Ferdinand Emmerich
Quer durch Hawaii
Ferdinand Emmerich

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Achtes Kapitel.

Der »Marama« erwies sich zwar als ein gutes Schiff, aber seine Führung konnte einen Vergleich mit deutschen Seeleuten nicht aushalten. Das Schiff fuhr beständig zwischen Vancouver und Sidney, also zwischen 48° nördlicher Breite und 35° südlicher Breite. Es durchmaß auf dieser Fahrt die beiden gemäßigten Zonen und den Tropengürtel. Der Kapitän und seine Mannschaft glaubten nun der Kälte im Norden durch heißen Brandy und der Hitze in den Tropen durch kalten Whisky am zweckmäßigsten abhelfen zu können. Diese gewissenhaft befolgte Kur äußerte sich dementsprechend auch in ihren Folgeerscheinungen. Wirklich nüchterne Menschen der Besatzung sah ich während der zwölftägigen Reise nicht.

Kurz vor der Vancouver-Insel zwang uns dichter Nebel zu langsamer Fahrt. Diesem Umstand verdankte ich es, daß der monatliche Kamtschatkadampfer auslief, ehe unser Dampfer noch seine Anker warf.

Mißmutig über diesen unangenehmen Zwischenfall beriet ich mit dem Schiffsagenten, einem Deutschamerikaner.

»Drüben in Moderville liegt ein Segelschiff, die »Tacoma«. Wie mir der Kapitän heute früh mitteilte, wird er morgen nach Nikolajewsk in See gehen. Vielleicht setzt der Sie in Petropawlowsk ab.«

Ein Segelboot brachte mich an Bord. Kapitän Stevenson ging gern auf meinen Vorschlag ein. Er hoffte die Reise in sechs Wochen zurückzulegen, da er um diese Jahreszeit immer mit günstigem Winde rechnen könne. Vor Eintritt des arktischen Winters sei ich bestimmt an meinem Reiseziel.

Was es an guten Sachen für das leibliche Behagen gab, kaufte ich auf. Ebenso rüstete ich mich in bezug auf Kleidung für die kalte Witterung aus. Nachdem ich mich auch noch drahtlich mit Galveston verständigt hatte, fuhr ich an Bord. – Aus den Tropen, durch das Land des ewigen Frühlings in den arktischen Winter – in weniger als sechs Monaten!

Im Begriff, das Boot zu besteigen, trat ein Mitpassagier der »Marama«, ein Arzt Dr. Kennal an mich heran:

»Der Agent sagt mir soeben, daß Sie nach Sibirien hinüber wollen, und zwar mit einem Segler?«

»Ja – warum?«

»Wenn ich Ihnen raten darf, unterlassen Sie die Reise. Ich selbst war einmal in Petropawlowsk im Monat September. Ich mußte Hals über Kopf nach Wladiwostok flüchten, denn der Winter brach bereits mit voller Gewalt herein. Sie werden mit der »Tacoma« auch nicht vor September drüben ankommen.«

»Der Kapitän rechnet bestimmt darauf, noch im August in das Ochotskische Meer einzulaufen. Er hat Ladung für Nikolajewsk.«

»Wie Sie wollen. Ich hielt mich für verpflichtet, Sie zu warnen.«

»Herzlichen Dank, Doktor – auf Wiedersehen!«

Der Doktor blieb bei diesen letzten, gewohnheitsmäßigen Worten stehen.

»Hoffentlich bald!« rief er noch. Dann füllte sich das Segel meines Bootes, und wir steuerten Moderville zu. Daß meine Worte an den Doktor prophetische werden sollten, ahnte ich damals nicht. Ich sah ihn wieder.

Bald nach meiner Ankunft an Bord holte ein Schlepper die »Tacoma« in freies Wasser. Die Segel wurden gesetzt und hinaus ging es in die leicht gekräuselten Wogen des nördlichen Stillen Ozeans.

