unterhaltung länger aus wie gewöhnlich, und wenn sie auch kaum hinab auf das Publikum blickte, so entging ihr doch nicht die allgemeine Aufmerksamkeit, welche das »Doppelgestirn« erregte. Sie beobachtete es, wie man auch jetzt wieder Vergleiche zog, und begegnete sie einem Blick, welcher voll Bewunderung und Entzücken auf ihr haftete, so färbten sich ihre zarten Wangen höher und sie jubelte im Herzen über ihre geniale Idee, eine Rivalin an ihre Seite gestellt zu haben.

Nun erst hatte jeder Erfolg seinen besonderen Reiz, und wie wird sich erst mit der Zeit dieser lustige kleine Krieg amüsant gestalten, wenn immer heißer und lebhafter um jeden Triumph gestritten werden muß!

Der Kronprinz und die beiden Arrangeure traten herzu.

»Wir müssen stören, Ingeborg, selbst auf die Gefahr hoher Ungnade hin! Aber Herr von Redern macht mich soeben auf eine gewisse Notwendigkeit aufmerksam – den künstlerischen Beirat zu den Porträts! Du hattest die Absicht, sie ganz allein zu stellen?«

Die Prinzessin zuckte etwas unschlüssig die Achseln.

»Eigentlich war es meine Absicht ... aber jetzt ... wenn man vor der großen Aufgabe steht ...«

»Da du selber dein Porträt stellst, halte ich es für ganz ausgeschlossen, daß du Zeit findest, um alles persönlich zu arrangieren! Ein Kunstverständiger, ein Maler von Beruf, muß absolut zugegen sein, ich begreife nicht, daß man dich nicht sofort auf diese Unerläßlichkeit aufmerksam machte!«

»O, man sprach davon ... aber ich war ehrgeizig! entsetzlich ehrgeizig, Georg, und wollte allen Lorbeer allein ernten! Wenn du es aber für besser findest, daß ich mir eine tatkräftige Stütze suche, so will ich alle Ruhmsucht ablegen. Ein Maler muß es sein! Gut gesagt! Aber wen fordern wir von all den vielen Künstlern auf?«

»Wenn Königliche Hoheit einverstanden wären, vielleicht den Herrn Professor Spruch?« wagte einer der Herren auf den fragenden Blick der hohen Frau zu bemerken.

»Spruch? Ein Schlachtenmaler für solch friedliches Terrain? Undenkbar!«

»Leon Ferrari ist im arrangieren Meister!«

»Aber entsetzlich arrogant! Er würde nicht die mindeste Einsprache dulden!«

»O Ingeborg! Das ist eine verleumderische Konduite, die man ihm da ausgestellt hat!«

»Vielleicht Professor von Schwenk?«

Die Prinzessin wehrte mit drolliger Entrüstung ab!

»Gott bewahre uns! Dieser Fanatiker der geraden Linie!! Er würde uns allen die Arme und Hälse ausrenken, um hübsche scharfe Ecken zu erzielen! Brrr! Nur keinen Sezessionisten, bei welchem alles lila in lila oder grün in grün spielen muß!«

Heiteres Gelächter.

»Wissen Sie keinen Rat, Fräulein Hoff?«

Der Kronprinz fragte es und Severa schaute ihm nachdenklich in die Augen.

Ihr Herz schlug einen Moment hoch auf. Jetzt wäre der Moment gekommen, wo sie Manfred für all seine Treue und Güte danken könnte, wo es in ihre Hand gegeben wäre, ihm zu vergelten, daß er sie durch sein Bild aus Einsamkeit und Vergessenheit gerissen!

Wieviel könnte sie ihm in diesem Augenblick nützen!

Welche Reklame für ihn, den aufstrebenden jungen Künstler und sein gottbegnadetes Talent, wenn er als Arrangeur der lebenden Bilder, welche die Kronprinzessin veranstaltet, in allen Zeitungen genannt würde!

Einen Augenblick zuckte es durch Severas Sinn, ja, ich helfe ihm und nenne jetzt seinen Namen, ein paar warmherzig empfehlende Worte hätten sicheren Erfolg und sein Glück wäre gemacht!

