Georg Engel
Claus Störtebecker
Georg Engel

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Das zweite Buch

I

Es war um das Ostererwachen. Das Jahrhundert – das vierzehnte, da der Stern über Bethlehem geleuchtet – vertröpfelte, und fast dreizehnmal war Winter vom Sommer übergrünt worden, seitdem der alte Beckera in seiner kahlen Hütte auf der Sasseninsel bangsam die Hände über der wunden Brust verkrampft, dazu röchelnd:

»Mutting, es hilft nichts, unser Einziger ist dahin. Paß auf, bald fallen meine Augen mir zu, und sie werden ihn nicht wieder erblicken.« Es war Osterzeit.

Über Kopenhagen stieg eine flammende Sonne auf, die hüllte die damals noch kleine Stadt mit ihren verstreuten spitzen Kirchtürmen in einen fließenden Purpurmantel. Überall, an den Firsten der niedrigen Holzhäuser wie von den Masten der Flotte, die verankert auf der Reede lag, rollte das Licht in langen roten Fahnen herab, so daß es aussah, als ob die Gottheit selbst ein Fest schmücken wolle. Und Gottheit und Menschen in dieser ruhenden Stadt begingen wirklich einen Feiertag, ohne daß die noch schlafumstrickten Bewohner es ahnten, denn Friede neigte sich sacht zur Erde, Friede nach einer mörderischen, rauberfüllten, unsicheren Zeit, und die Sonne, die da ihr Rubinendiadem hoch in den Osterhimmel hob, sie wollte damit das Haupt des neu entstandenen nordischen Reiches krönen!

Das Menschenhaupt aber, das die drei Kronen tragen sollte, es eignete einem Weibe. Königin Margareta von Dänemark, Norwegen und nun auch von Schweden stand unter der Fensternische ihres Arbeitsgemaches, und von diesem Lugaus ihres Schlößchens, das sich ehemals nicht weit von der Langen Linie erhob, jetzt aber längst von der Zeit hinweggezehrt ist, schickte sie schon geraume Weile ihre Blicke nach den sonnenroten Masten der Kriegskoggen hinaus, die sich dort auf der weiten Fläche schaukelten wie in einem Becken voll glutroten Weines. Regungslos verharrte die schlanke und doch imposante und kräftig aufgerichtete Gestalt der zweiundvierzigjährigen Frau neben dem zur Seite geschobenen Vorhang, und man hätte meinen können, die Regentin, die Freundin alles geistlichen Werkes, gäbe sich einer andächtigen Osterstimmung hin. Allein weder auf der merkwürdig hohen Stirn unter den dunklen, welligen Haaren, die nur ganz verhuschend, kaum merklich, von einem blitzenden Silberstaub bestreut schienen, noch in ihren großen rostbraunen Augen, deren Schärfe und überlegener Spott Schrecken einjagen konnten, regte sich auch nur eine Spur von hingebender Schwärmerei. Nein, unter der schmalen, leicht gebogenen Nase Margaretens würde sich vielmehr sofort der ihr eigene geringschätzige Zug belebt haben, wenn man ihr derartiges im Ernst zugetraut hätte. Denn der Heißhunger, mit dem sie sich auf das Studium der Bibel, der Kirchenväter und der ihr erlangbaren Schriften der Mönche warf, bildete nur einen Teil des sie beherrschenden Dranges nach Macht und Geltung und konnte am nächsten Tage womöglich schon abgelöst sein durch den ebenso versengenden Eifer nach den Gesetzen der Ackerwirtschaft oder den Schönheitsmitteln griechischer Hetären. Alles Erlernbare war von dieser Frau auf sich herbeigerafft worden. In alle Fäden, die still durch die Welt strichen, hatte sie bedenkenlos ihre schmale Hand gestreckt. Mit allen Gelehrten, Künstlern, Staatsleuten ihres Jahrhunderts stand sie in Briefwechsel. Nicht etwa, weil eine heiße, innere Anteilnahme sie trieb, sondern nur, um sich immer von neuem zu rüsten gegen die Feinde ihres Geschlechtes. Diesem Hang entsprang auch die lächelnde Hingabe an bedeutende, wenn auch vielleicht alte und häßliche Männer ihrer Lande. Meinte doch der spöttische Aberglaube der Fürstin, die Fähigkeit der ihr Gesellten auf magische Weise einschlürfen zu können. Oder sie errechnete wohl auch nur ganz kühl und nüchtern, daß ihr die Beschenkten von nun an zu schweigender Knechtschaft verfallen seien. Kein wärmerer Herzschlag pulste den von ihr Erwählten entgegen, nur ihre sicher einfangende, perlende und scheinbar so offen quillende Liebenswürdigkeit spann sich fort und fort und verdeckte den Mindereingeweihten die gefährliche Zwiespältigkeit der ihnen so angenehm fließenden Rede. In jener Kunst jedoch hatte Margareta einen derartigen Grad von Vollkommenheit erreicht, daß sie manchmal beinahe selbst versucht war, das von ihr glänzend und leicht in die Luft Gemalte für körperhafte Gestaltung zu nehmen.

Nur ein Mann lebte, der beim ersten Wort, ja, schon am weichen, wohlklingenden Tonfall seiner Herrin erkannte, wann die Regentin die Pfade der Gradheit zu verlassen gedachte. Und obwohl das bartlose, durchfurchte, mopsnasige Antlitz des Drosten Henning von Putbus jene Kenntnis nicht durch ein Wimperzucken verriet, so empfand Margareta mit ihrem seherischen Blick doch ganz genau, wie sehr sie sowohl als ihre schönen Wortgespinste hier von ein paar trüben, erloschenen und häufig tränenden Fuchsaugen durchschaut wurden. Aber gerade dieses gegenseitige Wissen um ihre tiefsten Meinungen verband die beiden Menschen zu einer gemeinsamen hohen Bewunderung für ihre Klugheit. Es war das Bündnis eines Fuchses und einer Löwin, die sich gegenseitig um ihre Schliche und Pfiffe beneideten.

Auch heute verharrte der Reichshofmeister wegen des frühen Morgenbesuches in respektvollem Schweigen am Eingang unter dem Spitzbogen. Zwar bestand für ihn nicht der mindeste Zweifel, daß seine Gebieterin, der er ja außerdem durch einen Türwächter gemeldet war, sein Erscheinen längst bemerkt hätte, aber er gönnte ihr gleichwohl den Triumph, ihren ersten Ratgeber so lange harren zu lassen, bis es ihr gefällig sein würde, das tiefe Nachdenken, das sie ihm zeigte, von sich abzuschütteln.

