Ferdinand Emmerich
Quer durch Hawaii
Ferdinand Emmerich

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Zweites Kapitel.

Laute Kommandorufe weckten mich. Ein Poltern und Klirren, und mit klatschendem Aufschlag rasselte der Anker des kleinen Schoners "Maui" in die funkensprühenden Wasser. Das Meer war spiegelglatt. Ein halbmondförmiger Strand mit leise nickenden Kokospalmen und zahlreichen Kanoes träumte dem nahen Tag entgegen. Aus einem schwarzgrünen Haine winkte ein kleines Dorf herüber. Keanhou, mein Reiseziel. Ein Kanakendorf.

Meine Habseligkeiten standen bald auf Deck. Der deutsche Kapitän und sein erster Steuermann waren noch mit den Landungsarbeiten beschäftigt, und in der Erwartung, mich von ihnen bei einem opulenten Frühstück zu verabschieden, trat ich auf das Achterdeck und ließ mein Auge über die herrliche Landschaft schweifen.

Es war noch früher Morgen. Die erhabene Schönheit der erwachenden Natur wirkte in dieser Beleuchtung besonders bezaubernd. Am Firmament prangte, voll aufgerichtet, in seiner hehren Pracht das herrliche Sternbild des südlichen Kreuzes, dessen Spiegelung in tausend glitzernden Perlen über die mattglänzende Wasserfläche zitterte. – Über dem Ufer lagerte der feine, zarte Hauch der Morgennebel, und eine leise Brise trug den würzigen Duft von Millionen von Blüten zu mir herüber.

Da zuckte ein heller Blitz über das Firmament. Der schneebedeckte Gipfel des gewaltigen Mauna Loa stand wie mit Blut übergossen. Einen Augenblick schien es als ob er im Äther schwebe; dann hob sich der glutrote Feuerball aus den Fluten des Weltmeeres, und unter den alles belebenden Strahlen des Tagesgestirnes erwachte geschäftiges Leben.

Der Kapitän trat zu mir:

»Nun, lieber Doktor, sind Sie am Ziel. Von hier aus kann man den immer unruhigen Vulkan, den Kilauea, am besten besteigen. Der Weg zu dem ›ewigen Feuer‹, wie die Kanaken mit Recht den Feuersee dort oben nennen, ist gar leicht zu finden. Er bietet keine besondern Schwierigkeiten. Auch der böse Mauna Loa dort oben kann von hier aus erreicht werden. Aber wie überall in der Welt, stehen auch hier neben den Rosen die Stacheln. Wenn der Vergleich auch etwas hinkt, so trifft er doch zu. Die Kanaken sind hierzulande noch ziemlich rauhborstig und stacheliger Natur. Wenn Sie es vermeiden können, lassen Sie sich nicht mit den Kerlen ein. Sonst – na, Sie haben ja gute Waffen?«

Bordgeschäfte riefen den Kapitän ab. Ich trat an die Reeling, wo sich mittlerweile eine ganze Anzahl von Ruderern eingefunden hatten, um den Fahrgast ans Land zu bringen. Weiß der Himmel, wie die Kanaken von meiner Absicht Wind bekommen hatten, aber jeder wußte schon, daß ich einen Abstecher zu den Vulkanen machen wollte. Jeder drängte sich vor und überbot den Nachbarn in gebrochenem Englisch mit Anpreisungen seiner Zuverlässigkeit. Dabei hatten die Kerle wahre Galgenphysiognomien und mehr als einer trug Narben auf dem Körper, die eine verdächtige Ähnlichkeit mit Messerstichen aufwiesen.

Wie meistens in solchen Fällen ließ ich den Schwall über mich ergehen, ohne die geringste Notiz von den Bootsleuten zu nehmen. Der ortsansässige Schiffsagent würde mir schon den geeignetesten Mann bezeichnen.

Während ich so an der Reeling lehnte und meine Studien an den Kanaken machte, stieß ein Boot vom Strande ab, das ein einzelner, auf unsere Art gekleideter Mann ruderte. Er legte an unserm Fallreep an, und da ihn der wachhabende Matrose ungehindert an Deck kommen ließ, vermutete ich in ihm den Agenten. Der Mann ging jedoch mit leichtem Gruße an unserm Kapitän vorüber und schritt gerade auf mich zu. Mit einem kurzen Lüften des Hutes sagte er, zu meiner größten Überraschung in deutscher Sprache:

»Wenn Sie auf den Kilauea wollen, so machen Sie den Aufstieg am besten von hier aus. Und wenn Ihnen dabei die Gesellschaft eines Landsmannes angenehm ist, so bin ich gern bereit, Sie zu begleiten. Ich habe ohnehin beruflich da hinauf zu tun.«

Ich sah den Sprecher etwas mißtrauisch an. Sein kupferbraun gebranntes Antlitz ließ eher auf einen Südsee-Insulaner als auf einen Deutschen schließen. Ich zögerte daher etwas mit der Antwort. – Aber schließlich sah ich selbst nicht anders aus. Ich dankte dem Manne und fragte, mit der gewissen Unbehaglichkeit im Innern, die den Naturforscher unwillkürlich befällt, wenn er in seinem Arbeitsgebiet bereits einen Kollegen vorfindet:

»Beruflich? Ich habe wohl einen Kollegen vor mir, der hier wissenschaftlich tätig ist? Wohl Zoologe?«

Gleichzeitig stellte ich mich vor.

