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4. Kapitel.

Werner saß ganz vorn neben seiner Braut. Zuerst folgte er zerstreut der Vorführung. Er fühlte sich unbehaglich. Trotz allem. Trotz der großen Aussichten für die Zukunft. Trotz des Liebreizes seiner Verlobten, trotz der Glückseligkeit, in der Alles um ihn herum seit Liddis Anwesenheit in Berlin schwamm. Er hatte das Empfinden des Abgeschnürtwerdens. Er wollte sich gegen das Kommende stemmen. Aber er sah ein, daß das alles unvermeidlich wäre, daß er seinen Weg so gehen müßte, wie das Schicksal und sein Herr Onkel ihn bestimmte.

Während des Aufenthaltes der Düsseldorfer hatte er sich nur für kurze Stunden in seinen Klub gewagt. Er brauchte das Spiel wie ein Lebenselixir. Ohne die Karten kam er nicht aus. Die Aufregung des Va banque, das Nervenpeitschen am grünen Tisch hielten ihm das Seelengleichgewicht. Auf alle diese Sensationen sollte er verzichten, wenn er verheiratet wäre. Das war eine stillschweigende Abmachung zwischen den Parteien. Andeutungsweise von seiten des Schwiegervaters.

In liebenswürdigem Wunsch ausgedrückt von seiner blonden Braut.

Werner sah vorn in der ersten Reihe vor dem Podium und schaute auf Mia, die tanzte. Er dachte an den großen Coup, den er heute Nachmittag am Baccarattisch verloren, weil der Baron Bensdorf auf »fünf« gekauft hatte. Es war sein letzter Tausender gewesen. Morgen mußte er nun wieder Geld aufnehmen. Was ihm jetzt, als dem Schwiegersohn des reichen Leitner, nicht schwer wurde ...

Immer hatte er Pech an dem Tage, wo er diesen großen Augen begegnete, die ihn da von oben im roten Reflex des Scheinwerfers unablässig zu verfolgen schienen. Wie die Augen einer Katze, die auf der Lauer liegt. Neulich auch, an dem Tage, da er Liddi in das Atelier begleitete, verlor er im Klub eine große Summe. Was für Zusammenhänge zwischen dieser tanzenden Frau da oben, die in nackter Schönheit ihn umschmeichelt, und seinem Lebensweg?

Seine Gedanken schienen plötzlich ausgeschaltet zu sein. Er sah und dachte nichts anderes als Mia. Er vergaß alles um sich herum. Er fühlte seinen Pulsschlag aussetzen, seine Sinne sich umnebeln. Seine Seele flog zu dem Wesen hinaus, das jetzt nur für ihn zu tanzen, nur ihn mit den flammenden Gluten der Leidenschaft zu umlodern schien.

Als der Tanz zu Ende war und jubelnder Beifall im Saal erzitterte, war es ihm, als ob er aus einem Traum erwache, als ob ein böser Alb von ihm genommen. Aber er fürchtete, sich Mia zu nähern, die nun von den Gästen umringt, von allen Seiten Komplimente entgegennehmen mußte.

Später, als Mia, wieder umgezogen, in einer Ecke des Salons saß, eine Schale Sorbet in der Hand den faden Schmeicheleien des jungen Herrn Fürstenburg mit eingefrorenem Lächeln zuhörend, trat Werner zu ihr heran. Sagte ihr ein Wort des Dankes. Der junge Herr Fürstenburg entfernte sich, da ein Vortrag eines bekannten Kabarettiers angekündigt wurde.

Beide, Mia und Werner, saßen sich schweigend minutenlang gegenüber. Beide dachten, daß diese Minuten über ihr Leben entscheiden würden. Dann zog Werner Mias Hand an seinen Mund und küßte sie. Wieder schweigend blickte sie zu ihm hinauf, der, sitzend sogar, um etliches höher war als die kleine zierliche Tänzerin.

Sie plauderten lange miteinander. Ihm war wohl in ihrer Nähe. Noch niemals empfand er das Gefühl der Zugehörigkeit, wie dieser Frau gegenüber. Eine seltsame friedliche Ruhe hatte ihn erfaßt. Und trotzdem fühlte er eine Art Beklemmung. Er stand vor einem Abgrund. Drüben lockte ein Nix und zog ihn in ein Traumland ...

Er wußte später selbst nicht, wie das alles gekommen war. Hatte ihn die Raserei des verliebten Augenblicks gepackt oder war des Bewußtseins Schärfe ihm entglitten?

Sie hatten – nach dem Vortrag des Kabarettiers – getanzt und Werner, der Mia ein paar Runden geführt, war mit ihr in den Wintergarten getreten. Dort unter den Palmen und Blattgewächsen, die von oben ein sanftes gebrochenes blaues Licht erhielten, hatte er sie, aufgepeitscht durch die körperliche Berührung, die er während des Rundtanzes mit Mia empfunden, in seine Arme geschlossen und sie wild und leidenschaftlich geküßt. Mia, im ersten Augenblick überrascht, selbst aber von Sinnen, da sie ihn, den schönen Menschen, ohne es sich einzugestehen, vom ersten Anfang ihrer Begegnung liebte, hatte sich ihm mit allen Fiebern hingegeben.

Liddi, die ein unglücklicher Zufall den lange schon vermißten Bräutigam suchen ließ, war in den Wintergarten getreten in derselben Minute, da sich Mia langsam aus Werners Umarmung löste.