Aber in demselben Augenblick sah sie Herrn von Tempelburg, ganz nah der Bühne, unverwandt zu ihr emporschauend mit dem Blick, welcher ihr so viel zu denken gibt.

Er interessiert sich für sie – er ist ein Falter, den es magnetisch nach dem Lichte zieht ... nur ein wenig Geduld, nur geschickt die Flamme geschürt, und er taumelt hinein!

Was würde Manfred dazu sagen?

Er würde in sinnloser Eifersucht ihr Glück, ihre Zukunft, all ihre gleißenden, hochfliegenden Pläne zerstören und sie womöglich in indiskreter Weise als seine Braut bezeichnen –!

Nimmermehr!

Es ist und muß zwischen ihnen aus sein, – für immer!

Nach diesen Stunden und Tagen im Fürstenschlosse weiß sie es, daß ihr Glück nicht in seinen Armen zu finden ist!

Was kann er ihr geben, – was ihr bieten?

Wie ein leises Echo hallte es durch ihren Sinn, – seine Worte, die er ehemals zu ihr gesprochen:

»Geld und Gut, Pracht und Ehre wohl nie, – aber das einzige, was die Welt nie und nimmermehr geben kann – den Frieden

Lächerlich!

Sie begehrt keinen Frieden!

Heißen, nervenaufrüttelnden Kampf verlangt sie, das ungestüme Ringen nach all dem, was einem armseligen Menschenleben Reiz und Wert geben kann!

Hinauf will sie! Hoch und höher! Was die Welt bieten kann an Genuß und Triumph, will sie zu eigen haben!

Wie ein Rausch hat es sie erfaßt, das Glück, welches seine goldenen Tore so jäh vor ihr aufgetan, blendet sie, – nun taumelt sie weiter auf der glatten, schillernden Bahn, welche vor ihr liegt.

Frieden!

Welch ein abgeschmacktes, fades Wort für eine, welche von fiebernder Unruhe getrieben wird!

Frieden!

Welch ein nüchternes Brunnenwasser für solche, die der Durst nach berauschendem Feuerwein verzehrt!

Frieden!

Welch ein Kindermärchen für ein Herz, welches nur Sturm und wilde Brandung noch in seinem Innern kennt!

Frieden! – Welch eine bleiche, geisterhafte Lilie inmitten eines wuchernden, glühenden und sprühenden, giftigen Tollkrautes!

Severa hebt das Haupt, etwas Grausames, Kaltes liegt in ihrem Blick, aber nur sekundenlang, dann lächelt sie dem hohen Frager »tief in das Herz hinein!«

»Ich bedaure lebhaft, Königliche Hoheit! Ich bin jedoch in der Residenz im allgemeinen und in den Künstlerkreisen im speziellen noch sehr fremd, – und das einzige, was ich je von einem Maler hörte, war der Ausspruch Leon Ferraris: ›Wer die Frau Kronprinzessin Ingeborg malt – dem hat die Göttin der Schönheit selber Modell gesessen!‹«

»Ah! Hört, hört!!«

»Und von diesem Manne willst du behaupten, liebe Ingeborg, daß er sich deinen Wünschen widersetzt?«

»Hat er das wirklich gesagt, Fräulein Hoff? Das von der Göttin der Schönheit?«

Ein beinahe naiver Ausdruck der Freude liegt auf dem süßen Gesichtchen der hohen Frau.

»Man kolportiert diesen Ausspruch als Tatsache, und ich gebe nur Gehörtes wieder! Da es die Wahrheit ist, darf man es wohl auch getrost glauben!«

»Bravo, Fräulein Hoff! Sie scheinen mit Leon Ferrari im Komplott! Wenn aber die Sachen so stehen, schlage ich vor, wir beglücken den begeisterten Künstler und gestatten ihm zum wenigsten, für die Göttin der Schönheit die olympische Pose auszuwählen! D'accord

Die Kronprinzessin lachte heiter auf. »Wie unmenschlich wäre es, wollte ich nach dem Gehörten nicht einverstanden sein. O Eitelkeit, dein Name ist Weib! Bitte, Baron Slavitz, tuen Sie das Ihre, den geschmackvollen Ferrari zur nächsten Probe hierher zu zitieren!«

Der Flügeladjutant verneigte sich lächelnd.

