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VI.

Welch ein unbeschreiblicher Augenblick war es in Severas bisher so einsamem Leben, als sie den Brief der Gräfin Herdern in der Hand hielt und an den stürmischen Schlägen ihres eigenen Herzens zu ersticken glaubte!

Sie hatte viel erhofft, – so viel nicht!

Als Gast der Hofdame sollte sie in dem Schlosse selber wohnen, sollte für Toilette sorgen, um an der Familientafel der hohen Herrschaften teilzunehmen oder abends mit der Gräfin in die Oper zu fahren!

War das überhaupt auszudenken?

Wie ein Schwindel brauste es durch das Haupt des schönen Mädchens, voll leidenschaftlichen Entzückens gab sie sich dem Glück dieser berauschenden Nachricht hin, – allein, ungesehen in ihrem kleinen Mansardenstübchen, welches sie mit brennendem Blick überflog, wie ein Gefangener die gesprengten Ketten mustert, die ihn jahrelang wund gedrückt haben und die er endlich, endlich abgestreift, um frei zu sein!

Mit hochroten Wangen, ihrem heimlich Verlobten nur flüchtig die Hand drückend, stürmte das junge Mädchen über die Schwelle.

Sie warf Mantel und Kopftuch erregt beiseite, so nichtachtend, als lohne es sich kaum noch, diese schlichten Kleidungsstücke zu schonen.

Ihre Lippen bebten, – sie dehnte die Arme und reckte die schlanke Gestalt empor, als müsse sie erst genugsam Luft schöpfen, um so viel schwerwiegende Dinge zu verkünden.

Manfred lachte belustigt auf und zog sie auf einen der altfränkischen Lehnstühle nieder.

»Mädel komm zu dir!« scherzte er, »so aufgeregt habe ich dich ja noch nie gesehn! Hast du mit der Kronprinzessin Schwesterschaft gemacht, oder bist du bereits in den Fürstenstand erhoben? Schnell erzähle, ich bin zum erstenmal im Leben sehr neugierig!«

»Alles der Reihe nach! von vorn an!« sagte die Rätin in ihrer trockenen Weise. Sie nahm den Mantel und das Tuch, glättete beide sehr sorgsam und hängte sie über einen Stuhl.

»Ja, der Reihe nach!« nickte Severa mit flimmerndem Blick. »O, es gibt kaum Worte, um so viel Pracht und Herrlichkeit, so viel berauschendes Glück zu schildern!« – und sie begann in überschwenglichster Weise das Kronprinzliche Palais in allen Details zu schildern. Und dann kam sie zu der Begegnung mit der hohen Frau selber!

Mit glühendsten Farben malte sie die Eleganz, die Schönheit, die Liebenswürdigkeit!

Sie schwelgte noch nachträglich in all dem Glanz, welcher sie während der flüchtigen Stunde umstrahlt, in der Fürstengunst, welche sie berauscht hatte, wie ein feuriger Wein, und während sie immer lebhafter sprach und Manfred voll freudigen Interesses an ihrem Entzücken teilnahm, saß Frau Hoff immer schweigsamer und blickte immer kühler und ernster in das leidenschaftlich gerötete Gesicht der Tochter.

Als Severa von dem geplanten Gartenfest der Kronprinzessin und den in Aussicht genommenen lebenden »Gemälden« – nicht Bildern! – sprach, blickte die alte Frau zum erstenmal etwas interessierter auf.

»Du hättest bei dieser Gelegenheit sehr gut Veranlassung nehmen können, Manfred, den Maler des Studienkopfes, als künstlerischen Beirat zu empfehlen!« sagte sie, einen scharfen Blick auf das schöne Antlitz der Sprecherin heftend. »Dachtest du nicht daran, ihm dadurch sehr nützen zu können?«

Severa schaute höchst überrascht auf. »Richtig! O wie dumm! Daran habe ich in all der Erregung nicht gedacht!«

Der junge Maler wehrte beinah erschrocken ab. »Um Gottes willen, beste Tante, der Gedanken hat etwas mehr Beklemmendes wie Erfreuliches für mich! Kennst du nicht den alten Vers:

»Geh' du nicht zu deinem Fürst,
Wenn du nicht gerufen wirst!?«

Er gilt auch in diesem Fall! Man würde Severas empfehlende Worte leicht mißverstanden und mich womöglich für einen zudringlichen Gesellen gehalten haben! – Nur das nicht! Ich bin durchaus nicht prinzentoll und mit dem herrlichen Erfolg, welchen ich so wider Erwarten mit meinem Bild errungen, reichlich zufrieden!«

