Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

VIII.

Tempelburg trat mit verbindlichem Gruß zurück und überließ seine Partnerin der sehr angelegten und heiteren Unterhaltung mit den beiden Herren. Er setzte sich etwas weiter entfernt auf den Divan nieder, strich in seiner zögernden, etwas umständlichen Weise mit dem eleganten Taschentuch aus japanischer, cremefarbener Seide über sein Monokel und schaute anscheinend sehr interessiert nach der Bühne.

Aber schon nach wenigen Sekunden schaukelte sich das Glas wieder an dem breiten, schwarzen Band und das Haupt des Kammerherrn neigte sich in tiefen Gedanken zur Brust.

Welch ein seltsames Gespräch mit Severa Hoff!

Wußte sie es, daß er Jahre voll tödlicher Langweile an der Seite eines ungeliebten, namenlos beschränkten Weibes ausgehalten hatte?

Nein! Das konnte sie gar nicht wissen, denn sie ist eine Fremde in der Residenz, und wäre sie auch schon besser bekannt geworden, in solch intime Verhältnisse wäre sie unmöglich eingeweiht. Seine häusliche Misere ist kaum über die Schwelle hinausgedrungen, denn er hat die qualvolle Öde stumm und ergeben getragen, er hat sich willenlos den mageren kleinen Händen seiner Frau, welche den Schlüssel zu dem Geldschrank führten, gefügt. In ihrer wenig klugen Art hat sie ihn mit eifersüchtigen Augen bewacht, hat ihn mit Launen gequält und sich ihm von Tag zu Tag unsympathischer gemacht. – Sie war reich und verwöhnt – sie verlangte nur Liebe, Zerstreuung, Amüsement – ohne je davon das mindeste zu geben.

Wie ein Schauder durchrieselt es ihn noch jetzt, wenn er an die runden, ausdruckslosen Augen denkt, welche stets mit demselben Blick naiver Torheit Welt und Menschen anblickten.

Die Leute nannten sie »ein unbeschriebenes Blatt!« Aber weil sie durch raffinierte Toiletten, welche ihr Pariser Schneider ersann, überraschte, weil ihre Langweiligkeit für die kurze Dauer eines Diners oder Balls mehr vornehm reserviert wie peinlich wirkte, so hat sich die Welt nie über das traurige Geschick des Kammerherrn aufgeregt, sondern vielmehr den »Glückspilz« wegen der reichen Erbin beneidet!

Was er gelitten, wußte niemand, und darum konnte es Severa Hoff auch nicht wissen!

Ihre Unterhaltung war das Ergebnis eines wunderbaren Zufalls.

Und das Seltsamste – daß just sie ihm die holde Kunde von einem Glück zuträgt, an dessen Möglichkeit er so stark gezweifelt.

Wie hat er aufgeatmet, als er frei war!

Wie eine Erlösung aus Ketten und Banden ist ihm die Zeit seines Witwertums erschienen.

Da hat er es verschworen, je wieder zu heiraten. Er hat die Jahre der Freiheit genossen, er hat alles nachgeholt, was er ehemals versäumte, und solch ein Leben ist schön ... aber nicht auf die Dauer.

Es steckt doch zu viel solides Blut in ihm, und die heranwachsende Tochter hat ihm schon manchmal den Gedanken nähergebracht: Du wirst doch wieder heiraten müssen, um deinem Haus die nötige Repräsentantin zu geben!

Aber da war keine, die ihm gefallen hätte.

Sein Mißtrauen, seine Umständlichkeit fanden überall etwas auszusetzen und ließen ihn zu keinem Entschluß kommen!

Auch hatte sein Herz noch nie laut und stürmisch nach einer Einzigen, Bestimmten verlangt!

Nur heute, – heute mittag bei Tafel hat es ein wenig schneller geschlagen, als er zum ersten Mal in das schöne Antlitz Severa Hoffs geschaut!

