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Vierzehntes Kapitel.

Das Motto zu Kapitel 56 (in dieser Übersetzung Band 3, Kapitel 14):

How happy is he born and taught
That serveth not another's will;
Whose armour is his honest thought,
And simple truth his only skill!
… … … … … … … … … …
This man is freed from servile bands
Of hope to rise or fear to fall;
Lord of himself though not of lands;
And having nothing yet hath all.

Sir Henry Wotton: The Character of a Happy Life


Dorothea's Vertrauen zu Caleb Garth's Einsicht, welches sie damals, als sie hörte, daß er mit ihren Plänen zu Arbeiterwohnungen einverstanden sei, zuerst gefaßt hatte, war während ihres Aufenthalts in Freshitt, wo Sir James sie veranlaßt hatte, in seiner und Caleb's Begleitung die beiden Güter reitend in Augenschein zu nehmen, rasch gewachsen, und Caleb erwiderte diese Bewunderung durchaus und erzählte seiner Frau, daß Frau Casaubon ein für eine Frau höchst ungewöhnliches Verständniß ›des Geschäfts‹ habe. Man muß sich erinnern, daß Caleb unter ›Geschäft‹ niemals Geldtransactionen, sondern die geschickte Verwendung von Arbeit verstand.

»Höchst ungewöhnlich!« wiederholte Caleb. »Sie sagte mir neulich etwas, was ich oft selbst schon als Junge gedacht habe: ›Herr Garth, ich möchte, wenn ich einmal alt werden sollte, das Bewußtsein haben können, ein groß Stück Land verbessert und eine Menge guter Arbeiterwohnungen erbaut zu haben; denn die dazu nöthige Arbeit ist eine gesunde, und wenn sie gethan ist, befinden sich die Menschen nur um so besser.‹ Das waren ihre eigenen Worte, so sieht sie die Dinge an.«

»Aber sie ist doch hoffentlich weiblich dabei?« sagte Frau Garth, die sich eines gewissen Argwohns, daß Frau Casaubon nicht ganz von dem wahren Princip der Subordination durchdrungen sein möchte, nicht zu erwehren vermochte.

»O Du machst Dir keine Vorstellung davon!« sagte Caleb kopfschüttelnd. »Du würdest sie gern reden hören. Sie spricht so klar und mit einer Stimme, die wie Musik klingt. Meiner Seele! es erinnert mich an Stellen im ›Messias‹, und mir war immer gleich, als wenn ich die himmlischen Heerschaaren Gott preisen und reden hörte; sie hat einen Ton, der das Ohr entzückt.«

Caleb war ein großer Freund von Musik und hörte, wenn er es möglich machen konnte, gelegentlich gern ein Oratorium, wo er dann jedes Mal von tiefer Ehrfurcht für diesen gewaltigen Tonbau erfüllt nach Hause zurückzukehren und, den Blick zu Boden gesenkt, nachdenklich dazusitzen und unverständliche Worte vor sich hin zu flüstern pflegte.

Bei einem so guten gegenseitigen Verständniß war es nur natürlich, daß Dorothea Caleb Garth bat, Alles zu übernehmen, was in Betreff der zu dem Herrenhause von Lowick gehörenden drei Pachthöfe und zahlreichen kleinen Häuser zu thun war.

In der That hatte sich seine Erwartung, Arbeit für Zwei zu bekommen, rasch verwirklicht. Es war, wie er zu sagen pflegte: ›Arbeit erzeugt Arbeit‹. Und eine Art von Geschäft, die sich gerade damals fortzeugend zu vermehren anfing, war der Bau von Eisenbahnen. Eine projectirte Linie sollte über in Lowick belegene Ländereien gehen, wo das Vieh bisher in einem durch keine befremdliche Erscheinung getrübten Frieden gegrast hatte, und so geschah es, daß die Jugendkämpfe des Eisenbahnsystems die Thätigkeit von Caleb Garth berührten und für das Schicksal zweier Personen, die ihm theuer waren, entscheidend wurden.

Die submarine Eisenbahn mag ihre Schwierigkeiten haben, aber der Meeresboden vertheilt sich doch nicht unter verschiedene Landeigenthümer mit ihren zum Theil gar nicht abzuschätzenden, sentimentalen Schadensansprüchen. Unter den Hunderten, denen Middlemarch gehörte, waren Eisenbahnen ein ebenso aufregender Gegenstand wie die Reformbill oder die bevorstehenden Schrecken der Cholera, und diejenigen, welche die entschiedensten Ansichten über den Gegenstand hatten, waren Frauen und Landeigenthümer.

Alte und junge Frauen betrachteten das Reisen auf durch Dampf getriebenen Wagen als ein übermüthiges und gefährliches Unternehmen und brachten, als nach ihrer Ansicht bündigstes Argument, die Erklärung vor, daß nichts sie bewegen solle, in einen Eisenbahnwagen zu steigen; während die Landeigenthümer, deren Argumente übrigens unter einander so verschieden waren, wie Herr Salomon Featherstone verschieden war von Lord Medlicote, bis jetzt noch in der Ansicht übereinstimmten, daß man bei dem Verkauf von Land, gleichviel ob an einen Feind der Menschheit oder an eine zu kaufen genöthigte Gesellschaft, diese verderblichen Mächte für die Erlaubniß, die Menschheit zu beschädigen, einen möglichst hohen Preis bezahlen lassen müsse.

Aber die langsameren Geister wie Salomon und Frau Waule, die beide eigenes Land besaßen, brauchten lange Zeit, bis sie zu diesem Schluß gelangten, weil es ihnen schwer wurde, über die sich ihnen lebhaft aufdringende Vorstellung hinwegzukommen, was es damit auf sich haben werde, die ›fette Weide‹ in zwei Stücke zu zerschneiden und sie in drei winkligen Fetzen zu verwenden, welche so gut wie gar nichts sein würden, während Verbindungsbrücken und hoher Schadenersatz in weiter Ferne lägen und unwahrscheinlich seien.

»Die Kühe werden Alle ihre Kälber werfen,« sagte Frau Waule in einem Ton tiefer Melancholie, »wenn die Eisenbahn durch die ›Nahe Koppel‹ geht, und es sollte mich nicht wundern, wenn auch die Stute trächtig wäre. Es ist eine traurige Geschichte, wenn das Eigenthum einer Wittwe abgegraben werden darf, ohne daß das Gesetz etwas dagegen sagt. Was wird sie, wenn sie einmal damit angefangen haben, davon abhalten, rechts und links Stücke wegzuschneiden? Daß ich mich nicht wehren kann, weiß Jedermann.«

»Das Beste würde sein, nichts zu sagen und Leute anzustiften, ihnen gehörig nach Hause zu leuchten, wenn sie kommen, um zu spionieren und zu messen,« sagte Salomon. »Wie ich höre, haben die Leute bei Brassing das gethan. Wenn die Leute nur wüßten, daß das Alles Spiegelfechterei ist mit ihrer Behauptung von einer bestimmten Richtung, die sie haben müssen. Laß sie doch in einem andern Kirchspiel das Land zerschneiden. Und an einen Ersatz für den Schaden, den Einem die Schurken, die Einem die Ernte zerstampfen, anrichten, glaube ich gar nicht. Wo soll man die Tasche einer Gesellschaft finden?«

»Bruder Peter, Gott verzeih' ihm, hat Geld von einer Gesellschaft bekommen,« sagte Frau Waule. »Aber das war für das Magnesium und nicht für Eisenbahnen, die Einen nach rechts und links in die Luft sprengen.«

»Nun, ich sage so viel, Jane,« schloß Salomon mit behutsam gedämpfter Stimme: »je mehr Hindernisse wir ihnen in den Weg legen, desto mehr werden sie uns nachher dafür bezahlen, daß wir sie gewähren lassen – wenn sie unser Land um jeden Preis brauchen.«

Dieses Raisonnement Salomons war vielleicht weniger bündig, als er sich einbildete, da seine Schlauheit in einem ähnlichen Verhältniß zu dem Lauf der Eisenbahnen stand wie die Schlauheit eines Diplomaten zu der allgemeinen Erkaltung oder Erkältung des Sonnensystems. Aber er schickte sich an, in ganz diplomatischer Weise seinen Ansichten gemäß zu handeln, indem er den Argwohn anstachelte. Sein Landbesitz in Lowick lag am weitesten ab von dem Dorfe, und die Wohnungen seiner Arbeiter waren entweder einzelstehende Hütten oder standen in einem ›Frick‹ genannten Weiler zusammen, wo eine Wassermühle und einige Steinbrüche den kleinen Mittelpunkt einer träge betriebenen Industrie bildeten.