»Gleichviel! Ein empfehlendes Wort von dritter Seite kann niemals aufdringlich wirken, und es würde dir fraglos viel nützen, in der Hofgesellschaft bekannt zu werden! Ich hoffe sehr, daß Severa bei einer Probe noch Gelegenheit findet, dich in schicklicher Weise zum Arrangeur der Gemälde vorzuschlagen!«

»Gewiß! ich werde selbstredend mein Heil versuchen!« versicherte das junge Mädchen mehr nachgiebig wie eifrig. »Kann ich es der Prinzessin nicht selber sagen, so doch sicher der Gräfin Herdern!« und dann fuhr sie abermals fort, sich in den hochfliegendsten Vermutungen zu ergehen, wie wohl jenes herrliche Fest das Schönste und Glanzvollste sein würde, welches sie armes Aschenbrödel jemals schauen werde!

Manfred freute sich gutmütig über ihr Glück, welches wahrlich nicht viel andern jungen Damen aus bürgerlicher Familie blühe, und er vermißte nicht einen Augenblick, daß Severa nicht ein einziges Wort des Dankes und der Anerkennung für ihn hatte, für ihn, welcher doch durch sein Gemälde der Urheber war, daß ihr all diese Auszeichnungen zuteil wurden. Hätte er sie nicht kraft seines genialen Pinsels der Verborgenheit entrissen, wer hätte jemals bei Hofe nach einer Severa Hoff gefragt?

Aber dieser Gedanke lag seinem bescheidenen und anspruchslosen Sinn so fern, wie er der Regierungsrätin nahe lag.

Ein herber Zug lag um deren Lippen.

O, sie kannte ihr selbstsüchtiges, undankbares Kind, welches nie an den Vorteil anderer, sondern nur einzig und allein an sich dachte!

Wie hatte es sie empört, als sie nachträglich erfahren, daß Severa ehemals den Vetter umgehend nach der Residenz zurückgeschickt hatte, den Antwortsbrief an die Hofdame zu schreiben, ohne ihm auch nur eine Rast zu gönnen oder ihm eine Erfrischung anzubieten!

Das sah Severa, der Kalten, Rücksichtslosen ähnlich!

Mit tiefem Kummer empfand die Regierungsrätin diesen Mangel an Herzensgüte und Dienstwilligkeit bei ihrer Tochter, welchem sie trotz all ihrer Mühe nicht hatte abhelfen können!

Sie, welche Severas stolzen, hochfahrenden Sinn so viel besser kannte wie Manfred, erachtete die Auszeichnung durch die Kronprinzessin mehr als ein Unglück als ein Glück für ihr Kind.

Wie sollte sie sich in die kleinen, ärmlichen Verhältnisse finden, wenn sie erst die Höhen und die Üppigkeit eines Lebens kennen gelernt hatte, welches für sie auf die Dauer ja doch unerreichbar war?

Welch eine Unzufriedenheit wird dann erst das Herz der schon jetzt so Unbefriedigten vergiften? Wie doppelt schwarz muß ihr dann, nach der brennenden Helle im Königsschloß die Nacht in ihrem weltvergessenen Mansardenstübchen erscheinen!

Daß Severa in die Kreise, in welche sie doch nicht hineingehörte, heiraten könne, schien ihr undenkbar. Sie gehörte nicht zu den verblendeten Müttern, welche für die Schönheit der Tochter zum mindesten den Prinzen aus dem Märchenbuch verlangen!

Und tief in ihrem Herzen, da lebte geheim ein gar lieber Gedanke, – sie hoffte Severa dereinst als Manfreds Weib zu sehen!

Das würde ihr Glück, ihr einzig wahres Glück sein, denn Frau Hoffs ernste, kritische Augen sahen scharf, und sie hatte in dem Neffen einen gar so vortrefflichen, soliden, ehrenhaften und edeln Menschen erkannt, daß wohl kaum ein anderer kommen konnte, welcher so viel Garantien für das wahre Wohl an Leib und Seele für ihr Kind bot wie er!

Wenn Severa nicht taub und blind ist, wenn sie nicht selber in wahnwitziger Hoffart ihr Lebensglück unter die Füße tritt, so wählt sie nicht die ruhelose Jagd nach Ehre und Gold, sondern den stillen Frieden am Herzen des besten aller Männer!

