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IV.

In der Säulenhalle des alten, sogenannten Parkschlosses, welches Kronprinz Georg seit seiner Vermählung bewohnte, wandelten die beiden reich galonierten Portiers gelangweilt aus den schwellenden Purpurläufern auf und nieder.

Um diese Stunde, wo sich die hohen Herrschaften bei Tafel befanden, pflegte es still und einsam vor dem Portal zu sein und darum blickten die beiden Türhüter desto überraschter auf, als mit sehr bescheidenem Klipp-Klapp des Einspänners eine Droschke die Auffahrt empor»kroch«!

Nicht allzu eilig und devot öffnete der eine die breite Flügeltüre und blickte mit großen Augen auf die weißgekleidete Dame, welche ohne jedwede Begleitung und Hilfe eines Dieners den Schlag öffnete.

Höflich trat er näher und fragte mit dem reservierten Lächeln, welches deutlich erkennen ließ, daß er einen Irrtum vermute: »Wohin befehlen gnädige Frau?«

Severa war feinfühlig genug, die geheime Nichtachtung aus dieser Frage herauszuhören.

Alles Blut schoß ihr heiß in die Wangen.

Sie hob das Haupt so stolz und gebietend auf den Schultern wie sie es vermochte und sagte mit halb erstickter Stimme: »Ich werde von Gräfin Herdern erwartet!«

Der Portier verneigte sich, musterte noch einmal mit schnellem Blick das hier so außergewöhnliche Fuhrwerk und stieß die hohe Flügeltüre zurück.

»Zu Gräfin Herdern!« rief er dem Kollegen zu, und dieser beeilte sich nicht allzusehr, eine elektrische Klingel in Bewegung zu setzen.

»Sofort, gnädige Frau!« verneigte auch er sich sehr höflich, aber der Blick, mit welchem er die Erscheinung der Eintretenden umfaßte, deuchte Severa mehr erstaunt wie bewundernd.

Ein Lakai erschien auf dem ersten Absatz der prachtvollen Treppe und neigte sich forschend über das Bronzegitter.

»Besuch für Gräfin Herdern!«

»Sehr wohl! Darf ich gehorsamst bitten!«

Severa stieg mit stürmendem Herzschlag die Marmorstufen empor, – vorbei an den herrlichen Bildwerken, welche die elektrischen Lampen trugen, vorüber an großen Arrangements duftender Blumen und mächtigen Ölgemälden, von welchen uralte Rittergestalten starren Auges herabschauten.

Der Lakai glitt auf weichen Teppichen lautlos voraus, durch hohe Korridore, über schmale Wendeltreppen nach dem zweiten Stockwerk.

Überall tiefe Stille, – wunderbar feiner, magischer Duft.

»Der Weg ist hier etwas weit und unbequem,« entschuldigte sich der Führer, mit höflicher Verneigung eine Portiere zurückschlagend, welche einen langen Seitenflur von der Kuppelhalle trennte. »Gnädige Frau hätten am zweiten Portal vorfahren müssen, da ist der Weg ungleich kürzer!«

»Das nächstemal!« nickte Severa mit einer herablassenden Freundlichkeit, welche ihren Eindruck nicht verfehlte. »Ich bin auf der Durchreise und noch fremd hier.«

»Sehr wohl! – Darf ich gehorsamst bitten, einzutreten und Platz zu nehmen! Die Herrschaften haben sich heute bei Tafel etwas verspätet, doch denke ich, daß die Gräfin sehr bald erscheinen wird!«

»Ich danke Ihnen.«

Severa befand sich allein in dem Zimmer.

Voll atemlosen Entzückens schaute sie sich um, verschlang sie beinah mit den Blicken die anmutige Eleganz dieses Salons, welche sie so oft in ihren sehnsuchtsheißen Träumen erblickt!

Dieses gedämpfte Licht, dieser undefinierbare Duft, die molligen Seidenkissen, die seltsam moderne Art der Möbel, deren Jugendstil sie nur aus Zeichnungen kannte!

Überall Bilder fürstlicher Personen, überall die hundert luxuriösen Kleinigkeiten, welche das Herz der Weltdame beglücken!

Wie gut, daß Severa noch allein ist, daß sie so ungestört die Blicke an all diesem Neuen, nie Besessenem weiden kann!

Der Spiegel wirft ihr Bild zurück.

Wie paßt ihre hohe, schlanke Gestalt, trotz aller Einfachheit, in einen solchen Rahmen!

Sie tritt an den Schreibtisch, sie wirft ungeniert einen Blick auf das große Schriftstück, welches offen darauf liegt und von welchem die Gräfin eilig abgerufen zu sein scheint.

