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Sechzehntes Kapitel.

Die Gäste hatten den Klub verlassen. Die Diener, die Angst noch in den Knochen, waren weggeschickt. In allen Räumen hatte man die elektrischen Lichter ausgeschaltet.

In dem kleinen Kabinett saß der Rest der Gäste, um Frau Mimi herum, die mit fliegendem Atem dem Kriminalkommissar Kimbell alles erzählte, was sie von Modersohn wußte, von seinen Machenschaften, seinen verbrecherischen Anschlägen, von diesem letzten großen Coup, von der vorbereiteten Flucht mit dem Flugzeug.

»Das hatte ich alles genau vorausgesehen. So hatte ich den Herrn eingeschätzt. – – Übrigens ein Glück, daß ich ihn noch gefaßt habe«, sagte Kimbell.

»Der reine Zufall. Das verdanke ich im wahrsten Sinne des Wortes meinem Kopf. Er ist nämlich ganz gut, wenn man mal mit'n Kopf durch die Wand gehen will«, fuhr fort.

Und er berichtete von seinen Erlebnissen im Käfig, die er so lustig auszumalen verstand, daß, trotzdem die Nerven der Zuhörer durch die Vorfälle der letzten halben Stunde zerrüttet waren, alle in lautes Lachen ausbrachen.

»So einen bedeutenden Kopf«, sagte der Polizeirat, »müßte man mit einem Morgentrunk ehren!«

Mimi flüstert Paul etwas ins Ohr, worauf Paul aus dem Zimmer ging, um bald mit einigen dickbäuchigen Likörflaschen und Gläsern wieder zu erscheinen.

»Also, es lebe unser Kimbell, der stärkste Kopf der Welt! ... läßt sich nächstens im Panoptikum für Geld sehen«, rief der Polizeirat aus. »Prosit!«

»Und was dachten Sie, als Sie in das Dunkel fielen – mit dem Kopf voran?« fragte Paul den Kommissar.

»Gar nichts habe ich mir gedacht – aber Licht habe ich angemacht und gesehen, daß ich mich im Privatbureau des Herrn Modersohn befand – – Dann nahm ich aus einer Schublade im Schreibtisch, die ich mir mit einem Dietrich zu öffnen erlaubte, einen Browning heraus, schlich mich aus der Wohnung, ließ mir durch den Portier das Haus aufschließen und hatte das Glück am Bayerischen Platz sofort ein Auto zu bekommen.«

Frau Mimi hörte mit leuchtenden Augen zu. Sie hatte Pauls linke Hand mit ihren beiden kleinen Händen umfaßt, Paul fühlte, wie ihre Pulse flogen und wie ihr Blut in das seine überging. Nichts in der Welt hätte ihn von dieser Frau trennen können ... Und doch sollte morgen das Schicksal zwischen sie treten, so dachte er wehmütig.

Der Gedanke daran verwirrte ihn. Ließ ihn erzittern.

»Im Augenblick,« fuhr Kimbell fort, »als mein Auto hier vor dem Haus anrattert, springt jemand hinter dem Mauervorsprung des Hauseinganges hervor, ruft: »Herr Modersohn, schnell 'rein ins Auto – die sind oben gekappt!« – – Mit einem Satz bin ich aus meinem Wagen, schieße hinter dem Kerl her. Da läuft mir Modersohn gerade in den Weg. Ich schreie ihm zu, er solle stehen bleiben. Er stutzt, hält mir eine Waffe entgegen. Aber ich war schneller als er – der zweite Schuß, den sie gehört haben, hat ihn ins Jenseits befördert.«

»Was ein richtiger Detektiv ist, kommt immer zu Recht und wenn es in der letzten Sekunde ist – bloß um uns höheren Beamten unsere Unvollkommenheit zu beweisen«, sagte Polizeirat Loeber, listig lächelnd.

»Aber nichts für ungut, lieber Kimbell, trinken wir auf Ihr Wohl noch so'n Tropfen Friedensware – Prosit!« setzte er fort und stieß mit den anderen an.

»Auf solche Sorten, wie dieser Benediktiner, scheint sich der nunmehr verstorbene Herr Modersohn ausgezeichnet verstanden zu haben«, meinte Kimbell.

»Wir wollen die gnädige Frau nicht länger ermüden,« sagte der Polizeirat und küßte Frau Mimi galant die Hand, »morgen, wenn wir den Kerls alles wieder abgenommen haben, wird Herr Kimbell sich gestatten, Ihnen persönlich Ihr Eigentum zuzustellen –«

Die Herren verabschiedeten sich.

Paul mußte sich mit Gewalt aus Mimis Umschlingung ziehen, denn immer wieder küßte sie ihn. – Sie wollte ihn nicht von sich gehen lassen. Ihr Herz quoll über von Dankbarkeit.

Aber endlich stand Paul auf der Straße. Eisiger Nordwind pfiff um seine Schläfen und es war ihm, als wenn er aus einem wüsten Traum erwachte.

Als Frau Luise Grünmeier am nächsten Tage in der Mittagszeitung den Überfall auf den Spielklub am Kurfürstendamm mit allen grausigen Einzelheiten las, hielt sie ihrem Ehegemahl Adolf eine ausgewachsene Gardinenpredigt. Ob sie vielleicht mit einem Manne weiterleben sollte, der in Spelunken verkehrte, wo man von Räubern totgeschossen werden konnte? Und überhaupt, wenn sie gewußt hätte, daß er zu dieser »Person« in die Wohnung ginge, hätte sie das nie geduldet. Er hätte keine Ehre mehr im Leibe, ja, er wäre ein von Gott verlassener Spieler.

