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Siebenzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 59 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 17):

They said of old the Soul had human shape,
But smaller, subtler than the fleshly self,
So wandered forth for airing when it pleased.
And see! beside her cherub face there floats
A pale-lipped form aerial whispering
Its promptings in that little shell her ear.


Neuigkeiten werden oft so gedankenlos und so erfolgreich verbreitet wie der Blüthenstaub, welchen die Bienen mit sich führen, wenn sie sich summend ihren Nektar suchen. Dieser, schöne Vergleich findet seine Anwendung auf die Art, wie Fred Vincy an jenem Abende im Pfarrhause zu Lowick eine lebhafte Unterhaltung mitanhörte, welche die Damen über die, ihrer alten Magd von Tantripp mitgetheilte Neuigkeit in Betreff der sonderbaren Erwähnung Will Ladislaw's in einem Codicill des Herrn Casaubon's führten.

Fräulein Winifred war erstaunt, zu finden, daß ihr Bruder schon früher von der Sache gewußt habe, und sagte, es sei merkwürdig, was Camden für Dinge wisse, ohne davon zu sprechen, worauf Mary Garth bemerkte, das Codicill habe vielleicht etwas von der Natur der Spinnen an sich, von welchen Herr Farebrother ja seiner Schwester auch nie etwas erzählen dürfe. Frau Farebrother war der Ansicht, daß es wohl damit zusammen hänge, daß Herr Ladislaw sie nur erst einmal in Lowick besucht habe, und Fräulein Noble ließ viele kleine mitleidige Laute vernehmen.

Fred wußte wenig von Ladislaw und kümmerte sich noch weniger um ihn. Er dachte nie wieder an diese Unterhaltung, bis er eines Tages, als er auf Wunsch seiner Mutter eine Bestellung an Rosamunde ausrichtete, zufällig Ladislaw fortgehen sah. Fred und Rosamunde hatten einander wenig zu sagen, seit ihre Verheirathung sie der brüderlichen Unliebenswürdigkeit entrückt und namentlich, seit er den nach ihrer Ansicht albernen und sogar tadelnswerthen Entschluß gefaßt hatte, den geistlichen Stand mit der Beschäftigung bei Herrn Garth zu vertauschen. Daher sprach Fred am liebsten mit ihr von, wie er meinte, gleichgültigen Neuigkeiten und, › à propos von dem jungen Ladislaw‹, erwähnte er, was er im Lowicker Pfarrhause gehört hatte.

Nun war Lydgate darin Farebrother ähnlich, daß er von vielerlei Dingen, die er wußte, nicht sprach, und als er einmal Veranlassung gehabt hatte, über das Verhältniß zwischen Will und Dorotheen nachzudenken, waren seine Vermuthungen noch über die Thatsache hinausgegangen. Er glaubte, daß Beide eine leidenschaftliche Neigung zu einander hegten, und fand das viel zu ernsthaft, um darüber zu schwatzen. Er erinnerte sich der Gereiztheit Will's, als er einmal Frau Casaubon's Erwähnung gethan hatte, und war deshalb nur um so vorsichtiger. Im Ganzen stimmten ihn seine Vermuthungen, in Verbindung mit dem, was er über die Thatsache wußte, nur noch um so freundlicher und toleranter für Ladislaw und ließen ihm sein Schwanken, welches ihn in Middlemarch zurückhielt, nachdem er erklärt hatte abreisen zu wollen, begreiflich erscheinen.

Es war bezeichnend für die Entfremdung der Gemüther Lydgate's und Rosamunden's, daß er sich nicht veranlaßt fühlte, mit ihr über die Sache zu reden; ja in Wahrheit traute er ihrer Verschwiegenheit gegen Will nicht ganz. Und darin hatte er Recht, obgleich er keine Ahnung davon hatte, in welcher Weise sie sich gedrängt fühlen werde zu reden.

Als sie Lydgate Fred's Neuigkeit wieder erzählte, sagte er:

»Nimm Dich in Acht, Rosy, daß Du auch nicht die leiseste Anspielung gegen Ladislaw machst. Er würde wahrscheinlich außer sich gerathen, als ob Du ihn beleidigt hättest. Es ist natürlich eine fatale Geschichte.«

Rosamunde machte eine Wendung mit dem Halse und stutzte ihr Haar zurecht, indem sie dabei aussah wie das Bild milder Gleichgültigkeit. Das nächste Mal aber, wo Will sie in Abwesenheit Lydgate's besuchte, sprach sie mit schlauer Miene davon, daß er seine Drohung, nach London zu gehen, noch nicht ausgeführt habe.