»Nein, nein!« wehrte der andere lächelnd ab, als er den süß-sauern Tropfen aus der Frage herausfühlte. »Haben Sie keine Angst vor meiner Konkurrenz. Ich bin Missionar Stapelfeldt.«

Die Antwort verscheuchte mit einem Schlage alle Bedenken. Hocherfreut schüttelte ich dem liebenswürdigen Landsmann die Hand und nahm gern seine Einladung, in seinem Hause Wohnung zu nehmen, an. Mein Gepäck war schnell verladen. Ehe wir jedoch von dem Schoner abstießen, rief uns der Kapitän:

»Aber Hochwürden, was ist denn los? Wollen Sie wirklich mein Schiff verlassen, ohne meiner Kajüte einen Besuch abzustatten? Das ist ja gegen alle Regel ....«

»Guten Morgen, lieber Kapitän! Heute müssen Sie mich entschuldigen. Wie Sie sehen, habe ich Gastpflichten zu erfüllen. Machen Sie mir heute einmal die Freude und nehmen Sie ein kleines Frühstück in meinem bescheidenen Häuschen. Es gibt zwar nur Fische ....«

»Und was dazu gehört!« unterbrach ihn lachend der Kapitän. »Es gilt, Hochwürden, in einer Stunde bin ich bei Ihnen.«

Das Missionshaus, in dem der Missionar mit noch zwei Kollegen, die zufällig abwesend waren, wohnte, war ein luftiges Bambusgebäude, das mitten in einem Akazienhaine lag. Der mit einem Bambuszaun umfriedigte gutpflegte Garten barg viele Früchte, besonders Orangen, Bananen, Granatäpfel und Ananas. Zwei alte Kanaken besorgten die Küche und hatten alle sonst vorkommenden Arbeiten zu übernehmen. Der Platz war in seiner durch nichts gestörten Ruhe, in dem Klima des ewigen Frühlings, der auf den hawaischen Inseln herrscht, ein wahres Paradies. Ich machte dem Missionar eine dahingehende anerkennende Bemerkung, die ihm jedoch einen tiefen Seufzer entlockte:

»Sie haben wohl recht. Es könnte ein Paradies sein, wenn – nun, wenn eben alles so wäre, wie es sein könnte, wenn die Kanaken sich nur nicht ewig befehden würden und, was das schlimmste ist, wenn die amerikanischen Missionare mehr Duldsamkeit und Friedensliebe aufbrächten. Aber das ist ein trauriges Kapitel, über das wir uns noch eingehender unterhalten werden. Jetzt fehlt dazu die Zeit, denn dort sehe ich eben den Kapitän herüberkommen.– Aber was schleppt denn der Schiffsjunge da mit? Haben Sie noch Gepäck an Bord zurückgelassen?«

»Nein. Das gehört nicht mir. Das sind zwei Körbe...«

»Halloh, Hochwürden!« rief der Kapitän jetzt. »Wo kann denn der Junge seine Decksladung hinstauen? Ich habe mir erlaubt, eine Kleinigkeit für das Frühstück zu stiften, lauter deutsche gute Sachen, die Sie seit Jahren wohl entbehrt haben.«

Und mit einem spitzbübischen Lächeln in seinem ehrlichen Seemannsantlitz zauberte er viele heimatlichen Sachen auf den Tisch, die damals noch auf Hawaii zu den größten Seltenheiten gehörten: Marinierte Ostseeheringe, Mettwürste, Schinken, Pumpernickel und einige Flaschen Rheinwein.

»So, meine Herren, nun wollen wir einmal auf vaterländische Art frühstücken! – Nein, Hochwürden, keine Einwendungen! Die Eßwaren sendet Ihnen mein ›Brotherr‹, der Sie ebenso ins Herz geschlossen hat, wie Ihr ergebener Kapitän, der sich erlaubt, den Wein zur Befeuchtung der in Aussicht gestellten Fische zu stiften.«

»Dann darf ich wohl eine Kiste Zigarren für den Nachtisch spenden,« warf ich ein. »Ich habe mir einen Vorrat in Manila eingelegt und freue mich, so guten Gebrauch davon machen zu können.«

Das Frühstück zog sich ein wenig sehr in die Länge. Der Kapitän war kaum an Bord zurückgekehrt, als der Gesang der Matrosen das Aufheben des Ankers ankündigte. Unter lebhaften Grüßen sahen wir den kleinen Schoner mit der frischen Brise in das offene Meer hinaussegeln, und noch lange unterhielten wir uns über den genußreichen Nachmittag.

Am nächsten Morgen traten wir den Weg in das Gebiet der Feuerberge an. Mit einigen Kanaken als Trägern und auf guten trittfesten Pferdchen ritten wir frohgemut in den jungen Tag. Der Weg führte uns an Pflanzungen vorbei, durch Kokoshaine und rauschende Mais- und Zuckerrohrfelder. Vereinzelte Hütten, vor denen zahlreiche Kinder in der paradiesischen Tracht, im Schutze ihrer kaum reicher bekleideten Eltern faulenzten oder sich im Sande wälzten, wechselten ab mit wohlgepflegten Gärten, die sich hinter sauber gehaltenen Lehm- oder Bambushäuschen dahinzogen und deren Bewohner in ihrer vollständigen Bekleidung den europäischen Einfluß verrieten.

Von diesen letzteren wurde der Missionar auffallend freundlich, ja herzlich begrüßt, während aus den Hütten der herumlungernden Tagediebe mehrfach höhnische Worte und herausforderndes Lachen an unser Ohr drang.