Severa kann durch ihre Bevorzugung bei Hofe viel für Manfreds Zukunft tun, und damit leistet sie nicht ihm allein, sondern sich selber für die Zukunft den größten Dienst.

Ihr dies klar zu machen, deucht ihr jetzt die heiligste Pflicht.

Sie blickt auf die Uhr und erhebt sich.

»Es ist die höchste Zeit, daß du dich umkleidest, Severa, wir müssen präzise hier fortgehn, damit wir den Zug nicht versäumen!«

Ein Schatten fliegt über das strahlende Gesicht der Genannten.

Sie wirft ironisch die Lippen auf und blickt mit schnellem Blick an sich nieder.

»Umziehen! Wie langweilig! Ist denn dies jammervolle Wollfähnchen wirklich so kostbar, daß es keine Eisenbahnluft verträgt?«

Die Rätin zuckt mit gefurchter Stirn die Achseln.

»Es ist doch das beste und einzige dieser Art, welches du besitzt, und ich habe kein Geld, dir für die Proben neue und kostbare Toiletten anzuschaffen.«

Ein kurzer, beinahe zorniger Seufzer; mit brüsker Bewegung erhebt sich das schöne Mädchen. Dann fällt ihr wohl ein, daß solche Art keinen guten Eindruck auf Manfred macht.

Sie zwingt sich zu einem Lachen und scherzt mit dramatischer Geste: »Bäumlein, Bäumlein rüttle dich, wirf Gold und Silber über mich! Ach, Manfred, es ist ein Elend, daß es nur noch in Märchenbüchern Konfektionshäuser in Form wundertätiger Bäumlein gibt!!«

Er lacht und versichert: »Der Baum eines freundlichen Schicksals habe mehr Schönheit, denn goldene und silberne Kleider über sie geschüttet!« Sie macht eine ungläubige Handbewegung und verschwindet hinter der Ateliertüre.

Manfred aber tritt hastig neben die Rätin und sieht sie mit seinen großen, treuherzigen Augen an, – bittend wie ein Kind.

»Liebste Tante!« flüsterte er, »Severa erwies mir einen so großen Dienst, als sie mir Modell saß und mein Bild durch ihre Schönheit berühmt machte, ich möchte mich ihr so gerne dankbar erweisen, und kann es nicht! Du weißt, ich hatte sehr schöne Einnahmen in letzter Zeit, und werde deren noch mehr haben! Hier nimm diesen Schein! Kaufe Severa zu den Hoffesten die nötige Toilette, einfach, aber elegant und kleidsam! Sie trägt unsern Namen, – es würde mir sehr leid sein, geschehe es nicht in aller Würdigkeit!«

Das Gesicht der Witwe sah in diesem Augenblick noch blasser und starrer aus wie sonst, es mochte wohl an der Lampenbeleuchtung liegen.

Sie blickte einen Augenblick regungslos auf den Geldschein nieder, dann schüttelte sie langsam das Haupt.

»Nein, Manfred, nein! Ich weiß nicht, ob ich dir die Summe jemals zurückgeben kann, ob Severa dir solchen Opfermut danken und lohnen wird!« Ihre Stimme klang gepreßt und tonlos. »Sie ist ein wunderlicher Charakter ... Du hast heute abend selbst gesehn, daß sie nur an sich, und nicht an andere denkt!«

Der junge Maler lachte und faßte die Hand der Sprecherin mit warmem Druck. »Ich verlange weder von dir einen Schuldschein, beste Tante, noch von deiner Tochter Dank oder Anerkennung im landläufigen Sinne! Severa glücklich zu sehn, ist mein schönster Lohn, mehr verlange ich nicht, und wenn sie mir ihre Zuneigung nur so erhält, wie sie mich jetzt durch dieselbe beglückt, so haben diese paar Taler mehr Zinsen getragen, als ich je von ihnen erhoffen konnte. Also bitte, verlier gar kein Wort weiter wegen dieser Bagatelle, sondern mach uns alle dadurch froh und zufrieden!«

Die Rätin schaute dem Neffen mit warmem Blick in die Augen, kurz und herzlich drückt sie seine Hand. »Du bist ein lieber Mensch, Manfred, ich danke dir!« sagte sie kurz, wandte sich zu dem Fenster und blickte in die dunkle Nacht hinaus. Die Hand, welche auf dem Riegel ruhte, bebte leise, und der junge Maler respektierte die schmerzliche Erregung, welche in diesem Augenblick wohl mehr denn je das Herz der einsamen Frau durchbebte.