»Programm für eventuelle Veranstaltungen des Wohltätigkeitsfestes. – Ouvertüre. Kleines Lustspiel. Liedervorträge. Lebende Bilder,« liest sie.

Hinter den letzteren ist ein großes Fragezeichen gemalt.

Lebende Bilder!

Severa sinkt mit weit offenen Augen auf einen Sessel nieder.

Wer da mittun könnte!

Lebende Bilder! Wer würde sich besser zu einem lebenden Bild eignen wie sie!

Wenn man sie zum Beispiel als »Studienkopf« stellen würde! Welch einen Effekt würde das machen! Welch ein Glück würde es für sie sein!

Ach, daß man mit der Prinzessin über diese Wohltätigkeitsveranstaltung sprechen, – daß sie ihr diese unbezahlbare Idee in harmloser Weise suggerieren könnte!

Warum nicht?

Severa ist klug und gewandt, sie wird darauf bedacht sein, das Eisen im Feuer zu schmieden!

Und wie der seltsame Gedanke sie plötzlich, gleich einer genialen Eingebung durchzuckt hat, so hält ihn das schöne Mädchen fest und spinnt ihn voll leidenschaftlicher Erregung aus.

Die Minuten fliegen.

Sie hört im Nebenzimmer eine Stimme.

»Ah! Fräulein Hoff ist schon anwesend?« Und dann eilige Schritte, die Portiere mit dem steifen, gradlinigen Muster rollt an den Goldringen zurück und eine Dame tritt in den Salon.

Severa hat sich tief verneigt, sie ahnt nicht, wer da kommt, ob es gar die Prinzessin schon selber ist, oder nur die Gräfin, hohe Glut brennt auf dem schönen Gesicht und die Verwirrung macht es sehr anziehend.

Die Hofdame streckt ihr voll herzlichster Liebenswürdigkeit die Hand entgegen.

»Wie sehr freundlich von Ihnen, Fräulein Hoff, daß Sie meiner Einladung Folge leisteten! Königliche Hoheit ist von Ihrer Anwesenheit verständigt und freut sich sehr, das Original des Studienkopfes zu schauen! Die Kronprinzessin ist sehr impulsiv, und wenn sie sich für etwas erwärmt und interessiert, so geschieht es jedesmal gründlich! – Bitte nehmen Sie Platz! Wir plaudern noch, bis meine gnädigste Gebieterin erscheint. – Sie mußten eine kleine Reise bis zu uns hierher machen?«

Severa hat ihre anfängliche Befangenheit schnell überwunden, das so sehr einnehmende Wesen der Gräfin verfehlt seine Wirkung nicht.

Mit der ihr angeborenen Gewandtheit und der Sicherheit, wie sie energischen Charakteren eigen ist, findet sie sich in die Situation und plaudert so anmutig, daß die Hofdame immer erleichterter aufatmet und im Herzen denkt: Gott sei Dank! Sie scheint wirklich ein sehr anmutiges und liebenswertes Geschöpf, und meine teuere Prinzeß hat in der Tat keine schlechte Wahl getroffen!

Schneller wie man erwartet, meldet der Lakai mit hastigem Wort das Nahen der hohen Frau.

Die Gräfin erhebt sich und eilt ihr in den Nebensalon entgegen, und nach wenig Augenblicken tritt sie wieder ein und sagt: »Kommen Sie, bitte, Fräulein Hoff, ich möchte Sie Ihrer Königlichen Hoheit präsentieren!«

Mit stockendem Herzschlag folgt Severa.

In dem großen, freien Gemach steht die bezaubernde Gestalt der Prinzessin, eine türkisfarbene Dinertoilette rauscht an ihr nieder, eine lange Goldkette, von prachtvollen Solitären unterbrochen, glitzert über der Brust.

»Gestatten Eure Königliche Hoheit, – – das Modell des ›Studienkopfes‹, Fräulein Severa Hoff, welche heute abend mein lieber Gast ist!«

Mit einer unnachahmlichen Grazie reicht die Prinzessin die Hand zum Kuß.

Minutenlang treffen sich zwei der schönsten Augenpaare wie in unverhohlenem Entzücken!

Eine jede liest den Gedanken, welcher in diesem Moment die Herzen erfüllt, von dem Antlitz der andern, und er lautet ganz übereinstimmend, voll Kürze und Begeisterung: »O wie schön!«

Prinzessin Ingeborg hatte viel von der Wirklichkeit des berühmten Bildes erwartet, – so viel nicht, – und Severa malte sich das Bild der liebreizenden Fürstin wohl mit überschwenglicher Phantasie, – aber so hinreißend, wie es in diesem Augenblick vor ihr stand, war es doch nicht ausgefallen!