»Welch angenehmer Auftrag, einen Menschen zu beglücken!«

»Und nun wollen wir zuerst das Lustspiel proben! Bitte rufen Sie alle Beteiligten zusammen, Herr von Rödern! – Sie müssen sich die Zeit vertreiben so gut es geht, Fräulein Hoff ... bekannt sind Sie doch schon?«

»Was man so bekannt nennt, Königliche Hoheit! Ich wäre glücklich, einen Cicerone zu finden, welcher mich noch einmal, von gutem Beobachterposten aus, durch all die Wirrnisse fremder Namen führt! Vielleicht nimmt sich Herr von Tempelburg meiner an ... er ist das einzig bekannte Gesicht, welches ich im Umkreis sehe!«

Severa sagt es sehr harmlos und lächelnd, die Prinzessin aber wendet sich in ihrer lebhaften Weise sofort dem Genannten zu und winkt ihn heran.

»Lieber Kammerherr – Sie stehen heute im Dienst, vor allem aber im Minnedienst für uns Frauen! Ich vertraue Ihnen Fräulein Hoff an! Sie ist noch fremd! Suchen Sie bitte ein behagliches Plätzchen, wo sie alles sehen kann, und geben Sie ihr zu den einzelnen auftretenden Persönlichkeiten einen ausführlichen Kommentar!«

Sie scherzt und Tempelburg verneigt sich in seiner steifen, förmlichen Weise.

Das Blut ist ihm wieder ein wenig in das Gesicht geschossen, er bietet Severa höflich den Arm und führt sie durch die Kulissen auf kleinem Umweg in den Saal zurück.

Weit nach hinten, wo es hinter den vielen Stuhlreihen freier ist und rotsamtene Divans zwischen den schlanken Säulen stehen, schreitet er mit seiner schönen Schutzbefohlenen.

Severa ist schweigend gefolgt, jetzt, als er stehen bleibt und mit seiner leisen, verschleierten Stimme fragt, »ob das gnädige Fräulein befiehlt, hier Platz zu nehmen«, sieht sie ihn zum erstenmal wieder an.

»Ja, hier ist es schön! frei und luftig! Man sieht alles und wird nicht gesehn! Hier können Sie mich getrost meinem Schicksal überlassen, Herr von Tempelburg! Königliche Hoheit hat in ihrer großen Güte nur an mich und mein Amüsement, aber nicht an das Ihre gedacht! Ihr Dienst erstreckt sich nur auf die Herrschaften, – aber nicht auf mich!«

Er nimmt an ihrer Seite Platz.

»Heißt das: ich soll gehn – oder: ich darf gehn?«

»Welche Auffassung Ihnen die bequemste und liebste ist, soll gelten!«

Er lächelt. »Jedes ›muß‹ ist dem Menschen unsympathisch und darum wehrt er sich dagegen, jedes ›darf‹ aber ist eine Gewährung und macht reich und glücklich. Dennoch tut man nicht alles, was man darf. Besonders in diesem Fall! Sie gestatten mir zu gehn – aber ich sehe darin nur die Erlaubnis zum Bleiben, denn just diese ist es, welche mir momentan nicht die bequemste, sondern die liebste ist!«

»Das klingt so höflich, daß ich mir selber im Licht stehen würde, wenn ich Sie nicht beim Worte nähme!« Sie lehnt sich bequemer zurück, das seidene Kleid rauscht leise um ihre herrliche Gestalt und von der rosa Kuppel des elektrischen Lichts fällt gerade ein Streif auf ihren entblößten Hals.

Wie lebenswarmer Marmor glänzt er und der Strauß süß duftender, frischer Narzissen zittert an der Brust.