Schon in der Bildergalerie hatte ihn der »Studienkopf« mächtig angezogen.

Wieder und immer wieder stand er vor dem Bild und ließ den Zauber der nachtschwarzen Augen auf sich wirken!

Als er hörte, daß die Kronprinzessin das Original für ihr Wohltätigkeitsfest »verschrieben«, erfaßte ihn eine seltsame, unerklärliche Unruhe.

Ihm war's, als stehe er am Vorabend großer Ereignisse, als sitze seine Schicksalsnorne eifriger wie je an der Spule und webe einen feinen, verhängnisvollen, rosenroten Faden!

Und dann schüttelte er den Kopf über solch törichte Gedanken!

Severa Hoff ist keine Partie für ihn, keine Mutter für seine heranwachsende Tochter.

Er, der eingefleischte Aristokrat, der Höfling par excellence, konnte unmöglich ein Weib ohne Wappen und Stammbaum heimführen, – auch ist das schöne Mädchen zu jung für ihn, den die bitteren Erfahrungen und der Wirbelsturm des Lebens schon reichlich müde gemacht!

Nicht lebensmüde im eigentlichen Sinne, – o nein, nur bequem!

Er hat noch kürzlich die Behauptung aufgestellt, daß erst das gereifte Alter eines vollwichtigen Menschen diesen zum Feinschmecker macht, sowohl seine Zunge, wie auch sein Herz!

Die Liebe des Jünglings ist ein Überbrausen, ein Rausch, eine Phantasterei! Er stürzt voll Leidenschaft den Becher hinab, kaum beachtend, ob in dem schillernden Glas Champagner oder Selterwasser schäumt!

Der erfahrene Mann aber schlürft bedächtig Zug um Zug, – jeden Tropfen genießend, voll tiefen Entzückens die edle Feinheit, die feurige Glut dieses Liebestrankes würdigend!

Und so wie er auch das Weib!

Die Jungfrau liebt nur mit dem unruhig sehnsuchtsvollen und schwärmerischen Herzen, – die voll erblühte Frau hingegen liebt mit Herz und Seele zugleich. Sie verarmt nicht im Geben, sondern wird reich wie die Rebe, welche die duftende Blüte in den Wind streut, um mit feuerblütigem Wein den Durstenden zu erquicken!

Nun hat er Severa kennen gelernt.

Sie überraschte ihn durch ihre Erscheinung, welche in Wirklichkeit durchaus nicht den jugendlichen Eindruck macht, wie auf dem Gemälde.

Ihre hohe, wundervolle Figur hat etwas Gereiftes, Frauenhaftes, ihre Art und Weise zu sprechen ist nicht scheu und verlegen, sondern so sicher und geistvoll, wie er es bisher noch nicht kennen lernte. Er fühlt, daß sie einen rätselhaften Zauber auf ihn ausübt, und diesem will er sich entziehen.

Er stand von ferne, – bis ihn der Befehl der Kronprinzessin seinem Schicksal entgegentrieb.

Warum lächelte sie ihn an und nicht die andern? Weil sie ihn bereits kannte oder weil er ihr besser gefiel wie die andern?

Tempelburg hat stets Anlage zur Eitelkeit gehabt, die kaum merkliche Bevorzugung der jungen Dame regt ihn auf.

Sein Blick trifft sie wieder und immer wieder.

Sie plaudert sehr heiter und angeregt mit den beiden Offizieren ... und diesen sieht man es an, wie völlig sie unter dem Zauber des schönen Mädchens stehen. Aber jetzt ... jetzt fliegt ihr Blick zu ihm herüber ... und abermals ... und die dunklen Augen haben einen andern Ausdruck, als wenn sie die beiden Herrn ansieht!

Täuscht er sich?

