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Siebtes Kapitel.

In der weiten Halle des Hotels »Waldhöhe« wurde der Nachmittagstee gereicht. Das Flackern und Knistern der brennenden Scheithaufen im mächtigen Kamin machten den komfortabel eingerichteten Raum zu einem, ungemein gemütlichen Aufenthalt. Viele Gäste des fashionablen Winterkurortes kamen um diese Stunde in das berühmte Gasthaus, um nach den sportlichen Übungen in der eisstarren Luft eine wärmende Erfrischung zu nehmen, eine kurze Plauderstunde zu verleben und der künstlerisch vollendeten Musik des Hausorchesters zu lauschen.

Frau Mimi saß an einem Tisch, der etwas abseits stand, fast versteckt hinter einem hohlen Palmenarrangement. Sie war allein, schaute gelangweilt auf die Menge um sie herum und fing die Blicke ihrer Nachbarn mit Gleichgültigkeit auf.

In der Tat war man auf sie seit den paar Tagen, die sie hier zugebracht, aufmerksam geworden. Die sehr schöne junge Frau kam abgespannt, erschöpft in den Bergen an. Selbst die geschickt aufgetragene Schminke konnte die Müdigkeit ihrer Züge nicht übertünchen. Ihre strenge Zurückgezogenheit, ihr Insichselbstverkriechen machte sie zum Rätselspiel der Kurgäste, die mit gesteigerter Neugier sich ihr zu nähern versuchten.

Zusehends erholte sich Frau Mimi. Heute hatte ein tüchtiger Spaziergang durch den Schnee, Berge hinauf und hinunter bereits das Gesichtchen gebräunt und der kleinen Nase eine allerliebste kupferrote Färbung gegeben.

Sie fühlte sich auch bereits besser. Alles, was hinter ihr lag (diese schrecklichen Vorgänge in den letzten Zeiten in Berlin) schien hinter dem weißen Horizont da draußen zu verschwinden.

Mit kurzem Entschluß war sie vor fast einer Woche aus Berlin geflüchtet. Hatte sich von ihrem Direktor Ferien geben lassen, die Koffer gepackt und war, ohne ihr Ziel anzugeben, weggereist. Tante Marie bekam den allerstrengsten Befehl, die Adresse keinem Menschen zu verraten. Selbst Herrn Modersohn nicht ...

Dieser Mensch!

Zur Verzweiflung gebracht, war sie vor ihm geflüchtet.

Wenn sie ihm für ewig aus dem Wege gehen könnte?

Die Erinnerung an ihn wurde sie nicht los. Wie ein böser Teufel heftete er sich an ihre Fersen. Selbst hier in der großen gewaltigen Einsamkeit der Natur, zwischen Schnee und Himmel stand er vor ihr. Bei jedem Schritt, den sie tat, dachte sie an ihn. Und wenn sie einmal geglaubt, ihn vergessen zu haben, trat sein Bild wie ein Phantom aus dem Dunkel des schwarzen Lärchenwaldes oder aus dem Blau der glitzernden Grotte, die ein zu Eis gewordener Wasserfall gebildet ...

Die Musik spielte leise zitternde Walzerklänge – – –

Hatte sie dieser Modersohn hypnotisiert? War sie sein Spielball?

Sie dachte an den teuflischen Einfluß, den dieser Mann auf sie ausübte.

Mit Schaudern sah sie auf den Sumpf zurück, in den sie ihr »Freund«, wie er sich, damit prahlend, nannte, hineingezogen.

Ein Herr war in die Halle getreten.

Frau Mimi ließ ihre Blicke länger auf ihm haften, als sie es bisher unter diesen ihr nichts bedeutenden Menschen getan. Irgend etwas interessierte sie an diesem blassen jungen Mann, der, nach einem freien Platz suchend, seine blauschwarz umrandeten, müdeschauenden Augen umherirren ließ.

Mit einer stummen Verbeugung nahm er den Sessel, den ihm der Kellner an Frau Mimis Tisch heranschob.

Mimi dankte und senkte den Kopf, gedankenlos auf den Teelöffel die vor ihm stehende Cremeschnitte tuend.

Der Herr saß eine Weile schweigend da.

Die beiden blickten aneinander vorbei, bis irgendein Vorfall ein Gespräch beginnen ließ. Wie es in einem Badehotel die Sitte ist zwischen fremden Menschen, die, von weiten Fernen gekommen, an einem neutralen Ort offener sich geben, als im Zwang der heimatlichen Gesellschaftsvorschriften.

