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3. Kapitel.

Die öffentliche Verlobung wurde durch ein großes Fest gefeiert. Der Generalkonsul setzte ein Stück Familienstolz darin, seinen einzigen Erben vor der Welt mit Glanz zu umgeben.

Vor der Grunewaldvilla hielten elegante Autos und Equipagen, denen die Vertreter der Hochfinanz, hohe Beamte aus den Ministerien, prominente Erscheinungen der bildenden Kunst und Musik entstiegen, begleitet von ihren in kostbaren Abendmänteln gehüllten Frauen und Töchtern. Der Gesellschaftskreis, in dem der Generalkonsul verkehrte, war ausgesucht und exklusiv. Die Gäste gaben daher der Verbindung, die die beiden Familien Kunzmann und Leitner eingingen, eine ganz besonders Folie.

Liddi hatte die bizarre Idee gehabt, die Konvention der großen Welt zu durchbrechen. Mitten unter den ordenbesäten Exzellenzen, den dickbauchigen Finanziers, den kahlköpfigen und hartgeschnittenen Geheimräten, neben den üppig hervorquellenden Busen der geschminkten Damen vom Geldsack, neben den dürren Kleidergestellen der verblühten Frauen von Soundso, neben den in billigen Mullkleidern steckenden Naiven, die die Zukunft der preußischen Hierarchie noch in ihrem unberührten Schoße trugen, zeigten sich die gutgeschnittenen Fracks einiger Herren, deren wohlrasierte Gesichter unschwer auf Bühne vermuten ließen. Aber in allem diesen gesellschaftlichen Hochglanz leuchtete ein schwarzes Augenpaar, das jeden, den es in seinen Sehwinkel zwang, unbewußt zu sich zog.

Liddi hatte darauf bestanden, ihre neueste Freundin, die Filmdiva, zu ihrer Verlobungsfeier einzuladen. Nach langem Sträuben hatte sie den Schwiegerpapaonkel, wie sie den Generalkonsul nannte, überwunden und überzeugt.

In den letzten beiden Wochen war Liddi Stammgast im Tempelhofer Atelier gewesen. Fast zu jeder Aufnahme fuhr sie heraus. Sie studierte die Technik des Filmens und hatte an Mia, die sie unterwies, die ihr die kleinen Tricks des Schminkens, die Art der langsamen Geste zeigte, eine vorzügliche Lehrerin. Sie befreundete sich mit dem ganzen Betrieb. Sie guckte neugierig durch den Sucher am Apparat, den ihr der Operateur galant vor die kleine Stupsnase zog. Sie traktierte den Bühnenmeister und die Arbeiter mit Bier und Trinkgeldern, sie ließ sich vom Geschäftsleiter den Hof machen und der Regisseur, ein sehr von sich eingenommener Herr, dessen Stentorstimme für gewöhnlich die Glasfenster erzittern machte, zwang sich in ihrer Gegenwart zu einer bei ihm ungewohnten Höflichkeit den Schauspielern gegenüber sowohl wie der Statisterie.

Liddi machte sogar selbst den Versuch, in einer kleinen Nebenrolle über die Szene zu gehen und sie war stolz über das Lob, das man ihr erteilte, als die Probekopie im Vorführungsraum gezeigt wurde. Ja, wenn sie nicht Liddi Leitner, die Tochter der berühmten Leitnerwerke wäre und wenn sie nicht kurz vor der Ehe stände ...! Sie beneidete das lustige Völkchen, das sie kennen gelernt, um ihre Lebensauffassung, um den Weg der Freiheit und der Selbstbestimmung. Um den Ruhm des Tages beneidete Liddi die kleine Mia, von der die ganze Welt sprach, während man von ihr, dem Kommerzienratstöchterchen, nicht sprechen durfte. Je weniger man von einer Dame der Gesellschaft spricht, desto mehr achtet man sie: umgekehrte Weltanschauung.

Mia Santa hatte in der Rolle der Odaliske, die sie in dem Film, dessen Aufnahmen Liddi beiwohnte, spielte, einen exotischen Tanz zu vollführen. Liddi stand neben dem Regisseur auf der Estrade, schaute gespannt zu, wie sich die Massen durch das täuschend der Wirklichkeit nachgemachte arabische Dorf verteilten, hielt sich die Ohren zu, wenn der Regisseur in das Megaphon mit Donnerstimme die Befehle schrie. Dann kam Mia, verschleiert. Auf dem Marktplatz tanzte sie. Sie wickelte sich aus dem Burnus, stand mit entblößtem Oberkörper, den weißen Seidenschleier bis unter die Augen gezogen. Nur diese Augen waren im Gesicht unverhüllt. Wie stechende Flammen loderten sie, als sie sich nach den weichen Molltönen einer eintönigen Litanei im Bauchtanz drehte. Wie hypnotisiert starrte die Menge auf sie. Auch Liddi oben aus der Estrade wurde mitgerissen von diesen wundervollen, schlangenhaft mollusken Bewegungen, in denen die Tänzerin alle Lust und alles Leid der Liebe ausdrückte.