Nach ein paar Minuten begann er in heiterm Ton zu plaudern – »wie es wohl am besten und praktischsten eingerichtet würde, daß Severa während der Proben und des Festes selber Aufenthalt in der Residenz nehmen könne, er wolle bei bekannten Damen anfragen, ob seine Cousine bei einer von ihnen Aufnahme finden könne,« – da ward das Interesse der Rätin wieder lebhaft angeregt, und sie überlegten und besprachen die Angelegenheit in der alten, freundschaftlichen Weise.

Während Manfred mit allen Gedanken bemüht war, für Freude und Glück der Geliebten voll selbstloser Treue zu sorgen, stand Severa vor dem kleinen Spiegelchen und warf mit unwilliger Bewegung das »dürftige Fähnchen« von sich.

Eine finstere Wolke lag auf dem erst so strahlenden Gesicht und der scharfe Zug um ihre Lippen nahm beinahe etwas Feindseliges an, als sie dieses Dachkämmerchen musterte, es mit der stolzen Pracht des Fürstenschlosses verglich und sich sagte, daß möglicherweise ihr ganzes zukünftiges Leben sich in derartigen Räumen wie diesen hier abspielen werde!

Mit leidenschaftlicher Bewegung schüttelte sie das schöne Haupt. – »Nur das nicht! – Sie würde sterben in solcher Umgebung! Sie hat heute die blendende Lichtflut von Rang, Macht und Reichtum geschaut, und sie wird nicht eher Ruhe finden, bis diese Lichtflut ihr Lebenselement geworden, in welchem sie für immer daheim sein wird!«

Die Blumen, welche Manfred ihr als Liebesgabe gereicht, für welche er sein sauer verdientes Geld gab, damit sie geschmückt zu der Prinzessin fahren sollte, fielen zur Erde.

Severa sah ihnen gleichgültig nach, sie beugt sich nicht, sie aufzunehmen, hart und grausam trat ihr Fuß sie nieder.

Warum auch nicht? Was waren diese armseligen Blümchen wert? In dem Haar der Prinzessin hatten kostbare Juwelenkämme geblitzt, die Gräfin trug goldene Nadeln, welche wertvolle Gemmen hielten ... sie aber machte sich lächerlich durch ein Sträußchen, welches höchstens eine Mark gekostet hatte!

Severa beißt die Zähne zusammen.

Wie ein Fieber beschleicht es sie, das ungestüme, leidenschaftliche Verlangen nach Geld und Rang, nach Üppigkeit und Wohlleben!

Hat sie nicht schon tausendmal den Spruch gehört: »Schönheit ist Reichtum, Schönheit ist Macht!?«

Sie ist schön, aber was hat ihr diese Schönheit bis jetzt eingebracht?

Nichts! – nichts!

Bis jetzt! Aber es soll anders werden!

Sie fühlte, sie empfindet es an dem Stürmen und Drängen in ihrer Brust, sie hat heute an dem Wendepunkt ihres Lebens gestanden, sie hat zwei Wege vor sich gesehen, einen schmalen, mühseligen und steinigen, auf welchem nur die Nesseln der Entbehrung, Erniedrigung und Vergessenheit wucherten, – fern, fern vielleicht ein kleines, winkendes Sternlein, welches der Schwärmer und Phantast Manfred »den Frieden« nennt, – und daneben die breite, stolze Straße, zu welcher goldene Tore führen, – eine Straße, welche in blendendem Sonnenglanz liegt, überschüttet von Rosen und glühendem Mohn, übersät von Perlen und Brillanten, eine Straße, welche schwindelnd hoch emporführt zu allem, was die Welt an Genuß und Reizen bietet!

Und sie hat gewählt.

Ja, sie hat es getan, schon jetzt.

Ohne Besinnen.

Sie hat sie seit jeher gehaßt, die enge, kleine Pforte, das mühselige Schreiten auf steinigem Boden! Heute zum erstenmal glitt ihr Fuß über weißen Marmor, schwellende Teppiche und spiegelndes Parkett, und sie empfand es voll heißen Entzückens, was es heißen will: zu leben! Nun wird sie nicht rasten und ruhen, bis sie diesen gleißenden Boden für immer unter den Füßen fühlt, bis sie all das erreicht und sich untertan gemacht hat, was in der Ferne so lockend und zauberisch winkt!

