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2. Kapitel.

Man war in ausgezeichneter Stimmung. Das Diner, vom Direktor des Hotel Adlon für Generalkonsul Kunzmann, den altgewohnten Gast, besonders zusammengestellt, hatte die Erwartungen übertroffen. Aber der Generalkonsul wollte diesem Abend, an dem sein Neffe und Erbe seinen Lieblingswunsch erfüllte, ein persönliches Gepräge geben. Seine Note war das Epikuräertum. Gut Essen und Trinken, ein Lebensideal neben der schweren und verantwortungsvollen Arbeit, die ihn zu großem Vermögen und Ansehen gebracht hatte.

Man trank einen vorzüglichen Grand Marnier – zur Verdauung von dem »ganzen Zeug«, wie der Generalkonsul sagte und Fräulein Liddi Leitner lachte wie ein Wasserfall, der in glucksenden Kaskaden von der Höhe kullerte.

»Wie ein Wasserfall – – ja« meinte Werner »oder wie eine verliebte Nachtigall im Busch ... gerade so klingt Dein Lachen, Liddi.«

»Gott, wie poetisch!« hänselte ihn Liddi. »Das hast Du doch jetzt nicht mehr nötig, wo wir nun ehrsam Braut und Bräutigam sind, Werner! Das hätte Dir beim Flirten einfallen müssen, damals, als Du noch keine sogenannten reellen Absichten hattest ...«

Mit ihrem breiten melodisch ausklingenden rheinischen Akzent schien sie eine Atmosphäre von sorgloser Fröhlichkeit um sich herum zu zaubern. Ein gewandtes Menschenkind, gerecht in allen Sätteln gesellschaftlicher Kunst, nicht auf den Kopf gefallen, gescheit und schlagfertig. Sie liebte Werner mit der Leidenschaft, die junge Mädchen aus guter Familie für den ersten, der aus dem Instrument ihrer Seele leise Akkorde anzuschlagen versteht, eben lieben. Sie glauben, daß dieser erste der letzte sein würde, und daß damit das männliche Ideal erschöpft bliebe.

Liddi blickte aus munteren graublauen Augen in die Welt wohlgesitteter Kulturmöglichkeiten, sie war, unter normalen Ansprüchen, ein schönes Mädchen mit schlanken Hüften, etwas zur Fülle neigender Büste und prachtvollem, goldblondem Haar.

Die beiden alten Herren am Tisch machten abwechselnd der jungen Dame den Hof. So daß selbst Werner, der frischgebackene Bräutigam, einen schweren Stand hatte, seiner Galanterie den richtigen Ausdruck zu verleihen. Es war beinahe komisch, wie der Papa Kommerzienrat seine Tochter, die einzige Gefährtin nach dem Tode seiner Frau, nicht wie ein Kind, sondern wie eine verehrungswürdige junge Dame behandelte, der man jeden Wunsch und jede Laune von den Augen abzulesen sich beeilt. Dabei behandelte Liddi den armen Papa mit souveränem Uebermut, den der gute Kommerzienrat, in seinem Großbetrieb ein strenger Lenker von vielen tausend Arbeiterschicksalen, mit Geduld ertrug. Der Generalkonsul aber war ganz aus dem Häuschen. Er hatte Liddi mit kostbaren Geschenken überschüttet und die beiden Tage, seitdem sie mit ihrem Vater in Berlin weilten, zu wahren Stunden des Glückes gemacht.

Werner, nachdem er einmal die Notwendigkeit eingesehen, hatte sich von Liddis Lebensfreude, von ihrer zügellosen Lust nach der Schönheit, von ihrem Hunger nach Sensation und Abwechselung mitreißen lassen. Wie in einem Mahlstrom wurde er willenlos umhergeschleudert durch Liddis sprudelndes Temperament. Manchmal glaubte er sogar, daß er sie liebte. Jedenfalls war sie ihm nicht unsympathisch und das versüßte ihm immerhin die bittere Pille, die ihm die Aufgabe seiner Freiheit bedeutete.

»... es bleibt ein angebrochener Nachmittag ...« sagte der Generalkonsul, »man müßte noch irgendetwas unternehmen?«

Zum Theater war es zu spät. Also wollte man eine Bar aufsuchen.

»Ach ja, Musik und Tanz!«

Liddi warf die Zigarette auf den Teller und klatschte in die Hände, wie ein kleines Kind, das mit diesem Händeklatschen seine Freude ausdrücken will.

»Das habe ich mir schon längst einmal gewünscht, so ganz nahe diese Nachtbummelei mitanzusehen – – so ganz nahe dem Sündenfall!«

Sie zeigte ein Spitzbubengesicht, als wenn sie sich über die drei Herren lustig machen wollte.

»Eigentlich müßtest Du damit warten, bis Du verheiratest bist« warnte der Generalkonsul.

»Wie altmodisch, Onkel Kunzmann!«

Liddi zuckte mitleidig mit ihren schönen Schultern, die perlmuttersilbern unter dem elektrischen Licht schillerten.