Diesen Tanz sollte Mia zu Liddis Ehren in der Villa des Generalkonsuls aufführen.

Werner hatte seine Braut nur einmal nach Tempelhof begleitet. Er empfand kein Interesse für Dinge, die abseits des Realen lagen. Kunst galt ihm als Selbstzweck, nicht als Gefühlssache. Er ging ins Theater, um sich zu amüsieren, natürlich besuchte er nur leichtere Schaustücke, Lustspiele und Operetten. Kino kannte er überhaupt nicht. Kintop war für ihn »misera plebs«. Bildende Kunst? Na ja, die gemalten nackten »Meechens« ließ er sich noch gefallen, aber das andere Zeug: die Bilder mit'n Ismus am Ende ... Danke schön. Eine goldene oder silberne Zigarettendose mit einer niedlichen Miniatur darauf, pikant, so daß man sich in Damengesellschaft damit interessant machen konnte – – soweit ging sein Kunstbedürfnis.

Bei diesem einen Besuch im Filmatelier war es ja ganz amüsant gewesen. Ein paar niedliche Dinger entdeckte er unter den Statistinnen. Aber er erinnerte sich an seine Pflicht, ein anderer Mensch zu werden und dachte an Liddis Mitgift. Aber als er Mia Santa gegenüber stand, empfand er wieder das Gefühl der Ohnmacht vor diesen seltsamen Augen und es war ihm, als ob Gift aus diesen Augen in seinen Körper träufelte, das schleichend seine Kräfte ermatten ließ.

Er wollte dieser Frau aus dem Wege gehen. Er fürchtete sie. Keine Frau war ihm bisher gefährlich geworden. Er hatte bei seinem Leben zwischen Klub, Rennbahn und Sportplatz keine Zeit für überflüssiges Weiberhhandicap, wie er im Jockeyjargon die Liäsons seiner Freunde nannte.

Vor dieser Mia Santa flüchtete er.

In ein paar Monaten war er verheiratet und wohlbestallter Mitbesitzer der Leitnerwerke in Düsseldorf. Also weit vom Schuß, Gott sei Dank. Und wenn ihn dann seine junge Frau in einen Kintop schleppen würde, könnte ihm dieses Fräulein Santa nur noch in effigie gefährlich werden ...

Er prallte ordentlich zurück und seine Augen flimmerten, als wenn er plötzlich in die grelle Sonnenscheibe geblickt hätte. Vor ihm mitten im Gewühl der Gesellschaft stand Mia Santa, begrüßte ihn sanft lächelnd und reichte ihm die unbehandschuhte kleine Hand mit den wundervoll gepflegten langen Fingern einer Monna Lisa.

Liddi hatte ihn überraschen wollen. Auch die paar Schauspieler waren auf ihre Veranlassung geladen und sie hatte zum Nachtisch ein ganzes Programm aufgestellt. Ihr Ehrgeiz war, in diesem Hause, wo die Hausfrau fehlte, diese zu ersetzen und dem Diner die nötige Würze durch eine kleine Sensation zu geben. Onkel Kunzmann hatte zwar schwere Zweifel über die gesellschaftliche Zulassungsmöglichkeit dieser Dame vom Film und ihrer Begleiter gehabt, aber Liddi schmeichelte ihm die Erlaubnis ab. Auch verstand sie es mit ausgesuchtem Takt, ihre Freundin, die Künstlerin, in den Kreis der etwas zugeknöpft sich gebenden Herren und Damen einzuführen und Mia ihrerseits machte durch ihr bescheidenes Auftreten ihrer Protektorin unbedingt Ehre.

»Ein wenig extravagant – diese ... äh ... Person!« sagten die Damen Exzellenz, rümpften unmerklich die Nasen und lorgnettierten hinter Mia her.

»Blendend, Mama! Und wenn man bedenkt, wie sie doch berühmt ist!« meckerte das Fräulein Gertrude von Lichtenfels und ein Schauer schüttelte die flache Stelle, wo andere junge Damen im Taillenansatz Reize vermuten ließen.

»Natürlich nach der allerneuesten Mode – das Kleid ist bestimmt von Glaser und Götz!« röchelte die dicke Frau Bankdirektor und nahm sich vor, gleich morgen bei dieser Firma anzurufen.

