Ferdinand Emmerich
Quer durch Hawaii
Ferdinand Emmerich

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Fünftes Kapitel.

Drei Tage widmeten wir meinen Zwecken. Viermal genoß ich das herrliche Schauspiel des Sonnenaufganges und die Ringkämpfe der Nebelmassen. Dann wandten wir uns dem Kipahulu-Tale zu. Nach Johes Angabe sollte uns auf dem Wege durch dieses Naturwunder ein Einblick in das Wirken innerirdischer Gewalten zuteil werden. Er behauptete, den Weg vor Jahren einmal mit fremden Besuchern zurückgelegt zu haben und konnte nicht genug die Dankbarkeit der Herren hervorheben über das ihnen durch Johes Spürsinn erschlossene Gebiet.

Da mir die begeisterte Schilderung des Kanaken etwas stark nach Trinkgeldmache aussah, wollte ich mich auf den Vorschlag nicht einlassen. Ich hatte von Pater Stapelfeldt Rühmliches über das Jao- Tal gehört und verlangte zuerst dorthin zu gehen. Der Kanake war etwas geärgert:

»Das Jao-Tal werden wir trotzdem besuchen. Wir gehen durch die unterirdischen Kanäle unter den Wasserfällen durch hinüber nach dem Puukahaka. Dort haben Sie das Jao-Tal. Ihr Wunsch wird damit erfüllt. Aber vorher gehen Sie mit mir. Sie werden mich ohne Lohn davonjagen dürfen, wenn ich zu viel sagte.«

»Letzteres will viel bedeuten,« sagte ich zu Bruder Andreas gewendet. »Wenn Sie nichts dagegen einzuwenden haben, denke ich dem Kanaken den Willen zu tun. Hoffentlich werden meine in der Heilung begriffenen Gliedmaßen nicht allzusehr in Anspruch genommen!«

»Müssen wir viel klettern?« fragte ich Johe.

»Mehr rutschen als klettern!« antwortete dieser. »Es geht abwärts. Erst zu Fuß, dann bequemer!«

Ein breites Grinsen begleitete die Worte.

»Wieso bequemer als zu Fuß?«

»Der Herr wird selbst sehen. Bequemer als zu Fuß ist ohne Füße abzusteigen.«

»Aber was heißt denn das, Bursche?« fragte ich ungeduldig.

»Der Herr wird sehen!« Lachend sprang er davon.

»Hören Sie, Andreas, die Geschichte hat irgendeinen Haken. Der Kerl lacht gar so verschmitzt. So etwa, als ob er uns einen Possen spielen würde.«

»Das glaube ich nicht! Der Johe ist eine merkwürdig brave Haut, wie man sie auf Hawaii nur selten noch trifft. Er hat viel Sinn für Naturschönheiten, und ich bin überzeugt, daß er diese ganze Reise mit uns in der Hauptsache zu seinem Vergnügen unternimmt.«

Das Rauschen eines Wasserfalles machte eine weitere Unterhaltung schwierig. Inmitten einer paradiesischen Blütenpracht schoß ein breiter Wasserstrahl aus einem waldigen, engen Tale in einem tiefen Felsenspalt. Das aufstäubende Spritzwasser funkelte in Millionen prächtiger Perlen und zauberte herrliche Regenbogen über jeden hervorspringenden Zacken. Große, bunte Spechte tummelten sich in den rieselnden Blätterkaskaden, die durch den Luftdruck des Wassers in schaukelnder Bewegung gehalten wurden.

Johe legte die Hand auf meine Schulter.

»Folgen Sie mir, Herr!«

Ich winkte Andreas und Peho.

»Gehen Sie, bitte, voran, Andreas. Ich traue meinen zerschundenen Gliedern noch nicht recht. Wenn es wieder Kamine oder dergleichen gibt, dann tue ich nicht mit. Peho nimmt meinen Rucksack. Er hindert mich und verursacht mir Schmerzen.«

Vor einem dicht mit großblätterigen Pflanzen bewachsenen Felsengewirr stand Johe und erwartete uns. Der Felsen bot nichts Ungewöhnliches, und niemand hätte hier den Eingang zu einem so wunderbaren Erosionsgebilde gesucht, wie das, das sich nun vor uns auftun sollte.

Ein etwa vierzig Meter hoher, senkrechter Block drängte sich unauffällig aus einer zerstreuten Gruppe schwarzer Steinwürfel hervor. In einen dieser Steinwürfel haben Titanengewalten vor Urzeiten einen zwei Meter breiten Spalt gerissen. Tritt man in diesen Spalt hinein, dann sieht das Auge inmitten des ersterwähnten Blockes eine Aushöhlung, die durch zahlreiche kleine Öffnungen das Tageslicht empfängt.

Wir hatten den Eindruck, als ob wir in einem Keller gingen. Der Boden ist hart und glatt. Nirgend deuten Spuren darauf, daß hier jemals sich Menschen aufhielten. Über unsern Köpfen hängen in dunklen Nischen große Fledermäuse, und hin und wieder kleben Nachtfalter in den Ritzen.