In Ermangelung jeder klaren Vorstellung von dem, was Eisenbahnen eigentlich seien, war die öffentliche Meinung in Frick gegen dieselben; denn der menschliche Geist hatte in jenem grasreichen Winkel nicht die sprüchwörtliche Tendenz, das Unbekannte zu bewundern, hielt vielmehr dafür, daß dasselbe wahrscheinlich gegen die armen Leute gerichtet sei und daß das einzig richtige Verhalten diesem Unbekannten gegenüber argwöhnisches Mißtrauen sei.

Selbst das Gerücht von der bevorstehenden Reform hatte in Frick noch keine Erwartungen auf das Nahen des tausendjährigen Reichs erweckt, da sich an dieselbe kein bestimmtes Versprechen unentgeltlicher Kornspenden zum Mästen von Hiram Ford's Schwein oder eines Bier umsonst brauenden Gastwirth's in der ›Wagschale‹ oder eines Anerbietens der drei benachbarten Pächter, die Löhne während des Winters zu erhöhen, knüpfte. Und ohne bestimmte Versprechungen dieser Art schien die Reform auf einer Stufe mit dem Anpreisen von Hausirern zu stehen, was für jeden, der wisse, was das zu bedeuten habe, ein hinreichender Grund zum Mißtrauen sei.

Die Männer in Frick waren nicht schlecht genährt und weniger fanatisch als geneigt, ihrem Argwohn einen energisch muskulösen Nachdruck zu geben, weniger geneigt zu glauben, daß der Himmel sie in seine besondere Obhut genommen habe, als vielmehr dem Himmel selbst zuzutrauen, daß er sie gern zum Besten habe – wie schon das Wetter zeige.

So war die Stimmung der Bewohner von Frick ganz geeignet, den Absichten Salomon Featherstone's zu dienen; der sich in noch ergiebigeren Anschauungen derselben Art erging und neben besserer Nahrung auch mehr Muße hatte, seinem Argwohn gegen Himmel und Erde nachzuhängen.

Salomon hatte um jene Zeit die Oberaufsicht über die Landstraße und kam bei seinen Rundritten auf seinem langsam trabenden Klepper oft durch Frick, um nach den Arbeitern zu sehen, welche dort die Steine brachen, wo er dann mit einer geheimnißvoll nachdenklichen Miene, welche zu der Annahme hätte verleiten können, daß er einen andern Grund zum Verweilen habe als den bloßen Mangel eines Antriebs zum Weiterreiten, anzuhalten pflegte. Nachdem er lange Zeit den Arbeitern zugesehen hatte, pflegte er dann ein wenig aufzuschauen und nach dem Horizont zu blicken und schließlich die Zügel seines Pferdes anzuziehen, seinem Pferde einen leichten Hieb mit der Peitsche zu geben und sich langsam in Bewegung zu setzen.

Der Stundenzeiger einer Uhr bewegt sich rasch im Vergleich mit Salomon, der das angenehme Bewußtsein hatte, daß er seiner Neigung zu langsamer Bewegung nach Herzenslust fröhnen könne. Er hatte die Gewohnheit, mit jedem Heckenbeschneider und Grabenarbeiter am Wege ein paar vorsichtige, unbestimmt schlaue Worte zu plaudern, und war stets bereit, sich Neuigkeiten, auch wenn er sie schon gehört hatte, erzählen zu lassen, indem er sich allen Erzählern dadurch überlegen fühlte, daß er nicht Alles, was sie ihm erzählten, glaubte.

Eines Tages jedoch ließ er sich mit Hiram Ford, einem Fuhrmann, in eine Unterhaltung ein, bei welcher er selbst der Mittheilende war. Er wünschte zu wissen, ob er umherspionirende Leute mit Stangen und Instrumenten gesehen habe; sie nennten sich selbst Eisenbahnleute, aber kein Mensch könne sagen, wer sie eigentlich seien und was sie vorhätten. Das Wenigste, was sie sich zu thun anmaßen würden, sei, daß sie das Kirchspiel Lowick in kleine Stücke zertheilen würden.

»Na, da wird man sich ja gar nicht mehr von der Stelle bewegen können,« sagte Hiram, der dabei an seinen Wagen und seine Pferde dachte.

»Gewiß nicht,« erwiderte Salomon. »Und so schönes Land wie das in diesem Kirchspiel zu zerstückeln! Ich sage, laß sie doch nach Tipton gehen. Aber man kann gar nicht wissen, was dahinter steckt. Die Bedürfnisse des Verkehrs sind es, die sie vorschützen; aber auf die Länge wird es darauf hinauslaufen, daß sie nur das Land und den armen Mann, beschädigen wollen.«

»Die Kerls kommen gewiß aus London,« sagte Hiram, dem eine dunkle Vorstellung von London als ein Centrum der Feindseligkeit gegen das Land vorschwebte.

»Ganz gewiß. Und soviel ich gehört habe, sind die Leute in der Nähe von Brassing über sie hergefallen, als sie da herumspionirten, und haben ihnen die Gucklöcher, die sie bei sich tragen, zerbrochen und haben sie weggejagt, so daß sie sich wohl gehütet haben, wiederzukommen.«

»Das muß wahrhaftig ein guter Spaß gewesen sein,« sagte Hiram, dem die Umstände nur selten einen Spaß gestatteten.

»Nun, ich möchte mich nicht mit ihnen abgeben,« bemerkte wieder Salomon. »Aber Einige sagen, unsere Gegend hier habe ihre besten Tage gesehen, und der Beweis ist, daß wir hier von diesen Kerlen überlaufen werden, die die Felder rechts und links zerstampfen und sie zu Eisenbahnen zerstückeln wollen, und das Alles, damit der Großverkehr den Kleinverkehr verschlinge und nicht soviel Platz übrig bleibe, daß ein Gespann darauf stehen und man mit der Peitsche knallen kann.«

»Ehe ich es dazu kommen lasse, will ich ihnen mit der Peitsche um die Ohren knallen,« sagte Hiram, während Salomon seinen Klepper wieder in Bewegung setzte.

 

Nesselsamen schießt auf ungepflügtem Boden auf. Der Ruin der Gegend durch Eisenbahnen wurde nicht nur in der ›Wagschale‹, sondern auch bei der Heuernte, wo das Zusammensein einer Menge von Arbeitern eine Gelegenheit zur Unterhaltung darbot, wie sie sich sonst das ganze Jahr hindurch selten fand, verhandelt.

Eines Morgens, nicht lange nach jener Unterhaltung zwischen Farebrother und Mary Garth, in welcher sie ihm ihre Gefühle für Fred Vincy gestanden hatte, traf es sich, daß ihr Vater ein Geschäft hatte, welches ihn auf Yoddrell's Pachthof in die Nähe von Frick führte; es handelte sich darum, ein zum Herrenhause von Lowick gehörendes, abliegendes Stück Land zu vermessen und abzuschätzen, welches Caleb vortheilhaft für Dorothea verkaufen zu können hoffte. Beiläufig bemerkt soll nicht geleugnet werden, daß er darauf aus war, die bestmöglichen Preise von Eisenbahngesellschaften zu erlangen.

Er stellte sein Wägelchen auf Yoddrell's Gehöft ein und ging dann mit seinem Gehülfen und seiner Meßkette nach dem Schauplatz seiner Arbeit und begegnete auf seinem Wege den Agenten der Eisenbahngesellschaft, welche eben ihre Nivellirwage adjustirten. Nachdem er ein paar Worte mit ihnen gewechselt, ging er weiter und bemerkte, sie würden ihn nachher wohl noch bei seiner Vermessung treffen.