Margareta lehnte ihren Arm an den Bogen des Fensters und trank hingegeben das Spiel der Masten in sich ein, die sich von den roten Wassern her gegen sie neigten. Unterdessen beschäftigte sich der überlange, grausig dürre und schon greisenhaft zitternde Kanzler damit, sein schreiend buntes Prachtkleid zurechtzustreichen, ja, er schien großen Wert darauf zu legen, daß die gewaltigen offenen Ärmel, die ihm fast bis auf die Knie herabhingen, auch nicht eine einzige Falte würfen. Mitleid fast konnte es erregen, wie unbarmherzig eng das Klappergebein bis über die schmalen Hüften in seine himmelblaue, mit Silberornamenten bestickte Schecke eingepreßt war, und die gelben Beinlinge mit ihren überlangen Schnäbelstrümpfen offenbarten geradezu grausam die ausgezehrte Magerkeit ihres Trägers. Dennoch hätte der greise Dürrling um keinen Preis die übel empfundene Unbequemlichkeit missen mögen. Denn dieser reiche und mächtige Mann geizte im stillen danach, dem farbenfrohen Sinn seiner Gebieterin einen Blick des Staunens abzulocken. Ihrer modelüsternen Laune zuliebe spielte das morsche Gerüst den Gecken.

Jetzt wandte sich endlich Frau Margareta zurück, und sofort begann um ihren etwas breiten, aber sehr ausdrucksvollen Mund ein liebenswürdiges, huldvolles Lächeln zu gleiten. Rasch schritt sie auf den tief zusammenknickenden Drosten zu und streckte ihm die Hand entgegen. Gewonnen führte der Greis die schmalen Finger an seine geborstenen welken Lippen. Auch die Königin trug ein ganz enges, ihre Gestalt fest zusammenschnürendes Gewand von dunkelgrüner Farbe, das eben erst aus dem Süden für sie angekommen war und namentlich die Brüste prall umschloß. Man nannte es »das Gefängnis«, jedoch die Fürstin bewegte sich in ihm frei und anmutig. Als sie den Arm hob, zitterten zwei lange goldene Troddeln bis auf den Erdboden hinab.

»Verzeiht«, begrüßte Margareta den Greis, »ich merkte Euch nicht. Warum habt Ihr Euch nicht kundgetan?«

Der Reichshofmeister pflanzte sein mildes, väterliches Lächeln auf.

»Ich wollte den Blick meiner königlichen Frau nicht unnötig von dem Bild der schönen Freibeuterflotte dort draußen ablenken«, sprach er in sanfter Ergebenheit. Und wie fortgerissen von einem unerhörten Begebnis, keuchte und hüstelte er atemlos weiter: »Ja, seht nur, seht, sechzehn kriegsstarke Koggen. Auch die neuen Lederschlangen führen sie an Bord. Und diese schlimmsten unserer Gegner sind gekommen, um Schwedens neuer Majestät zu huldigen.«

Seine schwache Stimme brach, und die Erregung, die er heraufbeschwor, ließ ihm merklich die Knie zittern.

»Setzt Euch«, befahl Margareta schonend, denn in diesem Augenblick fiel dem kräftigen Weibe der törichte Widerspruch zwischen der Schwäche ihres Kanzlers und seiner putzsüchtigen Maske auf. Als sich der Drost weigern wollte, tanzte ein vieldeutiger Funke in den großen Augen der Frau. Sie war es gewohnt, mit den Narrheiten auch der Klugen zu rechnen.

»Setzt Euch, Henning«, forderte sie nachsichtig, rückte selbst einen der hohen Stühle von ihrem Arbeitstisch fort und nickte, da der Drost sachte hinsank. »Setzt Euch, mein Freund, Ihr habt lange genug vor mir gestanden, da es noch gefährlich war, sich vor Spindel und Fingerhut zu stellen.«

Die Regentin hatte oft Anfälle einer überwallenden Dankbarkeit, und so strich sie auch jetzt sanft und kosend über die pergamentene Wange ihres ersten Vasallen. Herr Henning von Putbus aber schloß die Augen und war für diesen Augenblick überzeugt, daß seine Treue und Ergebenheit reichlich aufgewogen seien. Auch daß die schöne Frau ihn so traulich beim Vornamen nannte, weckte ihm alte unerfüllte Erinnerungen. Hier in Margaretas Arbeitsgemach saß der gerissene Staatsmann oft und spann wie ein verliebter Kater. Dabei übersah er es freilich heute, wie in seiner fröstelnden Rechten ein umfangreiches Pergament zu rascheln begann, von dem schon an Schnüren die großen Staatssiegel schaukelten. Margareta aber bemerkte es, und da sie keine Freundin von langatmigen Kabinettsvorträgen war, sondern ihre wohlklingenden Worte lieber auf andere wirken ließ, so bettete sie ihre Hände auf den Rücken und kreuzte nach ihrer Gewohnheit mit gemessenen Schritten den kleinen teppichbehängten Raum.

»Ja«, ließ sie ihre dunkle Stimme ertönen, »der Allmächtige hat uns Gnade erwiesen. Nach sieben Jahren voll Streit und Elend endlich ein Ziel. Die schwedischen Edlen für uns gewonnen, ihr verspielter König, der selbst unsere weibliche Ehre nicht geschont« – hier warf sie im Vorüberwandeln ihrem Hörer einen spähenden Blick zu, da das Gespenst im Seidenwams jedoch noch immer wie schlafend hockte, sprach sie beruhigt weiter –, »Gott verzeihe es ihm, er entstammt meiner leiblichen Sippe, und ich folgte nur Eurem Wunsch, Drost, daß wir ihn solange im Turm zu Lindholm bewahrten. Ist es so?«

»Es ist so«, murmelte der Kanzler geschlossenen Auges.

»Ihr wart stets streng und unnachsichtig in meinem Dienst«, setzte die Königin ihren Gang fort. »Ich danke Euch. Aber jetzt wollen wir Gnade üben. Er mag ausgehen, der unselige Mann, und mit ihm sein Bube, der Erbe jener von mir gestickten Narrenkappe und seiner französischen Dirnenpest.«

Auch diesmal zuckte der Kanzler keineswegs. Zu sehr war er an die unerhörte Offenheit gewöhnt, mit der die Witib von Dänemark gerade in Gegenwart von Männern an die verschwiegensten Dinge zu rühren liebte. Jener Freimut bildete eben eines der Mittel, durch die Margareta ihre Hörer zu verblüffen suchte.

Plötzlich jedoch blieb die Königin vor ihrem Ratgeber stehen und setzte die Hände in die Seiten.

»Und wie bürgen die Friedensboten von Falsterbo für ihren Schützling?« forschte sie geschäftlich, »denn abgerechnet unserer verwandtschaftlichen Nachsicht brauchen wir eine festere Sicherung, als sie uns der Wankelmut des entthronten Unruhestifters bieten könnte.«

Der Drost zeigte mit zitternder Hand auf eine Stelle des ausgebreiteten Pergaments.