Auf leicht geneigter Fläche gelangen wir in ein eigenartiges Gewölbe. Ein summendes Geräusch scheint sich aus dem Boden zu drängen. Die Wände, dünn wie Glas, geben beim Schlagen mit dem Stock einen ehernen Klang, den ein Echo irgendwo zu unsern Häupten in klagenden Tönen zurückgibt. Wieder neigt sich der Boden. Ein bläuliches Halbdunkel läßt erkennen, daß sich hier einstmals flüssige Metalle einen Weg gesucht haben. Regelmäßige Furchen, Wagengeleisen ähnlich, verlieren sich in einem finstern Gange.

Johe blieb stehen.

»Ich habe nie versucht, den Spuren nachzugehen,« sagte er. »Auch die beiden Besucher, die mit mir hier waren, hatten kein Licht bei sich, um den Gang zu beschreiten. Wollen Sie es versuchen?«

Wir blickten uns fragend an. Der Forscherdrang erwachte in mir. Licht hatten wir genügend in unserm Rucksack ...

»Ich versuche es!« rief ich.

Johe nickte zufrieden.

»Sie werden der erste Mensch sein, der den Gang betritt,« sagte er, »denn vor mir wird niemand den Fuß hierher gesetzt haben. Der dunkle Gang aber hielt auch mich bis jetzt zurück.«

»Seilen Sie sich aber an,« warnte Bruder Andreas. »Vorsicht brauche ich Ihnen wohl nicht besonders anzuempfehlen?«

Mit einer hellbrennenden Laterne am Gürtel, von Andreas am Seile gehalten, tastete ich mit dem Stocke vorwärts. Überall gaben Wände und Fußboden einen klingenden Ton zurück. Die Geleisespuren zogen sich in schnurgeraden Fäden vorwärts.

Wir gingen etwa fünf Minuten, da fiel ein haarfeiner Sonnenstrahl in lebhaft zitternder Bewegung auf den Boden. Er gab genau so viel Licht, daß ich sehen konnte, wie sich die Geleisespuren in einem jähen Absturz verloren. Ein breiter Schacht, dem Rachen eines Ungeheuers vergleichbar, gähnte uns entgegen. Aus der Tiefe wehte ein heißer Luftstrahl.

»Vulkanische Glut?« fragte Andreas.

»Ich halte es eher für warme atmosphärische Luft,« sagte ich. »Dort unten wird eine Verbindung mit der Außenwelt sein.«

Während wir noch mit der Frage beschäftigt waren, deutete Johe auf einen herausspringenden Vorsprung, hinter dem eine Öffnung gähnte.

Wir wandten uns dorthin.

Der Gang, denn in einen solchen führte die Öffnung, war sehr hoch. Von der Decke hingen seltsam gedrehte Gebilde, die ich anfangs für Stalaktiten hielt. Wie in einem chinesischen Magazin hingen hier die merkwürdigsten Dinge von der Decke. Stäbe, Blumen, Krüge, kurz alle möglichen Gebrauchsgegenstände konnte die Phantasie aus den erstarrten Lavatropfen bilden.

Dann öffnete sich ein weiter, fast kreisrunder Saal. Eine gewaltige Blase im Erdinnern. Blau irisierende Wände, spärlich beleuchtet durch irgendeine unsichtbare Lichtquelle, umgaben uns. Der Fuß erzeugte einen hellen Ton. Die Stimme klang metallisch und der Schall hinterließ ein Summen, das einen, ich möchte sagen, drohenden Schein annahm.

Hier endete unser Weg. Einen Ausgang aus der großen »Flasche«, wie wir sie später nannten, nach einer andern Seite gab es nicht. Im Innern dieses Raumes herrschte eine betäubende Luft, die sich schwer auf unsere Lungen legte. Instinktiv drängten wir zum Eingang zurück.

Inzwischen hatte sich das Auge an die halbe Dunkelheit gewöhnt. Man sah die einzelnen Unregelmäßigkeiten in den glasartig glänzenden Wandungen genauer. Feine Risse zeichneten strahlende Blumen – unsern Eisblumen vergleichbar – auf den Glanz. Wie verglaste Augen in einem Leichenantlitz traten zersprungene kreisrunde Flecke aus den Wänden. Dazu klang der kaum hörbare Atemzug unserer Brust in verstärktem Echo wie ein Sägen auf Holz.

Andreas trat zurück und berührte dabei mit dem Fuße lose Gegenstände, die ein tönendes Geräusch verursachten. Das freie Auge sah einen Haufen dunklen Abfalles. Als wir aber die Laterne dicht heran brachten, entfuhr dem Bruder unwillkürlich ein Schrei, dessen augenblickliche Vervielfältigung durch das Echo unangenehm auf unsere Nerven wirkte.

Auf dem Boden lagen, mit den Füßen gegeneinander, zwei menschliche Gestalten. Beide vollkommen mumifiziert und so eingetrocknet, daß sie einen harten Klang von sich gaben. Neben den Mumien befanden sich zwei Steinbeile, von einer Ausführung, die den Kanaken unbekannt war.