Es war einer jener grauen Morgen nach einem leichten Regen, welcher um die Mittagsstunde, wenn die Wolken sich ein wenig zertheilen und der Duft des Erdreichs längs der Hecken und Feldwege lieblich aufsteigt, so schön werden.

Der Duft würde Fred Vincy, der eben dahergeritten kam, noch lieblicher erschienen sein, wenn er sich nicht mit dem erfolglosen Versuch zu quälen gehabt hätte, etwas ausfindig zu machen, was er in seinem Dilemma zwischen seinem Vater, der seinen sofortigen Eintritt in den geistlichen Stand verlangte, und Mary, die ihn aufzugeben drohte, wenn er diesen Schritt thue, beginnen könne, da doch die Alltagswelt kein dringendes Verlangen irgendwelcher Art nach einem jungen Gentleman zu erkennen gab, der kein Capital und keine besondere Geschicklichkeit besaß.

Fred empfand das um so schwerer, als sein Vater, nachdem er sich überzeugt hatte, daß Fred sich nicht länger gegen seinen Willen auflehne, sich jetzt freundlich gesinnt gegen ihn zeigte und ihn eben mit diesem angenehmen Ritt, dessen Zweck es war, sich einige Jagdhunde anzusehen, beauftragt hatte. Und selbst wenn er mit sich über das, was er beginnen wolle, in's Reine käme, würde ihm noch die schwere Aufgabe obliegen, seinen Entschluß seinem Vater mitzutheilen.

Es muß aber zugegeben werden, daß die ihm zunächst obliegende Aufgabe, mit sich in's Reine zu kommen, die bei weitem schwierigere war, denn – wo gab es auf der weiten Erde für einen jungen Mann, dessen Freunde ihm keine Anstellung verschaffen konnten, einen weltlichen Beruf, der zugleich für einen Gentleman passend, einträglich und so beschaffen gewesen wäre, daß er ohne specielle Kenntnisse ergriffen werden konnte.

Während er so in dieser Stimmung längs des Heckenweges bei Frick im Schritt dahinritt und eben daran dachte, ob er es wagen solle, auf einem Umwege nach dem Pfarrhause von Lowick zu reiten und Mary zu besuchen, konnte er über die Hecken hinweg zu beiden Seiten auf die Felder blicken.

Plötzlich zog ein Geräusch seine Aufmerksamkeit auf sich, und er konnte sehen, wie in einiger Entfernung auf einem zu seiner Linken liegenden Felde sechs oder sieben Männer in Fuhrmannskitteln mit Heugabeln in den Händen in bedrohlicher Haltung auf die vier Eisenbahnagenten losgingen, während Caleb Garth und sein Gehülfe eiligst quer über das Feld herankamen, um der bedrohten Gruppe Beistand zu leisten.

Fred, der einige Augenblicke durch das Aufsuchen der Zaunpforte aufgehalten wurde, konnte die Stelle, obgleich er galoppirte, erst erreichen, als die Männer in Fuhrmannskitteln, – die nach der Verzehrung ihres Mittagsbieres mit der Wiederaufnahme ihrer Arbeit des Heuumstoßens keine Eile gehabt hatten, mit ihren Heugabeln die Männer in Röcken vor sich hertrieben, während Caleb Garths Gehülfe, ein siebzehnjähriger Bursche, der auf Caleb's Geheiß die Nivellirwage an sich genommen hatte, zu Boden geworfen war und hülflos dazuliegen schien.

Die Männer in Röcken waren durch rascheres Laufen gegen ihre Angreifer im Vortheil, und Fred deckte ihren Rückzug, indem er vor die Front der Kerle in Fuhrmannskitteln ritt und sie so plötzlich attaquirte, daß sie bei ihrer Jagd in Verwirrung geriethen.

»Was wollt Ihr verfluchten Hunde?« schrie Fred, indem er die zersprengte Schaar im Zickzack verfolgte und rechts und links Peitschenhiebe austheilte. »Ich werde vor dem Friedensrichter gegen jeden Einzelnen von Euch eidlich aussagen. Ihr habt den Burschen zu Boden geworfen und, soviel ich sehe, todtgeschlagen. Ihr könnt Alle, bei den nächsten Assisen gehängt werden, wenn Ihr Euch nicht in Acht nehmt,« rief Fred, der später bei der Erinnerung an seine eigenen Worte herzlich lachen mußte.

Die Arbeiter waren durch die Zaunpforte auf ihr Heufeld zurückgedrängt, und Fred hatte eben sein Pferd angehalten, als Hiram Ford, der die Entfernung jetzt für groß genug hielt, um eine Herausforderung zu wagen, sich umkehrte und Fred eine drohende Herausforderung entgegenschrie, von der er nicht wußte, daß sie homerisch sei.

»Sie sind ein feiger Bengel, Sie. Steigen Sie nur vom Pferd, junger Herr, und wir wollen einen Gang mit einander machen, das will ich. Versuchen Sie es, nicht ohne Ihr Pferd und Ihre Peitsche herzukommen. Sonst schlage ich Ihnen die Seele aus dem Leibe, das thu ich.«

»Wartet nur einen Augenblick, ich komme gleich wieder und will dann, wenn Ihr Lust habt, mit Jedem von Euch einen Gang machen,« erwiderte Fred, der sich bei einem Kampf mit seinen vielgeliebten Mitbrüdern auf seine Gewandtheit im Boxen verließ. Aber zunächst eilte er zu Caleb und dem am Boden liegenden Knaben zurück.

Der Bursche hatte sich den Fuß verstaucht und litt heftige Schmerzen, war aber sonst nicht weiter verletzt, und Fred setzte ihn auf's Pferd, damit er auf den Hof zu Yoddrell's reite und sich dort pflegen lasse.

»Lassen Sie mein Pferd dort in den Stall bringen und sagen Sie den Feldmessern, Sie könnten jetzt ihre Karren wieder abholen,« sagte Fred, »die Luft ist jetzt rein.«

»Nein, nein,« sagte Caleb, »hier ist ein Bruch, sie werden es für heute aufgeben müssen, und das wird ebenso gut sein. Hier, nehmen Sie die Sachen vor sich auf's Pferd, Tom. Sie werden Sie kommen sehen und werden Ihnen entgegen kommen.«

»Es freut mich, daß ich gerade im rechten Augenblicke hergekommen bin, Herr Garth,« sagte Fred, als Tom fortritt. »Wer weiß was noch passirt wäre, wenn die Cavallerie nicht rechtzeitig attaquirt hätte.«

»Ja, ja, es war ein rechtes Glück,« sagte Caleb in einem etwas abwesenden Ton, indem er nach der Stelle blickte, wo er bis zu dem Augenblick der Unterbrechung mit seiner Arbeit beschäftigt gewesen war. »Aber, hol' es der Teufel – das kommt davon, wenn die Menschen so nichtswürdige Narren sind – da bin ich nun an der Vollendung meines Tagewerkes verhindert. Ich kann nicht weiter arbeiten, wenn ich nicht Jemanden habe, der mir mit der Meßkette hilft. Indessen!« Er machte ein verdrießliches Gesicht und war eben im Begriff nach der Stelle hinzugehen, als ob er Fred's Gegenwart ganz vergessen habe, plötzlich aber kehrte er um und sagte rasch: »Was haben Sie heute zu thun, junger Freund?«

»Nichts, Herr Garth Ich würde Ihnen mit Vergnügen helfen, wenn Sie mich brauchen können?« sagte Fred in dem Gefühl, daß er sich Mary dadurch angenehm erweise, wenn er ihrem Vater bei seiner Arbeit behülflich sei.