»Ich bin fremd hier! Sie aber kennen die Gesellschaft gewiß par excellence und können mir viele neugierige Fragen beantworten! Wer ist zum Beispiel die schlanke, rotblonde Dame, welche soeben die Bühne betritt?«

Tempelburg klemmt das Monokel ein. »Ah ... die Gräfin Chlodwig Taffy! Sie spielt die Rolle der jungen Witwe in dem Stück! Das könnte beinah zutreffen, sie ist jedoch eine geschiedene Frau!«

»Geschieden? Oh wie interessant! Wer war der Held des Romans, – sie oder der Gatte?«

»Leider der sehr unbegreifliche Graf! Schauderhafter Skandal! – War bereits ein älterer Mann und verliebt sich derart in die italienische Sprachlehrerin seiner Frau, daß er bei Nacht und Nebel mit ihr entflieht. Die arme Gräfin war Gegenstand allgemeinen Mitleids, sie hat sich jetzt getröstet, und man sucht ihr das Leben angenehm zu machen!«

»Und wo blieb der Graf?«

Der Kammerherr zuckte die Achseln. »Er träumt irgendwo ein Liebesidyll und hat an einen hiesigen Freund geschrieben: er sei namenlos glücklich!«

»Sie sagen das mit einem sehr ungläubigen Gesicht!«

»Ich glaube auch nicht an ein Glück, welches durch Verrat und Treubruch erkauft wurde!«

»So glauben Sie auch nicht an die Liebe?«

Tempelburg zuckte die Achseln.

»Auch diese bezweifle ich. Zwei derart grundverschiedene Menschen, wie dies entflohene Paar, können sich nicht wahrhaft lieben. Sie leben jetzt in einem Rausch der Leidenschaft, ist der verflogen, bleibt nur Elend zurück!«

»Da denke ich doch anders. Gerade in der guten Gesellschaft nennt man heutzutage ›Liebe‹, was keine Liebe ist. Eine Übereinstimmung der Namen, Titel und Mittel – eine passende Partie – aber keine Liebe. Man geht kühl und wohl verträglich nebeneinander her und kennt kein Glück, weil man nie kühn die Hände danach ausstreckte! Kommt aber dann plötzlich die Erkenntnis, fällt der Funken ins Herz und läßt die heiße, blendende Flamme auflodern, welche ein geknechtetes Herz die Freiheit erzwingen läßt, dann schütteln die Leute den Kopf und verstehen solch beneidenswerten, vermeintlichen Toren nicht!«

Die Musik hatte eingesetzt, Severa mußte sich sehr nah zu dem Kammerherrn neigen, damit er ihr Flüstern verstand, der süße Blumenduft wehte zu ihm empor.

Die schweren Augenlider hoben sich, beinahe erschrocken starrte er sie an: »Sie verteidigen Untreue und Leichtsinn?«

Severa lächelte. »O nein! Ich verurteile die Treulosigkeit wohl noch schärfer wie Sie, aber für die Liebe werde ich stets eine Lanze brechen! Jene schlanke, elegante Frau auf der Bühne dort müßte doch, ihrem Äußern nach zu urteilen, einen Mann gefesselt haben! Es war wohl ein anderer Mangel oder Fehler, welcher ihn in die Arme einer Fremden trieb! Wenn zum Beispiel eine Frau geistlos und langweilig ist, mag sie so schön sein wie eine Göttin, sie wird ihrem Gatten das Leben dennoch öde und unerträglich machen!«

Severa sagte es leichthin, graziös und lächelnd, wie alles andere, aber der Kammerherr zuckte unmerklich zusammen und hob jählings das geneigte Haupt.