Die beiden Eingeborenen zogen sich scheu zurück. Im ersten Augenblick folgten wir ihnen unwillkürlich. Vielleicht war es auch das Bedürfnis nach frischer Luft, das sich bemerkbar machte. An ein endgültiges Verlassen des Raumes, ohne die Toten genauer untersucht zu haben, dachte ich jedoch nicht. Dazu war ich beruflich viel zu sehr an der Entdeckung interessiert.

»Gehen Sie mit mir, Bruder Andreas?« fragte ich nach geraumer Weile, als die Kanaken ablehnend geantwortet hatten. »Ich muß wissen, mit was für Menschen wir es zu tun haben. Allem Anscheine nach liegt ein großer Zeitraum zwischen heute und dem Tage, an dem die beiden vor Gottes Richterstuhl traten.«

»Wenn Sie mir versprechen, die Ruhe der Toten nicht zu stören, gehe ich mit,« antwortete der junge Geistliche.

»Was verstehen Sie darunter?«

»Nun, daß Sie die Leichname nicht aus dem Grabe entfernen.«

»Das Versprechen kann ich nicht bedingungslos geben, lieber Andreas. Es ist von Wichtigkeit, festzustellen, welcher Rasse die Toten angehören. Findet sich bei der Untersuchung nichts von besonderer Bedeutung, dann lasse ich die Mumien an Ort und Stelle, sonst ...«

»Sonst – was?«

»Nun, darüber reden wir dann noch! Wollen Sie mich begleiten?«

Zögernd ging Bruder Andreas mit. Nach einem Appell an seinen Mut folgt auch Johe meinem Rufe. Der besseren Untersuchung wegen nehmen wir jeder außer der Laterne noch eine Kerze mit und kehrten dann rasch in die »Flasche« zurück.

Merkwürdig! Wir waren kaum zehn Minuten lang fort gewesen. In dem Raume konnte sich nichts verändert haben, und doch lastete ein ganz anderes Gefühl auf uns, als wir die Blase jetzt wieder betraten. Der Fuß zögerte, der Puls ging rascher. Ein kaum merkliches Zittern lag auf allen.

Kurz entschlossen beugte ich mich herab und faßte den einen der Körper an. Er war kalt wie Marmor. Wäre das lange, straffe Haar nicht gewesen, ich hätte an ein Kunstgebilde geglaubt. Ein breitgedrückter, massiger Kopf mit zwei leeren schwarzen Höhlen und einem unförmigen Wulste dort, wo Mund und Kinn sein mußten, war das erste, das mir entgegenstarrte. Oberhalb der Augenhöhlen klaffte ein fingerbreiter Riß. Die kurzen, eingeschrumpften Finger lagen an dem aus einem faserigen Holze bestehenden Schaft des Steinbeiles ...

Während ich noch mit der Betrachtung der Überreste beschäftigt war, erlosch wie mit einem Schlage das Licht der Kerzen. Unmittelbar folgte eine Finsternis, die durch den gelben Schein der Laterne noch mehr betont wurde.

Ich sprang sofort auf.

»Hinaus, schnell! Es sammelt sich Kohlensäure in dem Raume!«

Johe hinter mir herziehend, erreichte ich bald den Gang.

»Wo ist Bruder Andreas? Warum kommen Sie nicht?« rief ich zurück.

Ohne die Antwort abzuwarten, eilte ich in den Raum zurück. Dort lehnte der Bruder an der Wand. Ein heftiger Brechreiz hatte sich seiner bemächtigt, und mit Mühe nur hielt er sich aufrecht.

Die schwere Gefahr erkennend, in der mein Gefährte schwebte, lud ich mir seinen Körper ohne Rücksicht auf den kranken Zustand auf den Rücken und schleifte ihn in den Gang und von dort weiter in den größeren Raum. Dort fand ich auch die beiden Kanaken, die mit entsetzten Augen auf uns blickten.

Unbekannt mit den Wirkungen des Kohlenoxydgases, wußten sie sich das plötzliche Erlöschen der Lichter und nun die Erkrankung des Bruders nicht zu erklären. Ein gut Stück heidnischen Geisterglaubens mag dazugekommen sein – genug, sie wichen vor uns zurück und schienen nicht übel Lust zu haben, die Flucht zu ergreifen. Erst auf mein energisches Zurufen kamen sie wieder zurück und halfen mir in meinen Bemühungen um den Kranken.

Der frische Luftzug wirkte bald so weit, daß der Patient sprechen konnte.