»Nun, Sie dürfen sich nur nichts daraus machen, sich zu bücken und warm zu werden.«

»Ich mache mir aus nichts etwas. Nur möchte ich vorher noch hingehen und einen Gang mit dem groben Gesellen machen, der sich vorhin umdrehte, um mich herauszufordern. Das wird eine gute Lektion für ihn sein. In fünf Minuten bin ich wieder hier.«

»Unsinn!« sagte Caleb in einem so peremptorischen Ton, wie er ihm nur irgend zu Gebote stand. »Ich will selbst hingehen und mit den Leuten reden. Es ist Alles nur Unwissenheit. Da hat ihnen Einer was vorgeredet, die armen Tröpfe wissen es nicht besser.«

»So will ich mit Ihnen gehen,« sagte Fred.

»Nein nein, bleiben Sie ruhig hier. Ich brauche Sie jungen Hitzkopf nicht. Ich kann mich selber schützen.«

Caleb war ein sehr kräftiger Mann und kannte keine andere Furcht als die, Andere zu verletzen und – eine Rede halten zu müssen. Aber in diesem Augenblick hielt er es für seine Pflicht, eine kleine Anrede an die Irregeleiteten zu wagen. Dabei stritten verschiedene Empfindungen in ihm, da er es sich selbst immer bei der Arbeit hatte sauer werden lassen und daher zwar einerseits sehr strenge Begriffe von den Pflichten der Arbeiter hatte, sie aber andererseits auch vorkommenden Falls nachsichtig beurtheilte. Ein gutes Tagewerk zu verrichten und es gut zu verrichten, hielt er für ihr Wohlergehen für unerläßlich, wie das den Hauptbestandtheil seines eigenen Glückes bildete; dabei aber hatte er ein starkes Gefühl der Kameradschaft für sie.

Als er auf die Arbeiter zuging, hatten sie ihre Arbeit noch nicht wieder aufgenommen, sondern standen in einer ländlichen Gruppe zusammen, das heißt so, daß ein Jeder etwa zehn Schritt von einem zum Andern entfernt, ihm den Rücken zukehrte. Sie sahen Caleb mit ziemlich verdrossenen Gesichtern herankommen. Er ging, die eine Hand in der Tasche und die Finger der andern zwischen die Knopflöcher seiner Weste gesteckt, rasch auf sie zu und blieb dann mit seinem gewöhnlichen milden Ausdruck vor ihnen stehen.

»Na, Jungens, was ist das?« fing er an, indem er sich wie gewöhnlich kurzer Sätze bediente, welche ihm selbst inhaltsschwer erschienen, weil sie für ihn viele Gedanken enthielten – gleichsam die üppigen Wurzeln einer Pflanze, die nur eben aus dem Wasser hervortaucht. »Wie seid Ihr dazu gekommen, Euch so zu irren? Es muß Euch Einer etwas vorgelogen haben. Ihr dachtet, die Männer da drüben wollten Euch etwas zu Leide thun.«

Ein ›Ah‹, das sie Einer nach dem Andern je nach dem Grade ihrer Unbereitwilligkeit, auf Caleb zu hören, ausstießen, war die Antwort.

»Unsinn, so etwas zu denken! Sie sehen nach, welchen Weg die Eisenbahn nehmen soll. Gegen die Eisenbahn könnt Ihr aber doch nichts machen, Leute; sie wird gebaut werden, gleichviel ob es Euch gefällt oder nicht. Und wenn Ihr etwas dagegen unternehmt, so werdet Ihr Euch selbst Ungelegenheiten bereiten. Das Gesetz erlaubt jenen Männern, hier auf die Felder zu gehen. Der Eigenthümer kann das nicht untersagen, und wenn Ihr ihnen etwas in den Weg legt, so werdet Ihr es mit dem Konstabler und mit dem Richter Blakesley zu thun bekommen und man wird Euch Handschellen anlegen und Euch in's Middlemarcher Gefängniß bringen. Und Ihr müßtet schon in diesem Augenblick daran glauben, wenn Einer Euch anzeigen wollte.«

Hier hielt Caleb inne, und vielleicht hätte der größte Redner weder seine Bilder noch den Moment des Innehaltens besser für die Gelegenheit wählen können.

»Aber kommt, Ihr habt es nicht böse gemeint. Es hat Euch Einer erzählt, die Eisenbahn sei eine schlechte Sache; das war eine Lüge. Die Eisenbahn kann vielleicht hie und da Diesem und Jenem eine Unannehmlichkeit bereiten, das thut aber die Sonne am Himmel auch. Aber die Eisenbahn ist eine gute Sache.«

»Ja! Gut für die reichen Leute, Geld daran zu verdienen,« sagte der alte Timotheus Cooper, der beim Heumachen hinten stehen geblieben war, während die Andern weiter getrunken hatten; »Ich habe mein Lebelang so viele neue Dinge aufkommen gesehen: Krieg und Frieden und die Canäle und den alten König Georg und den Regenten und den neuen König Georg und den neuesten mit seinem neuen Namen, aber für die armen Leute ist das Alles einerlei gewesen. Was haben die Canäle dem armen Manne für Vortheile gebracht? sie haben ihm kein Fleisch und keinen Speck gebracht und keinen Lohn, von dem er etwas hätte übersparen können, wenn er nicht dabei verhungern wollte. Die Zeiten sind für die armen Leute schlechter geworden, seit ich jung war. Und so wird's auch mit den Eisenbahnen sein. Sie werden den armen Mann nur noch weiter zurückbringen. Aber wer etwas dagegen thun will, ist ein Narr, und das habe ich den Jungens hier auch gesagt. Es ist einmal eine Welt für die reichen Leute. Aber Sie sind für die reichen Leute, Herr Garth, ja, das sind Sie.«

Timotheus war ein hagerer alter Arbeiter von einer Gattung, die in jener Zeit schon spärlich wurde, der seine Ersparnisse in einem alten Strumpf aufbewahrte, in einer einsamen Hütte wohnte, für alle Art Beredsamkeit ganz unempfänglich und von dem Geist der Lehnstreue so wenig berührt und so ungläubig war, daß man ihn mit dem Zeitalter der Vernunft und den Menschenrechten nicht so ganz unbekannt hätte halten sollen, wie er es in der That war.

Caleb befand sich in einer Lage, deren Schwierigkeit alle Die kennen gelernt haben, die es in dunkeln Zeiten und ohne die Hülfe des Wunders versucht haben, Leuten aus dem Volke Vernunft zu predigen, und die wesentlich darin besteht, daß diese Leute solchen Predigern immer eine Wahrheit entgegenhalten werden, die sie an ihrem eigenen Leibe erfahren haben und mit der sie wie mit einer Riesenkeule die feinsten Argumente zu Gunsten einer socialen Wohlthat, welche ihnen nicht zu Gute kommt, zerschmettern.

Caleb würden keine schönen Redensarten zu Gebote gestanden haben, selbst wenn er sich derselben hätte bedienen wollen; denn er hatte sich gewöhnt, allen solchen Schwierigkeiten nur dadurch zu begegnen, daß er seinem ›Geschäfte‹ mit gewissenhafter Treue oblag.

Er antwortete dem Alten:

»Wenn Ihr nicht gut von mir denkt, Tim, so kommt darauf nichts an; das gehört ja nicht hieher. Es mag schlecht um die armen Leute stehen – und das thut es; aber ich will nicht, daß die Burschen hier etwas thun, was ihre Lage nur noch schlimmer machen kann. Wenn das Vieh eine schwere Last zu tragen hat, so würde es ihm doch nichts nützen, die Last, die sein eigenes Futter enthält, in den Graben an der Landstraße zu werfen.«

»Wir haben uns ja nur einen Spaß machen wollen,« sagte Hiram, der bedenkliche Folgen zu wittern anfing. »Das war die ganze Geschichte.«

»Gut, versprecht mir, daß Ihr Euch nicht wieder an den Eisenbahnleuten vergreifen wollt, und ich will sehen, daß Niemand Euch zur Anzeige bringt.«

»Ich habe mich nie an den Leuten vergriffen und brauche daher auch nichts zu versprechen,« sagte Timotheus.