»Dafür habe ich gesorgt«, wies er, während er befriedigt mit dem Kopfe schaukelte, »die Hansischen verpflichten sich für ihren Verbündeten zu einer Zahlung von 60 000 Pfund Silber oder sind bereit, Schloß und Gebiet von Stockholm nach drei Jahren in die Gewalt Eurer Majestät zu überliefern.«

»O Stockholm«, rief die Regentin heftig, und eine rasche Röte flutete in ihre Wangen, »wenn dort draußen das rechtlose Piratenvolk diese herrliche Stadt nicht durch viele Jahre mit allem Nötigen versehen hätte, wir brauchten heute nicht mit den hansischen Krämern um Bedingungen zu feilschen. Sagt, wieviel boten sie noch?«

»Sechzigtausend Pfund Silber«, schmunzelte der Drost, schnalzte mit der Zunge und rieb sich die Hände.

»Und Albrecht?« fragte Margareta hastig, und die Gehässigkeit der beleidigten Frau schlug in ihr durch, »wohin trägt er seine Narrenkappe?«

»Seine Verwandten räumen ihm in Mecklenburg einen Ruhesitz ein. Dort kann er weiter Püppchen aus Brotteig kneten, wie er es im Turm von Lindholm gelernt hat.«

»Das ist der Friede«, entschied Margareta ohne weiteres, »gebt her, ich unterschreibe!«

Beide Arme spreizte sie weit aus, ihre prallen Brüste rundeten sich unter dem engen Gewand, und der Drost sperrte seine triefenden Augen auf und staunte seine Herrin an wie ein wundersam Gebild.

»Gebt her!«

Sie ließ sich auf dem überdachten Stuhl hinter dem Eichentisch, nieder, riß die Schwanenfeder an sich und setzte in einem einzigen Zug ihren Namen unter das Dokument.

Eine Weile blieb es still in dem kleinen Gemach, die Weihe eines bedeutsamen Augenblicks füllte den Raum. Nicht lange. Wie träumend hatte die Königin mit einem winzigen Hammer auf eine Silberplatte geschlagen, und nachdem auf den hellen Ton hin ein Wappenknecht eingetreten war, befahl sie halblaut mit der verschleierten Stimme einer gläubig Entrückten:

»Meldet's den Kirchen. Es sollen alsbald alle Glocken geläutet werden. Der dreieinige Gott hat uns und unserem darbenden Volke Frieden beschert.«

Sanft verschlang sie die Hände auf dem Tisch und wartete, bis der Wächter das Zimmer verlassen. Dann aber lehnte sie ihre geschmeidige Gestalt voll aufatmend an die steile Wand des Thronstuhles zurück und hob ihre scharfen Augen zu den Schnitzereien der Bedachung.

»Norwegen und Dänemark«, flüsterte sie mit der tiefen Versenkung eines Schöpfers, »Drost, laßt von morgen auch das Wappen Schwedens über mir sein. Unsere Stimme wird fortan für ein großes, geeintes Reich gehört werden.«

Ehe jedoch der alte Mann noch sein Verständnis für das erhabene Wesen seiner Herrin bezeugen konnte, da geschah etwas Merkwürdiges. Das Haupt der Fürstin sank langsam zur Seite, bis es an der Schulter des dicht neben ihr sitzenden Greises einen Halt gefunden. Und doch merkte der also Geehrte trotz seines Zitterns sofort, daß Margareta keine Zärtlichkeit spenden wollte, sondern wie sie jetzt wirklich aus Zwang und Besessenheit heraus handelte. Halb gezogen streckte sie ihren vollen Arm nach den Masten aus, von denen die schwarzen Wimpel flatterten.

»Sieh, mein Freund«, raunte sie, ganz als ob sie zu einem gegenwärtigen Traumbild spräche, das eben erst aus ihrem eigenen Hauch entstanden, »sieh dorthin! Meinst du nicht, daß an uns noch ein höherer Ruf ergehen könnte? Wie sagt die Heilige Schrift? ›Stecke deine Zelte weiter.« Dort draußen schaukelt ein Schwert auf den Wassern. Und unsere See spielt um Engelland, Hispanien und Friesland. Ob es Sünde wäre, nach der Waffe zu greifen, die der Herr uns mit Wind und Fluten entgegentrieb?«

Ihre großen lebendigen Augen weiteten sich überirdisch, ihre Lippen murmelten unhörbar weiter, und ihr Atem stand auf einmal still. Diesmal handelte es sich gewißlich nicht um Täuschung, denn der schöne Körper des Weibes lag so gebannt, als ob ihr innerster, unstillbarer Wunsch aus ihr hervorgetreten sei und sie hielte jetzt Zwiesprache mit ihrem leibhaften Dämon.

Der Drost aber zuckte wehleidig zusammen; nicht nur, da sein morsches Knochengerüst nicht länger die angenehme Last des ruhenden Frauenkopfes zu tragen imstande war, sondern weil ihn der trockene Glaube plagte, daß Frau Margareta nur immer dann so hoch in den Himmel entrückt wurde, wenn es galt, höchst irdische Geschäfte als von oben empfangen darzustellen. Deshalb meinte er auch recht nüchtern, indem er jede übersinnliche Sphäre als zeitraubend beiseiteschob:

»Die Freibeuter wissen ganz genau, was sie wert sind. Es sind ungeduldige, hoffärtige Gesellen darunter. Man wird sie nicht allzulange warten lassen dürfen.«

Kaum hatte das nickende Gerippe in dem blauseidenen Wams dies geäußert, als seine Ansicht auch sofort durch ein äußeres Begebnis bestätigt wurde. Von den Schiffen krachte ein Schlag herüber, eine Dampfwolke ballte sich, und von dem ungewohnten, nie gehörten Knall aufgeschreckt, sprang die Königin plötzlich empor, vergaß ihre eben noch gespürte Erweckung und bewegte sich heftig, ohne irgendwelche Gemessenheit, dem kleinen Fenster zu. Draußen schwelte noch die graue Dampfwolke um die Schiffe.

»Was ist das?« erkundigte sich Margareta jugendlich ungestüm.

Um den verrunzelt eingefallenen Mund des Drosten spielte ein behagliches Lächeln. Es befriedigte den Alten, seine Herrin einmal außer Fassung zu sehen. Darum antwortete er gemächlich:

»Das, hohe Frau, sind die drei Lederschlangen von der ›Agile«, dem Admiralsschiff des Störtebecker. Habt acht, er ist ein Fürst unter den Seinen, unermeßlich reich und von wilder, verwegener Gemütsart. Ihr wißt wohl, was das Volk von ihm singt?«

»Ich erinnere mich«, sagte die Regentin und blickte suchend zu Boden. »Eine dumme, törichte Reimerei. Plump und roh wie alle Bauernpoesie.