»Ah! welch eine wahre Ansicht sprechen Sie aus! Ja, geistlos ... langweilig ... das ist schlimmer wie die ärgste Häßlichkeit! Sie glauben nicht, mein gnädiges Fräulein, wie solch ein stupides Einerlei einem Manne auf die Nerven fallen kann!«

»O ja, ich glaube es! Ich besitze einen Anverwandten, welcher das Unglück hatte, eine ... Pardon für das harte Wort! – sehr dumme, hübsche Frau zu heiraten. Die Ehe war ein Martyrium für ihn, denn jedwede Anregung, all die bezaubernde Vielseitigkeit, durch welche geistig rege Frauen ihre Männer stets aufs neue erfrischen, fehlte in dieser trostlosen Einförmigkeit vollkommen! Wenn eine Frau jedoch uninteressant wird, so ist sie moralisch tot für ihre Umgebung. Mein armer Vetter konnte sich nach ihrem Tode lange nicht entschließen, wieder zu heiraten, da ihm die trostlose Leere seiner ersten Ehe stets wie ein Schreckgespenst vor Augen schwebte! – Glücklicherweise lernte er später eine Dame kennen, welche nicht nur sehr hübsch, sondern auch klug und reizend amüsant war, und als er sie heimführte, war er der beneidenswerteste der Sterblichen!«

»Glücklich? Tatsächlich glücklich?« Es klang beinahe wie eine geheime, ungläubige Ängstlichkeit in des Fragers Stimme, – wieder ruhte sein Blick wie verzaubert auf dem lebhaften, bildschönen Antlitz seiner Nachbarin, deren dunkle Augen blitzten und strahlten, als gingen heiße Ströme von Lebenslust und Lebenswonne von ihnen aus.

»Tatsächlich glücklich! Jetzt erst lernte er ein Dasein kennen, welches wie feuriger Sekt gegen widerliche Limonade wirkte!« – Severa lachte und steckte den sich lösenden Narzissenstrauß fester an den Busen. »Wer weiß, ob er jemals mutig genug gewesen wäre, dies große Glück zu erringen, wenn er sich nicht auch, wie der Gatte der blonden Gräfin dort – über kleinliche Äußerlichkeiten hinweggesetzt hätte! Meine zweite Cousine war arm, auch nicht von so alter Familie wie mein Vetter, welcher dem Uradel angehört, aber trotz dieser Mängel entschloß er sich sehr schnell, sie heimzuführen, und hat diese opfermutige Liebe nie bereut! – Aber nun helfen Sie meiner Unkenntnis weiter, Herr von Tempelburg! Wer ist jener Ulan, welcher soeben die junge Witwe auf der Bühne mit seinen Ansichten über Politik langweilt?«

Der Kammerherr blickte flüchtig auf.

»Leutnant von Versen! – Er spielt einen russischen Diplomaten in dem Stück. Von ihm ist nicht viel zu berichten, als daß er ein guter Tänzer und sehr schneidiger Reiter ist! Aber sagen Sie, mein gnädiges Fräulein ... wie lange ist Ihr Herr Vetter jetzt schon verheiratet ... respektive wie lange hielt das Glück seiner zweiten Ehe vor?«

»Mein Vetter? ... Ah so! von welchem wir soeben sprachen? – O, der ist jetzt wohl schon im achten oder neunten Jahr mit seiner schönen Gerda verheiratet! Ich war noch ein Kind, als ich stets durch die Unterhaltung der Eltern von dem Elend seiner ersten Ehe hörte, – später erzählte er mir selber von dem schier unfaßlichen Wandel seines Schicksals!«

»Die erste Ehe war kinderlos?«

»O nein! Ein kleines Mädchen starb bald nach der Geburt, ein zweites Töchterchen lebte – –« Die Sprecherin blickte sehr interessiert nach der Bühne und schien kaum noch Gewicht auf dieses Thema zu legen, Herr von Tempelburg aber fuhr hartnäckig fort:

»Und stammen auch Kinder aus der zweiten Ehe?«

»Leider nur ein Sohn! Aber er genügt dem überseligen Vater, denn er hat Geist und Klugheit von der Mutter und die vornehmen Gesinnungen des Vaters geerbt. – Der wandelnde Beweis dafür, wie richtig mein Vetter gewählt hatte! – Ah ... eine neue Erscheinung auf der Bühne! Welch ein allerliebstes Backfischchen – –«

Severa unterbrach sich und erhob sich in ihrer sehr liebenswürdigen Weise, Gräfin Herdern war herzugetreten, gefolgt von zwei höheren Militärs, welche den Wunsch hatten, Fräulein Hoff vorgestellt zu werden.


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