Dieses gegenseitige, sekundenlange stumme Schauen sprach eine gar beredte Sprache.

Endlich kleidete sie die Prinzessin in Worte:

»Wie neugierig muß ich Ihnen erscheinen, daß ich vor dem Original des Studienkopfes ebenso in Schauen versunken stehe, wie vor dem Gemälde selbst! Ich war sehr angenehm überrascht, als ich das Bild zum erstenmal sah, – jetzt bin ich es wieder, – deucht es Ihnen seltsam, Fräulein Hoff?«

Die hohe Frau lächelte beinah schalkhaft mit jenem bezaubernden Humor, von welchem man nicht genug im Lande erzählen konnte, Severa aber blieb trotzdem so ernst wie zuvor, – ihre großen, nachtschwarzen Augen bekamen einen schwärmerischen Glanz und hafteten unverwandt auf der Sprecherin.

»O nein, Königliche Hoheit, unsere eigenen Gefühle können uns nie seltsam erscheinen!« antwortete sie sehr weich, und die volle, tiefe Färbung ihrer Stimme stach wunderbar ab gegen das silberne Organ der Prinzessin.

» Eigene Gefühle?«

Nun lächelte Severa wie traumverloren. »Auch ich sah zuerst ein Bild Eurer Königlichen Hoheit und glaubte eine holde Vision zu haben, welche mich weit über die Grenzen dieser armen Erdenwelt erhob, jetzt schaue ich das Original dieses Gemäldes, und wähne mich dem Irdischen noch mehr entrückt wie jenes Mal, – dennoch deucht mir dies nur selbstverständlich und nicht verwunderlich!«

»O wie unendlich viel Schmeichelhaftes sagen Sie mir mit wenig Worten!« – Die Kronprinzessin sah sehr angeregt aus und nahm auf einem Sessel Platz, Severa durch eine graziöse Bewegung auffordernd, sich ihr gegenüber niederzusetzen. »Auf alle Fälle haben wir uns beide versichert, daß uns diese Begegnung eine durchaus erfreuliche ist! Nun sollen Sie aber reden, Sie lebendes Bild, und mir erzählen, wo und wie das Kunstwerk im Nationalmuseum entstand! Ihr Herr Onkel malte es?«

»Mein Vetter, Königliche Hoheit! Manfred Hoff ist ein noch sehr jugendlicher Künstler!«

»Um so weiter dehnt sich das Feld der Ehre vor ihm aus! Sein Talent, Modelle zu entdecken und sehr genial aufzufassen, verspricht ihm und dem Publikum gar viel. Wer hatte die originelle Idee der Fackelbeleuchtung?«

Severa lachte: »Diesen Lorbeer gönnt keiner von uns beiden dem andern! Es war ein dunkler und stürmischer Herbstabend, als mein Vetter uns nach einem Konzert heimgeleitete. Er hatte selbst die kleine Laterne mit dem Flackerlicht zur Hand genommen, um Pfadfinder durch die finstere Allee zu sein. Plötzlich blieb er stehn und sah mich forschend an. ›Welch eine schöne Wirkung dieser unsichere Schein auf deinem Gesicht hervorruft, Severa, – so möchte ich dich malen!‹

›Mich im Regenmantel und dich als Nachtwächter daneben?‹ spottete ich. ›In der Tat eine Sezessionsidee comme il faut!‹

›Warum nicht? Die Realistik ist modern! Welch ein Licht gibt nächst einer Laterne solch rötlich unbestimmten Glanz?‹

›Eine Fackel!‹

›Eine Fackel!‹ Momentan schwieg er, dann sagte er leise: ›Das ist ein Gedanke! – Den werde ich festhalten!‹ Und als wir schweigend etliche Schritte weitergegangen waren, rief er plötzlich ganz begeistert: ›Severa! ich hab's! Mein Bild ist fertig im Kopf!‹ – Und tatsächlich, so, wie es in jenem Augenblick gleich einer Offenbarung über ihn gekommen war, malte er mich!«

Die Kronprinzessin lauschte sehr interessiert. »Kleine Ursache, große Wirkung! Wie ist es doch so merkwürdig von künstlerischen Eingebungen, von genialem Schaffen zu hören! Sie stellen auf dem Bilde eine Sklavin dar?«

»Sklavin oder Märtyrerin, – beides paßt wohl für die Auffassung! Mein Vetter war so ungalant zu behaupten: Weil ich mich als Sklavin der Verhältnisse fühlte, sei das Martyrium stehender Gesichtsausdruck bei mir geworden!«

»Was meint er damit?«

Die dunklen Augen des jungen Mädchens ruhten einen Augenblick voll unaussprechlichen Ausdrucks auf dem forschenden Antlitz der Prinzessin.