Sie erhob sich und den Herren blieb nichts anderes übrig, als ihrer Tyrannin zu folgen.

Das Auto brachte sie hinaus auf den Kurfürstendamm. In der Diele der Kabarettbar drängten sich die Menschen Tisch an Tisch. Der Sekt perlte in den Gläsern und die dickbäuchigen Flaschen guckten wie schelmische Kobolde mit ihren roten, goldenen und silbernen Köpfen aus den Kübeln. In den Korbsesseln saßen elegante Herren im Abendanzug, junge und verlebte alte Frauen in kunstvollen Haarfrisuren, in faltenreichen seidenen Kleidern, die den Oberkörper fast nackt dem Beschauer darboten, lehnten sich in weichen Kissen zurück, blickten mit kalten, weltgewöhnten Augen um sich oder ließen diese Augen, hinter denen sie das Intrigenspiel ihrer Seele verbargen, für kurze Augenblicke diese Seele verraten, wenn sie wie Schlangen das Opfer einer neuen Begierde erspähten.

Ein Musikorchester schien einen betäubenden Lärm hervorzubringen. Es schien so dem Neuankommenden. Auch Liddi mit ihren Herren dröhnte die Musik in die Ohren, als sie in den Raum traten. Das Cymbal klimperte im höchsten Falsett und der Primgeiger wimmerte wie eine Katze, der man die Liebesgefühle durch unvorsichtiges Betreten ihres Schwanzes vergällt.

In der Mitte der Diele war ein Viereck freigelassen, in dem man tanzte. Die Paare drehten sich in fürchterlicher Enge, aber man sah, wie die Mehrzahl der Tänzer und Tänzerinnen mit großer Sicherheit und verblüffender Eleganz die Schwierigkeit des Terrains überwand. Im Gegenteil: der Tanz hier in dieser kleinen Bar schien als höhere Kunstleistung gewertet zu werden.

Alles das sah Liddi und faßte es sofort auf. Der jungen Dame aus der Provinz erschien diese ganze Umgebung als ein seltsames Schauspiel. Neugierig gespannt, dabei von einem leichten Schauer der Frivolität geschüttelt, wurde sie wie von einem etwas zu strengen Parfüm benommen ...

Sie setzten sich an einen Tisch, an dem bereits mehrere Personen Platz genommen. Der Geschäftsführer, der Werner kannte, bat sie vorläufig vorlieb zu nehmen – – bei der Fülle.

Als der Boston zu Ende war und die Musik pausierte, trat eine Dame an den Tisch und nahm im Sessel neben Liddi Platz. Ihr Kavalier verabschiedete sich mit einer oberflächlich korrekten Verbeugung.

Die Dame gehörte zu der Gesellschaft am Tisch.

Liddi horchte auf die Unterhaltung nebenan, hörte die Komplimente, die man der pikanten Erscheinung machte. Die Herren bewunderten ihre unerhört graziöse Art, den neuesten Modetanz zum Ausdruck zu bringen und man trank auf die neueste Filmschöpfung der Diva.

Liddi war in berechtigter Erregung. Sie achtete nicht mehr aus die Neckereien von Onkel Kunzmann und Werner mußte mehrere Mal das Wort an sie richten, bevor sie antwortete. Der Nimbus der Kunst wehte an ihrem Tisch und das Gefühl, neben einer unbekannten Größe von Weltruf zu sitzen, brachte die junge Dame aus der Provinz aus dem Gleichgewicht. Sie mußte wissen, wer ihre Nachbarin war.

Aber die kleine pikante Person wiegte sich schon wieder am Arm eines jungen Monokelhelden nach den Klängen einer jubelndfrechen Melodie, bald hüpfte sie mit ihrem Partner, daß es aussah, als wenn zwei junge übermütige Teddys einen Hopser machten, bald schleiften sie in sprunghaften Bewegungen über das Parkett. Die Schwierigkeit des Tanzes hatte die anderen Gäste verhindert, in die Arena zu treten, so daß das Paar allein sich produzieren konnte.

Liddi folgte begeistert den seltsamen Windungen des Tanzes. Auch Werner und die beiden alten Herren wurden aufmerksam.

Spontan klatschte Liddi Beifall, als die Musik schwieg und das Publikum tat das Gleiche und rief:

»Bravo, Mia Santa!«

»Das ist Mia Santa, die bekannte Filmschauspielerin« sagte Werner zu Liddi, als sich die Tänzerin lächelnd vor dem Publikum verneigte.