Wieder regt sich das Mißtrauen in seinem Herzen. Er gilt für die beste Partie der Residenz, alle Mütter und Töchter stellen die Sprenkel nach ihm ... hat Severa Hoff vielleicht auch gehört, daß sein Spitzname »Ludewig« heißt, daß die Kameraden im Adelsklub in weinseliger Stimmung ihn ansingen: »Das größte Portemonnaie hat Ludewig – hat Ludewig ...«

Wie unsympathisch ist ihm solcher Scherz stets gewesen, aber gerade das Häßliche, Possenhafte macht die Runde durch die Stadt!

Aber Severa kennt ja die Stadt gar nicht, sie hat sich nie in der Residenz aufgehalten, ist gestern erst hier eingetroffen, und weil sie gar keine Anverwandten und Freunde hier besitzt, logiert sie bei Gräfin Herdern.

Nein! Sie weiß es nicht, daß er ein reicher Mann ist, sie haben sich heute mittag bei Tafel so gut unterhalten, nun ... und ebensogut, wie sie auf ihn Eindruck machte, ebensogut kann auch sie sich für ihn interessieren!

Wieder steigt das Blut heiß in die Wangen des Grüblers, ihm ist's, als atme er noch immer den süßen Narzissenduft, welcher vorhin von ihrem Busen zu ihm emporwehte!

Er steht auf, er tritt unwillkürlich näher, er beteiligt sich an dem Gespräch – und es ist ihm ärgerlich, als plötzlich noch mehr der Herren herzutreten, sich vorstellen lassen und sichtlich bemüht sind, der landberühmten Schönheit zu huldigen.

Und diese Huldigungen mehren sich während des Abends, Damen und Herren sind einstimmig »entzückt!« Die ersteren, weil Prinzessin Ingeborg den Ton angibt und Severa Hoff in geradezu verblüffender Weise auszeichnet, die Herren, weil sie tatsächlich von diesem neuen Stern geblendet und bezaubert sind.

Irgend jemand im Saal hat sich den Scherz erlaubt, die Frage aufzuwerfen: Wer ist schöner, die Frau Kronprinzessin oder der »Studienkopf«? – – Man glaubt, daß Gräfin Herdern dieses Preisrätsel gestellt hat – und nun entbrennt ein Krieg der Meinungen, dessen Kampf völlig unentschieden hin und her wogt.

Als Kammerherr von Tempelburg in seinem eleganten Coupé nach Hause fährt, befindet er sich in seltsamer Stimmung.

Ganz gegen seinen Willen hat er gegen Ende des Abends noch einmal neben Severa gesessen und sich lebhafter, wie es sonst seine gemessene Art ist, mit ihr unterhalten, und er glaubt bemerkt zu haben, daß ihre Augen aufleuchteten, als er kam.

Es würde ihm ein Triumph sein, den anderen Herren gegenüber, wenn sie ihn auszeichnete, denn seine Eitelkeit ist angestachelt, und es gewährt wohl eine besondere Befriedigung, von einer Dame etwas auffälliger bemerkt zu werden, welcher bereits die ganze jeunesse dorée zu Füßen liegt.

Ja, es würde ihn sehr amüsieren – aber aus dem kleinen Flirt Ernst machen? Niemals! Was würde man bei Hofe sagen, wenn er ein Fräulein Hoff heimführen wollte!

Undenkbar!

Noch ist er Herr über sein Herz – und er wird es mit beiden Händen festhalten, damit es ihm keinen Streich spielen und davonfliegen kann!

* * *

Als Severa heimgekommen und mit der Hofdame unter heiterstem Geplauder noch eine Tasse Tee getrunken hat, sucht sie ihr Zimmer auf.

Die Jungfer meldet, daß ein Brief angekommen sei, und überreicht ihn auf der kleinen Silberschale.

Ein Brief? Hier aus der Residenz?

Severa wirft einen schnellen Blick darauf und sie errötet, als sie den so sehr schlichten, weißen Briefumschlag sieht, dessen sich Manfred in der Regel bedient.

Wie schrecklich gewöhnlich? Wie unelegant solch ein Schreiben doch aussieht!