Unterwegs zügelte ich einmal mein Pferd, um einige Orangen von den am Wege stehenden, wie ich glaubte, herrenlosen Bäumen zu pflücken. Ich hatte aber kaum den Arm danach ausgestreckt, als ich dicht neben mir rauhe Laute vernahm. Aus dem nahen Gebüsch brach mit allen Zeichen der Wut ein alter Kanake hervor, der mich mit einer Flut von rauhen Worten überschüttete. Ich verstand sie zwar nicht, zweifelte aber keinen Augenblick daran, daß er ein halbes Schimpfwörterlexikon an mich verschwendete. – Empört über eine solche völlig ungerechtfertigte Anpöbelung wollte ich dem Alten das Fell mit der Reitpeitsche gerben. Mein Begleiter fiel mir aber in den Arm und bat mich dringend, den Kerl diesmal laufen zu lassen. Er fügte hinzu:

»Ich gebe Ihnen später die Erklärung für diese feindseligen Ausfälle, die sich, so Gott will, nicht wiederholen werden, obgleich wir auch droben in den Bergen nicht auf allzu freundliche Menschen rechnen können.«

»Aber, bester Freund, ich kann mir doch diese Anrempelung von dem Kanaken nicht gefallen lassen. Einen Hieb muß ich ihm wenigstens über seinen schmutzigen Buckel geben.«

»Bitte, tun Sie es nicht,« bat der Missionar, indem er mein Pferd davonzog. »Heute abend erkläre ich Ihnen alles.«

Bald wurde der Weg steinig und wand sich durch verwitterte Lavablöcke und durch dornenbewachsene Schluchten. Eine Unterhaltung wurde dadurch von selbst abgeschnitten. Der Missionar ritt sorglos voran. Seine Träger aber, die bis dahin an der Spitze marschierten, blieben nun zurück, und die scheuen Blicke, die sie hinauf zu den auf halber Höhe hängenden Blöcken warfen, sagten mir, daß wir uns in einer Gegend befanden, in der wir, vor unliebsamen Abenteuern nicht unbedingt sicher waren.

Pater Stapelfeldt war unbewaffnet. Durch die Wegeverhältnisse hatte sich unsere Zugordnung nach und nach verschoben, und zwar nach meinem Dafürhalten zu unsern Ungunsten, wenn wirklich ein Angriff gegen uns erfolgen sollte. Die hintereinander marschierenden fünf Träger trennten mich von dem Missionar und da nur ich mit Schußwaffen versehen war, strebte ich danach, an die Spitze unseres kleinen Zuges zu gelangen.

Eine buchtartige Verbreiterung des Pfades bot mir genügenden Raum, um mein Pferd an die Seite des Paters zu drängen. Meine Bitte, mich an die Spitze des Zuges reiten zu lassen, wollte er indessen abschlagen, wir stritten uns noch freundschaftlich darum, als plötzlich zwei Kanaken aus dem Gebirge neben uns auftauchten, die ein beladenes Pferd vor sich hertrieben. Der Missionar lenkte sein Tier zur Seite, um den beiden den Weg frei zu geben. Der Treiber aber schien es auf einen Zusammenstoß abgesehen zu haben, denn er nahm nicht nur nicht den freien Weg, sondern trieb sein Roß derart gegen das Pferd des Paters, daß dieses beinahe den Hang hinuntergestürzt wäre.

Diesmal war ich nicht gesonnen, die Beleidigung ruhig hinzunehmen. Ich fiel dem fremden Pferde in die Zügel und trieb es zurück, indem ich nun den Pater mit meinem Tiere deckte. Dieser unvermutete Eingriff versetzte die Kanaken in wilden Zorn. Im Nu blitzten die Messer. Ebensoschnell aber richtete ich den Lauf meines Revolvers gegen den Nächsten, der instinktiv einen Schritt zurückwich. Dann gab ich meinem Pferde die Sporen und drang auf die Kerle ein, die sich langsam gegen den Hang hin vor dem drohenden Laufe in Sicherheit zu bringen suchten.

»Stehen bleiben!« schrie ich ihnen in englischer Sprache nach, und wenn sie vielleicht auch die Worte nicht verstanden, so begriffen sie sicher deren Sinn. Der frechste der beiden blieb stehen und spielte vielsagend mit dem Messer. Ehe er aber noch meine Absicht erraten konnte, wechselte ich den Revolver mit der schweren Lederpeitsche und zog ihm einen so wuchtigen Hieb durch das Gesicht, daß er laut heulend zusammenbrach. Hierauf sprang ich zu Boden, entwand dem Kerl das Messer und ließ nun hageldicht die Hiebe über sein nacktes Fell prasseln.

»So, nun ist der Weg frei!« rief ich meinen Begleitern zu, als ich atemlos von dem sich am Boden krümmenden Kanaken abließ. »Jetzt haben wir Ruhe vor dem Gesindel, denn wenn der auch nichts erzählt, so spricht sein Fell für ihn.«

Der Pater machte mir sanfte Vorwürfe über mein, wie er glaubte, übereiltes Strafgericht, als wir uns später zur Rast niederließen. Ich aber verteidigte mein Vorgehen und sagte:

»Wenn Sie, ehrwürdiger Herr, dem feigen Gesindel auch einmal so gründlich die Leviten lesen würden, wie ich das heute tat, dann würden die höhnenden Stimmen bald verstummen. Warum schreiten Sie nicht energisch ein? Und woher stammt eigentlich dieser Haß?«

»Ich weiß, daß ich Ihnen eine Aufklärung schuldig bin,« sagte der Pater. »Hören Sie, wie die Dinge bei uns liegen:

