Georg Engel
Claus Störtebecker
Georg Engel

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III

Böses Wetter herrschte über der »Agile«. Nicht, als ob Wind und Wogen den Segler zum Streit herausgefordert hätten, denn der Himmel lachte im hellsten Gold, und die Flut breitete sich als ein blauer Acker vor dem Meerwanderer aus. Nein, es war die schlechte Laune des Admirals, die immer schwer auf dem Schiffsvolk lastete, sobald das Unvermögen besonnenen Wartens die Herrschaft über den Lebhaften erlangt hatte. Die Tat, auch die aussichtsloseste, schloß er jauchzend in seine Arme, das Hinbrüten jedoch, das Minute an Minute reihen ertrug er nicht, und mitten aus der erzwungenen Ruhe schoß er manchmal empor, entschlossen, durch irgendeinen heftigen Wurf den Zaun, von dem er sich eingeengt wähnte, zu zerschmettern. In solcher Lage aber befand sich der Sieger von Wisby nach seiner Meinung gerade jetzt. Die Tage wollten sich für ihn nimmermehr vom Firmament lösen, und keine noch so drohend emporgereckte Faust beschleunigte ihre Fahrt.

Unerträglich, nicht wert zu leben!

An der Galerie, die ganz hinten am Heck zu Füßen des gewaltigen Aufbaues den Abschluß des Schiffes bildete, schritt der Störtebecker eines Morgens rastlos auf und nieder. Das Haar flatterte ihm um die Stirn, und seine schwarzen Augen spähten über die eingefurchte Kiellinie zurück auf den Weg, den er gekommen. Hinter ihm war die tote Stadt längst versunken, das letzte Goldkreuz ihrer Kirchen hatte sich in Dunst aufgelöst, und das einzige, was sich auf der Fläche abzeichnete, waren die zwerghaften Umrisse von zehn schwarzen Freibeuterschiffen, die im weiten Umkreis dem Kurs der »Agile« folgten. Nur zehn? Wohin hatte sich der übrige Teil, der noch vor kurzem so stattlichen Flotte verloren? Und weshalb befand sich Gödeke Michael nicht in der Gesellschaft seines Freundes? Wo blieben der Magister und der fromme Saufbruder Wichbold? Und noch eins! Den Kundigen war es schon seit geraumer Zeit aufgefallen, daß man die dänischen Gewässer verlassen und auf der Höhe der deutschen Küste kreuzte. Spürte der Admiral plötzlich Sehnsucht nach Heimat und Sippe, die er stets hoffärtig verleugnet? Niemand erfuhr es, und unentwegt hielten sich die Schwarzflaggen auf derselben Meestraße. An klaren Tagen konnte man aus den Mastkörben bereits die blauen Linien von Rügen dämmern sehen, allein kein Näherrücken gab es, sondern man harrte.

Enttäuscht lehnte sich Claus Störtebecker an die Wand des Aufbaus, kreuzte die Arme über der Brust und schickte noch einmal einen hoffnungslos finsteren Blick über die lachende Ferne. Nichts! Das, was er erwartete, die roten Segel, die in der Nacht seine Träume teilten, sie wollten sich nicht zeigen.

»Ich möchte lieber«, sprach er endlich höhnisch zu dem Knaben Licinius hinunter, der mit einer Schreibarbeit beschäftigt zu den Füßen des Admirals hockte, »der dicke Wichbold schwömme als ein unförmig Bauchgebirge an uns vorüber, als daß mich der wüste Saufaus noch länger narrte. Acht Tage! Könnte ich doch mit dem Wind dem widrigen Kerl meinen Namen in die Ohren heulen, ich –«

Mitten im Satz schleuderte er jedoch alles Weitere von sich, um sich unvermutet zu seinem Gefährten herabzubeugen, denn das Schweigen des Knaben verdroß den Heftigen.

»Was bedeutet dein ewiges Gekritzel?« rief er hastig. »Was treibst du, Bursche?«

Folgsam schloß der Angeredete seine Wachstafel, allein seine Augen suchten fortgesetzt den Boden, als er still erwiderte: »Ich tue, was du mich geheißen.«

»Ich?«

Plötzlich lachte der Riese und fuhr dem Blonden versöhnt über die Locken. Er besann sich. Damals, als er zur Nacht von Wisby auf sein Schiff zurückkehrte, war ihm zum erstenmal der Einfall aufgestiegen, es sei ratsam, vor Mit- und Nachwelt jene Begebenheiten aufzuzeichnen, die sein seltsam Vorhaben gefördert oder gehindert hätten. Denn ohne daß sich der Sorglose ganz klar darüber wurde, hatte ihn ein drängendes Verantwortungsgefühl gegenüber seinen eigenen Plänen erfaßt, so daß er meinte, sie müßten in ihrer Ursprünglichkeit erhalten werden, auch wenn er nicht mehr atme.

»Geh, Bübchen«, hatte er sofort seinen Gefährten angepackt, da Licinius in jener Nacht auffallend wortlos und sonder Teilnahme neben dem innerlich Berauschten einherging. »Du hast ein rein Herz. Zeichne auf, was du hier erspähst. Mag dein sanft Gemüt einst für mich zeugen wider Trug und Mißgunst.«

Und so hatte der Knabe in all seiner bedingungslosen Schwärmerei und heimlichen Trauer zur Schreibtafel gegriffen.