»Ich habe genau denselben Geschmack im Munde und genau dieselben krankhaften Empfindungen, wie vor kurzem am Mauna Loa,« sagte er. »Der Vulkan hier soll doch schon seit Menschengedenken erloschen sein und doch birgt er noch so tückische Gase. Die beiden Menschen da drinnen werden wahrscheinlich durch Ersticken ums Leben gekommen sein.«

»Hm, bei dem einen hat sicher noch ein äußerer Umstand mitgespielt. Ihm ist der Schädel gespalten, und er wird nach der Art der Wunde kaum als Lebender hierher gekommen sein. Es ist aber auch möglich, daß ihm sein Begleiter da drinnen eins auf den Kopf geschlagen hat. Bei der Gelegenheit wird auch er dann eingeschlafen und erstickt sein. Übrigens werden wir das noch genauer feststellen.«

»Wie, Sie wollen nochmal dort in die Flasche?«

»Ja, warum denn nicht? Ich will doch die Mumien untersuchen!«

»Aber Sie haben doch bereits das Erforderliche gesehen. Sie wissen, wie die Leute gestorben sind und wissen, daß es Kanaken sind, genügt Ihnen das noch nicht?«

»Von alledem weiß ich eben noch nichts! Ich weiß nur, daß die Leute tot sind. Auch kann ich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, wie und woran sie gestorben sind. Ich möchte aber wissen, welcher Rasse sie angehören, und wenn möglich, wie lange sie schon hier liegen.«

»Ich weiß nicht, warum Sie das wissen müssen. Ich weiß nur, daß mich keine zehn Pferde mehr in die Blase bringen, und wenn dort die Gebeine der ersten Menschen lägen,« sagte der Geistliche, indem er meine Hand ergriff.

»Das tut mir leid, lieber Andreas. Dann muß ich eben mit Johe allein gehen. Erwarten Sie mich hier unterdessen. Komm, Johe!«

Aber der wich mit erschrecktem Gesichte zurück.

»Nein, Herr, um keinen Preis gehe ich noch einmal zu den Toten. Sie haben selbst gesehen, daß die abgeschiedenen Geister uns verbieten, sie zu stören. Den Kanaken haben sie gewarnt, indem sie ihm das Licht auslöschten. Den weißen Mann machten sie aber krank. Gehen Sie nicht noch einmal dorthin, Herr, Sie werden nie zurückkehren!«

Die Warnung war gut gemeint. Die Gase konnten mich wohl betäuben. Vorher allerdings hätten sie mir durch Erlöschen des Lichtes eine Warnung gegeben. Ich beschloß dennoch zu gehen.

»Wissen Sie denn, ob nicht auch entzündliche Gase sich in der Blase sammeln?«

Diese Worte des Bruders gaben mir zu denken. War das der Fall, dann war ich allerdings fertig mit meinen Forschungen. Ich zauderte, und nun war es den Gefährten auch nicht allzu schwer, mich von dem Plane abzubringen.

»Was nun?« fragte ich, als ich meinen Verzicht auf die »Flasche« erklärte.

»Sobald ich ausgeruht bin, setzen wir unsern Weg fort,« erwiderte Andreas. »Johe versichert, daß uns ähnliche Hindernisse nicht wieder zustoßen.«

Die geleiseähnlichen Spuren ließen wir links und schritten in einem Gang weiter, der so niedrig war, daß wir gebückt gehen mußten. Sonst aber war der Weg glatt und bequem. Johe ging als Führer voran. Er pfiff jetzt eines der monotonen Soldatenlieder. Ob aus übergroßer Fröhlichkeit oder aus Furcht, mag dahingestellt bleiben.

Eine weite, saalartige Höhle öffnet sich vor uns. Sie ist stockdunkel, doch zieht ein frischer Luftzug durch den Raum, den ein faulender Geruch erfüllt.

Andreas wich zögernd zurück und hielt Johe am Arm fest.

»Wir finden hoffentlich nicht wieder Tote, Johe? Riechst du den starken Verwesungsgeruch nicht?«

»Oh, das sind keine Tote, das sind lauter Lebendige,« gab der Kanake lachend zur Antwort. »Sie werden es gleich sehen.«

Mit diesen Worten griff er tastend vor sich und holte einige dicke Äste aus einem Winkel.

»Fackeln!« lachte er. »Ich habe eine ganze Menge hierher gebracht, denn von hier aus ist wenig Licht in den Gängen.«

Mit den stark rußenden Fackeln vor uns her leuchtend betraten wir den Raum, in dem sich alsbald ein Leben wie in einem Bienenhaus bemerkbar machte. Ganze Ketten von Fledermäusen hingen unter der Decke und bildeten eine lebendige Girlande von einem Ende zum andern. Das Geräusch unseres Nahens sowie der Rauch und die Flammen brachten indes eine so große Verwirrung unter die armen Tiere, daß wir buchstäblich von ihnen umschwärmt und behangen wurden. – Bei der Gelegenheit gelang es mir, dem Kanaken etwas Achtung vor dem Leben der Tiere beizubringen und ihn von Grausamkeiten abzuhalten, die er gedankenlos zu begehen im Begriff stand.

Als wir diese Höhle hinter uns hatten, nahm uns ein Gang auf, dessen Boden feucht und schlüpfrig war. An den Wänden liefen vereinzelte feine Strahlen in irgendeine unsichtbare Vertiefung und ein fernes Gemurmel deutete die Nähe des Wasserfalles an.

