Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

16. Kapitel.

Gleich nach dem gemeinschaftlichen Mittagessen hatte man sich im Viktoria-Klub zum Ecarté hingesetzt. Wie gewöhnlich in den letzten Wochen übernahm Baron Ralsky die Chouette, saß mit unerschütterlicher Ruhe auf seinem Platz an der Wand, mischte mit nachlässiger Gleichgültigkeit die Karten, gewann oder verlor, ohne irgendeine Erregung zu verraten.

Immer mehr Spieler traten an den Tisch. Die Einsätze verdoppelten sich, da augenscheinlich die Chancen für die Pointeure »liefen«. Denn der Baron verlor bereits die dritte Partie.

»Gott sei Dank,« sagte der kleine Rechtsanwalt Müller und meckerte wie ein Ziegenbock dabei, »heute haben wir ihn. Endlich kriegt der Baron auch mal 'ne Einspritzung!«

Ralsky verlor die vierte Partie.

Aber er forderte mit Ruhe; nachdem er bezahlt hatte, zum weiteren Spiel auf.

»Ich bitte die Herren, Ihre Sätze zu machen – – – Es geht nichts mehr – – Ab dafür!«

Nichts in seiner Stimme verriet, daß ihn sein Pech irritierte.

Werner trat in das Spielzimmer. Der Baron sah flüchtig von den Karten auf, als er Werners Stimme vernahm, der ziemlich laut einige Herren begrüßte, so daß der Gegenspieler sich unwillig umdrehte.

»Herr Assessor Kunzmann, ich bitte um Ruhe!« bat der Spielleiter höflich.

Werner stellte sich hinter den Stuhl des Spielers und verfolgte die Karten.

Der Baron verlor auch diese fünfte Partie.

Jetzt hatten die Pointeure Mut und »klotzten an«, wie es im Klubjargon heißt. Sie verdoppelten die Einsätze und der Baron zählte eine hohe Summe, als er zur nächsten Partie absagte. Man vermutete den Unglückstag des Barons und wollte die Gelegenheit ausnützen, ihm von dem früher gewonnenen Geld etwas abzunehmen.

Aber diese hohe Partie gewann der Baron. Schnell und sicher gewann er sie.

Der Klubdirektor trat mit einem Gast zu der Spielergruppe. Er stellte den graubärtigen Herrn vor:

»Herr Professor Löbel aus Leipzig!«

Der Baron Ralsky grüßte ihn.

Professor Löbel murmelte:

»Ich hatte schon gestern Abend den Vorzug – – in der Pension Mensdorf!«

Der Baron mischte die Karten.

Eine neue Partie begann.

Der kleine Rechtsanwalt Müller, der soeben einen Tausender verloren hatte, flüsterte seinem Nachbarn, dem Doktor Helfgott, einem in den Sielen des Spiels graugewordenen Kenner des grünen Tuches, ins Ohr, daß es doch geradezu fabelhaft wäre, mit welchen Karten der Baron jetzt die Punkte gewänne.

»Vorhin hatte er viel bessere und verlor – –«

»Vielleicht hat das seine Bedeutung, lieber Rechtsanwalt,« sagte Doktor Helfgott und kniff das eine Auge zu. Dann neigte er sich zu dem viel kleineren Rechtsanwalt nieder und fuhr ganz leise fort:

»Ich beobachte das nun schon seit einigen Tagen – warten Sie ab, vielleicht gelingt es mir heute noch, hinter den Schwindel zu kommen.«

Rechtsanwalt Müller machte ein erstauntes Gesicht.

Doktor Helfgott zog ihn mit sich in das Nebenzimmer.

Dort erklärte er ihm:

»Einer unter den Spielern macht dem Baron Zeichen, verrät ihm unsere Karten, deutet ihm an, ob wir Atouts oder wieviel wir davon haben. Er zeigt ihm an, welche Farbe er halten soll. Also einer ist sozusagen seine Funkenstation – –«

»Das ist ja ausgesprochener Betrug, Doktor!«

Der kleine Rechtsanwalt war außer sich.