Die Kanaken hier im Südosten der Insel wurden schon vor vielen Jahren von amerikanischen Missionaren zum Christentum bekehrt. Sie leben aber in den Dörfern im Innern tatsächlich in heidnischer Weise. Vor vier Jahren landete ich in Keanhou und ging sofort ans Werk, um die verwilderten Menschen dem christlichen Glauben zurückzugewinnen. Bei einem Teile gelang es mir. Es sind die Leute, die Sie hier in anständiger Kleidung sehen. Bei dem übrigen Teile der Kanaken stieß ich auf den Widerstand der durch die amerikanischen Missionen aufgehetzten Dorfältesten. Diese beriefen sich auf einen Erlaß des Königs Kalakaua, der bekanntlich ganz unter dem Einflusse der Amerikaner steht. – Seit jener Zeit verfolgen mich die nicht zu unserer Gemeinde gehörenden Kanaken mit einem mir unerklärlichen Hasse, der sich, wie Sie selbst sahen, bei jeder Gelegenheit Luft macht. Der Alte, der uns unten so barsch entgegentrat, ist einer der ärgsten Hetzer. Oft schon hat man mir seine Drohungen gegen meine Person hinterbracht. Aber ich stehe in Gottes Hand. Soll ich einmal den Anfeindungen zum Opfer fallen – nun, so geschehe der Wille des Herrn!«

»Das sind allerdings traurige Zustände,« erwiderte ich. »Es wäre vielleicht doch angebracht, wenn Sie den Kerlen einmal energisch gegenüberträten. Den Eingeborenen imponiert nichts so sehr, wie ein energischer, furchtloser weißer Mann ...«

»Das wäre der Untergang meiner Gemeinde,« warf Pater Stapelfeldt ein. »Die Amerikaner fänden darin sicher Grund genug, meine Abberufung zu betreiben und dann wäre alles verloren!«

Noch lange unterhielten wir uns über dieses Thema, und es war schon spät, als wir in unsere Decken krochen.

Die aufgehende Sonne fand uns wieder unterwegs. Der Pfad führte durch herrliche Koawälder ( Acacia koa), in denen große Mengen bunter Vögel ihr lustiges Spiel trieben. Hin und wieder trafen wir auch noch auf vereinzelte Stämme des selten gewordenen Sandelholzbaumes ( Santalum album), dessen Ausrottung auf der Insel damals schon in naher Aussicht stand. Dracaena, Pitchardia, Lobeliaceen und schönblühende Ranken erfreuten eine Zeitlang das Auge. Dann traten die Bäume und Palmen zurück. Je höher wir stiegen, desto spärlicher wurde das grüne Gesträuch.

Endlich ließen wir die letzte Vegetation hinter uns. Als wir aus einem tiefen Ausschnitt wieder auf den Rücken des Berges klommen, entfuhr uns unwillkürlich ein lauter Ausruf der Bewunderung. Ein Anblick, wie ihn das an eigenartigen Bildern so reiche Inselland kaum ein zweites Mal bietet, bannte uns an die Stelle.

Dicht vor uns, scheinbar in Steinwurfnähe, ragte der schneegekrönte, breitgedrückte Gipfel des gewaltigen Mauna Loa in den weißblauen Äther. Aus seinem Randkrater, dem immer tätigen Mokuaweoweo, schossen feine, grauschwarze Rauchfäden und verloren sich in kräuselnden, hüpfenden Wölkchen in der klaren Luft. Dunkelrot gefärbte, zuckende Linien wälzten sich träge, wie eine riesige Schlange, den Abhang hinunter und verloren sich irgendwo im Tal. Bald weißgelb aufleuchtend, bald in dunklen Qualm gehüllt, bahnte sich die glühende Lava ihren Weg in der seit Jahrhunderten gewohnten Bahn und füllte unablässig die Abgründe an den Flanken des Gebirgsmassivs.

Rückwärts blickend, sahen wir vor uns das unendliche tiefblaue Meer, wie winzige Pünktchen huschten die zahlreichen Fischerfahrzeuge über den nahen Saum des Strandes. Fern im Osten leuchteten die Segel eines majestätisch dahinziehenden großen Dreimasters und südlich und westlich lagerten sich die Rauchfahnen auf Oahu zustrebender Dampfer auf die blinkende Wasserfläche. – Es ist das ein Bild, das dem Naturfreunde unvergeßlich vor Augen bleiben wird, solange er lebt.

Stumm, überwältigt von der großartigen Schönheit dieses Anblicks, ritten wir endlich weiter, dem südlich gelegenen Krater des 1300 Meter hohen Kilauea entgegen. Hier deutete schon alles auf die Herrschaft der Vulkane hin. Dumpfes Brummen drang aus dem Boden und ließ uns leise in unsern Sätteln erschüttern. Weiter reitend, wuchs das Geräusch ansteigend zu einem grollenden Gebrüll, hie und da unterbrochen von einem polternden Rumpeln. Steine bewegten sich und gerieten ins Rollen. Unwillkürlich blickte ich nach meinen Begleitern zurück.

»Nur keine Angst!« rief der Missionar. »Unsere Vulkane sind nicht bösartig. Sie kochen wohl über mit ihrer schäumenden Feuermasse, aber Ausbrüche, wie man sie bei andern feuerspeienden Bergen kennt, mit Steinwürfen und Gasexplosionen kommen bei diesen Vulkanen nicht vor. Übrigens werden wir gleich am Ziele sein. Reiten Sie jetzt nur recht vorsichtig!«

Das lockere Geröll wich harter, grauschwarzer Lava, aus der einige große Felsenwürfel hervorragten. Als wir diese umritten, sahen wir vor uns dichte weiße Rauchmassen. Ein durchdringender Schwefelgeruch legte sich auf die Brust, und bei einer neuen Biegung sahen wir den Krater des Kilauea in seiner ganzen riesigen Ausdehnung vor uns liegen. Diesen einzig schönen Anblick zu beschreiben ist schwer. Man stelle sich in Gedanken an den Rand eines Abgrundes von etwa zweihundert Metern Tiefe und mehreren Kilometern Breite, von der Form eines fast kreisrunden Topfes, nur daß die steil aufragenden Wände von zerrissenen, höchst phantastisch anzuschauenden Felsenklippen gebildet sind.