Ich freute mich, nach so langer Pause wieder einmal ein richtiges, großes Segelschiff unter den Füßen zu haben. Von Bord eines Seglers aus gewinnt das Meer einen ganz andern Anblick, als von einem Dampfer. Obwohl wir mit acht Meilen Fahrt die Geschwindigkeit eines gewöhnlichen Frachtdampfers erreichten, fühlte ich mich hier viel inniger mit der See verbunden. Vielleicht trägt dazu das Gefühl bei, daß man in Lee des Seglers dem Wasserspiegel soviel näher ist; daß man das Leben im Meere soviel besser betrachten und beobachten kann, als von einem Dampfer. Die ewig arbeitende Schraube verjagt die Bewohner des Ozeans, die sich auf der Oberfläche tummeln, noch bevor sie der Fahrgast zu Gesicht bekommt. Das unter den geblähten Segeln wie ein großer Riesenvogel heranrauschende Segelschiff erschreckt die Tiere viel weniger.

Als wir einige Tage unter Nordkurs vor dem Winde hergelaufen waren, und auch die letzten Spuren einer Küste unter den Horizont tauchten, fragte ich mittags den Kapitän nach einer mir unerklärlichen, jedenfalls ungewöhnlichen Erscheinung:

»Warum haben Sie beständig drei Mann als Ausguck in den Masten, Kapitän Stevenson? Wir laufen hier doch keinerlei Gefahr vor unterseeischen Riffen.«

Der Gefragte blickte still lächelnd auf seinen ersten Steuermann. Dann antwortete er:

»Sie müssen es ja doch einmal erfahren. Mein Schiff ist in der Hauptsache ein Walfischfänger und Robbenjäger. Wir sind schon über ein Jahr unterwegs und haben in Vancouver unsere Ladung gelöscht. Da wir in dieser Jahreszeit im Behringsmeer kaum noch Wale antreffen, will ich ins Ochotskische Meer hinüber, um dort zu überwintern und Felle einzuhandeln. Ich habe Mehl- und Fleischladung für Nikolajewsk an Bord, die guten Preis erzielen wird.

»Aber, bester Kapitän, dann komme ich doch nicht rechtzeitig nach Kamtschatka, wenn Sie auf Wale kreuzen. Wir sind ja jetzt schon drei Breitegrade nördlicher als Kurs. Das hätten Sie mir doch sagen müssen.«

»Beruhigen Sie sich nur, lieber Doktor. Ich nütze die Brise aus und verliere darum doch keine Zeit. Sie kommen ganz bestimmt zur rechten Zeit nach Petropawlowsk. Glauben Sie es mir.«

Es blieb mir nichts anderes übrig, als dem Mann zu glauben. Jetzt war ich einmal an Bord, und ich mußte das über mich ergehen lassen, was der Kapitän zu tun für gut fand. Ich hatte wieder einmal einem englischen Seemann Vertrauen geschenkt, und dafür mußte ich büßen. Das war nur gerecht.

Wir liefen so weit nördlich, daß wir eines Tages im Südosten eine der Aleuteninseln sichteten. Aleutische Fischerfahrzeuge kreuzten unsern Kurs. Der Kapitän blieb aber bei seiner Versicherung, daß dadurch keine Verzögerung einträte. Er ließ mich aber von dem Tage an keinen Blick mehr in seine nautischen Karten tun.

An einem sonnigen Morgen hemmte ein Ereignis unsern Lauf.

»Ein Wal!« scholl es vom Ausguck auf der Bramrahe.

»Ein Wal!« wiederholte ein jubelnder Ausruf aus zwanzig Kehlen.

Nun kam Leben auf das Schiff. Ich war jetzt Nebensache. Überall stand ich im Wege, und obwohl ich selbst Seemann war und gern wieder mit Hand angelegt hätte, konnte man mich nirgendwo gebrauchen.

Das Schiff war wieder in seinem Berufe. Vergessen war der Fahrgast und sein Reiseziel. In ohnmächtiger Wut mußte ich zusehen, wie man alle Vorbereitungen zur Jagd auf den großen Speckträger traf und tagelang sich mit ihm abgab. Als er dann erlegt war, wurde das Schiff bis in seine innersten Winkel von dem entsetzlichen Geruch verpestet, den das Auslassen des Specks vor offenem Feuer auf Deck hervorruft.