»Und bei uns im Viktoria-Klub, im ersten Klub Berlins!«

Doktor Helfgott fuhr fort:

»Ich habe einen ganz bestimmten Verdacht – –«

Der Rechtsanwalt wollte genaueres wissen.

Doktor Helfgott zögerte.

»Ich möchte mich noch nicht darüber auslassen. Aber passen Sie mal auf den Herrn auf, der hinter dem Stuhl des Spielers steht – Es sind ganz bestimmte Zeichen, die von da aus dem Gegenüber gemacht werden: links die Hand auflegen bedeutet »Coeur«, rechts »Pique«, vorn die Hand auf der Krawatte »Treff« und so weiter. Dann einen Finger an die Nase gelegt heißt ein Atout, der »König« wird durch Anfassen des Kragens signalisiert – – – Das habe ich nun schon alles herausbekommen. Ich warte nur auf den Augenblick, wo das Spiel des Barons derart eklatant wird, daß ich eingreifen kann.«

Der kleine Rechtsanwalt blickte den viel größeren Doktor bewundernd an.

»Haben Sie im Anfang bemerkt, wie der Baron verlor? Sein Partner hatte sich heute verspätet – –«

»Sein Partner? ... Doch nicht Assessor Kunzmann?«

Doktor Helfgott nickte.

»Kommen Sie, Rechtsanwalt, wir wollen der Sache heute noch ein Ende machen – es geht nicht, daß wir sowas in unserem Klub dulden –«

»Das ist ein unerhörter Skandal,« sagte der Rechtsanwalt, »man muß es dem Vorstand melden!«

Die beiden Herren begaben sich wieder in das Spielzimmer und stellten sich neben Werner auf. Von Zeit zu Zeit stieß Doktor Helfgott den Rechtsanwalt unauffällig an. Es war augenscheinlich, daß es hier nicht mit rechten Dingen zuging. Der Baron hatte einen Haufen Banknoten neben sich liegen und spielte mit großem Glück.

Der Detektiv Kimbell, der, wieder unter der Maske des Professor Löbel, sich Eintritt in den Klub verschafft hatte, sprach leise mit dem Spielleiter.

»Ich werde warten, bis Ralsky das Spiel beendet hat und ihn erst draußen, wenn er in den Wagen steigen will, verhaften.«

Der Spielleiter sagte, daß der Herr Detektiv sie alle zu großem Dank verpflichte, »wenn er in den Räumen des Klubs jedes Aufsehen vermeide.

Deshalb wartete Kimbell und schaute dem Spiel zu, als wenn er, ein unbeteiligter Gast, daran nicht interessiert wäre.

Doktor Helfgott stand jetzt dicht neben Werner und beobachtete ihn scharf. Helfgott war ein schlanker, hochgewachsener Mann in der Mitte der Vierzig, mit prägnanten Zügen im Lebemannsgesicht, aus seinen etwas hervorquellenden Augen blickte höchste Intelligenz.

Baron Ralsky ließ die Karten abheben.

Doktor Helfgott sagte, als der Baron das abgehobene Häufchen unter das andere schieben wollte:

»Pardon – den linken Packen auf den rechten, Baron – nicht umgekehrt!«

Der Baron machte eine entschuldigende Bemerkung und tat so, wie Helfgott wünschte.

»Unten lag der König« flüsterte Helfgott dem Rechtsanwalt zu, »ich habe es beim Abheben gesehen – den König hätte er von unten herausgezogen – – – das ist ein alter Falschspielertrick!«

Das Spiel begann.

Der Baron schien sichtlich zerstreut. Machte einen Fehler und verlor zwei Punkte.

»Ah – der Generalkonsul beehrt uns auch einmal wieder!« hörte man durch die offene Tür die Stimme des ersten Vorsitzenden, des Kommerzienrats Guterberg.