»Die Santa? ... Also das ist die Santa, die ich in Düsseldorf so oft im Kino gesehen? ... O wie interessant – – Die muß ich kennen lernen!«

»Mein liebes Kind« warf der Generalkonsul ein, »so was sieht man sich im Kino an, schön! Aber im Leben sitzt man wie im Kino in abgeschlossener Loge vor solcher Damen ..!«

»Onkel Kunzmann, Du bist ein schrecklicher Moralfatzke!«

Der Generalkonsul blickte sprachlos seinen alten Freund, den Kommerzienrat, an. Diese Jugend und diese Zeitströmung verstand er nicht. Soweit, dachte er, dürfte die Gleichstellung der sozialen Schichten nicht gehen – –

Aber zu langen Meditationen kam er nicht, denn Mia Santa war inzwischen zu ihrem Tisch zurückgekehrt und Liddi hatte sie einfach und offen angesprochen und ihr herzlich die Hände gedrückt, ihr gedankt für den großen Genuß, den sie ihr heute Abend und den sie ihr so oft schon bereitet.

Onkel Kunzmann war sprachlos. Machte gute Miene zum bösen Spiel. Er durfte die Situation nicht in Frage stellen. Lebemann und zugleich Weltphilosoph genug, wollte er die Gefährlichkeit der Lage paralysieren, indem er das gesellschaftliche Niveau herstellte. Er stellte sich mit seiner Gesellschaft in aller Form vor, woraus die anderen Herren dasselbe taten.

Nach einer kurzen Weile war man am Tisch ein Herz und eine Seele. Man prostete sich an, man erzählte Scherze aus der Künstlerwelt und Liddi, der das alles neu und unbekannt war, lechzte ordentlich nach jeder Anekdote aus diesen Mysterien, die für eine junge Dame von Familie ewig verschlossen geblieben wären.

Mia Santa war ein leichte, gazellenhaft schlanke Brünette mit bezaubernden großen schwarzen Augen, die bald wie zwei unergründliche tiefe Seen zu schlummern schienen, dann wieder wie Onyxsteine funkelten, tigerhaft, lauernd, versengend. Diese Augen waren ihr Triumph auf der weißen Flimmerwand. Diese weiten sprechenden Augen waren wie Sterne, die von der Kinobühne in das Publikum leuchteten, wie Magnete, die die Menschen zu den Theatern zogen, wenn Mia Santa eine ihrer berühmten Heldinnen abrollen ließ.

Werner saß der Diva gerade gegenüber. Mit Staunen verfolgte er die wachsende Intimität, die sich zwischen den beiden Frauen entwickelte. Von Zeit zu Zeit zog man ihn in das Gespräch. Aber er konnte sich einer gewissen Spannung nicht entwehren, die ihn umklammerte, wenn Mia ihre Augen auf ihn richtete.

Der Generalkonsul hatte seine Haltung wiedergefunden und spielte den Kavalier der alten Schule. Der Kommerzienrat Leitner nickte nur von Zeit zu Zeit, zustimmend oder mit dem Sektglas zutrinkend.

Liddi wollte in die Tiefen der Filmgeheimnisse dringen. Unermüdlich waren ihre Fragen und Mia konnte kaum den Wissensdurst der jungen Dame befriedigen.

»Wenn Sie das Alles so sehr interessiert, liebes Fräulein, müssen Sie sich die Geschichte mal ansehen!«, meinte Mia.

»Nichts leichter als das« fuhr sie fort, als Liddi sie ungläubig fragend anblickte. »Sie besuchen mich im Atelier, wenn ich Aufnahme habe, ... nicht wahr, Direktor?« wandte sie sich fragend an einen der Herren am Tisch, der kurz und lächelnd seine Einwilligung gab.

»Nächsten Mittwoch gibt es eine große Szenenaufnahme, ich erwarte Sie bestimmt in Tempelhof. Warten Sie, kleine Freundin, ich schreibe Ihnen alles genau auf, damit Sie nicht verfehlen.«

Sie ließ sich von dem dicken Herrn, der anscheinend der Direktor ihrer Filmfabrik war, eine Geschäftskarte geben.

Onkel Kunzmann sagte:

»Da hast Du aber Glück gehabt, Liddi, eine solche kostbare Bekanntschaft gemacht zu haben. So was bekommt man nicht so mir nichts dir nichts zu sehen: eine echte Filmdiva in ihrer Tätigkeit!«

Er verbeugte sich galant gegen Fräulein Mia und nickte ihr väterlich zu. Väterlich, mit einem kleinen Schuß von Altmännerverliebtheit. Der Sekt, die prickelnde Lust der Umwelt hatten auch ihn, den in vielen Feuern bewährten Frauenkenner, versöhnlich gestimmt. Und schließlich, dachte er, andere Zeiten zeugen andere Menschen: in seiner Jugendzeit hätte seine Schwester keine Damenbekanntschaft in einer Nachtbar gemacht. Er übersah, daß man früher die jungen Mädchen zeitiger zu Bett schickte ...

Als man aufbrach, versicherten sich Liddi und Mia ihrer frischen Freundschaft und freuten sich auf das Wiedersehen. Mit fröhlichem Gutenachtgruß ging man auseinander.

Nur Werner blieb still und zurückhaltend. Ihn lockten die großen schwarzen abgrundtiefen Augen und er vermied es, in ihren Spiegel zu blicken, als wenn er eine Gefahr witterte ...


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