Wer weiß, wie lange diese ekle Kocherei noch gedauert haben würde, an dem Wal hing noch gewaltig viel Fleisch, wenn nicht ein aufziehender Sturm die Mannschaft gezwungen hätte, die Reste des Tieres loszuwerfen und sich um ihr Schiff zu kümmern. Der Sturm blies aus Westen. Er fuhr plötzlich mit rasender Wut daher. Unter Blitz und Donner brachte er Schnee und Eis mit sich. Gleich die ersten Brechseen warfen die Kessel und Geräte über Bord. Nur mit großer Mühe gelang es den überraschten Leuten die Luken wieder zu verschalken und die letzten Fässer festzulaschen. Machte bisher der überall haftende Tran den Aufenthalt auf Deck unmöglich, so zwang mich jetzt der tobende Sturm, unter Deck zu bleiben. In den ersten Stunden leistete ich fachmännische Hilfe beim Bergen der Segel, später, als ich bemerkte, daß die Besatzung sich auf den Dienst wieder umgestellt hatte, blieb ich in der Kajüte und lauschte dem Tosen des Sturmes und der brüllenden See.

Meine Tischgenossen, Kapitän und erster Steuermann, ließen sich von jetzt ab nur auf Minuten blicken. Die Gefahr bannte sie an ihren Posten. Für mein leibliches Wohl sorgte der Koch, ein Norweger, der stets um mich herum war, um mir irgendeine Handreichung zu leisten. Dadurch drückte er sich von der Arbeit auf Deck.

Die Brigg sauste vor ihren Sturmsegeln mit ungeahnter Geschwindigkeit dahin – gen Osten! Bei Tage überschüttete uns die See mit gewaltigen Wassermengen, und in der Nacht überzog der eisig kalte Wind die Takelung und alle Gegenstände mit einer Eiskruste. Man konnte das Deck nur unter größter Lebensgefahr überqueren.

In der zweiten Nacht riß der Sturm die Leinwand in Fetzen. Bei den Versuchen, neue Segel anzubringen, verletzten sich einige Matrosen ziemlich schwer. Sie wurden zu mir hinuntergebracht und meiner Hilfe anvertraut. Einem der Männer war der Unterschenkel vollständig zersplittert. Knochen und Sehnen hingen vom Fleisch entblößt herab. Da eine sofortige Amputation notwendig wurde, ließ ich den ersten Steuermann, in dessen Verwahr der »Medizinkasten« sein sollte, herbeiholen. Anfangs ließ er mir sagen, er habe keine Zeit. Als ihm aber der Zimmermann und der Segelmacher, beides Amerikaner, ob dieser Gewissenlosigkeit etwas deutlich den Standpunkt klar machten, sandte er wenigstens den Schlüssel. Aber wie sah es in dem Kasten aus! Die paar Instrumente verrostet, die Säge noch mit den Spuren vom Blute eines vor langer Zeit vielleicht behandelten Unglücksmenschen behaftet, von den Medikamenten war nichts mehr vorhanden. Gestohlen oder verdorben ...

Zum Glück für den armen Kerl, der seine wahnsinnigen Schmerzen tapfer verbiß, hatte ich eine Reiseapotheke in meinem Gepäck. Zwar fehlten mir die zur Amputation notwendigen Instrumente, aber es gelang mir mit den wenigen, für Präparierungszwecke mitgeführten Messern, unter Beihilfe von Kameraden des Verunglückten, diesen von dem abgerissenen Fuße zu befreien und einen antiseptischen Notverband anzulegen. Die übrigen drei Matrosen erlitten schwere Quetschungen und Hautrisse, die ich, so gut es bei dem beständigen Rollen und Stampfen der Brigg gehen wollte, behandelte und vernähte. Kapitän und Steuerleute ließen sich während der mehrstündigen Behandlung der Verwundeten nicht blicken. – Echt englisch!

Mit dem neuen Tage steigerte sich wenn möglich noch die Wut des Sturmes. Das Schiff stampfte und schlingerte, als ob es in Stücks gehen wollte. Bald hob die See es himmelhoch auf einen Wogenkamm, um es im nächsten Augenblick krachend und stöhnend dreißig Meter tief in ein Wellental zu schleudern. Oft tauchten die Rahen ins Wasser, und das spiegelglatte Deck stand so schief, daß man sich an den Tauen festklammern mußte, um nicht über Bord gewaschen zu werden.