Heute entdeckte nun der Seefahrer ganz unvermittelt, nachdem er endlich seinem verbitterten Warten entrissen war, was sich längst in seiner Gegenwart entwickelt, und sofort entwendete er dem Knaben die Tafel vom Schoß, um sie in starker Spannung zu überfliegen. Er lehnte noch immer am Aufbau, aber bevor er zu blättern begann, warf er dem Blonden erst noch einen merkwürdig fragenden Blick zu. Der hielt das blitzende Augenpaar gefaßt aus, wie jemand, der mit sich und seinem Urteil im reinen ist.

Da schlug der Störtebecker das Buch auf. »Nun gut, Licinius«, meinte er neugierig, »laß sehen, was ein sauberer Spiegel zu melden weiß?«

Klangvoll fing er an zu lesen:

»Dies schreibe ich der Wahrheit zuliebe, und auf daß mir selbst einst vergeben werde – – –

Der Störtebecker hat auf dem Markt zu Wisby alles Volk zu sich bekehrt. Bis auf die wenigen um Gödeke Michael. Dies ist ein Schade, denn es sind gar wackere Schiffer und in guter Zucht. Die anderen aber streckten die Hände zu ihm wie zu einem Gott aus der Höhe, sie küßten ihm den Mantel, einige ließen ihn über sich wegschreiten, und ich habe etliche Narbengesichter weinen gesehen gleich den Kindern. Niemals zuvor wurde aber auch Verlassenen dergleichen verheißen, und unser Herz quoll über vor Dank und Sehnsucht. Am Abend kehrte der Störtebecker heim auf die ›Agile«. Seinem blauen Prunkrock war böse mitgespielt, und er selbst gebärdete sich hitzig und voll Unrast, so daß man hatte fürchten können, er habe seinen Stern in übler Gesellschaft verloren!–«

Bei dieser Stelle fuhr der Lesende erstaunt herum, strich sich über die Stirn und schlug dann auf die Wachstafel.

»Was hast du hier geschrieben, Fant?« rief er nicht ganz sicher. Dann aber faßte er sich. »Töricht Kind, weißt du nicht, daß des Menschen Gebein aus Ton und Erde gemacht wurde? Es kann den Funken nicht immer vertragen!«

»Ich will den Satz tilgen«, versetzte der Knabe sanft.

»Nein, mag er bleiben«, bestimmte der Admiral nach einer Weile und versuchte zu lachen. »Er meint es redlich. Gehen wir weiter.«

– – »Zur Nacht kam der Gödeke Michael an Bord.

Mein Herr hatte ihn durch mich bescheiden lassen. Wir saßen zu dritt in der Kajüte. Der Michael hatte ein ernst und um durchdringlich Gesicht, und verschlossen war sein ganz Wesen. Es schien mir aber dennoch, daß seine Augen voll Trauer und Teilnahme an dem Störtebecker hingen. Da griff ihn mein Herr gleich scharf an und sprach: ›Gödeke, warum hast du dich heute wider mich gewendet?«

›Darum«, sprach er, ›weil du über die Wolken stiegst und der Armen Sach' auf Erden ausgefochten wird.«

Der Störtebecker hielt an sich und erwiderte: ›Weißt du denn nicht, daß ich darauf bin, ihnen ein Asyl zu öffnen?«

Der andere zuckte die Achseln und sprach: ›Wie willst du wohl dazu kommen? Auf den Schiffen sind wir stark, aber zu Land ein verloren Häuflein. Mit so geringer Macht wird nicht einmal ein Acker gewonnen.«

Da lachte der Störtebecker hellauf und sagte: ›Potz Marter, du denkst nur immer an Schädelspalten. Ich aber will mein Land in gutem Frieden mit Gold und Silber einhandeln.«

Darauf schwieg der Gödeke Michael eine Weile und bedachte sich, dann fragte er, wer solch ein Land wohl freiwillig verkaufen würde? Als er nun hörte, daß mein Herr schon den Hauptmann Heino Wichmann auf Kundschaft zu den Fliesen gesendet hätte, da die Großen dieser Stämme aus Geldgier sogar ihre eigenen Weiber preisgäben, da schüttelte er den Kopf und fragte zum Schluß:

›Und woher willst du eine solche Menge Goldes nehmen, wie sie gewißlich von dir fordern werden?«

Da zögerte der Störtebecker ein weniges, und es war, als ob er sich schäme, dann aber schüttelte er es ab und meinte kecklich: ›Ich weiß eine Stadt in Norwegen. Die hat sich seit alters her gemästet, so daß sie schier erstickt vor Wohlleben und Überfluß. Auch die Hansischen halten dort ihre Kontore und nagen gleich den Ratten am Speck der Eingeborenen. Dorthin will ich den dicken Wichbold mit zwanzig Koggen senden, damit er den feisten Wanst mit Tribut und Steuer zur Ader lasse.«