›Vom Mast die schwarzen Flaggen wehn –
Claus Störtebecker ist Kapitän.
Es pfeift der Wind, es schäumt die Flut,
Der Degen kreist, es spritzt das Blut.
Kein Unrecht erbt sich länger fort,
Komm, feine Dirn, zu mir an Bord.
Wir müssen unter Segel gehn –
Claus Störtebecker ist Kapitän.«

Lacht nicht«, schloß die Fürstin und verzog verweisend die Brauen, und doch entdeckte der scheinbar so müde Drost, wie Margareta ein paarmal unbeherrscht ihre Zunge über die Lippen wetzte. »Weshalb rühmt man den schweifenden Raubgesellen gleich einem Helden? Besitzt das Volk keine würdigeren Heroen?«

Die Königin schien ernsthaft verletzt, daher war es wohl nur Zufall, daß sie sich dabei prüfend den schweren Stoff über ihrer Hüfte glättete. Der Kanzler aber beugte sich zustimmend vor, er wickelte die langen gelben Beine wurmhaft umeinander und rollte zugleich das Staatsdokument zusammen.

»Verzeiht, Herrin«, versuchte er die Verstimmte vorsichtig zu belehren, »wer lange lebt, der weiß, wie Recht und Unrecht, Gewalttat und Heldenstück keine eigentliche Farbe strahlen. Vielmehr kommt es immer darauf an, woher das Licht auf sie fällt. Und was zudem diese Haufen da draußen angeht, so besitzen sie Freibriefe von Rostock und Wismar, sind daher als kriegführende Macht anerkannt. Meint Ihr wohl, die Kondottieri Eurer italienischen Vettern mit ihrem zusammengelaufenen Gesindel seien besser? Auch halten ihre Admirale Störtebecker und Gödeke Michael unerbittliche Manneszucht und haben sich überdies den Titel ›Mehrer des Rechts« zugelegt.«

»Auch das noch«, zürnte die Fürstin und vollführte eine hochmütige Handbewegung. »Wißt Ihr vielleicht auch, Herr Henning von Putbus, woher die Hauptleute jene göttliche Bestallung erlangt haben?«

Das Unterste war in der Frau gereizt, ihr tief verborgener Stolz auf ihre uralte Heldenabstammung; die Tochter Waldemar Attertags reckte sich, von der hohen Stirn leuchtete ihr eine unbeschreibliche Abgeschlossenheit.

Da nestelte sich das dürre Gerippe mühsam zusammen, wankte und schwankte auf seine Gebieterin zu, und es lag die merkwürdige, beinahe hämische Furchtlosigkeit eines Überalten, dem Tod bereits Befreundeten in seiner blechernen Stimme, als er der höchsten irdischen Gewalt fast warnend ins Ohr hauchte:

»Göttliche Bestallung, Margareta? Kindlein, Kindlein, hat man die Hand schon gesehen, die Euch eine solche aus den Wolken herabreicht? Nun wohl, es genügt, wenn Ihr Erwählte sie spürt. Aber es gibt noch eine andere Bestallung. Die wird vernommen, die schreit nach Brot, bäumt sich gegen Druck, seufzt mit Knechten und Leibeigenen –«

»Hör auf«, rief die Königin betroffen, die plötzlich wieder völlig der Erde gehörte und ganz genau begriff, daß sie ein armes, ausgesaugtes Volk zu leiten hätte, Bürger und Bauern, die noch vor ein paar Jahrzehnten aus angeborener, verbitterter Gemütsart nichts als schwarze Trauerkleider getragen. »Schnell, Herr Henning, welchen der Kondottieri wollt Ihr mir bringen?«

»Meidet den Michael«, riet der Reichshofmeister bestimmt, und über sein verschrumpftes Antlitz breitete sich der Abglanz von List und Weltkenntnis, »laßt ihn beiseite. Ein kühler, wortkarger Mann – ein Rechner und Überlegter, der nie eine Dummheit begeht. Solche Menschen taugen nicht für Frauenüberredung. Wählt den anderen, wählt den Störtebecker.«

»Was ist das für einer?« fragte die Königin unbefangen.

Die beweglichen blauen Augen des Kanzlers tasteten noch einmal über die aufgerichtete Frauengestalt. »Ein Flackerfeuer«, entschied er sich endlich. »Alles an ihm ist Glanz, Pracht, Abenteuer und Überraschung. Die Einbildung seiner Leute hängt an ihm. Und was gilt's, in seinem eigenen Hirn strahlt beständig ein Regenbogen. Wer weiß, eine königliche Frau wie Ihr könnte ihn weit verlocken.«

Um den breiten Mund Margaretas wollte ihr einfangendes Lächeln gleiten, da begannen aus der Stadt auf einmal dunkle und helle Glockenwogen zu schwingen, und im gleichen Augenblick senkte die Fürstin ihren Blick auf den Estrich, faltete die Hände und entschied ruhig:

»Nun wohlan. Euer Wille geschehe. Morgen nach der Messe wollen wir den Hauptmann empfangen. Sorgt für ein würdig Geleit. Und vergeßt nicht, wie Eure Freundin wieder einmal eine Stunde der Demütigung auf sich nimmt. – Geht!«


In der Admiralskajüte auf der »Agile« ging es hoch her. Der Fürst des schweifenden Volkes gab dort seinen berühmten oder berüchtigten »Umtrunk«, und der Reichshofmeister, der gekommen war, um die Einladung seiner Königin zu überbringen, mußte immer von neuem an sich halten, damit er nicht dem fremdartigen Zauber der Umgebung unterliege. War das etwa einer der engen, dumpfigen Kästen, die sonst tief unten im Bauche auch der geräumigsten Schiffe zur Behausung von Menschen benutzt wurden? Nein, bei allen Heiligen, hier hatte ein kühner, ausschweifender, berauschter Sinn aus allen Winkeln der Erde das Erlesenste zusammengetragen, damit es fortan dem Ergötzen, der Wollust und der prunksüchtigen Ruhmbegierde eines ungebändigten Geistes diene. Noch einmal vor seinem Aufbruch, dem er längst begehrlich zudrängte, musterte der dürre alte Mann, der auf seinem hohen, brokatgepolsterten Stuhl, schwächlich zur Seite geneigt, mehr hing als saß, all den verschwendertollen Reichtum dieses kleinen, durchaus nicht niedrigen Saales. Und der selbst begüterte und verwöhnte Adlige mußte sich zwingen, von all jenen bunten Teppichen, köstlichen Schränken, Truhen und blitzendem Gold- und Silbergerät sich wieder zurückzufinden zu den fünf Männern, mit denen er an dem festen Tisch den Abendtrunk teilte. Es hielt schwer, sich eines nüchternen Endzwecks bewußt zu bleiben. Grünblaue, flämische Wirkereien stellten an den Wänden das Leben des Achill dar, und überall, wo sie zurückgeschoben waren, drängte sich wuchtiges Tafelwerk hervor, regelmäßig und erhaben in Felder eingeteilt und wuchtig aus dem dunklen Grunde herausgearbeitet. Ruhebetten und golddurchwirkte Kissen in allen Ecken; und mitten von der Decke schaukelte eine mächtige Eisenlaterne, in deren Hornblenden anmutiges Nymphenspiel geschnitten war. Verschwommen und dämmernd fiel der gelbe Schein aus der Höhe herab. Das Besondere aber verliehen diesem fürstlichen Raum die vier bunten Fackelstandarten, die an den Enden der Eichentafel angeschraubt waren. Hell und blitzend funkelte hier das Licht der Öllämpchen aus den seltenen venezianischen Gläsern heraus und streute kringelnde, unbestimmte Farbenflecke auf die ungleichen Zecher. Dazu hüpfte vom Verdeck des Schiffes eine feine Musik über die Stufen der breiten Treppe, denn die Flötenbläser und Harfenisten der Freibeuter begleiteten von oben her die Freuden ihrer Gebieter unermüdlich mit Tanz und Reigenspiel.