Nachts nahmen Sturm und See unsere Brigg wie einen Kork mit sich. Die Leeseite wurde in ihrer ganzen Länge unter Wasser gedrückt. Ich saß mit Rücken und Knien festgeklemmt in der Kajüte und starrte mit einem bangen Gefühl auf das Barometer, das einen Tiefstand zeigte, wie ich ihn noch nie gesehen – und ich hatte doch schon schwere Orkane mitgemacht! Den eben eintretenden Koch veranlaßte ich, dem Kapitän von diesem Barometerstände Mitteilung zu machen. Er kam auch eiligst hinunter. Ich sehe noch, wie sich sein Gesicht verfärbte. Es wurde kreidebleich, und der Mann mußte sich setzen, um den plötzlichen Schrecken zu überwinden.

»Um Gotteswillen!« ächzte er, »und ich habe noch Segel stehen!« Dann rannte er nach oben. Gleich darauf sah ich, wie die Schoten gekappt wurden, und dann flog das Segel mit einem heftigen Knall über Bord. Als sich dann das Schiff langsam wieder aufrichtete, besuchte ich die Verwundeten, die in dem sogenannten »Salon« untergebracht waren. Die armen Kerle freuten sich, daß sich endlich ein Mensch ihrer erbarmte. Der Amputierte fragte mich, wie es um Schiff und See stünde. – Ich sagte es ihm.

»Wenn der Alte nur nicht zu lange zögert!« meinte der Mann, der schon seine dreißig Jahre Seefahrt hinter sich wußte. »Fällt das Barometer noch weiter, dann muß er die Masten kappen, denn die Schlagseite werden wir nicht los. Und dann?«

Immer weiter ostwärts trieb uns der Sturm, wir machten mindestens dreizehn Meilen Fahrt. Zu Mittag begann es finster zu werden. Der Himmel überzog sich mit einer schwarzen Decke, und die Luft war so dick und trübe, daß man keine fünfzig Meter weit sehen konnte, wollte man sich verständigen, so mußte man auf Deck zur Zeichensprache seine Zuflucht nehmen, denn Worte, selbst wenn sie ins Ohr geschrien wurden, verhallten im Sturme.

Als ich mich im Kajütseingang an Deck blicken ließ, faßte der Wind vorn in meinen Ärmel und riß diesen bis oben hin auf. Im nächsten Augenblick flogen die Fetzen meines Rockes über die Reeling. Ich selbst wäre buchstäblich vom Winde in die See getragen worden, wenn ich nicht das Rettungstau doppelt um den Arm geschlungen hätte. So kam ich mit blauen Beulen davon.

Alles an Bord war todmüde. Seit drei Nächten hatte keiner mehr geschlafen. Seit zwei Tagen war nichts Warmes mehr über unsere Lippen gekommen. Anfangs erwärmte der reichlich vorhandene Rum noch die Leute. Aber gar bald trat die erschlaffende Wirkung des Alkohols zutage, und alle froren um so mehr.

Niemand sprach mehr. Die schneidende feuchte Kälte und mehr noch das Bewußtsein der großen Gefahr schloß uns den Mund. Die Augen redeten dafür eine beredte Sprache.

Ich habe später noch sehr häufig die Wahrnehmung gemacht, daß der Eindruck der Gefahr am stärksten im Vorgefühl und im Nachgefühl auf den Menschen wirkt. Sind wir einmal mitten darin, dann erscheint sie uns am schwächsten. Daher kommt auch bei vielen Menschen der ihnen selbst unerklärliche Drang, jenes peinliche Vorgefühl abzukürzen. Sie gehen der Gefahr, die ihnen droht, entgegen, um sie so schnell als möglich zu beseitigen. Erst im Nachgefühl lernen wir die Größe der Gefahr kennen. Der Drang, der unsere Aufregung in der kritischen Lage dämpfte, erschüttert erst nachher die wieder in das normale Gleichgewicht zurückströmenden Lebensgeister.