Die Jungfer blickt auch sichtlich befremdet auf dieses schmucklose Kuvert nieder.

Severa wirft den Brief nachlässig auf den Tisch zurück.

»Ah ... ich weiß! Der Schneider wollte mir Nachricht geben, wenn er eine zweite Toilette nicht rechtzeitig liefern könne! Natürlich wird der abscheuliche Mensch mich im Stich lassen!«

»So etwas ist sehr unangenehm, gnädiges Fräulein, aber hier bei Flachmann und Bendix, einem der ersten Geschäfte, kann man fast stets die herrlichsten Kleider vorrätig finden!«

»Für meine Figur findet sich nie etwas Passendes, nicht einmal in Wien, wohin ich telegraphierte, als ich die Einladung Ihrer Königlichen Hoheit erhielt, und jetzt, nach Schluß der Saison, wird kaum noch etwas hier zu finden sein!«

»Das wäre freilich möglich, aber versuchen kann man es immerhin!«

»Gewiß! Ich werde morgen sofort vorfahren! So; ich danke Ihnen, Dorette ... das Haar kann ich mir selber lösen, – bitte sorgen Sie erst für die Gräfin!«

Die Jungfer hängt die abgelegte Toilette in den Schrank, hüllt die schneeweißen Schultern der jungen Dame in den Frisiermantel und zieht sich knicksend zurück, Severa aber tritt mit unmutig gefalteter Stirn unter das elektrische Licht und reißt den Umschlag von Manfreds Brief ab.

Sie liest.

Schon bei der zärtlichen Anrede weht es wie ein Schatten über ihre Stirn.

Narrheit! Warum »muß« er sie absolut sehen? Warum läßt ihm die Sehnsucht keine Ruhe? Ist es wirklich etwas so Schreckliches, daß sie hier in der Residenz weilt und nicht täglich mit ihm zusammen ist?

Nun übermittelt er ihr eine sehr liebenswürdige Einladung von der Frau Bankier Kurschmann, bei welcher er heute dinieren soll! Als sie hörte, daß der berühmte »Studienkopf« anwesend sei, bat sie ihn, schnell noch die Cousine für sich selbst zur Tischdame einzuladen!

Wie selig er darüber ist! Als ob die Frau Bankier ein bewundernswertes Werk höchster Herablassung durch diese Einladung getan!

Die Leserin kräuselt spöttisch die Lippen.

Wozu noch dieses Zusammensein mit Manfred? Es hat kaum noch Zweck.

Wenn sie nicht alle Anzeichen trügen, wird Herr von Tempelburg ihr recht bald schon Herz und Hand zu Füßen legen, und sie wird voll stolzer Genugtuung sein Weib.

Zwar läßt sich so etwas nie mit Bestimmtheit voraussagen, ihr Aufenthalt ist leider sehr kurz hier ... und darum will sie noch nicht allzu schroff vorgehen. »Gründe sind feil wie Brombeeren,« und gerade der morgende Tag ist von früh bis spät besetzt!

Sie wird voll aufrichtigsten Bedauerns die so sehr liebenswürdige Einladung ablehnen und auch Manfred fern zu halten wissen.

Sie hat mit etlichen Kavalleristen sehr interessiert über Sport gesprochen und den Wunsch geäußert, einmal einem Musikreiten beizuwohnen, voll größten Eifers haben die Herren sofort den Landstallmeister gebeten, morgen die Musik in der Bahn des Marstalls spielen lassen zu dürfen, ein Verlangen, welches allgemein viel Anklang fand.

Die Ulanen schlugen ein jeu de rose vor, die Damen, welche dem Reitsport huldigten, wollten eine Quadrille wiederholen, welche im Winter anläßlich des Ordensfestes geritten war, und Tempelburg stand dabei und hörte alles mit an; – ob er wohl fehlen wird?