Wir sollten indessen unter ihm durchpassieren. Der Weg stieg ein wenig bergan, und weiter fortschreitend vernahmen wir ein immer stärker werdendes Rauschen, das irgendwo aus dem Berge zu kommen schien. Bald fielen vereinzelte Strahlen des Tageslichtes vor uns auf den Boden, und nun sahen wir durch einen Spalt, kaum handbreit, wie über unsern Köpfen ein breites, aus tausenden von Strähnen zusammengesetztes Silberband mit Windeseile dahinschoß. Der Wasserfall!

Das Auge blieb geblendet auf dem eigenartigen Bilde haften und verfolgte im Banne der Erscheinung das dahinbrausende Element, ohne zu beachten, daß die tückische Gefahr in nächster Nähe lauerte.

Und diese bestand in einem bodenlosen Abgrunde, der sich zu beiden Seiten des Felsenstegs hinzog, über den wir eben schritten. Johe, dem das schmale Band keinerlei Bedenken einflößte, hatte es nicht für nötig erachtet, unsere Aufmerksamkeit auf den Weg zu lenken. Immer das Auge auf den mit jedem Schritt in andern Lichtspiegelungen lockenden Wasserstreifen gerichtet, schritten wir langsam weiter. Ich tauschte mit Bruder Andreas meine Empfindungen über das reizvolle Bild aus, als plötzlich mein Fuß strauchelte. Instinktiv griff ich hinter mich – ins Leere. Nun balancierte ich noch ein wenig, um mein Gleichgewicht zu erhalten, und stolperte dabei einige Schritte vorwärts bis dicht an das Ende des Stegs. Dann kam ich zu Fall. Das alles dauerte nur Sekunden. Hart schlug mein Körper auf den felsigen Boden. Feurige Kugeln tanzten vor meinen Augen. Krampfhaft krallte ich meine Finger in die glatte Fläche. Umsonst – die Füße hatten den Halt verloren! Mit Gewalt riß mich mein eigenes Gewicht hinab – ich stieß einen Schrei aus. Da fühlte ich im letzten Augenblick eine eiserne Fessel um mein rechtes Handgelenk geschlagen. Ein Ruck, der mir fast den Arm aus dem Gelenk zu reißen schien, preßte mir einen Schmerzensruf aus. Die kaum geschlossenen Wunden auf meinem Arm begannen zu bluten ...

Bruder Andreas, den der Schreck sekundenlang gelähmt haben mochte, rief nach Johe und Peho. Ersterer lag auf dem Bauche auf dem glatten Boden, den Fuß hinter eine Zacke gehängt. Er hielt meine Hand wie in Eisenklammern und gab keuchend seine Anordnungen zu meiner Rettung. Peho lief kopflos hin und zurück.

Ich suchte mit meinen Füßen nach einem Halt. Ein kaum wahrnehmbarer Splitter bot mir für eine Minute einen Ruhepunkt. Als ich meinen Fuß darauf stützte, gab er langsam nach und brach. So kurz die Entspannung auch gewesen sein mochte. der Kanake hatte sie benutzt, um mit der andern Hand meinen Oberarm zu ergreifen.

»Halten Sie aus, Herr – es kommt Hilfe. Der Bruder bringt das Seil. Nur noch wenige Minuten!«

Sie schienen mir Ewigkeiten. Ich wagte nicht nach einem weiteren Stützpunkt zu suchen, aus Furcht, durch die Bewegung der Beine die Last zu vergrößern. Meine linke Hand, die flach an den glatten Rand gekrallt war, schob sich langsam aufwärts. Ich suchte die Unterstützung des Kanaken, der schwer atmend dicht über mir am Rande des Abgrundes lag und mit hastig hervorgestoßenen Rufen die Begleiter zur Eile antrieb. – Ein wahnsinniger Schmerz in den bis zum Zerreißen angespannten Sehnen des Armes erpreßte mir einen lauten Schrei.

Da hörte ich endlich die Stimmen der Gefährten. Ich fühlte, wie das Seil über meinen Rücken glitt. Dann vernahm ich Rufe:

»In die Schlinge treten!«

Vorsichtig suchten meine Füße den rettenden Stützpunkt – ich fand ihn nicht. Die Schlinge mußte zu tief gefallen sein. Ich rief es hinauf ...

Da fühlte ich plötzlich, wie sich die Klammer am Handgelenk löste.

»Festhalten!« schrie ich. »Festhalten – um Gottes willen!«

Langsam hob sich mein Arm. Ein schneidender, brennender Schmerz am Handgelenk trieb mir heiße Schauer über den Rücken. Der Griff lockerte sich. Ich sandte ein Stoßgebet zum Himmel und schloß die Augen ...

Da griff eine Hand in meine Kleidung. Ich fühlte, wie sich ein Seil über meinen Kopf schob.

»Linken Arm hoch – rasch – an den Kopf legen!«

Zögernd nur folgte ich der Aufforderung. So schwach der Halt war, den mir die linke Hand gewährte, so entschloß ich mich doch nicht, ihn fahren zu lassen.

»Rasch doch, schnell!« tönte es wiederum in mein Ohr.