Kaum hatte der Michael dies vernommen, da sprang er auf, stieß den Tisch von sich und schrie, während die Zornader ihm schwoll: ›Ist der Wichbold schon fort?«

Und als mein Herr bestätigt hatte, die Koggen wären schon seit Mondaufgang unter Segel, da geriet der Michael außer sich, hieb auf die Tischplatte und verschwor und vermaß sich; ganz rot war er im Gesicht, als er hervortobte:

›Wehe, du hast unsere Sache erwürgt und ins Grab geworfen.«

›Gödeke«, unterbrach der Störtebecker, und ich glaubte, er ersticke, ›nimm dich in acht! Mich hat noch niemand beschimpfen dürfen.«

Bevor aber noch ein Unglück geschehen, da hatte der Michael sich selbst an der Brust gepackt, und nun würgte und rang er gar erschrecklich, bis er endlich in seiner gewohnten Weise hervorbringen konnte: ›Ich kenn' deine Stadt. Heißt sie nicht Bergen?«

›Du sagst es«, erwiderte mein Herr.

›Und ich kenne auch den dicken Wichbold«, entfuhr es dem anderen, ›diesen Wegelagerer und stinkenden Weihrauchkessel. Gib acht, in der Linken sein Gebetbuch und in der Rechten ein Bund brennenden Wergs wird er die Bergener rösten, nachdem er ihnen zuvor das letzte Kissen aus dem Bett gezogen. Weißt du auch, was daraus entsteht? Die Dänischen und die Hansen werden gemeinsam über uns kommen und um so lieber, als die Schiffe des preußischen Ordens jetzt schon gen Wisby unterwegs sind. Zweifle nicht, dies muß die Schwarzflaggen zu Fetzen zerreißen.«

Als mein Herr so die nahe Gefahr verkündet hörte, da wuchs er in die Höhe, gerade wie damals, da die Steinkugeln des ›Connetable« unser Deck zertrümmerten; schweigend schritt er in eine Ecke, holte von dort seinen langen Hieber hervor und streckte die Waffe vor sich hin.

›Höre, Gödeke«, sagte er, und es konnte ihm keiner von uns in die Augen schauen, so grimmig flackerten sie, ›so wenig ich über dies Eisen springen kann, während ich es in meiner Faust halte, so wenig wird dies alles geschehen. Meint der Wichbold etwa, ich wäre ein Hündchen, das im Schoß einer Dame schmeichelt? Er weiß, so auch nur einem Bergener ein Haar gekrümmt wird, so will ich ihn selbst schänden, daß kein Weihwasser mehr das Mal von seinem Pockenfraß abwäscht. Sei sicher, die Furcht wird ihm raten!«

Damit warf mein Herr den Hieber von sich, holte tief Atem und seufzte. Nachher sprach er mit einer treuherzigen und traurigen Stimme: ›Aber dies ist nicht das Schlimme. Das Schlimme ist etwas anderes.« Er legte dem anderen die Hand auf die Schulter. ›Ist es wahr, Gödeke, daß du von mir gehen willst?«

›Ja«, rang sich der Michael langsam ab. ›Meine Zeit ist gekommen.«

›Gödeke«, rief nun mein Herr, ›bist du des Raubens und Stehlens noch nicht satt?«

Über das Gesicht des Michael lief eine Röte. ›Ich habe mein Tag nichts für mich genommen«, rechtfertigte er sich rasch. ›Aber es muß einer dasein, der für die Geknechteten und Geschundenen als ein Racheengel daherfährt. Was würde, wenn die Mächtigen nicht mehr vor dem Würger schauderten?«

Der Störtebecker nickte und sah vor sich nieder. ›Und von dem Wiederanfang hältst du nichts?« fragte er.

›Ich bin ein Kriegsmann«, zuckte der Michael die Achsel. ›Wir haben am Kreuz gestanden und den Herrn vergeblich verröcheln gesehen. Seitdem weiß ich, daß Blut um Blut gefordert werden muß.«

›So gehe«, fuhr der Störtebecker heftig auf, ›und wir wollen warten, wer unserer Sache besser nützt!«

›Dies geschehe«, sprach der andere kalt und wandte sich.

So wären die beiden alten Genossen schier unversöhnt voneinander geschieden, wenn nicht der Störtebecker dem Michael mit einem Sprung nachgesetzt wäre, gerade als jener die Treppe erreichte. Aber auch der Michael kehrte zu gleicher Zeit um und streckte meinem Herrn beide Hände entgegen.

›Bruder«, rief der Störtebecker in einem Ton, wie ich es bis dahin noch nie von ihm gehört. Auch dem anderen schien das Wort durch und durch zu gehen, denn er führte die Hände des Freundes gegen seine Brust und sah ihn lange an. Dann sprach er:

›Claus, seit du als Halbflügger zu mir kamst, hast du ein reiner Licht über mein Handwerk fallen lassen als je vorher. Das will ich dir nimmer vergessen. Darum kann ich auch in der Ferne nicht aufhören, auf dich zu achten. Geht es dir aber übel, so sende mir unsere Schwarzflagge und hänge deinen Siegelring daran. Daraufhin will ich meinen Kopf für dich wagen, wie bis auf diesen Tag. Und nun frisch, Claus, tue, was dein Herz dich lehrt und was ich nicht mit dir tun kann.«

Darauf umarmten sich die beiden Männer und gingen auseinander. – – –«

Hier schloß der Admiral das Buch, löste sich ein wenig von der Wand des Aufbaus, und sein Blick glitt abgekehrt zu der Kielfurche hinunter, die sich wirbelnd in der Weite verlor. Die Bilder aber, die sein Schreiber entrollt, gaben ihn noch nicht frei, sie fingen ihn vielmehr in einen dichtbevölkerten Käfig ein, aus dem es kein Entspringen gab.