Ein siegbewußtes Lächeln geht über Severas schönes Gesicht. Dann setzt sie sich hastig nieder und wirft schnell noch ein paar recht kühle Zeilen an Manfred auf das Papier, welche sie morgen selber zur Post geben will.

* * *

Als Prinzessin Ingeborg erfuhr, daß im Marstall mit Musik geritten werden sollte, sagte sie ihr Erscheinen zu allgemeinem Jubel ebenfalls an.

Sie war kaum auf ihrem rehschlanken Goldfuchs in der Bahn erschienen und hatte die sie empfangenden Herren und Damen mit ein paar heiteren Worten begrüßt, als sie schon ihr Pferd wandte und nach der Tribüne ritt.

»Reiten Sie nicht, Fräulein Hoff?«

»Leider nein, Königliche Hoheit!«

»Sie müssen es auf alle Fälle lernen!«

»Ich würde entzückt sein, Gelegenheit dazu zu haben!«

»Die wird sich finden! Auf Wiedersehn!«

Die Prinzessin berührte kaum merklich den zierlichen Hals ihres Tieres und ritt in lebhaftem Tempo ein paar Ronden durch die Bahn.

Sie sah bezaubernd zu Pferde aus, nicht walkürenhaft imponierend, wohl aber so hold und anmutig wie die Elfenkönigin, welche Tom dem Reimer am Kieselbach bei Huntleyschloß begegnete.

Sie trug fast stets weiße Reitkleider, deren glänzende Tuchfalten sich in tadellosem Sitz um die graziöse Figur spannten.

Ein großer, weicher Amazonenhut, keck zurückgeschlagen und von mächtigen weißen Straußfedern umwogt, thronte auf dem blonden Köpfchen, und als Prinz Georg zum erstenmal an ihrer Seite geritten, hatte er mit leiser Stimme gesummt:

»Und wenn sie leis am Zügel zog –
So klangen hell die Glöckelein!«

Die hohe Frau wußte, welch einen märchenhaften Eindruck sie zu Pferd machte, – als sie jetzt durch die Bahn changierte, beschäftigte sie nur ein Gedanke: Wie würde Severa Hoff, die imposante, hochgewachsene, sich an ihrer Seite ausnehmen? Welch ein wunderbarer Kontrast müßte zutage treten, wenn die »Nebensonne« in dunkel wallendem Gewand, schwarz bis in die blitzenden Augen hinein, der lichten Erscheinung der Prinzessin die wirksame Folie gäbe!

»Hie Tag – hie Nacht!« würde es dann in den Heerlagern der Kritiker heißen!

Die Kronprinzessin lenkte ihr Pferd nach der freien Mitte der Bahn und wandte den Kopf nach dem Kammerherrn von Tempelburg, welcher ihr am nächsten folgte.

Als ehemaliger Kavallerist genoß dieser den Ruf eines vorzüglichen Reiters und präsentierte sich im Sattel entschieden vorteilhafter wie auf dem Parkett.

Mit einer leichten Bewegung ihres Köpfchens befahl sie ihn an ihre Seite, während die beiden Adjutanten in geringer Distanz die Pferde zurückhielten.

»Ich möchte erst ein wenig ausruhen und mir die andern Damen ansehn,« sagte sie leichthin, »die Probe gestern abend hat mich müder gemacht wie ein Ball! Wie waren Sie mit dem Theaterstück zufrieden, Herr von Tempelburg, haben wir die Rollen richtig verteilt?«

Der Kammerherr sah ein wenig verlegen aus. »Ich muß ehrlich gestehen, Königliche Hoheit ... ich bin nicht mit vollster Aufmerksamkeit gefolgt, da die Unterhaltung in unserm kleinen Kreis eine recht lebhafte war!«