Einige der Spieler drehten sich um und sahen den Generalkonsul Kunzmann, geleitet von Guterberg, ins Zimmer hineintreten.

Auch Werner hatte sich flüchtig nach seinem Onkel umgesehen.

Der Baron Ralsky hielt einen Augenblick im Spiel inne und blickte zu dem Gegenspieler hinüber, der ihm angeboten hatte, neue Karten zu kaufen.

Nach kurzem Ueberlegen verweigerte der Baron neue Karten und bat, auszuspielen.

Doktor Helfgott war bereit.

Dieses Spiel mußte entscheiden.

Der Baron machte nur zwei Stiche und die Pointeure glaubten schon, ihn gefaßt zu haben.

Doktor Helfgott legte plötzlich seinen langen Arm über den Tisch und faßte mit der Hand in die Karten des Barons.

»Halt!« schrie er.

Der Baron sprang auf.

Im nächsten Augenblick hielt Doktor Helfgott Werner vorn am Rock fest.

»Sie, mein Verehrtester, sind auch gemeint!«

Ein Tumult entstand.

Der Spielleiter wollte vermittelnd dazwischen treten.

Doktor Helfgott sagte mit eiserner Ruhe:

»Hier wird falsch gespielt – – – Herr Assessor Kunzmann hat soeben dem Herrn Baron Ralsky signalisiert, daß wir als fünfte Karte ein kleines Treff haben – Voila!«

Er zeigte das auf den Tisch geworfene Blatt des Barons.

»Hier liegt die Treff Zehn. Kein Mensch kann das Blatt spielen, wenn er nicht genau dasjenige seines Gegners weiß – –«

Alle schrien durcheinander.

Der kleine Rechtsanwalt Müller meckerte im höchsten Diskant:

»Wir haben es schon seit einigen Tagen verfolgt!– – Es ist ein Skandal!«

Der Baron hatte schnell die Banknoten. zusammengerafft und suchte sich einen Weg durch die dichte Gruppe der aufgeregten Spieler zu bahnen. Man machte ihm mit scheuem Widerwillen Platz. Man betrachtete ihn wie einen Aussätzigen, dessen Berührung man vermeiden wollte.

Der Generalkonsul, der mit dem Vorstand des Klubs im Türrahmen des Nebensaales stand, horchte auf. Hatte man nicht den Namen seines Neffen genannt? ...

Er trat näher, wollte erfahren, um was es sich handelte.

Kommerzienrat Guterberg ließ sich berichten.

Doktor Helfgott setzte die Affäre auseinander. Der Generalkonsul hörte zu.

»Was? ... Mein Neffe ein Betrüger? ...«

Er schrie. In diesem Augenblick verließ ihn seine anerzogene Haltung, jede Hemmung versagte.

»Wo ist er?«

Werner war nicht mehr im Spielzimmer.

Man wollte den Generalkonsul die Sympathien zeigen, die man für ihn im Klub hegte. Einer der Herren sagte:

»Schicken Sie ihn ins Ausland – Solche Entgleisung verjährt mit der Zeit!«

Ein Schuß ertönte.

Alle schreckten auf.

Man lief die Freitreppe hinunter.

Ein Page stand schreckensbleich mit aufgerissenem Mund neben dem auf den Teppich hingestreckten Körper Werners, der in der einen Hand noch den Griff des Revolvers krampfhaft umklammerte.

Sanitätsrat Rosenblatt öffnete die Weste Werners, neigte sich über ihn und horchte. Als er sich wieder aufgerichtet, murmelte er:

»Nichts mehr – – – er hat gut getroffen.«

Er zeigte auf ein kleines schwarzes Loch an der Schläfe, aus dem ein paar winzige Blutstropfen sickerten.

Der Generalkonsul blickte stumm vor Schmerz auf die Leiche seines Neffen.


 << zurück weiter >>