»Nein, aber die Andern. Kommt, ich muß heute so scharf arbeiten wie Einer von Euch und habe nicht viel Zeit zu verlieren. Sagt, daß Ihr Euch auch ohne Konstabler ruhig verhalten wollt.«

»O! Wir wollen sie schon nicht wieder anrühren. Unsertwegen können sie thun, was sie wollen,« lauteten die Formeln, in welchen sie Caleb ihr feierliches Versprechen gaben.

Caleb kehrte nun eiligst zu Fred zurück, der ihm, gefolgt war und ihn vom Zaunthor aus beobachtete. Sie gingen sofort an die Arbeit und Fred half nach Kräften. Seine Stimmung hatte sich gehoben und es ergötzte ihn wahrhaft, über den feuchten Erdboden unter die Hecken hin zu kriechen und sich dabei seine feinen Sommerhosen zu beschmutzen.

War es sein erfolgreicher Angriff, was ihn so belebte, oder war es das genugthuende Bewußtsein, Mary's Vater behülflich zu sein? Es war noch etwas mehr. Der Vorfall dieses Morgens hatte seiner ermatteten Einbildungskraft einen neuen Anstoß gegeben, in Folge dessen er sich eine Thätigkeit ausgemalt hatte, die ihm in mehr als einer Hinsicht anziehend erschien. Vielleicht hatten gewisse Fibern in Caleb's Geist auch schon wieder zu vibriren angefangen und hatten ihn wieder an Das denken lassen, was Fred jetzt eben zum ersten Male als sein Ziel in's Auge faßte. Denn der wirksame Zufall bildet da, wo der Zündstoff bereit liegt, nur den zündenden Funken; Fred hielt später immer dafür, daß die Eisenbahn für ihn der nöthige Funke gewesen sei.

Aber sie arbeiteten fort, ohne mit einander zu reden, außer wenn die Arbeit selbst das Sprechen erforderlich machte.

Erst als sie fertig waren und mit einander fortgingen, sagte Garth:

»Ein junger Mensch braucht kein Universitätsexamen gemacht zu haben, um diese Art von Arbeit zu thun, was, Fred?«

»Ich wollte, ich hätte eine solche Beschäftigung angefangen, ehe ich daran dachte zu studiren,« erwiderte Fred.

Er hielt einen Augenblick inne und fügte dann zaudernd hinzu:

»Glauben Sie, daß ich zu alt bin, um Ihr Geschäft zu lernen, Herr Garth?«

»Mein Geschäft ist sehr mannigfacher Art, mein Junge,« antwortete Garth lächelnd. »Ein guter Theil von dem, was ich weiß, kann nur durch Erfahrung gelernt werden; man kann es nicht aus Büchern lernen. Aber Sie sind noch jung genug, um den nöthigen Grund zu legen.«

Caleb betonte die letzten Worte nachdrücklich, hielt aber dann im Gefühl einer gewissen Unsicherheit inne. Er hatte neuerdings geglaubt, daß Fred sich entschlossen habe, Geistlicher zu werden.

»Sie glauben also, ich könnte es noch zu etwas bringen, wenn ich mir Mühe geben wollte?« fragte Fred eifriger.

»Das kommt darauf an,« sagte Caleb, dessen Gesicht dabei den Ausdruck einer tief religiösen Ueberzeugung annahm, indem er den Kopf auf die Seite neigte, mit feierlich gedämpfter Stimme: »Sie müssen zweier Dinge sicher sein: Sie müssen Ihre Arbeit lieben und nicht immer daran denken, wie Sie Ihr Leben genießen wollen, wenn die Arbeit fertig ist. Und das andere ist, Sie dürfen sich Ihrer Arbeit nicht schämen und nicht denken, daß es ehrenwerther für Sie wäre, etwas anderes zu treiben. Sie müssen Ihren Stolz darein setzen, Ihre Arbeit zu thun und zu lernen, sie gut zu thun, und nicht immer sagen: ›Da ist dies und da ist jenes – wenn ich dies oder jenes zu thun hätte, so wollte ich schon, etwas daraus machen.‹ Es kommt nicht darauf an, was ein Mann ist, ich würde nicht das für einen Mann geben,« – dabei schlug Caleb mit einem bittern Zug um den Mund ein Schnippchen –, »gleichviel ob er Premierminister oder Strohdecker wäre, wenn er das, was sein Beruf mit sich bringt, nicht gut thäte.«

»Ich bin überzeugt, daß ich das als Geistlicher nie würde thun können,« sagte Fred in der Meinung, damit Caleb's Argumentation zu unterstützen.

»Dann bleiben Sie davon, mein Junge,« sagte Caleb kurz; »sonst können Sie sich nie wohl fühlen, oder wenn Sie sich dennoch wohl fühlten, müßten Sie ein armseliger Tropf sein.«

»Ungefähr dasselbe sagt Mary,« erwiderte Fred erröthend: »Ich denke, Sie wissen, was ich für Mary empfinde, Herr Garth; ich hoffe, Sie sehen es nicht ungern, daß ich sie von jeher mehr als irgend ein anderes Mädchen geliebt habe und daß ich nie eine Andere so lieben werde wie sie.«

Caleb's Ausdruck wurde sichtlich milder, während Fred sprach, aber er wiegte den Kopf mit feierlicher Bedächtigkeit und sagte:

»Das macht die Sache ernsthafter, Fred, wenn Sie Mary's Glück unter Ihrer Obhut nehmen wollen.«

»Ich weiß das, Herr Garth,« sagte Fred eifrig, »und für sie würde ich Alles thun. Sie hat erklärt, sie werde mich nie nehmen, wenn ich Geistlicher werde, und ich würde der unglücklichste Mensch auf der Welt sein, wenn ich alle Hoffnung, Mary's Hand zu gewinnen, aufgeben müßte. Wenn ich nur einen andern Beruf finden könnte, ein Geschäft, irgend etwas, wozu ich tauglich bin, so wollte ich gewiß tüchtig arbeiten und machen, daß Sie mit mir zufrieden wären. Ich würde gern eine Thätigkeit haben, bei der man im Freien beschäftigt ist. Ich verstehe mich schon so ziemlich auf Land und Vieh. Sie wissen, ich habe immer geglaubt, – wenn Sie das auch vielleicht recht albern gefunden haben –, daß ich einmal eigenes Land besitzen würde. Ich bin überzeugt, Kenntnisse dieser Art würde ich mir leicht erwerben können, namentlich wenn ich irgendwie unter Ihnen stehen könnte.«

»Sachte, mein Junge,« sagte Caleb, der das Gesicht seiner Susanne zu sehen glaubte. »Haben Sie Ihrem Vater von alledem schon etwas gesagt?«

»Bis jetzt noch nichts; aber ich muß es ihm sagen. Ich warte nur, bis ich weiß, was ich Anderes anfangen kann, als Geistlicher werden. Es thut mir sehr leid, meinen Vater enttäuschen zu müssen, aber wenn man vierundzwanzig Jahr alt ist, muß man doch selbst am Besten wissen, was man zu thun hat. Wie konnte ich als fünfzehnjähriger Junge wissen, was ich in meinem jetzigen Alter zu thun haben würde. Meine Erziehung war ein Mißgriff.«

»Aber noch eines, lieber Fred,« sagte Caleb. »Sind Sie sicher, daß Mary sie liebt oder daß sie Sie je heirathen möchte?«

»Ich habe Herrn Farebrother gebeten, mit ihr zu reden, weil sie es mir verboten hatte – ich wußte es nicht anders anzufangen,« sagte Fred entschuldigend, »und er versichert mich, daß ich allen Grund zu hoffen habe, wenn ich mir eine ehrenvolle Stellung verschaffen kann – ich meine außerhalb der Kirche. Vielleicht finden Sie es ganz ungehörig von mir, Herr Garth, daß ich Sie damit behellige und Ihnen meine Wünsche in Betreff Mary's aufdränge, noch ehe ich selbst irgend etwas für mich gethan habe. Natürlich habe ich nicht den geringsten Anspruch an Sie – ich bin ja bereits in Ihrer Schuld, in einer Schuld, die ich nie werde abtragen können, auch wenn ich im Stande sein werde, den Geldbetrag zurückzuerstatten.«

»O doch, mein Junge, Sie haben einen Anspruch an mich,« sagte Caleb mit Wärme. »Die Jungen haben immer den Anspruch an die Alten, daß sie ihnen vorwärts helfen. Ich bin selbst einmal jung gewesen und habe ohne viele Hülfe fertig werden müssen; aber wie gern hätte ich, wäre es auch nur um des Gefühls der Kameradschaft willen, Hülfe gehabt. Aber ich muß mir die Sache überlegen. Kommen Sie morgen früh um neun Uhr zu mir auf mein Büreau – verstehen Sie, auf's Büreau.«

Caleb Garth wollte keinen wichtigen Schritt thun, ohne Susanne zu consultiren; wir müssen jedoch bekennen, daß er bereits, ehe er nach Hause kam, seinen Entschluß gefaßt hatte.