Dann senkte sie die langen Wimpern und sagte leise: »Meine Mutter ist Witwe, wir leben in A., in dem kleinen, mehr wie ländlichen Städtchen, welches nichts bietet, um meine Sehnsucht nach Kunst, Welt und Leben zu stillen! Ich trauere wie ein Vogel im Käfig, und wenn ich auch tapfer und ohne Murren meinen einsamen Weg gehe, so spiegeln meine Augen doch unbewußt das Weh, welches mein Herz durchzittert. Alltagsmenschen bemerken das nicht, aber das Auge eines Malers sieht scharf, und Manfred scherzte oft: ›Wäre mein armseliger, kleiner Pinsel ein Zepter, ich bräche noch heute die Sklavenketten, welche dich so drücken?‹«

Prinzessin Ingeborg richtete sich lebhaft empor.

»Ach – Sie sind nicht gern zu Hause?«

»Das wohl, Königliche Hoheit, dennoch wünschte ich, unser Häuschen stünde auf einem andern Fleck!«

»Hier in der Residenz?!«

Wie ein Aufglühen der Leidenschaft flammte es durch die dunklen Augen.

»Wo lieber denn hier? Wenn ich die Luft der Residenz atme, habe ich erst das Empfinden: zu leben! auf der Welt zu sein! Welch ein Reichtum bietet sich hier selbst den Ärmsten! Kunst! Schönheit, Eigenart, Anregung, wohin man hört und sieht! Ganz unbekannt, als der Bescheidensten und Übersehensten eine könnte ich hier wohnen und würde doch täglich und stündlich den Geisterflug hoch zur Sonne nehmen!«

Ein Lakai hatte einen sehr eleganten kleinen Teetisch in den Salon getragen, an welchem Gräfin Herdern ihres Amtes waltete, ohne eine Silbe der Unterhaltung zu verlieren. Sie hat später in intimem Kreise oft versichert, daß sie selten eine reizvollere Szene geschaut habe, als wie diese erste Begegnung zwischen den beiden schönsten Frauen des Landes, als wie jenen ersten, stummen Blick, mit welchem sich beide grüßten.

Jetzt trat die Hofdame mit einer chinesischen Tasse auf silbernem Teller herzu, um der Kronprinzessin eigenhändig den Tee zu servieren, während der Lakai mit lautloser Gewandtheit Fräulein Hoff bediente.

Prinzessin Ingeborg wechselte einen schnellen Blick mit der Gräfin, und ihre Wangen färbten sich höher, wie bei einem Kind, welches sich plötzlich der Erfüllung eines Wunsches sehr nahe gerückt sieht.

»Nun, ich dächte, Fräulein Hoff, dieser Wunsch wäre sehr leicht zu erfüllen, wenn Ihre Frau Mutter keine Hindernisse in den Weg legt?«

»Meine Mutter würde glücklich sein, könnte sie mich glücklich sehn! Aber so leicht und einfach ein Wechsel des Wohnorts aussieht, ist er doch leider aus zwingendsten Gründen unmöglich!«

»Für Ihre Frau Mutter wohl! Aber könnten Sie nicht allein Residenzlerin werden?«

Wieder blickten die großen Augen ebenso traurig und sehnsuchtsvoll auf die Sprecherin, wie sie von dem Gemälde in dem Nationalmuseum auf sie herabschauten.

»Ich besitze leider gar kein Talent, um irgendeine Stellung annehmen zu können. Königliche Hoheit!«

»Je nun, darüber ließe sich nachdenken! Ich werde mich für Ihren Wunsch interessieren und hoffe, Ihnen und Ihrem genialen Vetter zu beweisen, daß auch heutigentags noch Sklavenketten gebrochen werden können! – O nein! Noch dürfen Sie mir nicht danken!« wehrte sie lachend ab, als Severa voll atemlosen Entzückens die Hände vor der Brust faltete. – »Erst muß ich der guten Geister gewiß sein, welche ich zu Verbündeten brauche! Bitte geben Sie mir noch ein paar Truffe en surprise, liebe Frieda ... für Süßigkeiten danke ich fürerst, später reichen Sie mir noch ein Biskuit! – Und nun setzen Sie sich zu uns, und berichten Sie ein paar Tagesneuigkeiten!«

Die Gräfin hatte die Platte mit Delikateßschnittchen offeriert und wieder zurückgestellt, jetzt setzte sie sich neben Severa nieder und zuckte lachend die Achseln!