Der Kapitän kam öfters hinunter, um den Barometerstand abzulesen. Aber noch deutete nichts auf eine Besserung des Wetters. Eine schwere Bö folgte der andern. Schwarze Wolkenballen jagten über den Horizont. Der Sturm pfiff unentwegt durch das Takelwerk, und die Brigg ächzte und krachte in allen Fugen. Ein nebelartiger dunkelgrauer Dunst hing in der Luft und machte sich unangenehm auf der Haut fühlbar. Lange Wogen rollten brüllend heran. Mit ihren Gischtkronen spielte der Sturm, warf sie hoch in die Lüfte und führte sie in langen Ketten davon. Wohin das Auge blickte, starrte Verlassenheit und Verderben.

Am fünften Morgen erreichte die Wut der Elemente ihren höchsten Grad. Droben am Himmel hing ein rötlicher Dunst, der über die ganze Meeresfläche ein nächtliches Dunkel warf. Auf der tobenden See schoben sich von allen Seiten mächtige Wogen heran, türmten sich wie Berge auf und fegten mit zerstörender Gewalt über das Deck – alles durcheinanderwerfend, was nicht niet- und nagelfest war. Der Sturm heulte mit einem erstickenden Druck. Das Tauwerk, auf dem das feine Sprühwasser zu Eis erstarrte, rasselte unheimlich und die Masten ächzten, als ob sie jeden Augenblick über Bord brechen wollten.

Alle, die wir uns auf der Brigg befanden, waren Seeleute. Jedem von uns war die Größe der Gefahr bekannt, in der wir schwebten. Ich für meinen Teil wunderte mich sogar, daß das Schiff noch nicht auseinandergeschlagen war. Es mußte besonders stark gebaut sein. Die größte Gefahr drohte uns aber, weil wir gar nicht wußten, wo wir uns befanden. Seit fünf Tagen hatten wir keine Ortsbestimmung vornehmen können. Bei der Geschwindigkeit, mit der uns der Orkan nach Osten jagte, war es gar nicht ausgeschlossen, daß wir uns in der Nähe von Land befanden – und dann waren wir rettungslos verloren.

Nur zu bald sollte sich unsere Befürchtung bewahrheiten. Gegen Mittag drangen plötzlich an Steuerbordseite graue Massen durch den Nebel. Das Donnern einer Brandung übertönte selbst den Sturm.

Das war Land!

Zwar war es so schnell, wie es auftauchte, wieder aus Sicht verschwunden. Aber unter unserer gesamten Besatzung machte sich plötzlich eine fieberhafte Geschäftigkeit bemerkbar. Wir alle arbeiteten aus Leibeskräften an dem Ausbringen eines Segels. Mit etwas Segelfläche konnte die Brigg wieder gesteuert werden.

Das erste Stagsegel riß der Sturm wie Papier in Fetzen. Dann aber gelang es, zwei neue Segel an neuen Tauen zu setzen. Mit dichtem Reff steuerte das Schiff jetzt etwas nach Südosten.

Und keinen Augenblick zu früh war unsere Arbeit von Erfolg gekrönt worden. Unheilverkündend drangen die rollenden Donner einer Brandung an unser Ohr. Vom Lande losgerissene Hölzer wurden durch die Gewalt des zurückflutenden Wassers schon bis vor unser Schiff getrieben. Aber trotz aller übermenschlichen Anstrengungen konnten wir uns immer noch nicht von der Küste frei machen, da die Wogen zu stark nach Land zu setzten und wir sichtlich in einer Strömung saßen, die uns nicht loslassen wollte.

Der Kapitän opferte ein Faß Öl. An sechs Stellen wurde das Öl in kleinen durchlöcherten Säcken über die Reling gehängt, und aus diesem Sieb tropfte es langsam in die schäumende Flut. – Die Wirkung zeigte sich bald. So weit der regenbogenförmige Streifen des schwimmenden Öls reichte, glätteten sich die Wogen, und nun gelang es auch, das Schiff auf einen südlichen Kurs zu bringen. Unverhofft gerieten wir dadurch in eine Strömung, die unser Schiff mit sich nahm.