So hatte es der junge, schöne, stets alle Sinne blendende Admiral gewollt, und deshalb betete das schweifende Volk ihn an, mehr als jeden anderen, weil er die lichte Vollendung bildete ihres eigenen, aus allem Herkömmlichen herausgefallenen, auf und ab schwankenden Abenteurerdaseins.

Nimmer konnte der Drost seine Aufmerksamkeit ablenken von der hohen, geschmeidigen Gestalt des Wirtes. Wie der etwa dreißigjährige, von schwellender Gesundheit durchflutete Mann ihm in dem rotseidenen Prachtwams gegenüberlehnte, die linke Hand spielerisch auf einen winzigen Dolch gestützt, während die rechte in malender Bewegung von Zeit zu Zeit seine meist leidenschaftlich hervorgestoßenen Sätze begleitete, da mußte sich der abschätzende Beobachter gestehen, daß Sage und Gerücht die Anmut, ja, den Zauber dieses gefährlichen Seelenfängers eher unterschätzt hätten. Die flammend schwarzen Augen sprühten jedem Genossen eine heitere, unbekümmerte Wärme ins Herz, auf der hohen Stirn wechselte bald ein unnahbarer Stolz mit blitzender Gedankenarbeit, und das braune Lockenhaar zitterte oft, wenn die eigene Bewegung den Admiral fortriß.

»Ob dieser strahlende, selbstbewußte Kondottiere, dem die Natur bereits einen unsichtbaren Fürstenhut auf das Haupt gedrückt, nicht doch ein gar zu überlegener Gegner für das leicht entzündbare Weib in dem Schloß da droben ist?« dachte der Drost, mit sich kämpfend. Und wieder schob er den Becher unberührt von sich und machte Miene, das schon zu lang fortgesetzte Gelage zu endigen. Sein Gastgeber aber fing jene Gebärde ungläubig auf und winkte lebhaft abwehrend mit beiden Händen.

»Nichts da, hochedler Herr«, widerstrebte er mit einer leichten Verneigung, und seine Stimme lachte und lockte, als ob er zu einem schönen Weibe oder mindestens zu einem geschätzten und verehrten Lehrer spräche. »Ihr tatet meinem Weine bisher wenig Ehre an. Mustert ihn besser. Gesteht, glitzert er nicht in seinem silbernen Grund, als ob wir ein Stück Sonne aus Eurem Meere aufgefischt hätten? Es ist Ingelheimer, Herr Drost, und man sagt, Carolus Magnus habe die ersten Reben gepflanzt. Kommt, der Geist des großen deutschen Mannes ist mir nicht zu schade, das Wohl Eurer königlichen Frau zu feiern.«

»Recht – nicht zu schade – wollte auch geraten haben!« schluckte der Kriegsoberst Konrad von Moltke und rieb sich emsig seine glühende Hakennase, da er in ihr bereits ein verdächtiges Jucken spürte. Er war von dem Kanzler mitgebracht worden, um dem Störtebecker bei dessen berüchtigten Trinkgelagen Widerpart zu leisten. »Gebt her, Schelme! – Ingelheimer – Carolus Magnus soll leben.«

»Wir danken«, fiel hier der Kanzler, erschreckt über die Grobheit des Kriegsmannes ein und rückte sich mit einem leisen Seufzer zurecht, um an dem Becher mit dem vielgepriesenen Wein zu nippen. Innerlich jedoch war ihm jede Zecherei ein Greuel, da sie sein Gallenleiden bissig aufregte. Daher sammelte er sich und sprach überlegt und zu seinem Zwecke weiter: »Unsere erhabene Majestät von Dänemark schätzt die Herren sehr.«

Bei dieser Stelle lächelte der junge Admiral in dem roten Wams überaus höflich. Zugleich aber fuhr sein dunkles Auge blitzschnell und Einverständnis heischend über die wettergebräunten Gesichter seiner Genossen, bis es haften blieb an dem schmalen, feinen Jungfrauenantlitz des Hauptmanns Wichmann. Der hatte sein Kinn auf einen langen Hieber gestützt, und der Schimmer der Laternen glättete ihm weich die seidigen Blondhaare. Allein, wer genauer zusah, der merkte, wie dem Zwerglein inzwischen die Schläfen ergraut waren und wie ihm auch in die Stirn eine Silberlocke hing, gerade über der breiten Narbe. Niederträchtig zuckte es ihm in den zwiefarbigen Augen, als er auf die sanfte Einleitung des Kanzlers ebenso friedfertig, und ohne seine Lage im geringsten zu wechseln, gleich einem artigen Kinde erwiderte:

» Sapienti sat, Herr Reichshofmeister. Wir sind überzeugt, daß Frau Margareta uns sehr gewogen sein muß. Wie ja ein groß Gemüt stets dem gefährlichen Gegner huldigt. Man denke nur an die Troer und Griechen, die sich auch liebreich bei Gesandtschaften bewirteten. Nicht wahr? Zudem«, schloß der Kleine milde, »wandelt Frau Margareta vor aller Augen in den Spuren des Christus und deshalb bietet sie auch die linke Wange zum Backenstreich, obschon die rechte bereits geschlagen wurde.«

»Nun, Ihr irrt Euch«, wollte der alte Hofmann seinen gerechten Unwillen über die Frechheit dieses ausgerissenen Magisters bezwingen, da mischte sich zum offenen Entsetzen des Kanzlers eine grelle, kreischende Stimme in den bereits unterirdisch zischenden Disput, und der Kriegsoberst Moltke bellte durch seinen grünen Weinnebel hindurch, gleich einem bissigen Dorfköter:

»Wer redet hier von Backenstreich? Will jemand Margretlein an den holdseligen Leib? Er melde sich. – Ich sage, er melde sich.« Da jedoch niemand der Aufforderung Folge leistete, so schlug sich der Betrunkene völlig verworren auf sein hellrot feuerndes Beindach und brodelte halb klagend: »Ihr Hundesöhne, ihr Spitzbuben – ich wollte euch ja lieber – –«

»Die Schädel einschlagen«, ergänzte Hauptmann Wichmann sanft.