Und Manfred?

Einen Augenblick geht es wie ein banges Aufzucken durch ihr Herz.

Sie liebt ihn! – Wenn sie überhaupt fähig ist zu lieben, so ist er es, dem das Gute, Edle und Reine in ihr voll innigen Sehnens entgegenstrebt.

Als er sie zuerst im Arm gehalten und ihr sein Herz geschenkt, da empfand sie ein wundersames Gefühl stiller, himmlischer Glückseligkeit.

»Das ist das Glück!« sagte sie sich, »das Glück, welches einzig und allein der Seele Frieden gibt!«

Und sie verlangte in jenen Stunden nicht mehr.

Phantastische Mädchenträume!

Sie kannte noch nichts anderes, sie war blind und taub und griff tastend nach einem Fünklein, wähnend, es sei die Sonne!

Manfred!

Muß sie ihn aufgeben, für immer aufgeben?

Ein trotziger Zug schürzt ihre Lippen.

Das steht bei ihm!

Ringt er sich schnell, sehr schnell empor zu Reichtum und Ehre, ehe ein anderer kommt, welcher ihr mehr bieten kann, so wird sie die Seine bleiben, – läßt er jedoch nicht ab von seiner Marotte: »Geld und Ruhm zu verachten,« und eine Hütte und ein Herz dem Palast vorzuziehen, so wird sie ihn ohne Besinnen und ohne Zaudern aufgeben! Ein jeder ist seines Glückes Schmied. – Fürerst aber bedarf sie seiner noch. Seine helfende Hand, seine Kunst sind ihr noch unentbehrlich.

Er ist die Planke, über welche sie sich an glänzende Gestade hinüberschwingt!

Ein kurzes Klopfen an der Türe.

»Severa! es ist die höchste Zeit!« ruft die Mutter.

Da schrickt sie empor, rafft achtlos ihre Sachen zusammen, und packt sie ohne jede Sorgfalt ein.

Hoffentlich ist die Zeit dieser kläglichen Fähnchen bald um.

Sie lächelt wieder, ihre Augen blitzen, als schauten sie weit, weit in die Zukunft – –

Auf dem Weg zum Bahnhof ist sie von beinahe aufgeregter Heiterkeit.

»Wenn du erst einmal Professor bist, Manfred, mußt du dir einen eleganten Viererzug anschaffen, und uns höchst forsch zur Bahn fahren!« lacht sie. »Dieses ›Zu Fuße gehn‹ ist langweilig!«

Er schüttelt heiter den Kopf. »Gott soll mich bewahren, mich, faul in einen Wagen zu setzen, so lange ich noch gesunde Füße habe! Was ist schöner, wie solch ein Wandern durch den Mondenschein?« – Er drückt ihren Arm zärtlich an sich und summt mit glänzendem Blick:

»Es blinkt der Tau in den Gräsern der Nacht,
Der Mond steigt herauf in voller Pracht,
Die Nachtigall singt in den Büschen,
Es schwebt über Wiesen im Dämmerschein,
Der ganze Frühling duftet hinein.
Wir beide wandeln dazwischen!«

Er neigt sich vor und sucht ihre Augen, aber Severa hat viel damit zu tun ihr Kleid hochzunehmen, und Manfred sieht nicht das ironische Lächeln, welches ihre Lippen kräuselt.

* * *

Ein völlig neues Leben scheint schon jetzt für Severa angebrochen.

Wenige Tage nur sind vergangen, als schon ein sehr liebenswürdiges Schreiben von Gräfin Herdern eintrifft, und dem jungen Mädchen mitteilt, daß die geniale Idee, die lebenden »Gemälde« betreffend, sowohl bei dem Königspaar, wie auch bei Seiner Königlichen Hoheit dem Kronprinzen viel Anklang gefunden, und nun ganz bestimmt anläßlich des Wohltätigkeitsfestes ausgeführt werden solle. Man halte allgemein die Kronprinzessin für die »Mutter des Gedankens«, was Hochdieselbe sehr amüsiere! – Es wäre schade, diese Illusion eines begeisterten Publikums zu zerstören! – Die erste Probe solle Dienstag, den 14. d. M., in dem großen Wintergarten des Kronprinzlichen Schlosses stattfinden, und da Severa als »Studienkopf« dem »Lichtsaal« zur besondern Zierde gereichen solle, bäte sie die junge Dame, recht präzise zu der, in nachfolgender Einladung angegebenen Stunde zu erscheinen!