In Betreff einer großen Menge von Dingen, bei welchen andere Männer entschieden oder eigensinnig sind, war er der lenksamste Mann von der Welt. Es war ihm völlig einerlei, was für Fleisch er zu essen bekam, und wenn Susanne erklärt hätte, sie müßten, um zu sparen, in einem Häuschen von vier Zimmern wohnen, würde er nur gesagt haben: »Nun gut, laß' uns ein solches Haus beziehen,« ohne sich auf Einzelnheiten einzulassen. Aber hatte Caleb seine Gefühle und sein Urtheil einmal entschieden ausgesprochen, dann war er der Lenkende, und Jeder in seiner Umgebung wußte, daß er trotz aller seiner Milde und Schüchternheit im Tadeln doch bei jenen exceptionellen Gelegenheiten unbeugsam sein konnte.

Freilich handelte es sich in den seltenen Fällen, wo er unbeugsam war, immer nur um Andere. Unter hundert Punkten hatte Frau Garth bei neunundneunzig die entscheidende Stimme, aber bei dem hundertsten kam sie oft in die Lage, die eigenthümlich schwierige Aufgabe erfüllen zu müssen, das von ihr so hochgehaltene Princip der Subordination an sich selber zur Ausführung zu bringen und – sich unterzuordnen.

»Die Sache ist so gekommen, wie ich es mir gedacht habe,« sagte Caleb, als sie Abends allein saßen. Er hatte bereits das Abenteuer erzählt, welches dazu geführt hatte, daß Fred ihm bei seiner Arbeit behülflich gewesen war; hatte aber das weitere Ergebniß dieses Vorfalls noch für sich behalten. »Die Kinder lieben sich wirklich – ich meine Fred und Mary.«

Frau Garth legte ihre Arbeit in den Schooß und heftete ihre Blicke ängstlich forschend auf ihren Gatten.

»Als wir mit unserer Arbeit fertig waren, schüttete Fred mir sein ganzes Herz aus. Er kann den Gedanken nicht ertragen, Geistlicher zu werden, und Mary hat erklärt, sie würde ihn nicht nehmen, wenn er es würde, und der Junge würde gern unter meiner Leitung ›das Geschäft‹ lernen. Nun habe ich mich entschlossen, ihn zu nehmen und einen tüchtigen Menschen aus ihm zu machen.«

»Caleb!« sagte Frau Garth in resignirtem Erstaunen, das sich durch einen besonders tiefen Ton ihrer Stimme zu erkennen gab.

»Das ist eine schöne Aufgabe,« nahm Garth wieder auf, indem er sich fest an den Rücken seines Sessels lehnte und die Hände auf die Armlehnen stützte. »Ich werde Mühe mit ihm haben, aber ich denke, ich werde es durchführen. Der Bursche liebt Mary, und eine treue Liebe für ein gutes Weib ist eine große Sache, Susanne. Sie hat schon manchen rohen Gesellen gebändigt.«

»Hat Mary mit Dir über die Sache gesprochen?« fragte Frau Garth, die sich im Herzen ein wenig dadurch verletzt fühlte, daß sie selbst erst jetzt etwas davon erfahre.

»Kein Wort. Früher habe ich sie einmal wegen Fred befragt und sie ein bischen gewarnt. Aber damals versicherte sie mich, sie werde niemals einen trägen, sich selbst verhätschelnden Mann heirathen – seitdem haben wir nie wieder darüber gesprochen. Aber es scheint, daß Fred Farebrother gebeten hat, mit ihr zu reden, weil sie ihm verboten hatte, selbst mit ihr vom Heirathen zu sprechen; und Farebrother hat es herausgebracht, daß sie Fred liebt, aber erklärt, er dürfe kein Geistlicher werden. Fred's Herz hängt an Mary, das ist mir ganz klar geworden, und das giebt mir eine gute Idee von dem Jungen – den wir ja auch immer gern gehabt haben, Susanne.«

»Ich finde es schade für Mary,« sagte Frau Garth.

»Wieso schade?«

»Darum, Caleb, weil sie vielleicht einen Mann bekommen hätte, der zwanzig Fred Vincy's werth wäre«

»So?« fragte Caleb überrascht.

»Ich glaube sicher, daß Farebrother sie gern hat und die Absicht gehabt hat, ihr einen Antrag zu machen; aber natürlich ist es jetzt, wo Fred sich seiner als Abgesandten bedient hat, mit dieser bessern Aussicht vorbei.«

In der scharf präcisirten Art, wie Frau Garth diese Worte aussprach, lag etwas Bitteres. Sie fühlte sich enttäuscht, und die Sache verdroß sie; sie sagte aber nichts weiter, weil sie einsah, daß es nichts nützen würde.

Caleb, in welchem widersprechende Gefühle kämpften, schwieg einige Augenblicke. Er heftete seine Blicke auf den Boden und machte pantomimische Bewegungen mit Kopf und Händen, während er innerlich mit sich selbst argumentirte.

Endlich sagte er:

»Das würde mich sehr stolz und glücklich gemacht haben, Susanne, und es würde mich um Deinetwillen gefreut haben. Ich habe immer gefühlt, daß Deine Verhältnisse nie Deinem Werthe entsprochen haben. Aber Du hast mich genommen, obgleich ich nur ein einfacher Mann war.«

»Ich habe den besten und fähigsten Mann genommen, den ich gekannt habe,« sagte Frau Garth, überzeugt, daß sie nie einen Mann geliebt haben würde, der diesem Ideale nicht entsprochen hätte.

»Nun, vielleicht haben Andere gefunden, Du hättest einen bessern Mann nehmen können. Aber das wäre schlimm für mich gewesen. Und das ist es, was mir bei Fred zu Herzen geht. Der Junge ist von Grund aus gut und fähig genug, um ein ordentlicher Mensch zu werden, wenn man ihn auf den rechten Weg bringt. Und er liebt und ehrt meine Tochter mehr als Alles, und sie hat ihm in gewisser Weise, wenn er sich gut macht, ihr Wort gegeben. Ich sage, die Seele dieses jungen Menschen liegt in meiner Hand, und ich will für ihn thun, was in meinen Kräften steht, so wahr mir Gott helfe! Das ist meine Pflicht, Susanne.«

Frau Garth weinte nicht leicht, aber jetzt rollte ihr eine große Thräne die Wange herab, noch ehe ihr Mann geendet hatte. Die Thräne war der Ausfluß verschiedener sie bedrängender Gefühle, unter denen die Liebe voranstand, in die sich aber auch ein wenig Verdruß mischte.