Hier folgte das ruhige, überlegene Lachen eines einzelnen Mannes, und es wurde doppelt wirksam, weil die anderen halb gespannt und halb verlegen die Unterhaltung eingestellt hatten, während dem Kanzler der helle Angstschweiß aus der verschrumpften Greisenstirn perlte. Der Mann aber, der so gelassen sein Verständnis für die geheime Sehnsucht des dänischen Kriegsobersten bekundete, er saß dem Trunkenen auf einem derben Schemel gerade gegenüber und hieß Gottfried Michaelis oder im Volksmund Gödeke Michael. Wie er der einzige war von seinen Gefährten, der zum Empfang der vornehmen Gäste kein Prachtgewand angelegt, sondern gleichgültig das braune Lederwams seines Berufes trug, so hatte er auch bis jetzt in einem kargen, beobachtenden Schweigen verharrt. Keine Bewegung störte die Ruhe seiner breitbrüstigen Gestalt, und in seinem ehernen, düsterblond umrahmten Antlitz zeigte sich weder Teilnahme noch Abwesenheit. Etwas streng Abgeschlossenes beherrschte diesen Menschen, und der Kanzler erriet sofort, daß der Schweigsame nur seinen eigenen Gestirnen zu folgen gewohnt sei. Nun löste der Kräftige die Verlegenheit auf eine ungekünstelte und natürliche Art. Ohne Mühe hob er die gewaltige Silberkanne, seinem Gegenüber neuen Trunk einzugießen.

»Ihr habt recht, Herr«, stimmte er dabei im Ton eines redlichen Zeugen zu. »Welcher Fisch lernt auf sein Alter noch in Milch schwimmen? Als wir bei Wisby aufeinander stießen, da haben wir uns besser verstanden.«

» Ecco«, erwiderte der Totenschädel, riß seine Fischaugen auf, und eine schwefelnde Erinnerung überkam ihn, » diavolo barbuto, damals, Herr, hab' ich Euch eine Fracht Bier und zwei Last Weizen genommen. Gut – gut – Herr, freut mich, daß Ihr endlich das Maul auseinander bringt. Wann treffen wir uns wieder, Herr?«

Schwankend streckte er dem Ledernen die Rechte über den Tisch. Der schüttelte sie ihm derb.

»Wartet«, versicherte er kaltblütig. »Die stillen Tage gehen vorüber. Friede ist ein flüchtig Wort.«

»Wahr – – wahr«, jammerte es vom unteren Ende der Tafel aus einer dumpfen, zerknirschten Kehle, und ein paar fleischige Hände begannen die Perlen eines Rosenkranzes krampfhaft gegeneinander zu werfen. »Friede halten nur die unschuldigen Engelein. Oh, du wonnige Jungfrau, oh, Ihr gebenedeiten Nothelfer, warum mußte ich den frommen Bischof Tordo von Strangnäs nackt in den Schnee jagen? Oh, die Kreatur ist böse von Grund aus.«

Ein aufgeschwemmter, stiernackiger Graukopf war es, der so gewohnheitsmäßig seine angebliche Qual herleierte. Gemeinheit wohnte in seinen plumpen, verschwollenen Zügen, und seine leeren blauen Augen zwinkerten unter den struppig herabhängenden Haaren oft in scheuer Hochachtung zu seinen Genossen hinüber, als wenn er nicht verstünde, wie er bei seiner Unbildung und Bäuerlichkeit unter die glänzenden Anführer geraten sei. Dies war auch schwer zu begreifen, denn Hauptmann Wichbold stellte nichts anderes vor als einen gewöhnlichen Buschklepper, einen Strauchdieb, dem kein Verbrechen zu abschreckend, kein Diebstahl zu gering galt, vorausgesetzt, daß er hinterher seine jammervolle Seele durch ein paar hundert Paternoster beruhigen konnte. Kunstgerecht schnitt er jede Kehle ab, indem er dabei seinem Schutzpatron gebührenden Anteil gelobte. Darum wurde der wehleidige und zugleich heimtückische Patron von seinen Gefährten und namentlich von den beiden Admiralen auch nur mit äußerstem Widerstreben geduldet; allein der wüste Mensch war ihnen nun einmal von dem großen Haufen gestellt worden, halb als Beobachter, weil die dunkle Masse den politischen Plänen ihrer Befehlshaber nicht völlig traute, und halb als Hemmnis und Bleigewicht, um die hochfliegenden Pläne der Führer immer wieder auf sein eigenes erbärmliches Raubgelüst zu erniedrigen. Schon seine Gegenwart gereichte den anderen, gerade wenn sie sich am Hochgestimmtesten als Bildner einer neuen Weltordnung fühlen wollten, zur düsteren Mahnung, auf welchen Grundsteinen sie die Halle ihres Gerichts zu erbauen strebten.

»Oh, des Elends«, heulte der aufgeschwemmte Wichbold noch einmal in seinen Becher hinein, »die wir nicht Ruhe noch Gesetz halten können.«

Seine Kranzkugeln klapperten wie Zähne aufeinander.

Bei alledem wurde dem Reichshofmeister himmelangst. Er hatte wohl die Einladung seiner Herrin überbracht und in allerlei feinen Andeutungen durchschimmern lassen, wie die Fürstin namentlich an dem Besuch des Störtebecker Gefallen finden würde. Allein bis jetzt hatte er weder von den anderen, noch von dem jungen Admiral irgendeine bindende Zusage erhalten, und allmählich gewann der feinfühlige Alte den Eindruck, als ob sich die Befehlshaber dieser gewaltigen Seemacht von dem eben geschlossenen Frieden durchaus keinen besonderen Vorteil versprächen. Auch darüber hinaus witterte er einen ihm noch verborgenen Widerstand gegen die Verhandlungspläne seiner Königin. Hier galt es, den Zaudernden rasch und reizvoll glühende Zauberfrüchte vor die Augen zu malen. Schmatzend, als ob er etwas Köstliches auf der Zunge spüre, begann er von neuem zu schmeicheln:

»Die Königin hat mit Wohlgefallen die große Flotte der freien Beherrscher des Meeres betrachtet.«

»Margretlein«, lallte hier Kriegsoberst von Moltke bestätigend dazwischen, der nach Art der Trunkenen sich zu strengster Deutlichkeit verpflichtet wähnte.

Als Antwort strich Gödeke Michael an seinem Lederwams herunter.

