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5. Kapitel.

Marie Sandhofer bewohnte mit ihren Eltern eine bescheidene Wohnung in der Pestalozzistraße zu Charlottenburg. Der Vater war Kassenbote bei einer Großbank, ein tüchtiger und pflichtgetreuer Beamter. Die Mutter liebte ihre Tochter abgöttisch. Stolz auf den Aufstieg der kleinen Statistin und Tanzratte zum berühmten Kinostar, umgab sie sie mit aller Sorgfalt, die sie aufbringen konnte und lebte nur für sie.

Durch einen Zufall war die kleine Marie zum Film gekommen. Ursprünglich zum Ballett ausgebildet, hatte ein findiger Impresario sie auf die Kabarettbühne gebracht, nachdem er ihr eine »Nummer« einstudiert. In einem der vielen Kabaretts, in denen sie auftrat, entdeckte sie der berühmte Filmregisseur Herbert, der sie an die größte Filmfabrik Berlins brachte, sie mit der in der Filmbranche üblichen Zirkusreklame managete, nachdem er ihren gutbürgerlichen Namen in ein sanft und rätselhaft klingendes Pseudonym umgewandelt.

Nachdem der erste Film der Mia Santaserie gelaufen, war die neue Diva ein Liebling des Publikums geworden. Herr Herbert hatte mit sicherem Blick die Goldgrube in ihren großen weiten Augen gesehen und sich nicht getäuscht.

Aber Mia, wie sie sich nun auch in intimen Kreisen nannte (nur für Mutter und Vater Sandhofer blieb sie das Mariechen), büßte nichts von der ihr angeborenen Bescheidenheit ein. Gerade diese Bescheidenheit verlockte alle, die mit ihr in Berührung kamen, sich ihr in irgendeiner Form zu nähern. Die Männer glaubten ein leichtes Wild zu jagen. Aber Mia wies in ihrer neunzehnjährigen Unschuld alle Anträge zurück. Sie wartete auf den Richtigen. Sie verplemperte sich nicht, wie es ihre Kolleginnen vom Ballett, Kabarett und Film taten, sie hatte es nicht nötig. Ihre Einkünfte waren groß genug, um frei von jedem lästigen Zwang leben zu können. Von ihrer Gage unterstützte sie im Gegenteil noch die Eltern, richtete deren Heim gemütlich her und verschaffte den alten Leuten eine Art Bequemlichkeit und Wohlleben, das ihnen bisher fremd gewesen.

Dabei war Mia lebenslustig und übermütig bis zur Ausgelassenheit. Wenn man sie Abends in fröhlicher Gesellschaft in einer Bar traf, wenn sie in Sektlaune einen Solotanz vollführte, in tollen Sprüngen, mit lautem Lachen ihn begleitend, konnten Unbeteiligte sie für eine richtige junge Lebedame halten. Aber nach solch einer verrückten Nacht kletterte sie brav die vier Treppen der elterlichen Wohnung hinauf, legte sich mit etwas wüstem Einschlag im Gehirn in ihr schmales weißes Bett und am nächsten Morgen wusch sie mit eisigkaltem Wasser die Erinnerung an das dumme Zeug aus den Augen und aus dem Sinn.

Kein Mann hatte Gnade vor ihr gefunden. Man munkelte zwar allerlei. Die Kolleginnen dichteten allerhand romanhafte Begebenheiten um sie herum. Aber etwas Bestimmtes wußte Niemand. Die kleine lustige Kinoprinzessin war wie das Prinzeßchen im Märchen, um die die Ritter und Troubadoure in heftigen Turnieren kämpften. Aber Mia gab ganz wie die Märchenprinzessin ihren Anbetern zu schwere Rätsel auf, die keiner lösen konnte.

Da trat Werner in ihr Leben. Bei der ersten Begegnung wußte sie, daß ihr Schicksal sich erfüllen würde. Die Freundschaft mit Liddi, Werners Braut, wurde ihr zu einer schweren Last. Sie litt unter dieser Freundschaft und sie wollte sich mit aller Gewalt diesem jungen Mädchen, das denselben liebte, wie sie, entziehen. Sie war froh, daß Werner sich nicht um sie kümmerte. Obwohl sie den Einfluß spürte, den sie auf ihn übte, jedesmal, wenn sie in seine Nähe kam. Sie wollte nicht zwischen jene beiden treten, die bestimmt waren, ihren Lebensweg zusammen zu gehen. Aber in jenem unbedachten Augenblick im Wintergarten der Kunzmannschen Villa war ihr Wille ausgeschaltet gewesen. Eine Macht, der sie sich nicht entgegenstemmen konnte, hatte sie in die Arme des Geliebten getrieben.

