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III.

Der Detektiv war strahlender Laune, weil er endlich etwas Geschriebenes in dem Zimmer des geheimnisvollen Fremden gefunden hatte. Er war fast sicher, daß Brandt diese Karte geschrieben hatte. Nur das Wort »Die Faust« stand darauf und dann die beiden Kreuze – von derselben Art wie die auf dem Spazierstock. Asbjörn Krag steckte die Karte in die Tasche, er wollte die genaue Untersuchung für später aufschieben.

Ehe er ging, erteilte er der Wirtin die strenge Anweisung, das Zimmer zu verschließen und unter keinen Umständen irgendeinen Unberechtigten hineinzulassen. Dann nahm er den Elfenbeinstock und verließ das Haus.

Er hatte kaum hundert Schritte durch die lebhafte Straße getan, die in der hellen Frühlingssonne strahlte, als er sich fest am Arm erfaßt fühlte. Der Detektiv wandte sich rasch um und entdeckte nun, daß es ein Schutzmann war, der ihn gepackt hatte und nun starr vor Staunen dastand. Schnell ließ er ihn los und grüßte.

»O ... Verzeihung ...« stammelte er. »Ich irrte mich. Der Stock war es, der mich veranlaßte ... Sie wissen ... unsere Order ...«

Asbjörn Krag lächelte.

»Es ist gut«, sagte er. »Ja, ich habe den Stock selbst gefunden.«

Und vergnügt ging er weiter die Straße hinunter. Die Polizei hatte all ihren Beamten den Befehl erteilt, genau acht zu geben auf einen großen Mann mit einem Elfenbeinstock. Und so hatte der hier patrouillierende Schutzmann ihn sofort festnehmen wollen, als er den Stock in seiner Hand gewahrte – daß es Asbjörn Krag selbst sein könne, hatte er nicht erwartet.

Der Detektiv blieb vor einem kleinen Laden stehen. Ja, das mußte die Milchhandlung sein. Er trat ein.

Die Madame hinter dem Ladentisch wußte sofort, worüber er Aufklärung haben wollte, als er den Namen Brandt nannte.

»Ich weiß noch alles ganz genau,« sagte sie, »es ist die merkwürdigste Geschichte, die ich je erlebt habe. Er kam ab und zu her, dieser Herr Brandt, und kaufte Milch oder Selter, wenn das Mädchen nicht zu Hause war, um ihm die Sachen zu holen. Er war immer sehr still und verschlossen. Was ich ihn auch fragte, er antwortete nie so recht. Als er das letzte Mal hier war, benahm er sich genau wie sonst immer. Er bat um ein Liter Milch, und als ich ihn beim Einmessen der Milch etwas fragte, antwortete er kaum. Er bekam seine Milch und ging still hinaus. Seitdem ist er ja verschwunden, wie man sagt. Er war ein merkwürdiger Mensch.«

Krag betrachtete die Umgebung. Er befand sich in einem gewöhnlichen kleinen Milchladen. Ein großes Fenster, in dem ein paar Teller mit Kuchen und Bonbons ausgestellt waren, ging auf die Straße hinaus. Er fragte:

»Hielt sich an jenem Abend, da er zum letztenmal bei Ihnen war, noch jemand zugleich mit ihm hier im Laden auf?«

»Nein, er war ganz allein anwesend.«

»Und es war etwa acht Uhr?

»Ja, so ungefähr. Ich erinnere mich, daß ich mich schon fertig machte, um den Laden zu verlassen. Um viertel neun pflegt mich meine Schwester abzulösen.«

»Wie ich sehe, steht unmittelbar vor Ihrem Hause eine Laterne«, sagte Krag und wies auf die Straße.

»Ja, dadurch ist unser Laden abends außerordentlich hell beleuchtet.«

»Man sieht also auch von hier drinnen im Dunkeln genau, wer draußen vorübergeht, nicht wahr?«

»Ja, das ist nicht schwer.«

»Haben Sie vielleicht beobachtet, daß Brandt draußen jemandem begegnete, als er Ihren Laden verließ?«

»Nein, darauf habe ich nicht geachtet. Aber er kam noch einmal zurück.«

»Kam zurück...?«

»Ja. Als er mit seiner Milch auf der Schwelle stand, drehte er sich plötzlich um und fragte, ob ich Briefmarken hätte. Das mußte ich verneinen, da wir nie welche verkaufen.«

»Fiel Ihnen das nicht auf? Wenn er so häufig zu Ihnen zum Einkauf kam, wußte er doch gewiß, daß Sie keine zu haben pflegen.«

»Ja, das mußte er eigentlich wissen. Und jetzt, wo Sie mich darauf aufmerksam machen, finde ich es auch merkwürdig. Er stand auch noch eine ganze Weile mitten im Laden, sah vor sich hin und murmelte wiederholt: So, Sie haben also keine Marken. Dann ging er.«

»Er sah vor sich hin, sagen Sie. Sah er nicht durch das Fenster hinaus auf die Straße?«

»Ja, ja, da haben Sie recht, seine Augen waren nach dem Fenster gerichtet.«

»Könnten Sie sich denken, daß er, als er das erste Mal aus dem Laden ging, im Licht der Straßenlaterne draußen vielleicht jemanden gesehen hatte, und rasch wieder umkehrte, um einem Menschen auszuweichen, dem er nicht begegnen wollte?«

»Ja, das klingt allerdings sehr wahrscheinlich.«

»Bemerkten Sie nicht, daß er draußen auf jemanden stieß, als er schließlich fortging?«

»Nein, darauf habe ich nicht geachtet.«

Krag verließ den kleinen Laden in tiefem Nachdenken.

In seinem Kontor angelangt, ging er die ganze Angelegenheit von Anfang bis zu Ende nochmals durch. Er war sich darüber klar, daß er vor einer rätselhaften Geschichte stand. Zunächst die beiden Raubüberfälle, die an genau der gleichen Stelle begangen worden waren. Dann der Zusammenstoß der Fabrikarbeiterin mit dem geheimnisvollen Brandt, auch an derselben Stelle. Und nun schließlich Brandts plötzliches Verschwinden.

Standen diese Geschehnisse miteinander in Verbindung? Und in diesem Falle – in welcher? War hinter dem Verschwinden Brandts ein Verbrechen zu suchen? War er getötet worden? Oder lebte er noch?

Der Detektiv mußte sich gestehen, daß er in seiner ganzen Tätigkeit selten eine so verwickelte Aufgabe zu lösen gehabt hatte.

Während er noch über die Sache sann, meldete einer der Beamten, daß soeben eine Verhaftung vorgenommen worden sei, die Interesse für ihn haben dürfte.

Krag eilte in die Wachtstube hinaus. Da stieß er auf zwei Schutzleute, deren Uniformen Spuren eines heftigen Kampfes trugen.


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