Severa las den Brief sehr aufmerksam durch.

Die Kronprinzessin als »Mutter des Gedankens!«

Ein feines Lächeln zuckte um ihre Lippen.

War das Absicht? – O, gewiß, sie »merkte die Absicht und ward durchaus nicht verstimmt!« Im Gegenteil, – die Lorbeeren, welche sie der hohen Frau neidlos abtrat, würden ihr reiche Früchte tragen, des war sie gewiß.

Zu gleicher Zeit traf ein Schreiben von Manfred ein.

Er teilte voll dankbarer Freude mit, daß die sehr liebenswürdige ältere Gattin eines Großkaufmanns, welche er soeben porträtiere, mit viel Vergnügen bereit sei, Severa, für welche sie sich schon wegen des »Studienkopfes« lebhaft interessiere, für die acht oder vierzehn Tage der Proben und des Wohltätigkeitsfestes als lieben Gast bei sich aufzunehmen. – Dies sei doch sehr angenehm, da dadurch der Aufenthalt in einer kostspieligen Pension unnötig werde. Severa möchte doch baldmöglichst der Dame, deren Adresse beifolge, persönlich antworten.

Das junge Mädchen blickte durchaus nicht erfreut und beglückt auf den Brief nieder.

Ein unwilliger Zug lag um ihre Lippen.

Die Frau eines Großkaufmanns! Was bildet sich Manfred ein! Wenn sie ein Fest in der Hofgesellschaft mitmachen soll, kann sie unmöglich in einem bürgerlichen Hause absteigen. In einer vornehmen Fremdenpension oder Hotel würde ihr Aufenthalt viel angemessener sein, aber allein kann sie dort nicht gut wohnen, und für die Mutter und sie würde ein so langes Verweilen daselbst unerschwinglich sein.

Nein, kosten darf ihr Aufenthalt nichts.

O dieses Geld! Dieses furchtbare Rechnen und Knausern, dieses entsetzliche Armsein!

Eine tiefe Falte gräbt sich zwischen die feinen Augenbrauen, Severa neigt das Haupt und nagt sinnend an der Lippe. – Plötzlich blitzt es in den dunkeln Augen auf, ein energischer, beinahe leidenschaftlicher Entschluß.

Daß der so viel besprochene, landbekannte »Studienkopf«, welcher so viel Aufsehen gemacht, sicherlich ein Hauptanziehungspunkt des »Lichtsaales« werden soll, steht fest. – Die liebenswürdige Hast der Hofdame, sich ihrer zu versichern, beweist, wie viel Wert die Prinzessin auf ihre Anwesenheit legt.

Nun gilt es einmal, ein gewagtes Spiel spielen! Glückt es, so triumphiert Severa abermals, droht es zu mißglücken, so ist noch immer Zeit genug, einzulenken und die Einladung der Kaufmannsgattin als Notbehelf anzunehmen. Und mit fiebernden Pulsen setzt sich Fräulein Hoff hin und antwortet der Gräfin.

Der Brief ist ein kleines Kabinettstück und würde dem besten Diplomaten Ehre machen!

Sie schreibt in liebenswürdigster, gewandtester Form, – ihr Dank für die große Auszeichnung, für die so sehr gütige Protektion der Gräfin klingt scharmant! Aber – welch ein Herzeleid! – Das originelle Kostüm liegt bereit, all ihre Sehnsucht gilt dem Lichtsaal – und plötzlich zeigt sich ein unüberwindliches Hindernis! – Sie ist völlig fremd in der Residenz, allein im Hotel zu wohnen ist unmöglich, auch leider viel zu kostspielig – und so müßte sie aus purer, reiner »Obdachlosigkeit« auf das große Glück verzichten, die Triumphe der Frau Kronprinzessin mit Augen schauen zu können! Daß Hochdieselbe als »Mutter des genialen Gedankens« gelte, sei doch durchaus nicht nur »amüsant«, sondern eine unleugbare Tatsache. Niemand anders als Ihre Königliche Hoheit habe zuerst von den »lebenden Porträts« gesprochen und damit doch nur die Wiedergabe des Lichtsaals der Nationalgalerie gemeint, wie Severa angenommen und ausgesprochen! Sie flehe die Gräfin an, um keinen Preis einen Irrtum in dieser »Rechtsfrage« aufkommen zu lassen, deren Lösung einzig und allein der Frau Kronprinzessin zukomme.