Aber weiter kam sie nicht.

Es klingelte draußen.

Eine Dame wäre da, die die Herrschaften sprechen wollte, auch Herrn Paul, sagte das Dienstmädchen.

Adolf Grünmeier, übernächtig, ohne Kragen, mit Pantoffeln an den Füßen, verschwand.

Frau Luise sagte:

»Rufen Sie Herrn Doktor und lassen Sie die Dame eintreten!«

Frau Mimi stand im Türrahmen.

Bescheiden, den schönen Kopf gesenkt, stand sie wie eine Sünderin da, die den Bittgang antreten will.

Frau Luise erkannte sie sofort.

Die »Person«!

»Ich komme,« sagte Mimi, indem sie ein paar Schritte vorwärts setzte, »um eine Schuld zurückzugeben!«

Paul war durch eine andere Türe getreten. »Mimi!« rief er aus.

Die Mutter drehte sich zu ihm um.

Was bedeutete das alles?

Paul blickte starr auf die Geliebte, die unter diesem Blick wieder den Kopf senkte. Auch er wußte nicht, wie Mimi hierher kam. Er hatte ihr noch in der Nacht einen langen Brief geschrieben, den er durch Eilboten an sie abgesandt. Er hatte dem Papier alles anvertraut, was er ihr nicht ins Gesicht sagen konnte, daß das Schicksal sich zwischen sie gestellt, daß das Gespenst des Onkels, daß das unselige Testament sie auseinander treiben würde. Und deshalb wollte er auf die Seligkeit verzichten – mit blutendem Herzen verzichten – die ihm ihre große Liebe gegeben – – –

Nun stand sie in seiner Eltern Haus vor ihm mit bittenden Augen ...

»Verzeihen Sie, gnädige Frau,« sagte Mimi leise, »aber mir hat das viele Geld kein Glück gebracht – –«

Sie brach in Schluchzen aus.

Frau Luise wurde weich. Sie bot Mimi einen Stuhl an. Aber Mimi blieb an der Tür und rührte sich nicht.

»Ich verzichte auf Ihres Schwagers Erbschaft,« sagte sie unter Tränen, »ich habe das ganze Geld gleich mitgebracht.«

Sie wollte ihre Tasche aufmachen.

Paul war an sie herangetreten. Legte seine Hand auf ihren Arm.

»Nicht doch. Das Geld gehört dir – nach dem Gesetz!«

Sie schaute ihn mit hilflos flehenden Augen an.

Frau Luise blickte von Paul zu Mimi. Nun verstand sie. Und ihr Muttergefühl zeigte ihr den richtigen Weg.

Sie trat an die weinende Mimi heran, streichelte sie zart und geleitete sie zu einem Sessel. Dann verließ sie leise das Zimmer. Adolf Grünmeier hatte seine Toilette beendet und wollte gerade den Besuch begrüßen, als Frau Luise ihm in den Weg trat.

»Da drinnen muß erst was ins Reine gebracht werden«, sagte sie. Und dann erzählte sie.

Adolf Grünmeier machte ein pfiffiges Gesicht. Die Erbschaftsgeschichte könnte vielleicht doch noch zum Guten ausgehen, dachte er.

Paul wollte auf keinen Fall Onkel Ferdinands Million, die ihm Mimi anbot, annehmen.

»Aber du darfst mich nicht verlassen«, sagte sie. »Ich kann nicht ohne dich leben!«

Paul dachte, daß es ihm schwer werden würde, die Geliebte zu missen – – –

Aber er widersetzte sich mit aller Gewalt gegen Mimis Anerbieten.

Da stand sie plötzlich auf, stellte sich vor ihm hin und sagte:

»Dann zwingst du mich, vor Gericht zu erklären, daß ich den Bestimmungen des Testamentes nicht entsprochen habe!«

Paul verstand sie nicht.

Sie zog aus der Tasche ein Buch, klappte es auf, zeigte ihm eine Seite, auf der ihr Name stand:

»Das hat Herr Kimbell heute früh in Modersohns Schreibtisch beschlagnahmt: das Krankenjournal des Doktor Savorek, in dessen Klinik ich acht Monate nach deines Onkels Tod von einem Knaben entbunden worden bin. Leider ohne Erfolg, denn das Kind ist nicht lebendig zur Welt gekommen!«

Mimi hatte einen Augenblick den Ausdruck des Triumphes in ihren Augen.

In der nächsten Minute senkte sie wieder ihren Kopf, kraftlos zusammenbrechend. Ihre ganze Gestalt flatterte in konvulsivischen Zuckungen. Sie konnte sich nicht mehr aufrecht halten.

»Mimi!« schrie Paul.

Ohnmächtig war sie ihm in die Anne gesunken. Aber bald hatte er sie wieder zur Besinnung gebracht, ihre Lippen, ihre Äugen, ihre Haare geküßt. Er bettete sie sanft in den Sessel und kniete vor ihr nieder.

»Nein, ich werde dich nicht verlassen, du süße liebe Mimi – niemals, niemals.«

Herr Adolf Grünmeier bekam in der Tat nichts von der langersehnten Million seines verstorbenen Bruders zu sehen. Das junge Ehepaar setzte den Eltern eine sehr anständige Rente aus, die von Frau Luise verwaltet wurde. Aber mit dem Taschengeld, das seine fürsorgliche Ehefrau ihm zur Verfügung stellte, konnte Herr Adolf Grünmeier beim besten Willen keinen Spielklub mehr unsicher machen. Er mußte wieder in seinem alten Stammkaffee einen Halbenpfennigskat dreschen ...

 


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