Ich ließ die Hand los und hob den Arm hoch. Es war nur eine Sekunde, während der mein Körper mit seinem ganzen Gewicht an einer dünnen, um mein Handgelenk befestigten Schlinge hing, aber sie erschien mir wie eine lange, lange Zeit. Ich hatte das Gefühl, als schnitte eine scharfe Messerklinge über meinen Unterarm, wie glühendes Eisen brannten die Sehnen in Schulter und Oberarm ...

Endlich straffte sich ein Band um meine Brust. Ich fühlte mich emporgehoben. Die Brust berührte den Rand des Abgrundes – noch ein Ruck, und der Oberkörper lag auf festem Boden. Eine Minute später wälzte ich mich neben drei keuchenden Männern.

Es dauerte lange, ehe die ersten Worte gewechselt wurden. Sie bestanden bei uns allen aus Danksagungen an den Lenker unserer Geschicke.

Ein quälender Durst rief mir die Wirklichkeit ins Gedächtnis. Ein Schlafbedürfnis, wie ich es vermeinte niemals verspürt zu haben, unterstrich noch das Trostlose meiner Lage, wir mußten vorwärts – dem Tageslichte entgegen. Heraus aus dieser toddrohenden Gruft.

An den lebhaften Erörterungen der Gefährten über meinen Fall hatte ich mich nicht beteiligt. Ich war zu sehr mit meinen eigenen Empfindungen beschäftigt, als daß ich jetzt unfruchtbare Rückblicke hätte führen mögen. Ich hörte aber doch die Worte Johes:

»Wenn wir keinen Aufenthalt mehr haben, können wir in drei Stunden wieder auf dem Berge sein.«

Erstaunt warf ich die Frage dazwischen:

»Drei Stunden, sagst du, Johe? Wir sollen noch drei Stunden hier unten bleiben?«

»Allerdings, Herr! Der Weg ist noch weit. Er zeigt uns noch viele, viele Schönheiten, und wenn wir unterwegs nicht ruhen, sind wir in drei Stunden an unserm heutigen Ziele.«

»Und dann?«

»Dann übernachten wir und durchklettern morgen das Jaotal.«

Bruder Andreas zog die Uhr.

»Sonnenuntergang ist nicht mehr fern,« sagte er. »Ich fürchte, daß es keinem von uns möglich sein wird, noch drei Stunden zu marschieren. Laßt uns hier in der Nähe ruhen und etwas essen. Mit ausgeruhtem Körper kehrt auch die Spannkraft zurück.«

Der Vorschlag fand keinen Widerspruch. Nun, da das Wort einmal gefallen war, fühlte auch jeder von uns die Erschöpfung. Johe aber setzte es trotzdem durch, daß wir noch eine kurze Strecke weiter marschierten. Er stellte uns einen zum Nachtlager wie geschaffenen Raum in Aussicht und erbot sich, das ganze Gepäck allein zu tragen, wenn wir ihm folgen würden.

Einige enge Windungen durch Stalaktitenbildungen brachten uns in eine große Höhle, die wiederum eine überraschende Ähnlichkeit mit einer riesigen Blase im Erdinnern hatte. Lakkolithe nennt die Wissenschaft diese domartigen Gebilde. Auch hier schimmerten die Wände in hellem Stahlblau. Eingedenk des Erlebnisses in der ersten derartigen Blase, beflügelten wir unsere Schritte und nahmen erst den ruhigen, forschenden Gang wieder an, als uns einige herrliche Arkaden aus Kalksinter in eine Höhle leiteten, die zwar niedrig, aber luftig und gesund zu sein schien. Hier sprang aus einer Wand ein fingerdicker Wasserstrahl, der ein geräumiges Becken füllte, dessen Abfluß irgendwo im Erdinnern sein mochte. Das Wasser war kristallhell und eisig kalt.

An dieser Stelle öffneten wir die Rucksäcke. Mangel an Brennmaterial zwang uns einen kalten Imbiß, bestehend aus getrockneten Fischen, gedörrtem Fleische und Maisbrot, als Abendessen einzunehmen. Dafür »verschnitten« wir das Wasser mit reichlich Whisky, von dem ich einige Flaschen in Nuu entdeckt hatte. – In unsere Decken gewickelt, schliefen wir auf dem harten Fußboden sofort ein und erwachten erst, als es draußen längst Tag sein mußte.

Ich hatte etwas Fieber. Die wunden Stellen meines Körpers waren infolge der überstandenen Anstrengungen beim Ausgleiten auf dem Steg fast sämtlich wieder aufgebrochen. Trotz sorgfältigen Auswaschens mußte aber bei den selbstredend nicht keimfreien Verbandsstoffen doch eine Unreinigkeit in die Schulterwunde geraten sein. Sie eiterte und machte große Schmerzen. Erst wiederholte Waschungen mit Kalilösung brachten etwas Linderung.