Auf dem Boden des Kratertopfes dehnt sich ein weites, welliges Gelände. Es gleicht einem schwarzen See, dessen sturmgepeitschte Wogen mit einem Zauberschlage zu Stein erstarrt sind und für alle Zeiten das Bild versteinerter Wasserberge festhalten. In der Mitte dieses Riesentopfes stampft und brodelt es. Feuerstrahlen durchzucken den hellen Rauch. Das Toben unterirdischer Gewalten dringt deutlich vernehmbar aus dem feurigen Schlund herüber.

Auf halsbrecherischen Pfaden stiegen wir, die Pferde zurücklassend, in den märchenhaften »See« hinunter. Launenhafte Formenbilder umgaben uns, als hätten Titanenkinder einstmals ihre Phantasie am bildsamen Sande erprobt...

Die erstarrte Lavamasse ist fest und solide und wir können rüstig ausschreiten. Je mehr wir uns aber dem grollenden Mittelpunkte nähern, desto häufiger treten Risse auf. Bald sind wir gezwungen, den Schritt bedeutend zu verlängern, wenn wir die klaffenden Spalten überschreiten. Winzig kleine Öffnungen im Boden senden haarfeine Dampfstrahlen in die Luft. Ich fange sie auf und spüre deutlich den schwefligen Geruch.

Ein Windstoß zerteilt plötzlich die Dampfschicht, die in einiger Entfernung von uns in brodelnder Bewegung über der Lavadecke auf- und abhüpft, und läßt den Blick nach der Mitte frei. Eine Gruppe bizarr geformter, kohlschwarzer Felsbrocken umgibt einen zweiten topfartigen Krater von vielleicht sechzig Metern Durchmesser. Er ist bis zum Rande gefüllt mit einem feurigen, kochenden, dickflüssigen Brei. Nach wenigen Schritten stehen wir staunend vor diesem einzigartigen Weltwunder, dem ewig tätigen Feuersee Halemaumau.

Keine Feder, kein Pinsel, keine Menschensprache, kein Lichtbild ist imstande, dieses Meisterstück der Natur wiederzugeben und den überwältigenden Eindruck zu schildern, den diese fürchterliche, schaurig-schöne lebendige Feuermasse auf den Beschauer ausübt. Man steht gefesselt, wie hypnotisiert, vor der gewaltigen Naturerscheinung, von Entzücken und ehrfürchtigem Staunen erfüllt. Das dumpfe, röchelnde Brüllen, die langsam heraufquellende Feuermasse, die sich träge und schläfrig Zoll für Zoll dem Rande nähert, auf dem du stehst, die du heraufsteigen siehst, mit dem bestimmten Empfinden: sie wird dich packen, dich verschlingen – jetzt – noch einen halben Meter – du fühlst den glühenden Atem auf deinem Antlitz – – noch eine Handbreit – gleich erfaßt sie dich, um dich hinabzuziehen in die brodelnde, wallende, weißglühende Materie – das alles, mit der wildromantischen Szenerie umher, wirkt minutenlang lähmend auf dich ein. Du fühlst, wie dir der Atem stockt. Deine Pulse fliegen. Du bist unfähig, ein Glied zu rühren – bis die gurgelnde Lavaflut zurückebbt, um für eine kurze Zeit unter der Dampfdecke zu ruhen und neue Kraft zu sammeln. Dann erst löst sich der Bann von deiner Seele. Tief aufatmend findest du endlich Worte, um deine nie gekannten Empfindungen auszutauschen und dem Schicksal zu danken, daß es dir vergönnt war, dieses erhabene Naturschauspiel zu bewundern.

Man gewinnt, nachdem der Feuertopf seine Massen zurückgezogen hat, bald die Kaltblütigkeit zurück. Der Eindruck bleibt aber zeitlebens im Gemüte und in der Seele haften, um so mehr, als man das ebenso geheimnisvolle als schreckenerregende Walten der Naturkräfte in so unmittelbarer Nähe, sozusagen unter seinen Fußsohlen sich vollziehen sieht.

In regelmäßigen Zwischenräumen hob sich der Spiegel der Glutmassen von seinem tiefsten Stande bis genau an den Rand des großen, in seiner wirklichen Ausdehnung nicht zu schätzenden Beckens. Dort ruhte, ebenso wie auf dem untersten Punkte, die Masse minutenlang, um dann dieselbe Bewegung aufs neue zu beginnen.

Während der auf- und absteigenden Bewegungen arbeiten inmitten der glühenden Masse zahlreiche »Springbrunnen« lebendigen Magmas. Fingerdicke Strahlen und weißglühende Kügelchen flüssigen Feuers schnellen plötzlich meterhoch empor. Vom Winde getragen, erstarren die Strahlen bald zu glasharten, seidenartigen Fäden, die sich wie ein silbergrün schillerndes, durchsichtiges Gewebe um Fels und Gestein legen und den Eingeborenen Stoff zu allerhand Sagen liefern.

Wohl über eine Stunde verbrachten wir in stumm-entzücktem Schauen. Ich konnte mich nicht losreißen von diesem packenden Schauspiel. Meine Gedanken schwebten hinunter in die Tiefen unseres Erdballes und suchten dort inmitten des glutflüssigen Erdkernes eine Lösung des Rätsels der Gewalten, die mit mathematischer Genauigkeit die Atmung dieser Massen regeln. Ist es der gewaltige Druck der Erdkruste auf das glutflüssige Innere in Verbindung mit der Erddrehung, oder ist es das unbekannte gasförmige Magma, das mit unbekannten Kräften arbeitet? Wer vermag diese Fragen zu beantworten? Wir wissen nicht, wie es im Erdinnern aussieht, woher diese gewaltigen Wirkungen stammen. Wir wissen nur, daß wir über einem ungeheuern Glutherde wohnen, einer ehemaligen Sonne, die nur an ihrer Oberfläche erkaltet ist...