»Ein schönes Frauenzimmer, Donnerwetter!« brummelten die alten Exzellenzen, zogen die Schnurrbärte auf und stellten sich stramm in Positur.

»Ueberraschend pikant, Häh, Häh! ... Sagen Sie, Doktor, ist da was zu machen?« piepste lächelnd der junge Fürstenburg, der Sohn seines Vaters, des Börsenmatadors, mit vielsagendem Blick zu seinem Nachbar, dem Literaten.

»Na, Sie müssen doch die ... Dame kennen, Doktor!« wisperte der junge Mann, »sind doch aus derselben Branche: Kunstmenschen!«

Dann lachte er ...

Man schätzte die Erscheinung der Filmdiva unterschiedlich ein. Man nahm sie im allgemeinen als eine Tischdekoration. Man war an außergewöhnliche Dinge auf den Soirees der Berliner Gesellschaft gewöhnt. Man bekam überall irgendeine Sensation vorgesetzt, von der man solange sprach, bis am nächsten Abend oder einige Abende später diese Sensation von einer neuen abgelöst wurde.

Der Generalkonsul behandelte seinen Außenseitergast (so drückte er sich entschuldigend zu seinem Freund Leitner aus) mit großer Liebenswürdigkeit. Mia erhielt einen kleinen Leutnant als Tischnachbarn und verschwand am Ende der langen Hufeisentafel unter dem jungen Volk.

Im großen Salon hatte Liddi während des Speisens ein Podium aufstellen lassen, über das ein orientalisches buntes Zelt gespannt war.

Vor dem Eis entschuldigte sich Mia bei ihrem Tischherrn und verließ den Speisesaal.

Im Salon nahm man den Kaffee.

Plötzlich ertönten Gongschläge. Die dumpfen Töne erschreckten die vom Weingenuß erhitzten Gemüter.

»Nu kommt die Ueberraschungskiste!« sagte Exzellenz Nauendamm zu seinem Nachbar, dem Ministerialrat von Miller.

»Und das Elektrische geht auch noch aus! Zum Teufel, ich muß doch erst meinen Benediktiner auslutschen ...« fuhr er fort, als es plötzlich dunkel wurde und ein rotleuchtender Scheinwerfer das Zelt beleuchtete.

Auf diesen Effekt hatte sich Liddi gefreut. Es sollte so werden wie im Film: Rot viragiert. Mystisch.

Eine abgerissene Musik ertönte, in Mollakkorden klagend und jauchzend. Das Präludium.

Langsam öffnete sich das Zelt: eine Frauengestalt in weißem Burnus tritt hoheitsvoll heraus, öffnet den Burnus, läßt ihn zur Erde gleiten. Nun steht sie mit weit von sich gestreckten Armen da, mit den Händen den dünnen Seidenschleier haltend, der, sie einhüllend, nur ihre Augen frei läßt.

»Kintop! ... richtig gehender Kintop« murmelte Exzellenz Nauendamm.

Aber irgend jemand sagt leise:

»Bitte um Ruhe!«

Aha, denkt die Exzellenz, ein Enthusiast – – –

Mia Santa oben auf dem Podium kreuzt die Arme über der Brust, dann neigt sie den Oberkörper fast bis zum Boden. Jetzt erhebt sie sich wieder und wickelt sich in langsamen Windungen aus dem Schleier heraus, immer im Takt der Musik mit den Füßen auf und nieder wippend.

Da steht sie plötzlich mit nacktem Oberkörper da. Auf den Brüsten blinken goldene Schilde, mit Steinen verziert, die im Lichte des Scheinwerfers funkeln und glitzern.

Mia Santa beginnt den Bauchtanz ...

»Donnerwetter!« flüstert die Exzellenz und richtet sich stramm auf, klemmt das Einglas schärfer ins Auge.

Der kleine Fürstenburg hat sich ganz nach vorn vorgeschoben. So eine Delikatesse müßte man in der Nähe genießen, sagte er zum Doktor Meyer, dem Schriftsteller.

Eine atemlose Beklemmung umklammerte die vornehme Gesellschaft. Die Damen wußten nicht, wie sie sich nachher äußern sollten oder ob für diese immerhin ziemlich unanständige Ausstellung weiblicher Reize die Schlagwörter »modern und kulturell« ausreichen dürften.

Die Herren schnalzten – natürlich innerlich – mit der Zunge und die Begierde nach dem Besitz rollte ihnen aus den weitaufgesperrten Augenhöhlen.

Oben auf dem Podium tanzte Mia Santa den Tanz der Leidenschaften, der lockenden Liebe, der schmerzvollen Wollust.


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