»Im Frühjahr haben wir stets im Ereigniskasten große Ebbe! Die Parade verlief ganz programmäßig, die silberne Hochzeit des Oberlandstallmeisters soll derartig langweilig gewesen sein, daß die Teilnehmer die Kinnbacken elektrisieren lassen, um den bösen Folgen der Gähnkrämpfe vorzubeugen! Nun gipfeln alle Hoffnungen in dem Wohltätigkeitsfest, über welches wir uns so verzweifelt die Köpfe zerbrechen!«

Die Prinzessin blickte verstohlen in den großen Wandspiegel und schien sich an dem Doppelbild der »Nebensonnen« zu erfreuen.

»Dieses furchtbare Fest! Ich glaube, es gibt ein Fiasko sondergleichen!« lachte sie. »Wissen Sie nicht etwas ganz Originelles, was man den Zuschauern bieten kann, Fräulein Hoff?«

Severa sah unendlich harmlos aus. »Ja, welcher Art dürfte dieses ›Originelle‹ sein, Königliche Hoheit?«

»Jeder Art, welche für ein sehr elegantes Unternehmen in der engsten Hofgesellschaft möglich ist! Es gibt ja leider keine Auswahl! Das unumgängliche Lustspiel, – ich schlug schon eine Opernparodie vor! – Die Gesangsvorträge, – die lebenden Bilder – was anderes wissen wir beim besten Willen nicht!«

»Lebende Bilder? Als Base eines Malers interessieren diese mich am meisten! Haben Königliche Hoheit bereits Bestimmungen getroffen, welche Szenen gestellt werden sollen?«

Die Prinzessin schüttelte mit einem resignierten Blick das reizende Haupt.

»Die Zeiten opferfreudigen Martyriums sind vorüber. Wer hätte heutzutage, nach den furchtbaren Erfahrungen, welche die Arrangeure des letzten Basars machten, noch den Mut, die Szenen für lebende Bilder auszudenken und vorzuschlagen! Welch ein ahnungsloser Engel sind Sie, mein liebes Fräulein Hoff, all den schauerlichen Übelnehmereien gegenüber, welche die Folgen von lebenden Bildern und Theateraufführungen in der Gesellschaft zu sein pflegen! Es jedem recht zu machen, ist eine Unmöglichkeit, es nur ›manchen‹ recht zu machen, schon ein saures Stück Arbeit! Da fühlt sich jede Mutter, deren Töchterchen – gleichviel, ob sie hübsch oder häßlich ist – nicht die Hauptrolle spielt oder die vorteilhafteste Figur in den lebenden Bildern stellt, tödlich verletzt! Jeder Vater wird zum wandelnden Barometer, dessen Äußeres schon auf hundert Schritte verkündet, ob daheim Sturm im Wasserglase tobt, ob Gewitterschwüle herrscht oder gut Wetter lächelt, – die jungen Herren sind meist empört, wenn sie nach Schluß der Saison kostspielige Kostüme beschaffen sollen und die tanzenden Damen bekommen Krämpfe vor Eifersucht, wenn eine liebe Freundin aufgefordert wird, und sie selber keine Verwendung finden können! – Ach, die Lady patroness lebender Bilder ist das geplagteste und schwergeprüfteste Wesen unter der Sonne, welches stets und immer nur Undank erntet und jedesmal zum Schluß die Hand zum Himmel hebt: ›Einmal – aber nie wieder!‹«

»Kammerherr von Sperl hat schon vorgeschlagen, wir wollten die Volkszählung unter Kaiser Augustus stellen!« lachte die Hofdame voll feiner Ironie. »Bei diesem lebenden Bilde könnte ohne Schaden die ganze Hofgesellschaft mit Kind und Kegel verwendet werden und die Kostüme werden auch nicht die Jahreszinsen verschlingen, denn eine Kamelhaardecke und ein Wanderstab dürfte sich in jedem bessern Haushalt vorfinden!«

Fröhliches Gelächter.

