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12. Kapitel.

Der Generalkonsul war in fiebernder Aufregung nach Hause gekommen. So hatte ihn sein Diener Fritz noch niemals gesehen in allen den langen Jahren, die er um ihn gewesen. Der alte Herr zitterte am ganzen Körper und wollte nicht einen Bissen von dem Essen anrühren, das ihm Fritz servierte. Voller Unwillen schob er die Schüsseln von sich weg, blickte wie abwesend auf das Tischtuch, als ob er die Untiefe eines geheimnisvollen Sees ergründen wollte.

Fritz war ganz verzweifelt. Verschiedene Male machte er den Versuch, seinen Herrn nach dem Grund seiner Verstimmung zu fragen. Aber er wagte es nicht, denn er kannte das heftige Temperament des Alten, seine Verschlossenheit allen Menschen, selbst seinem treuen Faktotum gegenüber.

Nach einer Stunde klingelte er dem Diener.

Er saß vor seinem Schreibtisch, gebrochen und in sich gesunken.

Mit tonloser Stimme sagte er, indem er den Diener mit einer Handbewegung einlud, näher zu ihm heran zu kommen:

»Fritz, hältst Du den Werner für einen schlechten Kerl?«

Der Diener wußte nicht zu antworten und schwieg aus Verlegenheit.

»Also auch Du meinst, daß er gut ein Verbrecher sein könnte – –«

Der Generalkonsul stöhnte.

Der alte Diener stammelte eine Entschuldigung.

Auf keinen Fall dächte er so schlecht vom jungen Herrn. Was denn nur vorgekommen, fragte er, weshalb wäre der Herr Generalkonsul so niedergeschlagen?

Der Generalkonsul erzählte:

»Heute Mittag, kurz bevor ich das Büro verlassen wollte, meldete man mir einen Herrn Kimbell. Als wir allein waren, legitimierte er sich als Geheimpolizist ...«

Der Alte hielt inne.

Fritz fragte in angstvoll ahnendem Gesicht:

»Am Gotteswillen – – Wegen des jungen Herrn?«

»Ja – wegen Werner war er zu mir gekommen, im Namen des Staatsanwalts –«

Dem Diener stockte der Atem. Gespannt beugte er sich vor.

»Das ist nicht möglich – nein –!«

»Es ist so,« unterbrach ihn der Generalkonsul, hart und mitleidslos, »der Junge hat gestohlen – Sie wollen ihn verhaften!«

Der Detektiv hätte ihm die Verdachtsgründe mitgeteilt. Die Geschichte mit den beiden Tausendmarkscheinen habe ihm der Kassenbote Sandhofer selber anvertraut. Für den Raub in der Weinstube in der Friedrichstraße käme daher Werner als Täter in Betracht. Man habe zwar noch keine Indizien, die zu einer schlanken Verurteilung führen könnten, man müßte jedoch den Herrn Assessor wegen Kollisionsgefahr in Untersuchungshaft nehmen. Der Detektiv hätte aber den direkten Auftrag vom Polizeipräsidenten, der ein langjähriger Freund des Generalkonsuls war, ihn von der Affäre vorher zu unterrichten. Der Präsident stellte ihm anheim, seinen Neffen persönlich ins Gebet zu nehmen und ihn zu einem Geständnis zu veranlassen.

»Man würde vielleicht Mittel und Wege finden,« schloß der Generalkonsul seine Erzählung, »die Geschichte aus der Welt zu schaffen ...«

Dem alten Diener war der Schrecken in die Glieder gefahren. Jetzt zitterte auch er vor Aufregung.

»Was machen wir nun, Fritz?« fragte der Generalkonsul. Seine Stimme klang leise und matt.

»Er hat das Mädchen geheiratet – – diese Tänzerin oder Filmschauspielerin – – der Detektiv sagte es mir ...«

»Ich werde zu ihm gehen und mit ihm sprechen, Herr Generalkonsul,« meinte der Diener.

»Das Aeußerste darf nicht geschehen! – Der Junge muß gerettet werden! – – Mein Name ist in Gefahr! Die Schande überlebe ich nicht – –«

Der Generalkonsul war aufgestanden und schritt mit festem Fuß durch den Raum, ihn von einer Ecke zur anderen durchquerend.

»– – diese Geschichte mit den beiden Kassenscheinen ist nur ein Dummerjungenstreich – Gut! – – Aber das andere traue ich ihm nicht zu – – Er kann kein Verbrecher sein! Ein Leichtfuß ist er, ein Spieler vielleicht, aber kein schlechter Mensch!! ...«

Er blieb vor Diener stehen, schaute ihn fragend an.