Sie trocknete die Thräne rasch und sagte:

»Wenige Männer außer Dir würden es für ihre Pflicht halten, ihre Sorgen in dieser Weise zu vermehren, Caleb.«

»Was andere Männer denken, gilt mir gleich. Mich leitet eine innere Stimme, und der werde ich folgen, und ich hoffe, Susanne, Du wirst mir von Herzen beistehen, dem armen Kinde, unserer Mary, Alles so leicht wie möglich zu machen.«

In seinen Stuhl zurückgelehnt sah Caleb seine Frau mit ängstlich bittenden Blicken an. Sie stand auf, küßte ihn und sagte:

»Gott segne Dich, Caleb, unsere Kinder haben einen guten Vater.«

Aber sie ging hinaus und weinte sich aus, um sich für den Zwang, den sie sich im Reden angethan hatte, zu entschädigen. Sie war überzeugt, daß man das Verhalten ihres Mannes mißdeuten werde, und über Fred dachte sie kühl verständig und wenig hoffnungsvoll. Die Zukunft mußte lehren, was sich als einer richtigen Voraussicht entsprechend bewähren würde: ihre kühle Verständigkeit oder Caleb's warme Großmuth!

 

Als Fred am nächsten Morgen auf's Büreau kam, hatte er eine Prüfung zu bestehen, auf die er nicht gefaßt war.

»Fred,« sagte Caleb. »Sie werden allerlei Büreauarbeiten zu machen haben. Ich habe immer selbst sehr viele solche schriftliche Arbeiten gemacht, brauche aber Hülfe, und da ich wünsche, daß Sie die Voranschläge verstehen und sich die Preise einprägen, so denke ich, ich werde ohne einen andern Commis auskommen können. Sie müssen sich also dazu geschickt machen. Wie ist es mit Ihrem Schreiben und Rechnen beschaffen?«

Fred konnte sich einer unangenehmen Empfindung nicht erwehren, er hatte nicht an Büreauarbeiten gedacht, aber er war in einer entschlossenen Stimmung und wollte sich nicht abschrecken lassen.

»Vor dem Rechnen fürchte ich mich nicht, Herr Garth; damit bin ich immer gut fertig geworden. Und meine Handschrift kennen Sie, glaube ich.«

»Wir wollen einmal sehen,« sagte Caleb, indem er eine Feder zur Hand nahm, die er sorgfältig prüfte und dann wohl eingetaucht mit einem Bogen liniirten Papiers Fred reichte. »Schreiben Sie mir doch einmal ein paar Zeilen von dieser Taxation mit den Zahlen am Ende ab.«

Zu jener Zeit herrschte die Ansicht, daß es unter der Würde eines Gentleman sei, leserlich oder eine Hand zu schreiben, die für einen Schreiber auch nur im Mindesten brauchbar gewesen wäre. Fred schrieb die verlangten Zeilen so, wie sie jedem Viscount oder Bischof jener Tage zur Ehre gereicht haben würden. Die Vokale sahen einander ganz gleich und die Consonanten unterschieden sich nur dadurch, daß einige hinauf und andere hinuntergingen; die Striche waren geklext, und die Buchstaben verschmähten es, eine grade Linie einzuhalten – kurz, es war ein Manuskript von jener verehrungswürdigen Gattung, die man leicht entziffern kann, wenn man vorher weiß, was der Schreiber sagen will.

Als Caleb dem Schreiben zusah, wurde sein Gesicht immer länger, als aber Fred ihm das Blatt reichte, gab er etwas wie ein Geknurre von sich und schlug mit dem Rücken seiner Hand auf das Papier. Eine schlechte Arbeit wie diese machte bei Caleb aller Milde ein Ende.

»Zum Teufel,« rief er knurrend aus. «Wenn man denkt, daß wir hier in einem Lande leben, wo die Erziehung eines Mannes hunderte und aber hunderte von Pfunden kostet, und daß sie solche Resultate liefert!« Dann schob er seine Brille in die Höhe, sah dem unglücklichen Schreiber gerade in's Gesicht und fügte in einem pathetischeren Tone hinzu: »Gott sei uns gnädig, Fred, das kann ich nicht brauchen.«

»Was kann ich dabei thun, Herr Garth?« fragte Fred, auf dessen Stimmung nicht nur die Beurtheilung seiner Handschrift, sondern noch vielmehr die Vorstellung, daß er mit Büreauschreibern rangiren solle, sehr niederschlagend wirkte.

»Thun? Nun, Sie müssen lernen, ordentliche Buchstaben machen und grade schreiben. Was nützt das Schreiben überhaupt, wenn kein Mensch es lesen kann?« sagte Caleb in einem sehr energischen Tone und ganz von der Schlechtigkeit der Arbeit hingenommen. »Meinen Sie, daß es so wenig in der Welt zu thun giebt, daß Sie dem Lande Räthsel zu rathen aufgeben müssen? Aber so werden die Leute erzogen. Ich würde meine beste Zeit mit dem Lesen der Briefe hinbringen müssen, die ich zuweilen bekomme, wenn Susanne sie nicht für mich entzifferte. Es ist widerwärtig!«

Und bei diesen Worten schleuderte Caleb das Papier von sich.

Jeder Fremde, der in diesem Augenblick in das Büreau geblickt hätte, würde sich gefragt haben, welcher tragische Vorgang sich hier zwischen dem entrüsteten Geschäftsmanne und dem hübschen jungen Menschen abspiele, dessen Haut sich mit rothen Flecken bedeckte und der sich vor Verdruß auf die Lippen biß.

In Fred kämpften sehr widersprechende Gefühle. Die gütige und ermuthigende Art, wie Garth anfänglich mit ihm gesprochen, hatte ihn so dankbar und hoffnungsvoll gestimmt, daß der Sturz aus allen seinen Himmeln jetzt nur um so jäher war. Er hatte nicht an Büreauarbeiten gedacht, und was er eigentlich wollte, war, was sich die meisten jungen Herren erträumen, eine von allen Unannehmlichkeiten freie Beschäftigung.

Ich weiß nicht, was daraus geworden wäre, wenn er sich nicht schon vorher das Wort gegeben hätte, nach Lowick zu gehen, um Mary aufzusuchen und ihr zu sagen, daß er sich verpflichtet habe, unter ihrem Vater zu arbeiten. Er wollte sich daher nicht gern selbst eine Enttäuschung bereiten.

»Das thut mir sehr leid,« war Alles, was er herauszubringen vermochte.

Aber Herr Garth war schon wieder milder geworden.

»Wir müssen das Beste aus der Sache zu machen suchen, Fred,« fing er in seinem gewohnten ruhigen Tone wieder an. »Jeder Mensch kann schreiben lernen. Ich habe es mich selbst gelehrt. Greifen Sie die Sache mit festem Willen an und bleiben Sie die Nacht dabei aufsitzen, wenn die Tagesstunden nicht ausreichen. Wir müssen Geduld haben, mein Junge. Callum kann die Bücher noch eine Weile weiter führen, bis Sie sich hinreichend geübt haben. Aber jetzt muß ich fort,« sagte Caleb aufstehend. »Sie müssen Ihren Vater von unserem Abkommen in Kenntniß setzen. Sie sparen mir Callum's Gehalt, wissen Sie, wenn Sie ordentlich schreiben können, und ich kann Ihnen achtzig Pfund für das erste Jahr und später mehr geben.«

 

Als Fred seinen Eltern die erforderliche Mittheilung machte, war die verschiedene Wirkung, welche dieselbe auf Beide hervorbrachte, so überraschend für ihn, daß sich diese Momente seinem Gedächtnisse tief einprägten. Er ging direct von Garths Büreau nach dem Comptoir seines Vaters, in dem richtigen Gefühle, daß er seinen kindlichen Respect nicht besser an den Tag legen könne, als indem er seinem Vater die peinliche Mittheilung so feierlich und förmlich wie möglich mache. Ueberdies, sagte er sich, würde sein Entschluß nur um so sicherer als endgültig aufgefaßt werden, wenn er seinem Vater die Eröffnung in einer der Stunden mache, wo derselbe immer in der ernstesten Stimmung war, und das waren eben seine Geschäftsstunden.

Fred ging gerade auf die Sache los, erklärte seinem Vater kurz, was er gethan habe und zu thun entschlossen sei, drückte am Schlusse seiner Mittheilung sein Bedauern darüber aus, daß er ihm eine Enttäuschung bereiten müsse, und schrieb die ganze Schuld seiner Unzulänglichkeit zu. Dieses Bedauern war aufrichtig und gab Fred einfache und eindringliche Worte ein.