»Die Idee ist fraglos gut und wird fürerst festgehalten! Suchen wir nach einem Raffael, welcher sich dieses dankbaren Vorwurfs schon einmal bedient hat!«

»Jedenfalls müßte man die Museen und Bildergalerien einmal abpirschen, um noch ähnliche Massenproduktionen aufzutreiben!«

Severa hatte einen Augenblick nachdenklich vor sich hingeblickt, dann schlug sie die dunklen Wimpern voll auf und fragte mit sinnendem Ausdruck: »Dürfte ich vielleicht eine Idee aussprechen, welche – ernst genommen – all diese kleinlichen Eifersüchteleien im Keim ersticken würde?«

»Ach? – Sie machen mich unendlich neugierig, mein liebes Fräulein!«

»Es ist mir in der Nationalgalerie als etwas ganz Besonderes ausgefallen, daß sehr viele Porträts hervorragender Persönlichkeiten ausgestellt sind,« fuhr Severa mit liebenswürdigem Lächeln fort, »sowohl in der neuesten Abteilung, im Lichtsaal, wie auch in den älteren Sälen. – Da sind viele Fürstlichkeiten, Mitglieder unseres erhabenen Königshauses, hohe Beamte, Minister und Generäle, viel schöne, elegante und wohlbekannte Damen der Gesellschaft, Künstler und Künstlerinnen, reizende Kinderporträts und auch Genrebilder oder historische Gemälde, von welchen die Modells oft der besten Gesellschaft angehörten! Wie würden es Königliche Hoheit nun finden, wenn man eine Bildergalerie vorführte, genaue Wiedergabe der Nationalgalerie – und die meistbekannten Porträts von den lebenden Originalen stellte! Wie schön müßte sich Seine Königliche Hoheit der Kronprinz auf dem Bild ›Tigerjagd‹ machen, wo Hochderselbe in seinem kleidsamen Tropenanzug, während seiner Reise durch Indien in Farben ›festgehalten‹ wurde – wie bezaubernd dächte ich mir das Brautgemälde meiner allergnädigsten Kronprinzessin, wo Eure Königliche Hoheit alle Welt begeisterten und das unvergleichlich liebreizende Gemälde in lebender Anmut geradezu Hinreißen muß –! Ich ahne ja nicht, ob es möglich sein wird, diese in der Tat ›lebenden‹ Bilder zu stellen, – aber ganz fabelhaft originell dürften sie wohl sicher wirken!«

Prinzessin Ingeborg starrte die Sprecherin momentan an wie eine Vision, dann rang sich ein leiser Laut höchster Überraschung von ihren Lippen und die weißen Händchen zusammenschlagend, jubelte sie auf: »Originell! In der Tat, dieser Gedanken ist köstlich originell! O, Fräulein Hoff, welch einen außerordentlichen Dienst leisten Sie mir durch diesen brillanten Vorschlag! Frieda! Hören Sie doch! Sagen Sie, ob Sie die Idee nicht auch herrlich finden! So etwas ist tatsächlich noch nicht dagewesen! Jede Übelnehmerei ist ausgeschlossen und wir haben eine Überraschung, wie sie nicht besser gedacht werden kann!«

Gräfin Herdern wechselte einen schnellen Blick des Einverständnisses mit ihrer Gebieterin.

»In der Tat sehr eigenartig und hübsch! Wenn die Originale einverstanden sind, sich zum Besten der Armut ein Weilchen bewundern zu lassen, so ist uns, dank des genialen Vorschlags,« – eine lächelnde Geste nach Severa – »geholfen!«

»O, die Originale müssen einverstanden sein!« rief die Prinzessin sehr lebhaft. »Zu wohltätigem Zweck ist alles erlaubt! Mein Mann wird mir den Wunsch fraglos erfüllen, sich in seiner schönen Pose, mit dem Fuß auf dem erlegten Tiger – wie gut, daß das ausgestopfte Untier noch vor seinem Kamin liegt! – der staunenden Gesellschaft zu zeigen, – nun! und wenn er und ich den Reigen eröffnen, wird es keinen Grund für die andern geben, sich auszuschließen!«

»Königliche Hoheit werden das Brautbild stellen?« rief Severa enthusiastisch. »Welch einen noch nie dagewesenen Triumph wird dann die Schönheit feiern!«

Die Kronprinzessin lächelte seltsam, ihre Augen, sonst so weich glänzend und schwärmerisch, blitzten in hoher Erregung. »Der Triumph bleibt abzuwarten. Auf jeden Fall hoffe ich zunächst die Freude zu erleben, mir ein zweites, sehr eigenartiges Bild zu sichern! Wir stellen den Lichtsaal aus der Nationalgalerie! Wissen Sie auch, Fräulein Hoff, daß darin der ›Studienkopf‹ von Manfred Hoff, das bewundertste Bild der Saison nicht fehlen darf?«

»Der Studienkopf?« Severa fragte es ganz leise, mit verhaltenem Atem. In ihrem Blick lag eine Welt der leidenschaftlichsten Empfindungen.

»Der Studienkopf, welcher von dem Original gestellt werden muß!« jubelte die Prinzessin beinah übermütig. »Mit gegangen, mit gefangen, mein liebes Fräulein Hoff! Hier hilft kein Mundspitzen, es muß gepfiffen sein! – Also, das ist abgemacht, – drei Bilder hätten wir. Wer kommt nun noch?«

Severa war heiß erglüht, sie legte die Hände wie in bangem Schreck auf die Brust.