Noch ein paar angenehme Schlußwendungen und in fliegender Hast schob sie den Brief in den Umschlag und griff nach dem Hut, um das wichtige Schriftstück persönlich zur Post zu bringen.

Der Frühlingssturm sauste durch die jung belaubten Bäume, da sah es aus, als ob sie alle voll warnender Angst die Zweige hoben und der Eilenden abwinkten, – es seufzte und stöhnte in der Luft wie bange Sorge um ein junges Menschenherz, und die Regentropfen, welche schwer und dick herniederfielen, glichen Tränen, welche gute Geister um ein irrendes Menschenkind weinen.

* * *

Gräfin Frieda hatte den Brief des »bildschönen Fräulein Hoff« zuerst voll größten Wohlgefallens gelesen, ja, als diese die Autorschaft des originellen Gedankens so liebenswürdig und diskret der Prinzessin abtrat, leuchtete es besonders zufrieden und anerkennend in ihren Augen auf.

Plötzlich aber ging es wie ein jähes Erschrecken über ihre frischen Züge.

Eine Absage! Der »Studienkopf« soll ungestellt bleiben, weil Fräulein Hoff kein Absteigequartier in der Residenz hat! An solch einer Bagatelle soll der ganze, so heiter geplante »Nebensonnenscherz« der Prinzessin scheitern?

Undenkbar!

Die Hofdame drückte heftig auf den Knopf der elektrischen Klingel und gab dem eintretenden Lakai Befehl, sofort der Kammerfrau der Frau Kronprinzessin zu melden, daß die Gräfin Hochdieselbe sehr dringlich um eine Audienz bitten lasse, wenn möglich noch während der Toilette.

Die Antwort erfolgte umgehend, daß Königliche Hoheit die Toilette bereits beendet habe und das Frühstück in Abwesenheit des Kronprinzen soeben allein einnehme! Das Erscheinen der Gräfin sei sehr erwünscht.

Wenige Minuten später saß die Hofdame ihrer liebreizenden Gebieterin auf dem rosenumkletterten Balkon an dem mit elegantem Silbergeschirr reich besetzten Teetisch gegenüber.

Die warme Frühlingssonne spielte auf hem Goldhaar der jungen Fürstin, welche in duftigem Morgenkleid im Sessel lag und mit graziöser Hand den Tee in der chinesischen Tasse umrührte!

Sie blickte die Gräfin erwartungsvoll an.

»Ich sehnte mich bei dem Prachtwetter nach frischer Luft, liebste Frieda, darum ließ ich mein Frühstück hier servieren! Was bringen Sie so eilig? Hoffentlich keine Hiobspost?«

»Wie man es nehmen will. Königliche Hoheit! Daß die Nachricht tatsächlich zur Hiobspost werde, möchte ich gern verhindern, darum komme ich schon zu so früher Stunde! Ich erhielt nämlich soeben einen Brief von Fräulein Hoff – –«

»Ach! von der schönen Severa?« Die Prinzessin richtete sich auf und griff nach dem Schreiben, welches die Komtesse etwas unschlüssig zwischen den Fingern drehte. »Lassen Sie mich sehen! Wie schreibt sie? Ebenso sympathisch wie sie plaudert? Sie wissen, dear Friddy?, daß mir der ›Studienkopf‹ neulich abend ausnehmend gut gefiel! Also, lassen Sie mich selber lesen –« und die hohe Sprecherin entfaltete hastig das Schreiben, es mit den Blicken zu überfliegen.

Auch über ihr rosiges Antlitz ging es wie ein Aufleuchten. Sie unterbrach sich in der Lektüre.

»Nun bitte ich Sie um alles, liebe Frieda, das ist wirklich rührend von ihr! Sie allein hat die Idee von dem ›Lichtsaal‹ gehabt, und nun will sie dieses Verdienst ganz allein mir in die Schuhe schieben! Das zeugt von einem sehr selbstlosen, wirklich liebenswürdigen und gefälligen Sinn! Es ist ja für das ganze Unternehmen vorteilhafter, wenn ich als dessen Autorin gelte, gefällt den Leuten die ›lebendige Nationalgalerie‹ nicht, so werden sie doch nicht darüber lästern, weil sie meinen Gedanken darin respektieren! Wenn also der so sehr freundliche ›Studienkopf‹ mir seinen Ruhm abtreten will, so nehme ich ihn diesmal im Interesse der guten Sache dankbar an und schmücke mich mit fremden Federn!«

Die Prinzessin schob das winzige Füßchen bequemer auf dem weichen Sammetkissen vor und las in sichtlich bester Laune weiter. Plötzlich stutzte sie, blickte starr auf das Papier nieder und schüttelte wie in jähem Schreck den blonden Kopf.