Nein, das nicht! Was sollte der Verkehr mit Schatten? Gewaltsam schüttelte sich der Entrückte, um, wie zur Rettung, abermals nach der Tafel zu greifen. Siehe da! Waren da nicht in kleinerer Schrift ein paar Zeilen eines Nachtrags hingesetzt? Claus beugte sich, um sie zu entziffern. Und während des Ausdeutens kam dem Lesenden der Argwohn, als habe der Schreiber absichtlich seine Zeichen krauser und undeutlicher gehalten als bisher. Da stand:

»Dies schreibe ich für mich allein!

Als der Michael gegangen war, da stand mein Herr aus Stein gehauen, als wäre er aus der Welt ausgestoßen und verbannt. Aber dem war nicht so! Wer ihn recht betrachtete, der merkte wohl, daß ihm während dieses ganzen Streites ein weißes Licht auf der Stirn geleuchtet, so daß man hätte vor ihm niederknien mögen, um ihn anzurufen: ›Nimm mich mit dir, wohin du dich auch wendest.« Deshalb weiß ich, unser Heil ist nur in den Spuren dieses Einen. Denn er sucht das Gute. Und ob es sich auch tief versteckt, es ist nicht aus der Welt. Mögen wir alle es schauen vor unserem Ende!«

Tief aufatmend fügte der Störtebecker die Wachsplatten zusammen, schlang die Bänder um die Holzhülle und reichte Licinius, der sich inzwischen erhoben, die Tafeln zurück. Auf dem engen Raum hinter der Galerie standen sie dicht nebeneinander, ein Ausweichen war nicht möglich. Gern hätte der Knabe erfahren, ob der Admiral mit der Schreibarbeit zufrieden sei, allein dieser hatte sich abgekehrt, so daß seine Gesichtszüge dem Blonden verborgen blieben. Da versuchte Licinius, dem Seemann die Hand bescheiden auf den Arm zu legen. Kaum aber spürte dieser den Druck, da fuhr er zum Schrecken seines Gefährten mit einem Sprung herum – dann ein Augenblick des Erstarrens, und in den Blonden schlug es ein, daß dies nicht mehr derselbe sei, der noch soeben höhnisch, ungeduldig, verbittert nach seinem Schicksal ausgespäht. Nein, wild, hingerissen, über alle Grenzen geschleudert, so stand der leuchtende Mensch vor dem Fassungslosen, der solch jähen Wechsel nicht gleich begriff, dann ein selbstverständliches Zupacken, in irrem Schwindel fühlte Linda ihre Glieder emporgeworfen, und dann lag sie wie in einer mächtigen Wiege, und das edle und doch so fürchterliche Antlitz ihres Bezwingers beugte sich nah und näher auf die Zitternde nieder.

»Knabe – Weib – was bist du eigentlich?« jauchzte ihr eine heiße, verzehrende Stimme ins Ohr. »Du Stern, der mir vom Himmel herabfiel, was soll die Vermummung?«

Da sprang über der Hingestreckten das blaue Gewölbe auseinander, Entsetzen und Verzückung stürzten zugleich auf sie herab, voll Schauder warf sie die Hand gegen die sündhaften Augen, allein der erhobene Arm brach kraftlos auf halbem Wege zusammen, und nichts als eine lächelnde Starrheit war dem erschreckten Bedränger preisgegeben.

Als ihn dies gänzliche Verstummen erreichte, da kehrte dem Betroffenen die Besinnung zurück. Eine bittere Verachtung verzerrte plötzlich seinen Mund, schützend packte er seine Last fester, und zum erstenmal warf er einen scheuen Blick um sich, ob auch die Mannschaft nichts von seiner Verlegenheit erkundet. Allein, da hinter dem hohen Aufbau keine Überraschung zu besorgen war, so öffnete der Störtebecker entschlossen die schmale Hinterpforte, und gleich einem Einbrecher schlich er tief gebückt in die große dunkle Kammer. Ein Lichtstreif verriet ihm die Lagerstreu seines Gefährten. Nur Stroh und Schilf sowie eine rauhe Decke dienten hier zu Rast und Schlummer, und eine heimliche, nie empfundene Bedrückung belehrten den Eingedrungenen ganz unerwartet, welcher Dürftigkeit das verwöhnte Geschöpf, das er jetzt so behutsam auf den Armen trug, sich hier habe anpassen müssen. Und weshalb? Weil sie, die Gemißhandelte, unverrückbar und felsenfest an seinen Stern glaubte. Ein heißer, dankbarer Blick streifte das totenähnliche Antlitz, und während er den fühllosen Körper sanft auf die Streu gleiten ließ, da regte sich in dem Prachtliebenden, stets zu jeder Verschwendung Bereiten, ein unzähmbarer Haß gegen die Ärmlichkeit dieses Lagers. Wie? Er selbst wühlte im Golde, und seine Nächsten sollten darben? Das konnte ihm nur Schande eintragen, solches berichteten auch die Lieder keineswegs, die man im Volke von ihm sang.