»Königliche Hoheit ... ich ... die Fremde ... Unbekannte ... in dieser glänzenden Gesellschaft ...«

»Sie in dieselbe einzuführen, wird meine Sorge sein! – Glauben Sie mir, es wird mir nicht schwer fallen, denn wenn der Genius die Türe öffnet, ist er überall willkommen!«

Ein heißer Strahl flammte aus den schwarzen Augen, wie ein Freudenfeuer höchster Genugtuung, stolzer Befriedigung flammte es auf, aber niemand sah ihn, denn der »Studienkopf« neigte sich in demütigem Kuß auf die kleine Hand hernieder, welche die Prinzessin sehr huldvoll entgegengereicht hatte.

»Aber weiter! weiter! Helfen Sie Nachdenken, liebe Frieda, wer hängt oder ›hing‹ in letzter Zeit in der Galerie?«

»O genug der Auserwählten, Königliche Hoheit! Da ist der General von Brand, die reizende Kommerzienrätin Tischler mit ihrem großen Hund, ein gewiß sehr stimmungsvolles Bild, der Theaterintendant Baron Dwell mit dem Theaterzettel, welcher über seinem Knie liegt, Gräfin Johanna Fallkmar mit ihrem berühmten ›Minor‹.«

»Johanna Fallkmar ...? Minor ...?«

»O, Königliche Hoheit kennen sicher das Bild! Die sehr sportlich angehauchte Gräfin im Reitkostüm, die Wange an den Hals ihres edlen Renners ›Minor‹ lehnend!«

»Ah richtig! Natürlich! Wo war ich mit meinen Gedanken! Wird vorzüglich wirken! Dann das süße Kinderbild von Lady Rosberrys Zwillingen! – und die beiden Gemälde von Exzellenz Niebuhr mit Gattin, die durch ihr vieles Pelzwerk bekannt geworden sind! Und Baronin Eggen – die Dame in Gelb!«

»Und unsere Primadonna mit dem Spiegel! und Frau von Danndorf, die Treppe emporgehend ... und der russische Gesandte mit dem berühmten Diplomatentisch, auf dessen Ecke das Licht brennt –!«

»Und die blasse Fürstin Chamoix-Creux mit dem sentimentalen Lilienstrauß in der Hand!«

»Und Leutnant Weider von Held mit dem koketten kleinen Finger, die Zigarette haltend!«

»Der Finger wird riesig wirken!!«

»O es gibt so viele Bilder, die alle gestellt werden können, die alle bekannt in der Residenz sind und von denen man die Originale noch auftreiben kann!«

»Morgen fahren wir in die Nationalgalerie und treffen eine Auswahl! Jetzt aber –« und die Prinzessin drehte mit graziöser Bewegung das breite, goldene Kettenarmband, in dessen Mitte eine brillantbesetzte Uhr blitzte, zum Licht und sah darauf nieder, »ist meine Zeit leider abgelaufen! Ich habe noch Korrespondenzen zu erledigen, welche sich nicht aufschieben lassen!« – Sie erhob sich, – leise rauschten die Seidenfalten und ein zarter Maiglöckchenduft wehte aus dem Spitzenschal herüber, welchen Gräfin Herdern vom Stuhl nahm, ihn um die Schultern der jungen Gebieterin zu legen. »Es war mir eine aufrichtige Freude, Sie so überraschend kennen zu lernen,« fuhr sie sehr huldvoll fort, Severa die Hand zum Kusse reichend, »und ich hoffe bestimmt ›Auf Wiedersehen‹ sagen zu können! Das Original des Studienkopfes ist uns verpflichtet, Sie erhalten durch Gräfin Herdern noch genaue Auskunft über alles Nähere, wann die Proben stattfinden usw. Bis dahin Lebewohl! Möchte Ihnen unsere schöne Residenz bald heimisch sein!«

Noch einmal ein gnädiges Lächeln und Nicken, und die Prinzessin wandte sich zur Türe.

»Ich erwarte Sie in meinem Zimmer, liebe Frieda, möchte Ihnen etliche der Schreiben diktieren!«

Die Hofdame verneigte sich schweigend, Severa wiederholte ihre tiefe, respektvolle Verbeugung und die hohe Frau trat in den Nebensalon, gefolgt von der Gräfin, welche hastig die elektrische Klingel in Bewegung setzte.

Severa war einen Augenblick allein.