»Ah richtig ... Sie taten Fräulein Hoff Adjutantendienste! Welch ein bezaubernd schönes Mädchen sie ist! Man kann nicht müde werden, sie anzusehn! Haben Sie wohl beobachtet, ob sie viel Erfolg hat? – Die Herren umschwärmen sie ja, wie die Bienen eine Blüte! Ich hörte, Graf Lucknau sei ihr Schatten gewesen und werde auch von Fräulein Severa entschieden ausgezeichnet?«

Tempelburg fuhr jäh empor. Er vergaß völlig seine sonstige Gemessenheit und antwortete sehr lebhaft, beinahe gereizt: »Welch ein Irrtum! Die Leute, welche solche Beobachtung gemacht haben wollen, müssen blind sein! Ich finde es unerhört, ein solch unwahres Gerede aufzubringen und sogar zu Eurer Königlichen Hoheit zu tragen! Ich habe Fräulein Hoff den ganzen Abend beobachtet und die längste Zeit sogar an ihrer Seite gesessen – von irgendwelcher Bevorzugung Lucknaus kann jedoch gar keine Rede sein!«

So lebhaft hatte Tempelburg wohl noch nie gesprochen, ganz überrascht starrte Prinzessin Ingeborg in sein plötzlich so heiß sich rötendes Gesicht.

»Tatsächlich?« sagte sie mit gedehnter Stimme, und ihr Blick fixierte den Kammerherrn recht scharf dabei. »Es wäre ja doch sehr natürlich! Lucknau ist ein bildhübscher, eleganter Mann, der viel Glück bei Frauen hat! Dazu Rittmeister! Kann also heiraten und ganz nach Geschmack wählen! Ich würde mich sehr freuen, wenn Fräulein Hoff hierher in die Residenz heiratet, und beabsichtige, Lucknau zu bitten, ihren Reitunterricht zu übernehmen!«

Tempelburg zuckte empor. Seine sonst so schweren, müden Augen blitzten förmlich auf.

»Man müßte sich wohl zuvor erkundigen, ob Fräulein Hoff sich diesen Reitlehrer auch wünscht. Königliche Hoheit! Lucknau ist viel zu schneidig und rücksichtslos im Sattel, um eine Dame sicher anleiten zu können!«

Wieder traf den Sprecher ein seltsam forschender Blick, aber nur sekundenlang, dann klopfte die hohe Frau sehr gleichmütig ein Stückchen Lohe mit ihrer feinen Reitgerte von dem Kleid.

»Am besten würden Sie sich auf alle Fälle zu ihrem Instruktor eignen, Herr von Tempelburg!« sagte sie nachdenklich und meisterte nur mit Mühe das feine Lächeln, welches um ihre Lippen zuckte. »Aber ich weiß nicht, ob Sie Zeit und Lust haben werden, wenn ich Sie darum bitte?«

Ein aufstrahlender Blick traf sie.

Der Kammerherr verneigte sich sehr tief.

»Ich stehe mit Vergnügen jederzeit zur Verfügung, Königliche Hoheit!«

»Man müßte mit Fräulein Hoff sprechen!«

»Wird sich aber ein Reitunterricht für die kurze Zeit ihrer Anwesenheit lohnen, Königliche Hoheit?«

»Sie wird längere Zeit hier bleiben, ich hoffe sie in irgendeiner Weise an meine Seite zu fesseln, denn ich gestehe offen, daß mir ihre geistvolle, liebenswürdige Art, ihre wundervolle Erscheinung sehr sympathisch sind. Ich denke, sie verlobt sich bald und bleibt dann ganz bei uns, – sehen Sie? Lucknau hat sich schon wieder einen Platz an ihrer Seite erobert!«

Tempelburgs Kopf schnellte herum, ein Blick jäher Eifersucht blitzte nach der Tribüne hinüber, – aber er blieb anscheinend sehr ruhig.

»Wenn man weiß, daß eine Heirat mit Fräulein Hoff bei den höchsten Herrschaften gern gesehn und gebilligt wird, finden sich sicher genug Freier für so viel Schönheit und Geist! Über Vermögen verfügt wohl die junge Dame nicht, also dürfte immerhin nicht jeder Bewerber für sie geeignet sein!«

Diese letzten Worte klangen beinahe triumphierend, und die Prinzessin lächelte immer wunderlicher.