»Wulf Wulflam«, befahl er eine Weile später, als er über Deck schritt, seinem Bootsmann, »wir haben noch die Schlaftruhe des Bischofs von Strängnäs an Bord. Schnell, schaffe den Plunder zu Licinius in die Kammer! Das Büblein braucht sich die Knie nicht wund zu scheuern.«

Vergnüglich wollte der Schiffer Beifall grinsen, allein ein Blick auf das hochmütige Gesicht seines Herrn ließ es ihm doch geraten erscheinen, lieber die Kappe zu lüften, um sich dann wortlos an seine Arbeit zu trollen. Er wußte aus Erfahrung, wie wenig für Einverständnis und Vertraulichkeit von diesem Seetyrannen in gleicher Münze eingewechselt wurde!


Tag und Nacht war verstrichen, und in seiner Kajüte streifte der Störtebecker ruhelos auf und nieder. Zuweilen hörte man auf Deck, wie unten ein harter Faustschlag gegen die Holzwände dröhnte. Zwiefach harrte der Admiral. Auf die roten Segel, die nicht aus dem Horizont brechen wollten – und ein heftiger Zorn peinigte ihn daneben, weil ihm sein Knabe heute zum erstenmal nicht bei Tisch aufgewartet.

Was sollte das? Auflehnung? Der Gereizte blieb stehen, und ein verständnisloser Blick streifte die lederne Peitsche an der Wand. Er wußte nicht, was er wünschte. Gleich darauf zwar brach er in Hohn über sich selbst aus, und er verspottete sich, weil in dieser unerträglichen Spannung Weiberkram seine Gedanken beeinträchtigen konnte. Angestrengt sann er eine Weile nach und horchte, ob sich kein weicher Tritt melde. Als sich jedoch nichts regte, spritzte ihm die Wut verschärft in die Stirn, und doppelt besessen stürzte er an die Schiffsluke, um in ohnmächtiger Verzweiflung über die schwanke Ebene zu spähen. Nichts – nichts – bei den fünf Wunden, nicht der Schatten eines Käfers ließ sich entdecken, und mit schmerzenden Augen taumelte der Unbändige zurück und raufte sich stöhnend das Haar. Zwanzig seiner mächtigsten Schiffe, der Kern der gesamten Schwarzflaggen, sie waren verschollen, er hatte sie unter die Hand eines gewissenlosen Henkerknechtes gegeben, und nun bohrte in ihm die immer spitzere Erkenntnis, daß auf diesen Planken alle Hoffnung der Armen und Elenden verladen war, zu deren Wortführer er sich aufgeworfen. Welch ein Hohngelächter würde rings um die Küste schallen, wenn man erst erfuhr, daß diese gefürchtet Waffe vielleicht von einem seiner eigenen Genossen gestohlen war? Lähmend stieg ihm die Befürchtung des Gödeke Michael auf, und zu stolz und herrschsüchtig, um den geringsten Vorwurf zu erdulden, begann seine Tobsucht nach irgendeinem Opfer Ausschau zu halten. Warum kroch dieser blonde Tröster nicht wie sonst gleich einem demütigen Hündchen zu seinen Füßen? Das durfte der Herr doch verlangen!? Und wieder haftete sein verwirrter Blick an der Lederpeitsche, und seine Rechte streckte sich krampfgeschüttelt nach ihr aus.

Da – mit einemmal, welch ein singender, langgezogener Ruf aus den Himmeln?

Der Störtebecker schnellte in die Höhe, und so sehr hatten sich alle seine Sinne in eine einzige Erwartung verzogen, daß er die Gestalt nicht unterschied, die jetzt in die taghelle Öffnung der Tür drang.

»Herr«, jubelte Licinius, wie immer ein Bote des Glücks, »der Wichbold!«

Da wurde ihm noch einmal der Freispruch von unerträglichen Foltern vergönnt, die Entkettung von irgend etwas Wildem, Bösartigem, das schon Gestalt gewonnen. Beide Arme warf der Störtebecker auseinander und stürzte auf den Ersehnten zu, als wollte er abermals die seinen, schlanken Glieder im Übermaß des Entzückens an sich pressen. Aber der gewaltige Zug, der über ihm war, sprengte ihn weiter. Nur die Hand des Knaben umklammerte er, und ohne sich fürder um ihn zu kümmern, riß er den Blonden widerstandslos hinter sich her auf Deck.