»Das freut uns«, erwiderte er mit seiner undurchdringlichen Miene. »Wir haben ihr zu Ehren ein Geschütz gelöst. Sonst kommen wir, um Euren Gefangenen, den König Albrecht, abzuholen.«

Das war nun wieder ein anstößig Kapitel. Gar zu leicht konnte die Erinnerung an den eben erst abgeschlossenen Waffengang aufleben, auch sonst schätzte der Kanzler keineswegs das Gedächtnis der sieben mageren Jahre im Turm zu Lindholm, deshalb zuckte er kaum merklich die Achsel und sprach mitleidig weiter:

»Wie gönne ich ihm seinen Ruhesitz in Mecklenburg. Der arme, schwache, redselige Mann. Ihn hat das schmerzlichste Los getroffen. Nicht einmal Euch, seine treuesten Freunde, konnte er belohnen.«

»Wir brauchen ihn nicht«, rief hier Claus Störtebecker fröhlich, der bis dahin leicht zurückgelehnt all die vergeblichen Bemühungen des alten Fuchses mit seinem feinen, erkennenden Lächeln begleitet hatte. »Bemüht Euch auf das Verdeck der ›Agile«, hochedler Herr, und Eure Erlaucht können leicht meine Mannschaft singen hören.« Und der Admiral sang selbst:

»Die Schwarzflaggen laufen in Wind und Wettern,
Sie stehen in keines Menschen Sold,
Sie fahren aus auf Pech und Brettern
Und kehren heim auf eitel Gold.«

»Vortrefflich, auf eitel Gold – freilich –«

Das dürre Gerippe stutzte. Es befremdete ihn höchlich, auch diesen jungen, von fürstlichem Anstand geleiteten Seehelden so obenhin über Raub und Brandschatzung urteilen zu hören. Denn seine nicht geringe Menschenkenntnis suchte hinter jener hohen, wetterleuchtenden Stirn noch eine andere, eine höhere Weltauffassung. Trotzdem ging er auf den leichtsinnigen Ton ein.

»Freilich«, grinste er aus dem Gewirr seiner Furchen heraus, während er seinen Blick all die auffallende Pracht noch einmal kosten ließ, »man sieht's. Es verbirgt sich nicht. Nur schade«, schnellte er einen bösen Pfeil möglichst harmlos hinterdrein, »Eure Freibriefe erlöschen mit dem geschlossenen Frieden.«

»Unser Recht beruht nicht auf Schreibwerk«, beharrte Gödeke Michael fest.

»Auf was sonst, wenn es Euch beliebt?« griff der Drost diesmal schnell nach.

Da loderte es auch in den schwarzen Augen des Störtebecker grell auf. Ein Windstoß von Wildheit fuhr über das eben noch so strahlende Antlitz. Es war, als ob ein Blitz in einen Garten geschlagen hätte.

»Auf dem Unrecht der anderen«, rief er hell.

Wem gehörte die Stimme, die jedem Lauscher das Innerste erwühlte? Die Drommete eines fernen, hellseherisch verkündeten Gerichts schmetterte aus dieser Inbrunst. Und siehe da, die wenigen Worte klammerten sich wie ein Ring um den kleinen Kreis. Selbst der Trunkene horchte auf. Dem Kanzler aber wurde unheimlich. Das beängstigende Vorgefühl, in eine rätselhafte, noch nicht entschleierte Entwickelung geworfen zu sein, ergriff den Alten plötzlich, ja, seine aufgejagten Greisensinne wurden unvermutet durch die Vorstellung gepeinigt, er sei dazu verurteilt, wider seinen Willen das Brodeln des ehernen, von grauen Mächten gehüteten Kessels zu belauschen, in dem Weltwenden und Völkerschicksale gleich platzenden Blasen durcheinander tanzten. Nein, dazu war er schon zu alt, dergleichen mochten seine triefenden Augen nicht mehr schauen. Fröstelnd schüttelte sich das Gerippe und dankte Gott im stillen, als er zu bemerken glaubte, wie die Züge des jungen Admirals gleich darauf wieder von der alten Heiterkeit erhellt wurden. Seufzend und mit einem letzten Versuch zog der unermüdliche Hofmann eine neue Saite auf seine vieltönige Geige.

»Ich will die Herren weder überreden noch bestimmen«, sagte er, ganz als ehrlicher Freund und Berater, »da sei Gott vor. Aber mein Herz bedrückt es gleichwohl, wenn ich ermesse, zu welch wertvollen Leistungen ein solch herrliches Werkzeug erkoren sein könnte, sobald es einem sicheren Gesetz oder einer anerkannten Macht dienstbar wäre.«

»Erspart Euch das«, weigerte sich hier Gödeke Michael streng, und aus seinen eisenblauen Augen traf den Alten ein finsterer Blick. »Wir folgen trotz alledem einem Gesetz. Einem so unerbittlichen, daß Ihr die einzelnen Artikel nicht ertragen würdet.«

Der Drost nickte wehleidig. »Mag sein«, redete er halb in Angst und doch von seiner Aufgabe beherrscht weiter, »allein die Umwelt und die gewordenen Verhältnisse, auf denen allein ein gutes Gewissen sorgenlos ruhen kann –«

»Alter Herr, sang Euch die Amme dies spaßige Märchen?« schoß das blonde Zwerglein bissig dazwischen.

Mühsam überhörte der Drost auch diesen Einwurf, um unter stärkerem Unbehagen fortzufahren:

»Ihr werdet nicht leugnen, das Bestehende kann sich in eure Sitten nicht recht hineindenken. Dazu hängt es zu fest an erprobten alten Geboten, die ihm allerlei Unersetzliches verbürgen.«

Der junge Admiral schnitt mit der Hand durch die Luft.

»Erbe und Besitz, Truhenschatz und Pergamentvorrechte, adlige Bettpaarung und Gottes Wort für die Armen«, half er mit seiner verwirrenden Liebenswürdigkeit ein. »Davon wollt Ihr sprechen, nicht wahr?« Es klang beinahe gutmütig.

»Das auch – gewiß – das ist für den Bürger der Ausgangspunkt vieles Guten. Allein ich dachte auch an etwas Höheres. Verzeiht mir – aber wie schwer muß auf euch allein des Heiligen Vaters Fluch und Bann drücken!?«

Noch war das Bedenken nicht ganz erhoben, als der Kanzler sich auch schon völlig verständnislos umblicken mußte. Ein schallendes Gelächter wälzte sich um die Tafel, und nur der dicke Wichbold schlug weinend vor Gram und Trunk seine fleischigen Hände zusammen, dazu stöhnend:

»Oh, ihr vermaledeites, heilloses Volk – lacht nicht, lacht nicht über Pein und Fegefeuer! Warum mußte ich den Bischof Tordo von Strangnäs an den Seen von Stockholm niederwerfen? Bis aufs Hemd hab' ich den heiligen Mann ausgezogen. Und jetzt, alter Mann, jetzt verzehrt der Frost meine eigene Seele. Ich klappere mitten im Sonnenschein, denn ich allein bin schuld, daß sich uns keine Kirchentür mehr öffnet. Ach, ich verirrte, armselige Kreatur, ich!«

Sein dickes Heulen und Schmatzen verlor sich in dem Schlund des Bechers.