Mein Gedankengang wurde jäh unterbrochen. Wir vernahmen den Schall von Stimmen und ein lauter, kreischender Ruf übertönte sogar das eben einsetzende Brüllen des Halemaumau. Oberhalb unseres Standes tauchten auf einem breiten Felsenwürfel die gelbbraunen Gesichter einiger Kanaken auf. Die Kerle waren kaum bekleidet. Aus ihren trotzigen Mienen und dem höhnenden Lachen schlossen wir, daß es auf uns abgesehen war.

»Kommen Sie schnell fort von hier,« rief der Missionar, indem er mich hastig vom Rande des Feuersees wegzog. »An dieser Stelle möchte ich jeder Auseinandersetzung mit den Menschen aus dem Wege gehen. Die Gelegenheit, uns spurlos verschwinden zu lassen, ist zu verlockend für solch irregeleitete Gesellen. – Sie erkennen doch die Leute? Der eine davon wird sich für die erhaltenen Schläge rächen wollen.«

»Sie haben recht, Hochwürden,« entgegnete ich. »Wer hier hineinfällt, ist tatsächlich spurlos verschwunden. Ob das aber gerade wir sein müssen, steht noch nicht fest. Immerhin gelüstet es auch mich nicht nach einer Rauferei, und wenn wir durch Nachgiebigkeit jetzt einen Vorteil erreichen können, so bin ich mit der Wahl dieses Teiles der Klugheit einverstanden.«

Nur ungern schied ich von dieser einzig dastehenden Stätte. Da aber Pater Stapelfeldt bereits hinter dem nächsten Felsen verschwunden war, folgte ich ihm in einigen langen Sprüngen. Die Kanaken mochten diese Bewegung wohl als überstürzten Rückzug ansehen, denn sie stießen ein weithin schallendes Hohngelächter aus. Drei Gestalten lösten sich aus der Gruppe und schwangen sich an der Wand hinunter. Sie verlegten uns den Weg. Die übrigen verfolgten oben am Rande des Kraters unseren Weitermarsch. – Als wir beim Überspringen einiger Spalten aus dem Schutze der Lavawellen hervortraten, flogen einige Lavabrocken über unsere Köpfe.

Ich blieb stehen und griff nach dem Revolver. Der Pater aber hielt mich zurück:

»Bitte, schießen Sie nicht! Erfüllen Sie meinen Wunsch und lassen Sie uns jedem Raufhandel aus dem Wege gehen...«

Wortlos, widerstrebend, willfahrtete ich dem Drängen des Missionars. Als aber das Geheul der Verfolger und die Insulten zu dreist wurden, konnte ich mich nicht mehr beherrschen.

»Nehmen Sie es mir nicht übel, bester Pater, aber ich kann das nicht länger mit ansehen. Wir dürfen doch nicht fliehen! Am wenigsten vor ein paar Kanaken. Auch für Ihr persönliches Ansehen ist es besser, wenn wir jetzt energisch auftreten. Überlassen Sie mir nur das weitere. Ich weiß mit solchem Gesindel umzugehen. Da kommen gerade die drei Brüder – und alle tragen sie die schwere Keule!«

Ich ließ die Kanaken herankommen. Der Pater rief ihnen ein paar Worte in ihrer Mundart zu, die aber nur ein Lachen auslösten. Von dem Parlamentieren war ich aber kein Freund. Ich zog den Revolver und schritt auf den nächsten zu. Mit energischen Worten fragte ich ihn, was er von uns wolle, und als er nicht sofort antwortete, versetzte ich ihm einen Tritt gegen das Schienbein, die verwundbarste Stelle bei allen Farbigen, der ihn heulend auf den Boden sinken ließ. Dann schritt ich zu dem zweiten Kanaken. Der aber war schon weniger frech. Er stammelte unverständliche Laute und wand sich scheu vor dem drohend auf ihn gerichteten Lauf. Nun befahl ich den Kerlen mit nicht mißzuverstehender Geberde, daß sie sich sofort aus unserer Nachbarschaft entfernen sollten – was sie sich nicht zweimal sagen ließen.

Die Kanaken, die oben geblieben waren, hatten unsere Unterhaltung mit ihren Kumpanen mit Spannung verfolgt. Sie riefen während der ganzen Zeit aufreizende Worte herunter, und als sie dann sahen, wie ihre Genossen eiligst das Weite suchten, begannen sie uns mit Steinen zu bombardieren.

Mehr um die Kanaken zu erschrecken, als ihnen Schaden zuzufügen, lief ich an den Rand des Kraters und schoß drei Schüsse auf die oben Stehenden ab.

Beim dritten Knall hörte ich einen Schmerzensschrei, dem ein lautes Heulen folgte. – Da ich nicht annehmen konnte, daß ich auf die Entfernung einen Treffer erzielt hatte, wollte ich der Ursache des Rufes nachgehen. Der Pater aber hielt mich zurück.

»Das ist eine Finte. Man will uns in einen Hinterhalt locken. Der Mann kann gar nicht getroffen worden sein. Kommen Sie nur, damit wir unsere Pferde wieder erreichen, bevor die Bande sie uns stiehlt.«

Später erfuhr ich, daß ich durch einen jener unerklärlichen Zufälle den Kanaken auf die schätzungsweise achtzig Meter weite Entfernung doch getroffen hatte. Die Kugel war in den fleischigsten Teil des Mannes eingedrungen und hatte eine schmerzhafte Wunde verursacht.