Oben ein glasheller Sommertag und unter ihm das seidige Wallen des blauen Meeres. Jedoch der Besessene blieb blind für die gewohnte Pracht, ihn trieb einzig die lodernde Wut seines Wesens an, sein abergläubisch verehrtes Glück allein und weit über den Häuptern der anderen auskosten und ermessen zu dürfen. Niemals hatte er sich dazu hergegeben, heute stürmte er unempfindlich gegen seine Würde über die Strickleitern empor, und bald entdeckte ihn die erstaunte Mannschaft, wie er hoch oben in der rot gestrichenen Masttonne sich weit über den Bügel warf, um die ungeschützten Augen frech und durstig in die Sonne zu bohren.

Ja, von dorther schwamm sein Glück; mit rot glitzernden Funken war die Straße gepflastert, über die es langsam einherzog, wenn man auch bis jetzt nichts weiter als eine sich immer vergrößernde Anzahl schwarzer Flaggen unterschied, die scheinbar von unsichtbaren Händen durch die Wolken getragen wurden. Da wartete der Störtebecker nicht länger ab, bis sich auch der Rumpf jener Schiffe zu zeigen begann, er fragte sich in seinem Taumel auch nicht, warum der Leib der Koggen gar so dünn und linienhaft am Horizont haftete, mitten in der lauen Luft wurde die riesige Gestalt dort oben von einem übernatürlichen Sturm geschüttelt, und mit einem ins Unermessene langenden Griff zerrte er die Schwarzflagge von der Wimpelstange, und nun schwenkte er sie in langen atemlosen Windungen durch den goldspinnenden Äther, bis das dunkle Tuch selbst von Feuer und Brand erfaßt schien. Er grüßte sein Glück, er grüßte das Heil der Unzähligen, von dem er meinte, daß es ihm jetzt unwiderruflich in die Hände gegeben sei. Da brandete auch unter dem Schiffsvolk der lang gesparte Beifall empor. Linda, die fast unkörperlich zwischen den schreienden, winkenden, durcheinanderwimmelnden Männern umherirrte, denn ihr Blick kletterte über alle hinweg dem trunkenen Fahnenschwinger in die Lüfte nach, sie fing dennoch auf, wie der Jude Isaak den kleinen zahnlosen Arnold Frowein an den Katzenpfötchen packte, dazu inbrünstig murmelnd: »Glaubst du nun, Bruder, daß sie da sind?«

»Wer?« miaute der ehemalige Töpfer, der sein gezwungenes Grinsen nicht lassen konnte.

»Das neue Reich. Der Messias!«

»Mag sein«, zischte der andere, und in seinen Augen entzündete sich ein grünlicher Brand. »Aber die Katzen müssen erwürgt werden, damit Urian sich nicht in dem neuen Reich Kinder zeuge. Und auf das Streckbett soll man spannen, was sich Richter nennt! – Meinst du nicht, Freundlein?«

Der Jude sah ihn starr an, dann ließ er die kratzenden Nägel fahren und grübelte bange in sich hinein: »Laß, dort ist Freundschaft – wo sonst?«

Inzwischen war der Störtebecker geschmeidig an den Wanten herabgeglitten, nun bildete sich eine schweigende, atemlose Menschengasse, durch die er hindurchschritt. Noch immer hing ein Leuchten, ein Jubel an dem Riesen.

»Komm, Licinius«, befahl er, als er den Knaben erreicht hatte, »hilf mich schmücken. Die Spielleute sollen sich bereit halten. Wir wollen dem Wichbold ein Bankett geben, wie sich's Silen und Bacchus nimmer erträumt haben. Tummle dich, Kleiner, daß er uns nicht überrasche!«


Allein der Wichbold kam nicht. Längst schimmerte die Kajüte der »Agile« in ihren satten Farben, wie zum Hohn sandten die Spielleute ihre Weisen in den sinkenden Tag, und in seinem roten Prachtwams saß der Admiral blaß und verstört unter den brennenden Laternen und ließ sich von Licinius einen Becher nach dem anderen füllen. Der Erwartete stellte sich nicht ein!

Durch die offenen Luken sah man, wie sich über die Flut grauer Schaum wälzte, allmählich liefen die Mondkäfer über die tanzenden Hügel hinweg, das Gesumme der Nacht meldete sich.

Endlich ertrug der Störtebecker die getäuschte Erwartung nicht länger. Geräuschvoll sprang er auf, und so sprechend war die Gebärde, mit der seine Rechte in die leere Luft griff, daß ihm Licinius ohne weitere Frage den schwarzen Mantel um die Schultern hing. Achtlos nickte der Admiral, dann stieg er schweren Trittes die Treppe hinauf, und kaum hatte er auf Deck die Bordschwelle erreicht, so schrillte jener Pfeifentriller über See, der eine der begleitenden Snyken herbeirief. Gleich darauf schwang sich die hohe Gestalt unter die Ruderknechte des Bootes. Bevor er jedoch die Weisung zum Aufbruch erteilte, warf er noch einmal das Haupt herum, denn er vermißte etwas. Oben an der Bordschwelle lehnte Licinius, um schweigend der Abfahrt beizuwohnen. Da hatte der Riese gefunden, was ihm fehlte.

»Spring herab«, hieß er den Knaben. Und als dieser zögerte, noch einmal ungeduldiger: »Springe, dir widerfährt nichts.«

Da erstarb das Widerstreben in dem Erblaßten, folgsam schloß er die Augen, und ohne einen Laut von sich zu geben, ließ er sich durch die Bordlücke in die Schwärze fallen. Allein er berührte den Boden nicht, denn in heftigem Anprall stürzte er dem Störtebecker in die geöffneten Arme.