Kurz vor Sonnenuntergang sollte unsere Zuversicht auf eine Rettung aus diesem Chaos dennoch zuschanden werden. Der Kapitän hatte, um sich aus der unbekannten Strömung befreien zu können, noch ein paar Segel setzen lassen. Er sah darin keine Gefahr, weil der Sturm abzuflauen schien. Plötzlich fühlten wir, wie ein Zittern durch die Brigg ging. Ein dumpfer Krach ließ uns alle erbeben, von achtern kam der zweite Steuermann mit dem Schreckensruf:

»Das Ruder ist gebrochen! Wir haben auf Grund gestoßen!«

Alles eilte entsetzt nach hinten. Um uns unsere Lage recht deutlich vor Augen zu führen, zerriß jetzt ein heller Blink die dicke Luft, und mit Schaudern erblickten wir, nur wenige Seemeilen entfernt, einen Haufen starrer, kahler Felsen.

Nur so lange dauerte die Sichtigkeit der Luft, als wir benötigten, um den ganzen Jammer unserer Hilflosigkeit zu erkennen, dann zog die Nebelwand ihre Schleier wieder über die Klippen.

Natürlich blieb niemand an Bord müßig. Ein sogenannter Notanker wurde hergerichtet, die Pumpen wurden gepeilt, und gleichzeitig ertönte der Ruf zum Bergen der Marssegel. Ehe dieser aber ausgeführt werden konnte, faßte uns plötzlich eine »weiße« Bö von vorn mit solcher Gewalt, daß das Schiff in seiner Vorwärtsbewegung gehemmt wurde. Gleichzeitig krachte und brach es über unsern Köpfen und die Vorstengen und Großmarsstengen sausten auf Deck herab.

Jetzt war keine Hand zuviel an Bord. Die Verwundeten kamen von selbst nach oben, um hilfreichen Beistand zu leisten. Mit Äxten und Beilen wurde gekappt, was im Wege war.

Die Brigg lag nach dieser Überrumpelung einige Augenblicke quer zur Strömung. Sie neigte sich oft so tief zur Seite, daß wir jeden Augenblick das Kentern erwarteten. Endlich aber, nachdem sie sich im Kreise gedreht hatte, nahm sie die richtige Lage wieder ein und trieb langsam mit der Strömung dahin.

Nach unsäglicher Mühe gelang es, ein Notruder herzustellen. Allerdings ließ sich damit nur notdürftig steuern, aber wir konnten die Brigg wenigstens vor dem Querschlagen bewahren.

Mitternacht war vorüber, da durchbrach der Mond endlich die dicke Wolkendecke. Mit dessen Erscheinen nahm aber auch die Wut des Sturmes wieder zu. Er war nach Norden herumgegangen und jagte uns mit großer Geschwindigkeit vor sich her. –

Die Führer der »Tacoma« benutzten die Sichtbarkeit des Mondes, um den Schiffsort zu bestimmen. Als der erste Steuermann sich mit dem Sextanten auf das Achterdeck begeben wollte, kam unverhofft eine schwere Brechsee über und schleuderte ihn so unsanft von der Treppe gegen den Mast, daß er bewußtlos liegen blieb, während das Instrument in weitem Bogen davonflog. Ich sprang mit dem Koch hinzu, um ihn vor dem Schlimmsten zu bewahren, denn die nächste See würde ihn rettungslos über Bord gewaschen haben, da kreischte es plötzlich schneidend durch den Sturm:

»Land zwei Strich an Backbord voraus!«

Und fast gleichzeitig von einer andern Stimme:

«Brandung an Steuerbord voraus!«

Das mußte das Ende sein! Alle standen wie gelähmt an die Stelle gebannt, wo sie die fürchterliche Botschaft erreichte. Myers, der Harpunier, enterte in die Wanten, blickte eine Sekunde in die See und sprang zum Steuer. Aller Augen folgten ihm. Instinktiv erblickten wir in dem entschlossenen Zugreifen des alten Seemannes einen Hoffnungsstrahl. Selbst der Kapitän, der auf der Reling, in die Wanten geklammert, hing, ließ den Mann gewähren.