Der Weg führte uns nun durch einen Stollen, der kriechend genommen werden mußte, in einen Raum, den ich passend als »Kamin« ansprechen kann. Kreisrund, mit glattpolierten Wänden, hebt sich hier ein Schlot empor, dessen Höhe mit hundert Metern kaum überschätzt sein dürfte. Er ist oben offen. Ein kreisrundes Stück Himmel lugte auf uns herab, und mit einem wahren Frohlocken begrüßten wir diese Kunde von der Oberwelt. Auffällig war hier, wie überhaupt in den zuletzt begangenen Höhlungen, die Abwesenheit jeglichen Lebewesens. Schlangen, die sonst derartige Schlupfwinkel aufzusuchen pflegen, gibt es ja auf den Sandwich- Inseln nicht. Aber auch andere dort vorkommenden Tiere, wie Spinnen, Eidechsen, Insekten usw. ließen sich nicht mehr blicken – zum größten Schmerze meiner Sammleraufträge, denen überhaupt aus dieser unterirdischen Reise nur wenig Ausbeute zuteil wurde.

Als wir uns nach einem Auswege aus diesem »Schornstein« umsahen, machte Johe ein verlegenes Gesicht. Er sah mich mit seinem einen Auge mitleidig-furchtsam an und fragte kleinlaut, ob ich jetzt imstande sei eine Weile zu kriechen.

Das Gesicht in Verbindung mit der Frage machte mich stutzig.

»Sprich lieber offen mit mir, Johe. Was für ein Unglück erwartet uns jetzt?«

»Ein Unglück hoffentlich nicht, Herr. Aber einige Gänge müssen durchkrochen werden, bevor wir in die große Halle gelangen.«

»Und wenn wir in der Halle sind, was dann?«

»Hm, dann ... dann?«

»Na, so rede doch, Mensch! Ich kann doch nicht zeitlebens in diesem Schlot sitzen bleiben. Zurück gehe ich nicht. Gibt es ein Vorwärts, dann gehe ich natürlich mit – aber wehe dir, wenn mir dabei ein Unheil zustößt.«

Der Kanake wurde immer verlegener. Dann platzte er heraus:

»Sie kommen ganz gewiß gesund heraus. Ich hänge Sie ans Seil und Peho führt Sie ...«

»Na, denn weiter. Ich sehe schon, daß es wieder ans Klettern geht. Es scheint mir bestimmt zu sein, daß ich in Maui mein Fell fetzenweise abgezogen bekomme.«

Johe schritt zu einem Vorsprung auf dem Boden. Er rief Peho zu sich und verhandelte mit ihm wegen des Gepäcks. Auf einmal schrumpfte seine Gestalt in sich zusammen, und er verschwand vor unsern Augen.

Ein schräg abwärts gehender Gang, an dessen Ende Licht schimmerte, lag vor uns. Er mußte eine ziemlich bedeutende Länge haben, denn es dauerte geraume Zeit bis Johes Stimme herauf drang. Er verlangte das Gepäck. Ehe ich die Erlaubnis zu dessen Abgleiten gab, nahm ich die zerbrechlichen Sachen heraus und verteilte sie auf uns drei. Auch die Decken behielt ich zurück. Die Vorsicht erwies sich als besonders weise.

Nach dem Gepäck sollte ich abgleiten. Ich zog jedoch Bruder Andreas als Hintermann vor und schickte den Diener vorweg. Anfangs war er recht verzagt, denn ich hatte kurz vorher von einer ähnlichen Rutschpartie erzählt, die ich vor Jahren in einem alten Tempelverließ in Yukatan machte. Damals endete die Röhre auf recht harten Klötzen, deren Spuren meiner Sitzgelegenheit noch lange anhafteten.

Eben im Gedanken an jene Fahrt, band ich mir jetzt die mehrfach doppelt gelegte Decke unter, als ich mich zum Abfahren anschickte. Die Röhre war übrigens breit und luftig, wenn auch nicht hoch, so daß an Sitzen nicht zu denken war. Etwas nach hinten gebeugt, stieß ich mich ab und langte ohne Unfall, wenn auch mit ziemlich durchgewetzter Decke, unten an.

Der Raum, der uns aufnahm, bestand aus einer Rinne, vielleicht einem ehemaligen Bachbett, das sich irgendwo im Dunkel des Berges verlor. Ich forschte nicht weiter nach, sondern betrachtete die Ausgangsröhre, auf der wir nunmehr bäuchlings heraufkriechen mußten. Dieses Mal nahm ich wieder die Decken. Aber zum Schutze meiner wunden Knie; dennoch mußte ich oftmals die Zähne fest aufeinanderbeißen, ehe ich oben in einem saalartigen Raume landete.

Dieser Saal ist ein Prachtgebilde unterirdischer Erosion. Allem Anscheine nach arbeitete in diesem Hohlraume vor Urzeiten das glutflüssige Magma. Und daß die Decke dem Drucke nicht wich, dürfte nur den gewaltigen Säulen zu verdanken sein, die das Ganze stützen.

Der gewaltige Dom läßt sich in seiner Höhe nur schwer schätzen. Der obere Teil ist in ewiges Dunkel gehüllt. Johe erkletterte auf meinen Wunsch hin eine der Säulen und leuchtete mit der Fackel in den oberen Raum – umsonst! In unerreichbarer Höhe vereinigten sich Kuppel und Träger.