»Ich weiß Bescheid; mein Vögelchen vertraut mir Alles,« sagte sie und machte dabei mit ihrem Köpfchen über ihrer zierlichen Handarbeit, die sie hoch zwischen den fleißig arbeitenden Fingern hielt, sehr niedliche Bewegungen. »Es giebt hier in der Gegend einen mächtigen Magnet.«

»Ganz gewiß, das weiß niemand besser als Sie,« sagte Will in einem Tone leichter Galanterie, aber innerlich schon erzürnt.

»Wahrhaftig, ein allerliebster Roman: Herr Casaubon; der eifersüchtig ist und voraus sieht, daß Frau Casaubon niemanden so gern heirathen werde wie einen gewissen Herrn und daß niemand sie so gern heirathen werde, wie eben dieser gewisse Herr, und der dann Alles dadurch zu vereiteln sucht, daß er ihr, für den Fall, daß sie den Herrn heirathen würde, ihr Vermögen entzieht – und dann – und dann – O ich bin überzeugt, die Sache wird ein ganz romantisches Ende nehmen.«

»Großer Gott! was wollen Sie damit sagen?« rief Will über und über erröthend, während seine Gesichtszüge sich zu verändern schienen, als ob ihn ein heftiger Nervenkrampf befallen hätte. »Treiben Sie keinen Scherz mit mir, sagen Sie mir, was Sie meinen!«

»Sie wissen wirklich nicht, was ich meine?« fragte Rosamunde jetzt ganz ernsthaft und von dem lebhaften Wunsche beseelt, ihm die Sache zu erzählen und damit eine starke Wirkung auf ihn zu erzielen.

»Nein,« erwiderte er ungeduldig.

»Sie wissen nicht, daß Herr Casaubon in seinem Testamente die Bestimmung getroffen hat, daß, wenn Frau Casaubon Sie heirathet, sie ihr ganzes Vermögen verliert?«

»Woher wissen Sie, daß das wahr ist?« fragte Will eifrig.

»Mein Bruder Fred hat es von den Farebrother's gehört.«

Bei diesen Worten sprang Will von seinem Stuhle auf und griff nach seinem Hut.

»Ich denke, mir, sie wird sich mehr aus Ihnen als aus ihrem Vermögen machen,« sagte Rosamunde, indem sie von ihrem Platze aus nach ihm hinübersah.

»Bitte, reden Sie nicht mehr davon,« sagte Will in einem heiseren, leisen, seiner gewöhnlichen Stimme ganz unähnlichen Ton. »Die Sache ist eine niedrige Insulte gegen sie und gegen mich.«

Dann setzte er sich wieder, wie abwesend vor sich hinblickend, ohne irgend etwas zu sehen.

»Nun sind Sie böse auf mich,« sagte Rosamunde. »Es ist doch zu arg, daß Sie mich das entgelten lassen. Sie sollten mir dankbar sein, daß ich Ihnen das erzählt habe.«

»Das bin ich auch.« sagte Will plötzlich in jenem unheimlichen Ton des Doppelbewußtseins, mit welchem Träumende an sie gerichtete Fragen beantworten.

»Ich werde ja wohl nächstens von Ihrer Verheirathung hören,« sagte, Rosamunde scherzend.

»Niemals!«

Mit diesem ungestümen Ausruf stand Will auf, reichte Rosamunde, noch immer mit dem Ausdruck eines Nachtwandlers, die Hand und ging fort.

Als er sie verlassen hatte, stand Rosamunde auf, ging an's andere Ende des Zimmers, lehnte sich hier an eine Chiffonière und sah gelangweilt zum Fenster hinaus. Sie fühlte sich gelangweilt und bedrückt von jener Unbefriedigtheit, die sich in weiblichen Gemüthern fortwährend in eine nichtige Eifersucht verwandelt, welche auf keinen tieferen Ansprüchen beruht und keiner tieferen Leidenschaft, als der vagen Begehrlichkeit des Egoismus entspringt und doch den Antrieb sowohl zum Handeln als auch zum Reden bieten kann.

»Ich habe wirklich nichts, woraus ich mir viel machen könnte,« sagte sich die arme Rosamunde, indem sie an die Familie in Quallingham, die ihr nicht schrieb, und daran dachte, wie Tertius, wenn er nach Hause käme, sie vielleicht mit ihren Ausgaben plagen werde. Sie hatte bereits im Geheimen gegen sein ausdrückliches Geheiß gehandelt, indem sie ihren Vater gebeten hatte, ihnen zu helfen, der aber dem Gespräch durch die Erklärung ein Ende gemacht hatte: »Ich werde wahrscheinlich selbst Hülfe brauchen.«



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