An unserm Ruheplatze fanden wir den alten Kanaken vor, der mich wegen der Orangen so unzart angerempelt hatte. Er war in eifrigem Gespräch mit den Dienern begriffen und bemerkte unser Kommen erst, als wir dicht hinter ihm standen. Mit allen Zeichen der Angst sprang er auf und versuchte das nahe Dickicht zu erreichen. Diese Eile kam mir verdächtig vor, und da er auf unsere Frage, was er hier suche, die Antwort schuldig blieb, packte ich den Alten an seinem Gürtel und hielt ihn fest. Die Diener gaben uns nun Kenntnis von dem Grunde des unerwünschten Besuches. Der alte Sünder wollte sie veranlassen, die Stellung beim Pater aufzugeben und uns hier einfach sitzenzulassen.

Pater Stapelfeldt verhinderte auch jetzt wieder die exemplarische Bestrafung des alten Hetzers. Ohne jeden Denkzettel wollte ich ihn jedoch nicht laufen lassen. Ich machte ein möglichst grimmiges Gesicht, holte umständlich den Revolver hervor und hielt den Lauf auf die Brust des Alten. Dieser glaubte nun wirklich, daß es ihm ans Leben gehen sollte. Er wurde ganz grau im Gesicht und sank jammernd in die Knie, indem er nun den Pater, in dessen milden Zügen Vergebung lag, um Beistand anflehte. Dieser nutzte auch die Lage aus. Er drückte den Revolver zur Seite. Dafür riß ich den Kerl aber auf die Beine und verabreichte ihm ein paar derbe Ohrfeigen. Die dritte fuhr indessen schon in die Luft – so schnell hatte der Mensch das Weite gesucht.

Die Nacht verlief wider Erwarten ohne jede Störung. Unser Auftreten hatte den umherstreifenden Kanaken doch wohl Respekt eingeflößt.

Der neue Tag sollte der ursprünglichen Verabredung gemäß der Besteigung des Mauna Loa gewidmet werden. Pater Stapelfeldt hatte sich jedoch in der Entfernung dieses Berges vom Kilauea getäuscht. Von unserm Zelt aus schätzte ich die zur Bezwingung des Vulkans nötige Zeit auf wenigstens zwei volle Tage. Es war eine Entfernung von etwa fünfzehn engl. Meilen und ein Höhenunterschied von dreitausend Metern zu überwinden. Dazu fehlte uns aber der Proviant und außerdem wäre es nicht mehr möglich gewesen, zum sonntäglichen Gottesdienste in Keanhou zurück zu sein.

Wir entschlossen uns daher zum Abstieg. Beim Eintritt in die Waldregion sandten wir unsere Pferde mit den Dienern voraus und stiegen gemütlich durch die herrliche Landschaft zur Küste hinunter. Unterwegs fragte ich den Pater nach einer Verbindung zwischen den beiden Vulkanen Mauna Loa und Mauna Kea.

»Es ist schade, daß mein Amtsbruder nicht hier ist,« erwiderte er. »Der war längere Zeit in Hilo, der Hauptstadt dieser Insel, und kennt alle Aufstiegmöglichkeiten in das Hochland. Wenn Sie einige Tage bei mir bleiben können, sehen Sie ihn vielleicht. Er kommt zur See zurück, aber bei der immerhin langen Reise – es sind etwa sechzig Seemeilen – läßt sich der genaue Ankunftstag nicht berechnen. Es ist möglich, aber nicht sicher, daß er schon am Sonntag zurückkommt.«

»Kommt der Herr im Segelboot oder mit einem Schoner?«

»Nein, er hat ein Segelboot der Mission, das von drei Kanaken geführt wird.«

»Dann könnte ich ihm vielleicht entgegensegeln!« rief ich. »Bei der Gelegenheit gewinne ich einen Einblick in die Küstenfauna. Ich kehre dann mit ihm zusammen zurück.«

Der Pater schüttelte lächelnd das blonde Haupt.

»Das Zusammentreffen auf dem Meere ist ein schwierig Ding, wer weiß, welchen Weg das Boot nimmt. Ob es direkt über das offene Meer segelt oder zwischen den Inseln hindurchkreuzt ... doch was ist das? Hörten Sie nichts?« unterbrach er sich.

Wir blieben stehen und lauschten.

»Was glauben Sie gehört zu haben, Pater?«

»Ein seltsames, dumpfes Geräusch. Ein Brummen, vielleicht auch ein Schmerzenslaut.«

»Es war wohl ein wildes Tier,« warf ich ein und schickte mich an, weiterzugehen.

»Die gibt es hier auf Hawaii nicht. Es muß etwas anderes sein – – da – hören Sie?«

Wirklich drangen nun röchelnde Klagelaute an unser Ohr. Wir gingen dem Schall nach und standen bald vor einem undurchdringlichen Dickicht, aus dem jetzt deutlich zu unterscheidendes Stöhnen drang.

»Halloh – wer ist dort?« rief ich in englischer Sprache. Der Missionar übersetzte die Frage in die einheimische Mundart.

Wir erhielten keine Antwort. Aber auch die Schmerzenslaute hörten auf.

»Das ist merkwürdig,« sagte der Pater. »Ich habe deutlich menschliche Laute vernommen. Und nun, wo Rettung nahe ist, macht sich der Mensch unsichtbar!«

»Vielleicht begeht man hier irgendwo eine Schandtat!« rief ich aus und suchte mit den Augen das Dickicht zu durchdringen. »Wir sollten doch nachsehen ...«

Meine Rede wurde durch einen neuen, viel heftigeren Schrei unterbrochen, der zweifellos aus dem Gebüsch vor uns kam. Gleichzeitig hörten wir einen schwachen Ruf.