Ihre schlanke, stolze Gestalt wuchs empor, ihre Brust wogte unter stürmischen Atemzügen, wie berauscht flog ihr Blick durch den Salon. Es war ihr zu Sinnen, als müßte sie die Lippen öffnen und ein einziges Wort in die Welt hinausjubeln, – voll triumphierender, sieghafter Freude – ein Wort ...

Aber nein, – noch war es nicht an der Zeit, noch durfte sie ihres Herzens tiefinnerstes Empfinden dem forschenden Blick der Hofdame nicht entdecken, welche soeben zu ihr zurückkehrte.

Entzücken – Dank ... begeisterte Verehrung! die fluteten von ihren Lippen und doch takt- und maßvolle Bescheidenheit dabei, welche der Gräfin besonders wohlgefiel!

Noch ein paar kurze, angeregte Worte hin und her, – Severa hat eine bestrickende Art, wenn sie sich ungeniert und sonder Scheu gibt und sie will der Gräfin gefallen, sie will auch bei ihr den möglichst besten Eindruck hinterlassen, weiß sie doch, was der Einfluß nächster Umgebung bei Fürstlichkeiten zu bedeuten hat.

Wie schön ist sie in ihrer Erregung! Und wie gut, daß Komtesse Frieda den Begriff von Neid und Mißgunst so gut wie gar nicht kennt.

Voll aufrichtigen Entzückens blickt sie in das schöne Antlitz ihrer Schutzbefohlenen, und da sie keine allzu scharfe Menschenkenntnis besitzt, so liest sie in den dunkeln Augen, was sie gern darin lesen möchte, wahrhafte Begeisterung für ihre geliebte Herrin, ehrliche und herzliche Dankbarkeit für die außergewöhnliche Huld, welche ihr widerfahren.

Wer vermöchte es der gütigen, liebenswertesten aller Frauen solche Güte je mit Undank lohnen? Solch ein Gedanke ist absurd, wenn man in die strahlenden, glückschimmernden Mädchenaugen sieht!

Und Gräfin Frieda fühlt, wie sich alle Bedenken, welche sie anfänglich gehegt, verflüchtigen, wie sie sich voll gläubiger Zuversicht mit der seltsamen Laune der Kronprinzessin mehr und mehr aussöhnt.

Severa verabschiedet sich bald.

Ihr ganzes Wesen ist sehr taktvoll und zeigt die besten Formen, jene angeborene Eleganz, welche selbst die kleinlichen Verhältnisse eines Landstädtchens nicht beeinflußen können. Mit leichten, elastischen Schritten eilt Severa durch die Korridore des Fürstenschlosses zurück. Der Lakai, welcher ihr folgt, weiß, daß sie »nur« Fräulein Hoff heißt, als er aber in das schöne, stolze Antlitz schaut, welches sich ihm mit einem undefinierbar blitzenden Blick zuwendet, da verneigt er sich unwillkürlich so tief vor ihr, wie vor einer Exzellenz.

Als Severa das Schloß betrat, lag es noch wie eine leichte Scheu und Befangenheit über ihr, eine bange Ungewißheit, welche sich in Miene und Bewegung ausdrückte; jetzt, da sie zurückschreitet, ist keine Spur mehr davon zu bemerken.

Ihr Mund lächelt auch jetzt noch, aber es liegt mehr Herablassung in diesem Lächeln wie das zuvor so unsichere Werben um Gunst und Duldung, – Und das Haupt ist stolz und selbstbewußt erhoben, wie bei einem Menschen, welcher genau weiß, daß er auf dem Grund und Boden, welchen er betritt, einen nachhaltigen Sieg errungen hat.

Ihr Blick verdüstert sich zwar momentan wieder, als der Lakai ihr den so sehr schlichten, kleinen Mantel um die Schultern legt, als die armselige Mietsdroschke, einem Winke folgend, auf die Rampe emporklappert, – aber es zuckt um die Lippen wie trotzige Zuversicht: »Das soll alles noch anders werden!« Der erste Schritt zu Glanz, Ruhm und Pracht ist getan, nun gilt es, das Eisen zu schmieden, so lange es heiß ist, und die schwindelnde Höhe der Glücksleiter zu ersteigen, deren erste Sprosse sie heute unter den Füßen fühlt!

Wie hämmern ihre Schläfe! Wie stürmen die Pulse!

Fiebernd vor Aufregung fliegt sie die elenden, steilen Holztreppen zum Atelier ihres Verlobten empor. – Der Anblick all dieser Ärmlichkeit tut ihren Augen weh, – sie beißt wie in nervöser Ungeduld die Zähne zusammen, als sie die Klingel zu dem schmalen, dürftigen Korridor zieht.


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