Voller Abscheu, verächtlich sprang der junge Admiral zur Höhe. Aber noch immer wetterte ein Abglanz des wilden Lachens um seinen feinen Mund.

»Habt Nachsicht«, entschuldigte er sich endlich vor seinem verblüfften Gast und schlang den Arm gefällig um eine der Fackelstandarten. »Ich weiß, ich hätte mir eher die Zunge abbeißen müssen, als solch einen verehrten Gönner durch unziemliches Lachen zu verletzen. Doch Ihr konntet nicht wissen, daß wir gerade in den dunklen, die Welt verängstigenden Nebel unser rotes Fackellicht stoßen wollen. Alter Mann, sei ehrlich – meinst du wirklich, Völlerei, Mord, Ämterschacher und das durch Seelenverängstigung erlistete Scherflein der Witwe berechtigten zu dem schwindelnden Anspruch auf Vergottung? He, da seid Ihr gerade unter die Henker solch alter Lügen geraten.«

Er rüttelte an dem Schaft der Laterne, und seine breite Brust dehnte sich unter der rotseidenen Hülle, als er heftig hervorstieß:

»Unsere Schuld und Fehle, das Eigenste, Heimlichste der Kreatur einem anderen aufbürden, nicht wahr, so gefällt's Euch? Das nenne ich mir gar eine tapfere Kunst. Geht, seid Ihr fromm, warum sucht Ihr nicht Euren noch immer unbekannten Gott? Vielleicht, daß er Euch eines Tages begegne. Aber was tut Ihr? Ihr schlagt mit Keulen nach dem Geist, der von ihm strömt, weil er sich überall gegen Euch auflehnt. Geht – geht, faulende Gräber, geschminkte Heuchler.«

Claus Störtebecker wandte sich und schritt hochaufgerichtet durch den weiten Raum, bis dahin, wo an der getäfelten Wandung bereits dunkle Schatten auf und nieder schwebten. Leicht konnte man meinen, daß der Gastgeber hiermit die Tafel aufhöbe. So faßte es wenigstens der dänische Reichshofmeister auf. Der Unterkiefer war ihm herabgesunken, der alte Mann konnte sein Staunen über die empörerische Kühnheit der eben vernommenen Ansichten noch immer nicht mäßigen. Zwar dachten zu jener Zeit viele erleuchtete Köpfe ähnlich, aber der Aufruhr wagte sich vorerst nur in den Studierstuben hervor. Langsam schob der Drost seinen Stuhl vom Tisch und raffte seine lange Gestalt in die Höhe. Niederdrückend beschlich ihn dabei der Arger, und er hing ihm förmlich an seinen schlaffen Wangen nieder, weil ihm, auf die ehrende Einladung seiner Fürstin, keine freundlichere Bereitwilligkeit gezeigt worden war. Ja, daß er, im Grunde kaum mit halben Worten abgespeist, gleich einem aufdringlichen Zwischenträger wieder ans Land zurückgeschickt würde. Jedoch – um alles –, nichts zeigen, nichts merken lassen. Auf seinen Wink hing ihm ein aufwartender Bursche seinen schwarzen Mantel um, und nachdem von dem Buben auch noch der Kriegsoberst Konrad von Moltke seinem Schemel entrissen war, was freilich nicht ohne allerlei Faustschläge ablief, da schickte sich der dürre Drost, äußerlich unverändert, zuinnerst jedoch verletzt und beleidigt, zum endgültigen Abschied an.

»Habt Dank«, knickte er gegen die schweigende Runde zusammen, obwohl sein Blick noch immer die abgewandte Gestalt des jungen Admirals suchte. »Ihr habt uns aufgenommen, wie es eurer Macht und eurem Wohlstand geziemt. Mein Zweck, euch kennenzulernen, ihr Herren, ist damit erfüllt. Auch werde ich reinen Mund halten über das, was ihr mir des Fürderen über eure Feindschaften und Widersetzlichkeit enthüllt. Zudem, ich bin ein guter Christ und habe die gefährlichen Schwarmschriften des Oxforder ProfessorsWiclif, ein Vorläufer von Hus und Luther. nicht so gründlich studiert wie ihr –«

»He, hochedler Herr, säumt noch, ich zeigte Euch gern lieblichere Schreibereien«, unterbrach aus der fernen Ecke die lachende Stimme des Admirals. Und ohne die Einwilligung seines Gastes abzuwarten, schleuderte der schlanke Befehlshaber mutwillig aus einer geräumigen Truhe ein mit Leder und bunten Steinen besetztes Buch nach dem anderen auf den Teppich. »Seht, würzigstes Gewächs. Ihr müßt wissen, ich ward der Erbe des Bischofs von Strangnäs, den unser lieber Genosse so trostlos beweint. Ein guter, samthäutiger Geschmack, kann ich Euch versichern. Hier, Liebeslieder des Petrarca an Donna Laura. Etwas für stille, verschwiegene Leute. Und dort noch besser – Geschichten des Boccaccio an Fiametta. Nehmt, nehmt, Herr – dieser Deckel sei mein Gastgeschenk. Ihr müßt Euch darin unterrichten, denn Ihr seid der Dienstmann einer Frau.«

Versteint, sprachlos stand der Drost, seine triefenden Augen wölbten sich vor Angst und quollen ihm aus den Höhlen, da er die Schrift sich gewaltsam in die Finger gedrückt fühlte.

Der Admiral aber legte ihm sanft die Hand auf die Schulter, blitzte ihn mit seinen schwarzen Augen an und sagte tröstlich:

»Haltet mich nicht für verwirrt, hochedler Herr, ich wollte Euch nur weisen, wie wir schweifenden Leute auch die Strömungen auf dem Lande kennen. So mag ich Euch auch nicht länger ängsten. Meldet mithin Margareta meine Ehrfurcht, und morgen nach der Messe will ich vor ihr erscheinen.« Und bedeutsam und plötzlich in eine andere bisher sorgsam verschleierte Gedankenwelt zurücktauchend, setzte der Admiral geschlossenen Auges hinzu: »Gebe ihr Stern, daß sie mich verstehe.«

Er wachte auf, blickte wie erstaunt auf seine lauernden Gefährten, wechselte den Ton und rief laut:

»Gehabt Euch wohl, hochedler Herr, und sorgt nicht um Euren Abzug. Den Kriegsobersten lasse ich die Treppe hinauftragen.«


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