Nun, da sie vernommen, wie sich Werners Zukunft stellte, gehörte sie zu ihm. Nun ließ sie nicht mehr ab von ihm. Auch Werner, der von einer ihm bisher unbekannten Leidenschaft zu dieser kleinen zierlichen Person befangen war, schloß sich ihr mit Leib und Seele an.

In den ersten Tagen nach dem schrecklichen Austritt mit dem Onkel versuchte Werner sich seine Lage klar zu machen.

Was anfangen?

Die juristische Karriere wieder aufnehmen, war nicht möglich. Dazu gehörte die Protektion seines Onkels und außerdem Geld.

Und Geld hatte er so gut wie gar keines. Das tägliche Lebegeld versuchte er im Klub zu lösen. Ein paar Hunderter waren jeden Tag zu gewinnen. Aber das bildete keine Basis, auf der man sein Dasein, wenigstens ein menschenwürdiges Dasein aufrichten konnte.

Ja, wenn er im Spiel einen großen, ganz großen Gewinn erzielen könnte. Den großen Coup landen?

Auch dazu gehörte Geld. Das Betriebskapital ...

Er hatte sich eine kleine möblierte Wohnung genommen. Wollte sich einrichten in dem Leben, das er jetzt zu führen gezwungen war. Vorläufig ein Leben von der Hand in den Mund. Er dachte, in einem Bankinstitut eine Stellung anzunehmen. Aber wenn er sich vorstellte, wie er am Ende des Monats für eine dreißigtägige Arbeit von vielen, vielen Stunden ein paar Hunderter erhalten würde, einen Betrag, den er ohne Besinnen im Klub auf das grüne Tableau zu werfen gewohnt war, der sich in weniger als einer Minute verdoppeln konnte, wenn das Glück ihm hold war ...?

Nein, mit Kleinigkeiten darf man sich nicht abgeben, wenn man die »Pace durchstehen« muß im Leben. Also Zähne zusammen beißen. Das Abenteuer suchen. Sich und sein Schicksal auf die Karte setzen, die ihm die goldene Zukunft bringen soll.

Vorläufig beschwerte er sein Gewissen nicht mit zu großen Plänen, nach denen er seine Tage einrichten hätte müssen. Und dann ließ ihm das entzückende Liebesidyll mit Mia keine Zeit zum Nachdenken.

Mia hatte sich ihm frei gegeben. Sie nahmen in einem vornehmen Restaurant ein ausgewähltes Abendessen und tranken vorzüglichen Champagner. Feierten ihr erstes Beieinandersein. Mia plauderte unaufhörlich und Werner, der müde, blasierte Herrenmensch, unterlag dem Zauber der kleinen Circe. Die mühsam konstruierte Blasiertheit klappte in sich zusammen und zum ersten Mal in seinem Leben empfand Werner einer Frau gegenüber die Freiheit der Seele und die süße Wehmut der Liebe. Wie die Kinder saßen sie beieinander. Das Leben um sie herum, was vor ihnen gewesen, was nach ihnen kommen könnte, versank. Nur dem Augenblick jauchzten sie entgegen und ihre Sehnsucht wurde unendlich.

In dieser Nacht kletterte Mia nicht die vier Treppen der elterlichen Wohnung hinauf, sondern sie hüpfte mit lustigem Gekicher voller Neugier ob des Geschehens die kurzen Stufen zu dem im Parterre gelegenen Junggesellenquartier Werners hinauf.

Drinnen, zwischen den eleganten Möbeln, zwischen den Bric à bracs, Büchern und Photos, richtete sie sich als kleine Hausfrau ein, die sofort von allem Beschlag nahm.

Werner schaute ihr belustigt zu, wie sie in der kleinen Küche Kaffee kochte, wie sie den Tisch deckte, Likörflaschen und Kuchen heraufstellte, bis sie ihn einlud, Platz zu nehmen. Aber der Küsse ungezählte Reihe ließ den beiden keine Muße zu diesem späten Gelage. Alle irdischen Genüsse zerflossen in dem gewaltigen Mahlstrom ihrer jäh erwachten Liebe.

Und ihr Zusammensein wurde ein einziger himmlischer Rausch der Glückseligkeit.


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