Dann lachte sie leise auf und wandte sich lebhaft zu der Gräfin.

»Ach! das ist ja Unsinn! Wegen dieser vermeintlichen Hiobspost kamen Sie? – Welche Torheit, wollten wir uns alle schönen Pläne von einer derartigen Nichtigkeit durchkreuzen lassen! Wir hätten eher daran denken sollen, liebe Frieda, daß eine arme Witwe nicht in der Lage ist, für ein Wohltätigkeitsfest große Hotelrechnungen zu bezahlen. Da muß sofort Abhilfe geschaffen werden, denn Severa Hoff muß unter allen Umständen in dem Bilde stehn! Was denken Sie, liebe Frieda, daß wir tun könnten? Sie wissen, was ich beabsichtige! Ich hoffe meine Schwiegermama für das schöne Mädchen zu interessieren und mir die Erlaubnis zu erwirken, sie als meine Vorleserin – eine andere Stellung ist bei ihrer Talentlosigkeit leider nicht möglich – an den Hof zu ziehen!«

»Aber diese Stellung ermöglicht es doch noch nicht, sie an den Festen teilnehmen zu lassen und in die Geselligkeit einzuführen, wie Eure Königliche Hoheit es hauptsächlich planen?«

Die Prinzessin lächelte geheimnisvoll. »Ich spreche nur von der ersten Masche des feinen Intrigennetzchens, welches ich spinnen möchte! – Ist nur erst der erste Schritt getan, folgt der zweite und gewichtigere wohl auch nach. Dies sind alles noch Geheimnisse, beste Frieda. Also Severa muß kommen, und wir werden ihr für ein Unterkommen sorgen! Schon einmal segelte mein Vorhaben unter Ihrer Flagge! Well! Lassen Sie es auch diesmal Ihre opfermutige Sorge sein, ›dem Kind einen Namen zu geben‹, und laden Sie Fräulein Severa Hoff für die Zeit der Proben und Aufführung bei sich zu Gaste, liebe Herdern! – Die praktische Seite daran ist selbstredend meine Sache! Ich werde Ihnen Vollmacht geben, die junge Dame in einem unserer Kavalierzimmer einzulogieren. – Es ist dann selbstredend, daß ich sie zur Tafel in kleinem Kreise heranziehe, und hat auch mein Mann dadurch Gelegenheit, sich ein Urteil über sie zu bilden. Dieser kurze Aufenthalt im Schloß wird eine sehr angemessene Ouvertüre zu der nachfolgenden lustigen Oper bilden. Alles weitere folgert sich dann sehr logisch und auch für die große Menge verständlich, und ich denke, man begreift es bei dem Anblick des reizenden Mädchens, wenn ich ihr mein besonders huldvolles Interesse zuwende. Einverstanden, liebe Frieda?«

Die hohe Frau reichte der Hofdame mit ihrem bezaubernd gütigen Lächeln die Hand entgegen, und Komtesse Frieda neigte sich, sie zu küssen.

»Königliche Hoheit haben nur zu befehlen, ich kenne kein größeres Glück, als in allen Dingen meiner teuersten Herrin zu dienen!«

»Gut! So telegraphieren Sie, bitte: ›Für Unterkommen wird gesorgt! Brief folgt!‹ und dann schicken Sie die formelle Einladung sogleich ab! So! nun ist's mir wieder wohl zumute!« Sie wandte das Köpfchen nach dem Lakaien, welcher respektvoll harrend in dem Salon stand, und rief: »Geben Sie mir noch eine Tasse Tee, Luckner! und füllen Sie Towser noch einmal die Schale mit Milch!« Sie streichelte das zierliche Löwenhündchen, welches sich mit leisem Bellen an sie drängte und sein Mißfallen kund gab, daß die Gräfin sich so schnell und unvermittelt erhob.

»Also auf Wiedersehen, dear Friddy! Ich hoffe bald Erfreuliches von Ihnen zu hören!«


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