»Nein! Der glücklichste der Sterblichen, welcher eine so gefeierte Schönheit erringen will, muß fraglos viel zu bieten haben! Wen eine Severa erwählt, der darf nicht zu den Alltagsmenschen gehören, sondern muß wirklich ein Sonntagskind sein, um einen derartigen Sieg über ungezählte Rivalen zu erringen! Ich bin wirklich sehr gespannt, wem dies Meisterstück gelingen wird! – Imponieren wird er sicher der ganzen Residenz!«

Tempelburg reckte sich hochatmend empor, – seine Eitelkeit trank die Worte wie Nektar von den Lippen der hohen Sprecherin, – die Prinzessin aber rührte abermals leise die Gerte und rief so heiter wie selten zuvor: »Nun aber genug der tatenlosen Ruhe! Avanti, meine Herren! – Die Fledermausquadrille ruft uns auf unsere Posten!«

Tempelburg hatte krankheitshalber bei dem Reiterfest nicht mitgewirkt, er nahm demzufolge an der Quadrille nicht teil, sondern dirigierte sein Pferd nach der Ausgangstür.

Es fiel nicht auf, daß er im allgemeinen Trubel und Durcheinander der Reitenden verschwand, nur Prinzessin Ingeborgs lachender Blick folgte ihm scharf und beobachtete, wie der Kammerherr vom Pferd sprang und dieses einem Lakaien übergab, welcher es hinausführte.

Was nun?

Hat sie richtig vermutet?

Hat sie ahnungslos einen Weg entdeckt, welcher sie unerwartet schnell an das Ziel ihrer Wünsche führt?

Wahrlich! – Tempelburg laviert sich durch die Trupps der zuschauenden Offiziere und erreicht unauffällig die kleine Treppe, welche zu der Zuschauertribüne emporführt.

Treibt ihn die Eifersucht an Severas Seite?

Richtig, er steigt empor, er begrüßt die Damen, er verneigt sich vor Severa, welche in dem großen, blumenüberschütteten Frühjahrshut schöner wie je aussieht, und legt die Hand auf Lucknaus Schulter.

Er sieht so kühl und reserviert aus wie stets, neigt sich zu dem Rittmeister nieder und flüstert etwas.

Prinzessin Ingeborg vermag kaum ein helles Lachen zu unterdrücken.

Sie hört es förmlich, was jener droben dem armen Rivalen in das Ohr flüstert.

»Verzeihen Sie ein paar Augenblicke, sehr verehrter Graf! Ich komme im Auftrag Ihrer Königlichen Hoheit der Frau Kronprinzessin und habe Fräulein Hoff eine Bestellung auszurichten!«

Fraglos! Er hat dies schlaue, kleine Manöver gebraucht, denn der Rittmeister springt empor, sieht zwar ein wenig weltschmerzlich drein, verabschiedet sich aber gehorsam von seiner schönen Nachbarin und »klirrt« die kleine Treppe herab, sich wieder unter das Gros der Herren zu mischen!

Und Tempelburg wechselt ein paar Worte mit dem schönen »Studienkopf« und nimmt Platz an ihrer Seite.

»Der Sänger sitzt!« klingt es in den Meistersingern, möchte es doch hier heißen: Der Freier sitzt!!

Die Kronprinzessin reitet sehr zerstreut, aber sie lacht so übermütig über jedes kleine Versehen und ihr reizendes Gesichtchen sieht so rosig und schelmisch aus, daß sich der ganzen Gesellschaft eine auffällig heitere Laune bemächtigt!

Als die hohe Frau einmal ganz nahe an Gräfin Herdern vorüberreitet, flüstert sie mit leuchtendem Blick: »Eine kapitale Neuigkeit!« und Frieda zerbricht sich den Kopf, was das sein könnte! Prinzeß Ingeborgs Gedanken aber nehmen hohen, hochzeitlichen Flug!