Nun standen sich die Drei gegenüber.

Und die Sprache versagte ihnen.

Keiner wußte, was er tun sollte. Denn sie schämten sich, wie Kinder, die ertappt waren.

Liddi als Erste fand zu sich zurück.

Ihre Erziehung, die anerzogene Gewohnheit, Herrin der Gefühle zu sein, ausbrechende Hemmungen zu bezwingen, siegte. Mit einem Blick der Verachtung, doch um die Mundwinkel den Schmerz der Enttäuschung zeigend, streifte sie das überraschte Liebespaar. Dann schritt sie langsam aus dem Wintergarten heraus, Haltung bewahrend. Erst draußen, als sie im vollen Licht der elektrischen Kronen sich der tanzenden Menge gegenüber sah, brach sie zusammen, sank auf einen Sessel und schluchzte auf. Leise. Keiner der Umstehenden merkte etwas.

Sie faßte einen schnellen Entschluß. Ging zu ihrem Vater, der im Herrenzimmer mit einer Zigarre im Munde Witze erzählte. Berichtete ihm kurz. Sie wollte sofort das Haus verlassen. Sofort. In derselben Minute. Dem Generalkonsul mußte man das mitteilen. Und die Auflösung der Verlobung fordern.

Der alte Leitner wollte keinen Skandal. Also blieb man noch eine kurze Weile. Liddi täuschte plötzliches Unwohlsein vor. Dann ging sie mit ihrem Vater, ruhig, gefaßt, ohne Aufsehen zu machen. Sie hatte noch die Geistesgegenwart, sich von Werner, der, innerlich vor Aufregung zitternd, korrekt und tadellos seine gesellschaftliche Pflicht tat, in das Vestibül begleiten zu lassen. Dort aber sagte sie ihm, zischend wie eine Schlange, daß er ein Schuft wäre, ein ganz gemeiner Schuft.

Im Auto weinte sie. Endlich löste sich ihr Schmerz in einen Tränenstrom und der arme Papa saß fassungslos neben ihr und versuchte sie vergeblich zu trösten.

Für Werner war Liddi eine Episode geworden. Ein schlecht gespieltes Spiel. Nun war er wieder auf dem toten Punkt und mußte von neuem anfangen.

Aber dieses Mal hatte er die Rechnung ohne seinen Onkel gemacht. Die Blamage, die Werner dem Hause des Generalkonsuls angetan, vergaß ihm dieser nicht. Die Auflösung der Verlobung hatte einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen. Als der Onkel den wahren Grund erfuhr, gab es zwischen ihm und Werner eine unerhört scharfe Szene.

Der Generalkonsul verlangte unbedingten Gehorsam. Sogleich sollte Werner nach Düsseldorf fahren, wohin Liddi mit ihrem Vater zurückgekehrt, und die Geschichte wieder ins Geleis bringen. Werner sträubte sich. Mia hielt ihn. Mia hatte ihn ganz in ihren Bann geschlagen. Jede freie Minute widmete er sich ihr. Nur sie füllte sein Dasein aus. Es war, als ob er für keine andere Menschenseele lebe, jemals gelebt habe.

In der Gesellschaft war der wahre Grund der Entlobung nicht unbekannt geblieben. Der Generalkonsul tobte. Er fühlte sich in seiner Stellung kompromitriert, er durfte die Sache nicht auf sich beruhen lassen.

Ein paar Tage wartete er. Dann erklärte er seinem Neffen rundweg, daß es nur zwei Wege für ihn gäbe: den einen nach Düsseldorf oder den anderen aus seinem, des Onkels Haus, heraus.

»Entweder Du bleibst ein anständiger Mensch und wirst Deine Braut wegen der kleinen Entgleisung um Entschuldigung bitten oder wir trennen uns – für immer!«

Werner, von den Ereignissen der letzten Tage benommen, von Mias Liebe berauscht, wie von einem Opiumtaumel, schwankte keinen Augenblick. Noch in der letzten Minute hatte ihm das Schicksal in Mia die Freiheit wiedergegeben, die widerwillige Heirat verhindert. Dem Abenteurer und Spieler, dem Glücksjäger, der der gleißenden Kugel, auf der Fortuna lachend reitet, nachjagt, zeigte sich der rosige Horizont der Träume. Keinen Augenblick zauderte er.

Während der Generalkonsul mit lauter Stimme, voller Wut und doch wieder in Schmerzen, das Schicksal des Neffen zu bestimmen suchte, blieb dieser kalt und schweigend. Bis er mit einer kühlen Verbeugung, in seinem müden, schleppenden Ton sagte:

»... Ich kann nicht. Da Du mir jetzt Dein Haus verbietest, danke ich Dir für alle Liebe, die Du mir entgegengebracht. Aber meine Wege gehen abseits von Deinen Wünschen. Vielleicht tue ich Unrecht ... vielleicht?«

Er senkte den Kopf, drehte sich um und ging ruhig aus dem Zimmer heraus.

Draußen drückte er dem alten Diener Fritz, der ihn seit seiner frühesten Jugend betreut hatte, die Hand und als er ihm sagte, daß er seine Sachen ins Eden-Hotel schaffen lassen sollte, drückte ihm Rührung die Kehle zu.

So verließ er die Stätte, wo er erzogen worden war und wo er ein Heim hatte, er, der Waise ohne anderen Halt in der ganzen Welt als dieses Heim.

Nun würde Mia seine Welt bedeuten.


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