Nun fuhr ein tosendes Geheul durch die Lüfte. Wir sahen, wie sich schwarze, gewaltige Massen pfeilschnell heranwälzten. Schäumende, quirlende Wasserstürze bäumten sich vor unserm Bug. Sie warfen sich mit pfeifendem Brüllen auf das arme Schiff, das sich ächzend unter dem gewaltigen Druck in die Tiefe bog – – Ein eisiger Schlag warf mich mit Riesenkräften zwischen die Decksbauten.

Ich spürte heftige Schmerzen wie von vielen Messerstichen, dann wurde es Nacht vor meinen Augen.

Aber nur minutenlang verließ mich die Besinnung. Ich richtete mich mühsam auf und blickte zurück. Eben verflossen die schwarzen Umrisse in der Nacht. Aber wie sah das Schiff aus. Dort, wo die Kombüse gestanden hatte, gähnte ein Loch. Klüver und Bugsprit trieben längsseit. Von den Masten hingen die Raaen wie abgehauene Arme...

Und die Mannschaft?

Ich schleppte mich zum zweiten Steuermann, der auf den Knien vor mir lag und mit stieren Blicken in den Mond blickte.

»Wo sind die Leute? – So redet doch, Mann!«

Wie geistesabwesend blickte er zu mir auf. Dann erhob er die Hand und deutete über Bord.

»Aber das ist doch nicht möglich?« schrie ich entsetzt und mühte mich, aufzustehen.

Ich blickte in eine aufgewühlte, kochende See, in der wir mit nicht sehr großer Fahrt dahinjagten. Mein erster Blick galt dem Steuer. Dort stand ein Mann an der Ruderpinne. Ich erkannte Myers. Auf dem Wege zu ihm, stieß ich auf drei Matrosen, die zu einem Knäuel geballt vor dem Achterdeck lagen. Das Großboot saß mit dem Vorderteil in der Kajüte, deren Decke bis zum Oberlicht aufgerissen war. – Ich brüllte hinunter. Mehrere Stimmen antworteten, darunter der Kapitän. Mit wenigen Sätzen turnte ich durch das zerstörte Oberlicht hinunter und – stand bis zu den Knien im Wasser.

Dann erfuhr ich das Furchtbare. Die Durchfahrt durch den Engpaß hatte uns neun Mann der Besatzung, darunter den ersten Steuermann und die Verwundeten, gekostet. Die gierige See nahm sie bei ihrem Zerstörungswerk mit sich. Der Amputierte war in der Kajüte ertrunken, wie durch ein Wunder hatte sich Myers gerettet. Er erzählte uns, daß die Wasser sich wie eine Glocke über seinem Kopfe gewölbt hatten und nur ein verhältnismäßig leichter Gischt ihn getroffen und unter die Ruderpinne gepreßt hatte.

Der dämmernde Morgen zeigte uns Land an Steuerbord und weiter voraus auch an Backbord. Die allgemeine Ansicht lautete, daß wir uns mitten zwischen den Charlotten-Inseln befänden. Bestärkt wurden wir darin durch einen gekenterten Kajak, wie ihn die Bewohner der Inseln benutzen.

Als die Sonne aufging, ließ der Sturm nach. Der Wind ging wieder westlich, und nun setzten wir einige Segel an den Untermasten und hieben uns von dem treibenden Takelwerk frei. Nun erst konnten wir die furchtbare Zerstörung betrachten, die durch die überkommenden Seen auf unserm Schiff angerichtet worden waren. Am härtesten traf uns aber der Verlust so vieler braver Kameraden, denen selbst der Kapitän einige Tränen nachweinte.

Die Beobachtung am Mittag ergab als unsern Standort das Inselgewirr vor dem Kaskadengebirge in Britisch-Kolumbien. Der von uns in der Nacht passierte verhängnisvolle Engpaß konnte nur die auf der Karte als äußerst gefährlich bezeichnete Untiefe beim Kap Sankt James gewesen sein.

Nun, wo wir wieder bekannte Gewässer vor uns hatten, ging die Schiffahrt geregelter vor sich, wir nahmen Kurs auf den Charlottesund, der die Vancouver-Insel vom Festlande trennt. Nach drei Wochen sollte ich also wieder an meinem Ausgangspunkte landen.


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