Herr Vincy hörte ihm in höchster Ueberraschung zu, ohne seinen Gefühlen auch nur durch einen Ausruf Ausdruck zu geben, ein Schweigen, welches bei seinem ungeduldigen Temperamente ein Zeichen ungewöhnlicher innerer Erregung war.

Das Geschäft hatte an jenem Morgen nicht günstig auf seine Laune gewirkt, und ein Zug von Bitterkeit, der schon bei Fred's Eintritt seine Lippen umspielte, prägte sich, während er seinen Sohn anhörte, immer schärfer aus. Als Fred geendigt hatte, entstand eine minutenlange Pause, während deren Herr Vincy ein Geschäftsbuch in sein Schreibpult schloß und den Schlüssel nachdrücklich umdrehte. Dann sah er Fred scharf in's Gesicht und sagte:

»Also endlich hast Du Deinen Entschluß gefaßt, mein Lieber?«

»Ja, Vater.«

»Ganz gut; bleibe dabei. Ich habe nichts weiter zu sagen. Du hast Deine Erziehung über Bord geworfen und bist gesellschaftlich eine Stufe hinabgestiegen, während ich Dir die Mittel gegeben hatte eine Stufe hinaufzusteigen, das ist Alles.«

»Es thut mir sehr leid, daß wir verschiedener Ansicht sind, Vater. Ich glaube, ich kann bei der Beschäftigung, die ich jetzt unternommen habe, eben so gut ein Gentleman sein, als wenn ich ein Pfarrgehülfe geworden wäre. Aber ich bin Dir dankbar dafür, daß Du mein Bestes gewollt hast.«

»Sehr gut. Ich habe nichts weiter zu sagen. Ich wasche meine Hände in Unschuld und will Dir nur wünschen, daß, wenn Du einmal selbst einen Sohn haben solltest, er Dir die Mühe, die Du Dir mit ihm gegeben haben wirst, besser vergelte.«

Das waren sehr harte Worte für Fred. Sein Vater bediente sich jenes unedlen Vortheils, der uns Allen zu Gebote steht, wenn wir uns in einer pathetischen Situation befinden und unsere eigene Vergangenheit in dem Lichte dieses Pathos betrachten. In Wahrheit hatten Hochmuth, Gedankenlosigkeit und egoistische Thorheit einen großen Antheil an dem gehabt, was Herr Vincy für seinen Sohn erstrebt hatte. Aber doch stand dem enttäuschten Vater ein starker Hebel zu Gebot, und Fred war zu Muthe, als ob er mit einem Fluche aus dem elterlichen Hause verbannt sei.

»Ich hoffe, Du hast nichts dagegen, daß ich im Hause bleibe, Vater?« sagte er, nachdem er aufgestanden war, um fortzugehen, »ich werde ein hinreichendes Gehalt bekommen, um für meine Kost zu bezahlen, wie ich es natürlich zu thun wünsche.«

»Hol' der Henker Deine Bezahlung für die Kost, sagte Herr Vincy, der sich in der ihm widerwärtigen Vorstellung, daß er Fred bei Tische könnte entbehren müssen, wieder fand. »Natürlich wird Deine Mutter wollen, daß Du im Hause bleibst. Aber ich werde Dir kein Pferd mehr halten, verstehst Du, und Du wirst Deinen Schneider selbst bezahlen, Du wirst Dich, denk ich, mit ein paar Anzügen weniger begnügen müssen, wenn Du sie selbst zu bezahlen hast.«

Fred zögerte noch; er hatte noch etwas zu sagen. Endlich kam er damit heraus.

»Ich hoffe, Vater, Du giebst mir die Hand und verzeihst mir den Verdruß, den ich Dir bereitet habe.«

Herr Vincy blickte von seinem Stuhl aus rasch zu Fred auf, der nahe an ihn herangetreten war, und reichte ihm dann die Hand mit den hastig hingeworfenen Worten:

»Ja, ja, laß uns nicht weiter davon reden.«

Bei seiner Mutter war Fred viel ausführlicher in seinem Bericht und seinen Erklärungen, aber sie war untröstlich, weil ihr dabei die Gewißheit entgegentrat, daß, woran ihr Gatte vielleicht gar nicht gedacht hatte, Fred jetzt Mary Garth heirathen werde und daß ihr Leben fortan durch eine beständige Berührung mit den Garths und ihrer Art und Weise werde verbittert werden und daß ihr geliebter Junge mit seinem schönen Gesichte und seiner distinguirten Erscheinung, ›wie sie keiner andern Mutter Sohn in Middlemarch habe‹, sich künftig sicherlich in Erscheinung und Kleidung so vernachlässigen werde, wie es in dieser Familie herkömmlich sei.

Ihr schien eine Verschwörung der Garths dahinter zu stecken, sich in den Besitz des so äußerst wünschenswerthen Fred zu setzen; aber sie wagte es nicht, diese Ansicht näher zu begründen, weil Fred, als sie nur leise auf so etwas hingedeutet hatte, sie in einer Weise, angefahren hatte, wie noch nie zuvor. Sie war von zu sanftem Temperamente, als daß sie sich erzürnt hätte zeigen sollen; aber sie fühlte, daß ihr Glück einen argen Stoß erhalten habe, und mehrere Tage lang konnte sie bei dem bloßen Anblick Fred's ihre Thränen nicht zurückdrängen, als ob sie beständig zu fürchten gehabt hätte, daß sich eine schreckliche Prophezeihung an ihm erfüllen werde.

Vielleicht wurde es ihr nur um so schwerer, ihre gewohnte Heiterkeit wieder zu finden, weil Fred sie ermahnt hatte, mit seinem Vater, der seinen Entschluß acceptirt und ihm vergeben habe, nicht mehr über die leidige Angelegenheit zu reden. Bei einer solchen Erörterung würde sie sich, wenn ihr Gatte sich hart über Fred geäußert hätte, zu einer Vertheidigung ihres Lieblings gedrängt gesehen haben.

Erst am Abend des vierten Tages sagte Herr Vincy zu ihr:

»Komm, liebe Lucy, sei nicht so traurig. Du hast den Jungen immer verzogen, und Du mußt ihn auch ferner verziehen.«

»Nie hat mir etwas einen solchen Stich in's Herz gegeben,« sagte Frau Vincy, deren schöner Hals und Kinn schon wieder zu zittern anfingen, »nur seine Krankheit.«

»Pah, pah! Wir müssen darauf gefaßt sein, daß uns die Kinder Sorgen machen. Mache die Sache nicht noch schlimmer dadurch, daß du Dich einer trüben Stimmung hingiebst.«

»Nein, das will ich auch nicht,« sagte Frau Vincy, die sich bei dieser Mahnung ihres Mannes aufraffte und sich mit einem kleinen Ruck in Positur setzte wie ein Vogel, der sein rauh gewordenes Gefieder wieder glättet.

»Wir werden doch jetzt nicht anfangen wollen, Aufhebens von unsern Angelegenheiten zu machen,« sagte Herr Vincy, der gern ein bischen brummte, doch aber in seinem Hause eine heitere Stimmung nicht gern entbehren mochte. »Rosamunde hat uns ebenso gut zu schaffen gemacht wie Fred.«

»Ja, das arme Kind. Es ist mir wahrhaftig sehr nahe gegangen, daß es mit dem Baby nichts gewesen ist; aber sie hat es brav überwunden.«

»Bah, bah! Ich sehe deutlich, daß Lydgate sich seine Praxis verdirbt, und nach dem, was ich höre, macht er auch Schulden. Ich bin ganz darauf gefaßt, daß Rosamunde einen dieser Tage mit einer schönen Geschichte bei mir ankommt. Aber Geld bekommen sie nicht von mir, das weiß ich. Laß seine eigne Familie ihm helfen. Mir war diese Partie nie recht. Aber was nützt es, davon zu reden? Klingle und laß Citronen bringen, und sieh nicht mehr traurig aus, Lucy. Ich will Dich und Louise morgen nach Riverstone fahren.«



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