»Recht«, murmelte der und setzte seinen Gefährten sorgsam neben sich auf die Ruderbank. »Nun zum Wichbold.«

Rauschend verlor sich das Boot im Dunklen.

Am Nachthimmel hing bereits der Mond, als die Snyke in die Linie der Wichboldschen Schiffe einfuhr. Diesmal aber mußte es auch dem Unbefangensten auffallen, wie tief und schwer beladen die Fahrzeuge im Wasser lagen, augenscheinlich hatten die Ungeheuer über jedes Begreifen hinaus von dem Hab und Gut, um das aller Streit in dieser Welt geht, in sich eingewürgt. Besonders war es die »Goldene Biene«, die Führerkogge des Wichbold, die unbeweglich herabgedrückt in den schwarzen Wassern lag, und als ihre Besatzung von den Bootsleuten angerufen wurde, da antwortete zunächst ein dumpfes, bleiernes Schweigen. Leblos, oder von dickem Schlaf umhüllt, ruhte die »Biene« auf der Flut. Jetzt stieß das Boot an die Wandung, und zu gleicher Zeit richtete sich der Störtebecker sonderbar schwerfällig unter seiner Schar auf und führte mit dem Ruder einen harten Schlag gegen die Planken.

»Wichbold«, schrie er. Es klang beinahe ängstlich.

Auf der Kogge gab sich noch immer kein Laut kund, doch an den Masten glitten wenigstens ein paar Laternen in die Höhe, und eine Strickleiter fiel mit Gepolter über Bord. Wortlos schwang sich der Störtebecker hinauf, ungeheißen kletterte Licinius ihm nach.

Auf dem Deck der »Biene« stand die Mannschaft Kopf an Kopf, eine dunkle, nicht unterscheidbare Masse. Aber merkwürdig, kein Ruf hieß den sonst so gefürchteten Führer willkommen, schwelgend, verlegen wich die Menge vor dem einzelnen Mann auseinander, bis ganz hinten am Mast eine aufgeschwemmte, unförmige Gestalt sichtbar wurde. Die sank, wie ein baufällig Weinfaß, vor dem noch Fernen zusammen, und man konnte fast annehmen, sie wolle zur Begrüßung in die Knie brechen.

»Alle Heiligen«, gurgelte es tonlos aus dem Zober. »Du, mein gesegneter Freund.« Irre fuchtelten ein Paar fleischige Hände dazu in der Luft.

Allein trotz dieses demütigen Empfanges rührte sich der Ankömmling nicht, starr aufgerichtet verharrte er in der Menschengasse, und nur die vom Laternenschein grünlich getroffenen Augen des Admirals wanderten ungläubig, ja, wie von aufsteigendem Irrsinn entzündet, über die merkwürdige Beute der »Biene«. Da lagen freilich Kostbarkeiten aufgestapelt, die man sonst nicht oft beieinander findet. Truhen waren über Truhen geschichtet, die meisten halb offen, so daß Gold- und Silbergeschirr, kupferne Ampeln, eiserne Lichtreifen, Holzschnitzereien, bunt bemalte Wappen und Gildenschilder, riesige Deckelkrüge sowie Fetzen unordentlich hineingepreßter Teppiche aus ihnen hervorlugten. Etwas weiter türmten sich verschimmelte Wein- und Bierfässer übereinander, ungeheure Ballen unverarbeiteter Tuch- und Leinenstoffe hoben sich bis zur halben Höhe der Masten, da standen Pferde und Kühe angebunden, dort verschlangen sich Betten, seidene Frauenkleider, Schuhzeug und allerlei Gewaffen zu einem unerkennbaren Haufen, und ganz hinten auf dem Aufbau beugte sich inmitten eines wüsten Reigens von Weihrauchkesseln, Messegewändern und Stolastickereien, Opferschalen und Prozessionsfahnen eine überlebensgroße Mutter Gottes wehklagend zur Erde nieder, obwohl nichts anderes vor ihr lag als ein Stoß scharf duftender Lederhäute. Erst allmählich schwamm dieses tolle Durcheinander aus dem undeutlichen Laternenlicht hervor, und je brütender der Störtebecker auf jedes einzelne Stück hinstierte, desto qualvoller breitete sich unter der Mannschaft diese unbeschreibliche Strafe des Schweigens aus. Einzelne wischten sich mit groben Fäusten den Schweiß von der Stirn.

»Herr, Herr«, jammerte von seinem Mast aus der dicke Wichbold und schlug, während er ein paar Schritte vorwärts wankte, schallend die Hände zusammen. »Dies ist nicht mein Werk. Beileibe nicht. Wie es wohlgetan ist, den Ungerechten von ihrem Überfluß zu helfen, damit er unter die Armen verteilt werde, so ist dies hier eine Versuchung vom Herrn der Finsternis – nicht ich – nicht ich –, so wahr ich will selig werden.« Noch immer tasteten die Blicke des Störtebecker umher, taub und unempfindlich schien er, und so faßte der schwammige Buschklepper den Mut, wieder einen Schritt näher zu rücken. Verzeihungheischend beugte er sein graulockiges Haupt, wobei er sich selbst voller Anklagen die Brust schlug.