Wie hat sie gesonnen und darüber nachgedacht, welches wohl das beste Mittel und der harmloseste Weg sei, Severa Hoff dauernd in der Hofgesellschaft zu fesseln – und nun tut sich ihr ganz unerwartet die herrlichste Perspektive auf, wie sie erfolgreicher gar nicht gedacht werden kann!

Tempelburg, der ungerührt Eisige, bei dem die Mütter und Töchter schon beinahe alle Hoffnung aufgaben, hat Feuer gefangen!

Sein Blick, seine Worte, seine Erregung haben ihn verraten, und daß er sich so sehr eilig sein Amt als Reitlehrer bei Severa sichern will, bestätigt diese Annahme!

Welch eine herrliche, vorzüglich passende Partie! Sie garantiert die Erfüllung alles dessen, was die Kronprinzessin sich für die Zukunft wünscht. »Die Nebensonne« wird einen berechtigten Platz in ihrer nächsten Nähe einnehmen, die reichen Mittel des Kammerherrn gewähren der Schönheit seiner Gattin den angemessenen Rahmen und der Kampf wird kein allzu ungleicher mehr sein, was die Toiletten und ihre Wirkungen anbetrifft!

Wie amüsant wird sich gerade dieser Punkt dann gestalten!

Welch eine neue Anregung werden Geschmack und Phantasie erhalten, wenn es die Frage gilt:

»Spieglein, Spieglein an der Wand,
Wer ist die Schönste im ganzen Land?«

Dann fehlt der Einwurf der Gegner: Daß die Prinzessin durch ihre Kleiderpracht ein armes Aschenbrödel bald in Schatten stellen könne!

Ingeborg möchte aufjubeln vor Freude!

Nun gilt es geschickt den glimmenden Funken geschürt, damit bald die hellen Flammen zu Hymens Fackeln auflodern!

Und das soll schon gelingen!

Währenddessen sitzt Tempelburg an Severas Seite und übermittelt ihr den Wunsch der Prinzessin, daß er der Reitlehrer von Fräulein Hoff werden solle! Die laute Musik bedingt es, daß sich der flüsternd Sprechende sehr nahe zu seiner Nachbarin neigen muß, und aufs höchste überrascht, aber innerlich frohlockend, bemerkt Severa die auffallende Veränderung seines Aussehens und Wesens. Gestern noch so langweilig kühl, gemessen, nachdenklich und vorsichtig, und heute blitzt ein auffälliges »etwas« in seinem Auge und in seiner Stimme bebt Erregung.

Ist dies ein Werk der Prinzessin?

Severa weiß, daß ein wenig wehren das Begehren spornt.

Sie scheint die Rolle mit ihm getauscht zu haben, sie ist kühler wie gestern. – Zwar nimmt sie sein Anerbieten, ihr das Reiten zu lehren, ein klein wenig zögernd an und weiß nicht recht, ob Graf Lucknau sie schon verpflichtet habe oder nicht – aber wenn es Ihre Königliche Hoheit so wünscht, dann selbstverständlich!

Sie spricht überhaupt viel von Lucknau, was Tempelburg ganz nervös macht, – als er aber ein wenig nachdenklich und schweigsam wird, da lacht ihn plötzlich der rote Mund an – und die dunkeln Augen leuchteten so nah den seinen ... und als der Maiglockenstrauß von ihren Knien fällt, der Kammerherr ihn aufhebt und nicht zurückerstattet, da läßt sie die Blumen in seiner Hand.

Sein blasses Gesicht aber wird wieder röter wie zuvor, und er denkt im Herzen: »Es ist doch noch Zeit für dich! Noch hat Lucknau dich nicht verdrängt, nur gilt es schnell zu handeln!«


 << zurück weiter >>