Über zwei Stunden blieben wir in diesem riesigen Dome. Vergebens suchte ich nach Spuren eines Ausflusses früherer Lavaströme, wenngleich unverkennbare Anzeichen auf einen ehemaligen Lavakessel deuteten. Das Loch zu unsern Füßen, ein kreisrunder Trichter, konnte den Abfluß nicht vermittelt haben. Er war neueren Ursprunges, wenn auch noch aus vorgeschichtlicher Zeit.

Johe trat mit dem Seil an mich heran.

»Fürchten Sie sich nicht, Herr, ich halte Sie fest, und wenn Sie unten festen Fuß gefaßt haben, lösen Sie das Seil.«

Er glaubte mir einige Trostesworte schuldig zu sein, nachdem ich ihm seine Unachtsamkeit bei dem Wasserfall vorgehalten hatte. Lächelnd bot ich ihm meine Brust.

»Lege nur die Decke richtig unter das Seil, damit die alte Seilwunde nicht noch vergrößert wird – und nun los!«

In drehender Bewegung glitt ich freischwebend sanft abwärts, bis mein Fuß den Boden berührte. – Ich befand mich in einem Raume, dem ich an Großartigkeit und, ich möchte sagen, grausiger Schönheit nichts Ebenbürtiges auf der Welt gegenüberzustellen wüßte. Vor diesem Anblick schwand jeder Gedanke an die ausgestandenen Gefahren. Mit Freuden nähme ich sie nochmals auf mich, dürfte ich noch einmal in meinem Leben diese fast unbekannten Höhlen im Felsengewirr des Jaotales besuchen.

Ich will versuchen dem Leser zu beschreiben, was Bruder Andreas und ich in stummem Entzücken, die Kanaken mit offenem Munde, anstaunten.

Mitten in einem Raume, der von zwei unsichtbaren Lichtquellen mit blauem Lichtscheine erleuchtet ist, erheben sich bizarre, bildwerkähnliche Steinskulpturen, deren an Arme und Köpfe erinnernde Vorsprünge in den schönsten matten Regenbogenfarben leuchten. Weit hinten stürzt über schmale Brüstungen ein schäumender Wasserfall, übergossen mit Millionen prächtig funkelnder Strahlenbündel, der sich in einen den Raum seitlich durchziehenden Bach ergießt. Wie versteinerte, in lebenswahrer Haltung erstarrte menschliche Ungeheuer sehen sich die Gebilde an, die in silberweißen und kobaltblau schimmernden Farben die Ufer des Flusses zieren. Sie sind abgesondert von einer Gruppe drohend zusammengescharter Riesen mit hundert Armen, mit drohenden, höllischen Köpfen, hier einen Eber, dort einen Büffel, Menschen, Pferde und Höllenausgeburten versinnbildlichend. Zahllos scheinen sie hier zu Stein erstarrt, mitten in tollem, irrsinnigem Tanze, festgehalten in den grotesken Verrenkungen, die der Augenblick gab. Das ganze schaurig-schöne Bild ist belebt von tausend kristallenen Augen, die, in langen Zapfen aus dem Deckengewölbe wachsend, dem Außenlichte den Glanz rauben, um ihn hier sternengleich den armen Versteinerten zu spenden.

Welche Laune der Natur, welche Elemente zusammengewirkt haben, um ein derartiges Kunstwerk unter der Erdoberfläche zu schaffen, entzieht sich meiner Kenntnis. Riesenhaft, wie die Höhlung selbst, sind auch die Gebilde, die der äußeren Beschaffenheit nach teils Stalaktiten, teils Basalt mit eingesprengten fremden Gesteinsarten sein mögen. Der Bach, etwa einen Meter tief, verteilt sich in sechs Arme, den sechs Höllenflüssen vergleichbar, vereinigt sich dann wieder und, gespeist von einem weiteren, aus dem Dunkel der Unterwelt herausgurgelnden Zufluß, schäumt als wilder Strom hinaus ins Freie.

An seinen, in hartes Gestein gegrabenen Ufern entlang strebten auch wir wieder hinaus auf die Oberwelt. Dem Flußlaufe folgend, erreichten wir eine Plattform, die sich balkonähnlich vor den Berg legt, in dessen Innern wir so Unvergeßliches erleben durften. – Nächtliche Schatten lagerten bereits auf den Tälern, als wir zum ersten Male wieder in vollen Zügen die milde, balsamische Luft des ewigen Frühlings einatmeten. Tief, tief zu unsern Füßen ruhte in nächtlichem Schleier das unendliche Weltmeer, während wir hier oben noch die letzten Goldblitze der scheidenden Sonne erhaschten.

Wir verließen den sich in zahlreichen Kaskaden talwärts stürzenden Fluß und drängten uns in eine enge Spalte, um die Nacht zu verbringen. Ein über die Wände hinaushängender, harzreicher Stamm mußte sein Leben lassen, um uns die Wohltat eines wärmenden Feuers zu sichern. Die Nächte pflegen reich an Nebeln und kältendem Tau zu sein, und die Wolldecken gewähren nur Schutz, solange sie trocken sind.


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