»Ach, du mein gesegneter Freund«, bettelte er, »sprich zu mir. Wolle dich überwinden! Ich weiß, du denkst ungnädig, aber was sind wir armen Sterblichen anderes als Läuse am Leib eines Hitzigen! Ein Schlag, und hin! Wie habe ich deinen Befehl befolgt – ich lernte ihn auswendig, ich konnte ihn auf dem NägeleinLuther sagt: »Die Heilige« Schrift auswendig und auf dem Nägelein können.« gleich einem Paternoster, ich sprach ihn voll Ehrfurcht aus, nicht anders als den gebenedeiten Namen Unserer Lieben Frau. Und siehe, ihr Segen ruhte über mir Unglücklichen, denn alles war schon in guter Ordnung. Das Abkommen mit den frommen Bürgern von Bergen, der Tribut auf dem Tisch des Rathauses, auch dein Siegel hing bereits unter dem Pergament – da – oh, über die Tücke des Schwarzen – da warf eine Hure im Zank ein brennendes Scheit gegen eines meiner Kinder – und – und – deine Klugheit errät – die hölzernen Häuser – kein Lüftchen – ach und weh, die Hitze –«

Er raffte seinen Rosenkranz empor und warf die Holzperlen in jäher Flucht gegeneinander.

»Nicht mein Werk«, stammelte er, »nicht mein Werk.«

Woran aber hafteten die Blicke des Störtebecker während dieser langen Rede so fest, daß sie sich von dem seltsamen Ding nicht mehr trennen mochten? Mitten aus dem Wust hing aus dem kupfernen Reifen eines Torringes ein hölzerner Amselkäfig herab, und ein schwarzes Tierchen sprang ängstlich und ungefüttert zwischen den Stäben hin und wider, wobei es häufig einen schrillen Pfiff ausstieß. Gott allein mochte wissen, aus welch behüteter Ruhe das zahme Geschöpf herausgerissen war. Schützend, ungewiß, streckte der Admiral die Hand gegen diesen winzigen Zeugen ungeheuerlicher Greuel aus, allein plötzlich wandelte sich der anfänglich so harmlose Griff, die Finger des verstummten Riesen spreizten sich, ein Aufrecken, und er hatte die schwere eiserne Laterne von der nächsten Mastleine gerissen, und dann – ehe sich noch die betäubte Mannschaft dazwischen zu werfen wagte, da schmetterte das unförmige Gerät auf den Schädel des versteinerten Wichbold nieder. Flammen und Blut spritzten gemeinsam herum, und wie ein abgesägter Baum rollte der Wanst dem Angreifer vor die Füße.

Doch der Gestürzte war nicht getötet. Obwohl ihm rotes Gerinnsel dick und schwammig über die Stirn rann, so behielt der Gezeichnete dennoch die Kraft, in jämmerlicher Unterwürfigkeit auf seinen Bändiger zuzukriechen, um ganz nahe die Knie des noch immer Schweigenden zu umschlingen.

»Wehe mir«, röchelte er kaum noch verständlich. »Warum befleckst du dich an mir Unseligen? Nackt im Schnee der fromme Bischof von Strängnäs, im Feuer die Mütter und holdseligen Mägdelein von Bergen, im Schutt die Hostien – überall Todsünde rings um mich Gutwilligen, wehe, wehe, vor wem soll ich fürder noch bestehen?«

Sein aufgedunsenes Pockengesicht verzerrte sich und wurde bleich, mit aufgesperrtem Mund schlug er zu Boden. Da lief ein böser Zug über das schmale Antlitz des Admirals, einen Fußtritt versetzte er dem schwammigen Körper in die Seite, und während er sich tiefer in seinen Mantel wickelte, als ob ihn fröstele, da hob er das Haupt gegen die unmutig anrückenden Freibeuter. Aber vor dem wilden Blick des Gebieters stockte der Schwarm. Starr, geduckt standen die Männer um den Befehlshaber, wie immer bereit, sich der Gewalt dieses Mächtigen, Unbegreiflichen zu überliefern.

Noch einmal stieß der Störtebecker voll Verachtung gegen den aufgetriebenen Leib des Liegenden, dann sprach er mit seiner schneidenden Stimme:

»Wahrlich, ich tat groß Unrecht, weil ich dies Faß nicht völlig leck schlug. Er hat euren Anfang mit Unflat beschmiert, so daß man unser neues Haus einen Schweinekoben schelten wird. Nun wohl, so wollen wir dennoch auf Schmutz und Morast bauen, denn auf Erden, merk' ich, ist kein anderer Grund zu finden.«

Er wandte sich und nickte kurz.

»Zieht euch nah an die ›Agile«. Wenn der Wichmann von seiner Kundschaft heim ist, so gebe ich euch meinen Willen kund! Und nun leuchtet!«

Damit stieg er als erster über Bord, und sofort vermischte sich die riesige Gestalt mit der Nacht.


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