»Dort liegt irgendwo ein Kanake, der um Hilfe fleht,« rief der Pater. »Schnell, versuchen wir zu ihm zu gelangen.«

Da auf unsere wiederholten Fragen wieder die Antwort ausblieb, ein lang gedehntes Stöhnen uns aber die Richtung andeutete, begannen wir, uns mit unsern Messern einen Weg in das Gewirr zu bahnen. Zum Glück waren es nur dünne Ranken, die wir ohne große Mühe durchschneiden konnten. Immerhin erforderte die Arbeit fast zehn Minuten. Während der ganzen Zeit hörten wir das klägliche Winseln.

Endlich drangen graue Schatten durch das Buschwerk. Eine Felswand wuchs empor. Am Fuße derselben regte es sich. Noch ein paar Hiebe und wir sahen einen Kanaken, der sich in Schmerzen am Boden wand.

Der Pater lief, in der Hand das Kruzifix, als erster hinzu, vorsichtig hob er den Kopf des Mannes – sprang dann aber mit einem Ausruf des Erstaunens zurück, während sich ein gellender Angstschrei aus dem Munde des Verunglückten löste.

»Was ist denn?« fragte ich befremdet.

»Der alte Kanake ist's!« rief der Pater. »Jener Mann, der mich mit seinem wilden Hasse verfolgt! – Bitte, untersuchen Sie ihn und sagen Sie, wie wir ihm helfen können.«

Ich zauderte eine Sekunde und blickte auf den Missionar.

»Bitte!« sagte er.

Nun bückte ich mich nieder und untersuchte den Körper des Verunglückten, der sein jammerndes Betteln erst einstellte, als ihm der Pater versicherte, daß wir ihm kein Leid zuzufügen beabsichtigen. Er glaubte immer noch, wir würden ihn töten. Im umgekehrten Falle würde er sich auch nicht lange besonnen haben.

»Das rechte Bein ist an zwei Stellen gebrochen, der linke Fuß verstaucht und stark geschwollen. Außerdem hat der Schädel ein paar gehörige Schrammen – Durchtrennung der Kopfhaut. Ob sonst noch etwas dahinter steckt, kann ich hier nicht feststellen.«

»Was machen wir nun?« fragte der Pater.

»Ich will das Bein schienen und dann senden wir vom Dorfe Leute herauf, die den Kerl holen. Unten werden wir dann weiter sehen. Ist ein Arzt in Keanhou?«

»Wo denken Sie hin? Den müssen wir aus Hilo holen lassen, wenn wir ihn einmal brauchen sollten. Ist denn ein Arzt nötig?«

»Es ist besser, wenn der Mann in gute Behandlung kommt. Jedenfalls muß er jetzt erst einmal aus dem Felsenloch herausgeschafft werden. Wollen Sie mit anfassen, oder warten wir, bis jemand des Weges kommt und mir hilft? –«

»Nein – ich helfe Ihnen. Je eher der Ärmste von seinen scheinbar großen Schmerzen befreit wird, desto lieber ist es mir. Wie mag ihm das Unglück nur zugestoßen sein?«

»Vielleicht erzählt er es Ihnen,« sagte ich. »Aber nun fassen Sie an, Hochwürden. Lassen Sie sich durch das Geschrei nicht beirren. Der Mann muß auf ebenen Boden gebracht werden, sonst kann ich nichts machen.«

Als endlich nach endloser Mühe geeignete Schienen gefunden und angebracht waren, erzählte uns der Alte, daß er schon gestern abend kurz nach der Flucht aus unserm Zelte von den Felsen abgestürzt sei. Er hatte die ganze Nacht hindurch um Hilfe gerufen – vergeblich.

Pater Stapelfeldt bat mich nun, ich möchte doch zu einer näher bezeichneten Farm laufen, um dort Pferde und eine Bahre zu holen, damit der Verunglückte, den jetzt das Fieber schüttelte, unter Dach gebracht würde. – Ich fand auch die Farm. Sie schien aber ausgestorben. Kein menschliches Wesen gab auf mein Rufen Antwort. Als ich mich dann auf den Weg talwärts wandte, begegnete mir eine Kanakenfamilie, der ich nach langer Rede begreiflich machen konnte, um was ich sie ersuchte. – Sie kamen auch bald mit zwei Pferden und einem halben Dutzend halbbekleideter Männer zurück und folgten mir neugierig auf dem steinigen Pfade.

An einer Wegebiegung erwartete uns ein ergreifendes Bild. Den Bergweg hinunter kam Pater Stapelfeldt. In seinen Armen hielt er, sorgfältig gebettet, den alten Kanaken. Die Last überstieg fast die Kräfte des Geistlichen. Dicke Schweißtropfen perlten auf seiner Stirn und an seinem wankenden Tritt erkannte ich das Schwinden seiner Körperkraft.

Auch die Kanaken, einmal das Staunen überwunden, beeilten sich, dem Pater beizuspringen. Sie hoben den Verunglückten sanft aus den Armen des Missionars und konnten es nicht unterlassen, ihrer lauten Vewunderung darüber Ausdruck zu verleihen, daß der Geistliche seinen Todfeind in den eigenen Armen der Rettung entgegentrug. Die edle Handlung nötigte selbst den rohen Eingeborenen Hochachtung ab. Lange Zeit blieb Pater Stapelfeldt der Held des ganzen Dorfes.

Leider überwog fanatischer Haß das Andenken an die barmherzigen Taten des wackeren Missionars. Zwei Jahre später erreichte mich die Nachricht von dem Tode des lieben Paters. Er fiel durch Mörderhand, als er im Begriff stand, einem sterbenden Kanaken die letzte Wegzehrung zu bringen.


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