Fritz sagte:

»Der Herr Generalkonsul hätten ihn vielleicht doch nicht so auf die Straße werfen sollen – wo er doch so an dem Herrn Onkel hing! – – ich weiß es, er hat noch manchesmal mit mir telephoniert und nach dem Herrn Generalkonsul gefragt ...«

»So ...«

Der alte Kunzmann tappte im Zimmer umher. Unruhig, nervös. Dann warf er sich in den weichen Sessel, der am Kamin stand, und drückte den Kopf in die Hände.

Lautlose Stille lag im Raum.

Ein verhaltenes Schluchzen ertönte, als ob plötzlich auf einer Geige eine Saite springt.

»Du hast Recht, Fritz – – ich war zu hart gegen ihn,« stöhnte der Alte im Sessel.

»Wenn Sie es wieder gut machen könnten ...?« wagte der Diener schüchtern einzuwenden.

Der Generalkonsul richtete sich auf.

»Sprich Du mit diesem Mädchen – – seiner Frau ... ich will sehen, ob wir es noch in Ordnung bringen können.«

Der alte Diener ging.

Er hatte im Herzen seinen jungen Herrn noch nicht aufgegeben.

Gegen Abend teilte der Detektiv dem Generalkonsul telephonisch mit, daß man noch auf eine neue Spur in der Geldtaschenaffäre gekommen sei. Es wären im Lokal ein Paar weiße Damenglaceehandschuhe gefunden worden und zwar unter der Eckbank, die den Nebentisch umgäbe, an dem Werner und Sandhofer gesessen hätten.

Der Generalkonsul atmete erleichtert auf. Also ein kleiner Hoffnungsstrahl! Aber gleichzeitig sagte der Detektiv, daß er den Quellen des kolossalen Aufwandes, die der Herr Assessor macht, nachgehen müßte.

Also hatte der Junge Einkünfte, die rätselhaften Ursprungs waren?

Von seinen Freunden im Klub hatte der Generalkonsul mit Genugtuung gehört, daß sein Neffe seit langem fast gar nicht mehr spiele, sondern nur zuschaue. Man hatte ihn schon den »vereidigten Kiebitz« getauft. Und man achtete seine Zurückhaltung jetzt, da sein wahnsinniges Hazardieren früher sehr mißbilligt worden war.

Der Generalkonsul konnte den ganzen Abend nicht von dem Gedanken loskommen, daß trotz allem etwas nicht stimmte.

Er machte sich Vorwürfe über seine Härte, er zerfleischte sich selber und nahm sich vor, Recht für Unrecht gelten zu lassen, zu vergessen, wenn nur die Ehre seines Namens geschützt bliebe.

Mit Spannung erwartete er die Rückkunft des Dieners.

Aber Fritz konnte nicht viel berichten. Er erzählte von der Freude Mias, als sie des Onkels Entschluß hörte, sie bei sich aufzunehmen. Von Werners Leben schien sie keine Ahnung zu haben. Auch von der kleinen Diebstahlsgeschichte, die Fritz ganz vorsichtig andeutete, wußte sie nichts. Sie glaubt, daß Werner Vermögen besitzt oder große Geschäfte macht und in ihrer lustigen Sorglosigkeit denkt sie nicht über das Wie und Woher nach. Sie klagt nur über den Verfall ihres Vaters, den das Unglück, das ihn betroffen, ganz niedergebrochen und zum Trinker gemacht hat. Der säße jetzt die Tage und Nächte in der Kneipe und seine Nerven wären ganz zerrüttet. Auch sein Stolz hätte gelitten und es käme vor, daß er, was er früher niemals getan, jetzt seine Tochter um ein paar Mark anginge, damit er Geld zum Trinken hätte ...

»Ein schlimmes Familienbild!« meinte der Diener.

»Bei der Tochter in Saus und Braus, bei den Eltern Kümmernis und Verfall!«

»Aber sie ist ein liebes Geschöpf, die kleine Frau Mia,« fuhr Fritz fort, »und liebt den jungen Herrn Werner von ganzem Herzen – Der Herr Generalkonsul werden seine Freude an ihr haben – Ja, ja!«

Er lächelte, der gute Alte.

Auch der Generalkonsul lächelte jetzt ein ganz klein Wenig.

Und über die Seelen der beiden Alten kam eine friedliche verzeihende Stimmung.


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