Als die Teestunde zu Ende war, hatte Mimi in ihrem Tischgenossen einen wertvollen Bekannten gewonnen.

Er war ein junger Ingenieur, der vor kurzem aus englischer Gefangenschaft entlassen, hier oben auf den Bergen seine angegriffene Lunge auskurieren wollte. Er hatte auch seinen Namen genannt, aber Frau Mimi überhörte ihn. Es war ihr gleichgültig, wer er war. Sie hatte nur das Gefühl, daß er ein ganzer Mann sein mußte. Ein Mann, wie sie ihn bisher noch nicht kennengelernt, einer, der arbeiten und Werte schafften wollte, um in der Welt etwas zu gelten.

Die Bekanntschaft wuchs zu einem großen Erlebnis für Frau Mimi. Ihr ganzes Sein wurde damit ausgefüllt. Sie wußte nicht, ob sie verliebt war oder was sonst dieser erste Eindruck bedeutete, den der einfache, sich diskret zurückhaltende junge Mann auf sie machte.

Gleich am ersten Abend knüpften sich ihre Bande enger. Es war ihnen beiden, als ob sie schon alte gute Freunde wären, so hatten sich ihre Seelen gefunden. Die von Modersohn aufgepeitschte Nervosität beruhigte sich unter dem zarten Liebesgeplänkel, das sich still und leise zwischen ihnen spann, wie Sonnenfäden im dunklen Föhrenwald.

Der junge Ingenieur, dessen Mittel nicht sehr reichlich zu sein schienen, wohnte in einem bescheidenen Gasthof und war bisher nur zum Tee in das vornehme Hotel gekommen. Jetzt verbrachte er jede freie Minute dort oder durchstreifte an der Seite der eleganten Schönen die Wälder, und rodelte und bobste mit ihr. Er war ihr ausgesprochener Kavalier, die Kurgesellschaft hatte Stoff zur Unterhaltung und die Chronique skandaleuse bereitete sich vor diesem Flirt eins ihrer unbeschriebenen Blätter zu widmen.

Der »Herr Doktor«, wie ihn Frau Mimi kurz nannte, war ohne zu wollen, ein scharf beobachtetes Objekt geworden, das während der Teestunde nicht aus den vielen blauen, schwarzen, grünen und grauen Augen gelassen wurde.

Aber Frau Mimi hatte ihren »Doktor« ganz für sich in Beschlag gelegt. Sie klammerte sich ordentlich an ihn, als wenn sie von ihm Rettung ahnte aus dem Wirrwarr, in das sie dieser leichtsinnige Abend damals mit Modersohn gebracht. – – –

Mitten in der Nacht fuhr sie aus schwerem Traum empor. Der Nordwind rüttelte an den Fenstern und der Schneesturm heulte. Tausend Gedanken fuhren ihr durch das Hirn, hetzten sie, scheuchten sie auf, so daß sie keinen Schlaf finden konnte.

Modersohns zynisch lächelndes Bild stand vor ihr, lockend mit grausamen Blicken. Ganz wie er sie angeschaut am letzten Abend vor ihrer Flucht, im Spielsaal ...

Auf sein Geheiß, unter seinem Zwang, hatte sie aus ihrer Wohnung einen Spielklub machen müssen. Einen in aller Form eingetragenen Klub. Modersohn fand den Namen dafür: einen harmlosen, nichtssagenden Namen. Er nannte den Klub den »Klub der Zwölf«, versandte wunderhübsch gedruckte Einladungskarten, besorgte einen Koch und die zum Service nötigen Diener. Dann ließ er eine Unmenge Lebensmittel hinschaffen, die er auf allerlei Wegen erstanden, nahm in Onkel Ferdinands Weinkeller ein Inventar auf und bestimmte die Verkaufspreise, die den hochgeschraubten Zeitverhältnissen entsprachen. Herr Modersohn, kurz gesagt, ergriff Besitz dieser reizenden behaglichen Wohnräume, die noch den guten Geschmack des guten seligen Ferdinand Grünmeier verrieten, die den Stempel jener ruhigen Epoche trugen, wo das Geld noch metallischen Glanz zeigte und man in den Taschen klimpern konnte.

Herr Modersohn fuhr mit energischer Faust in die träumerische Stille der Wohnung am Kurfürstendamm. Frau Mimi sah mit schweigendem Entsetzen, wie ihr Freund sich über alle Traditionen hinwegsetzte. Das große Eßzimmer wurde ausgeleert. Die schweren flämischen Möbel auf den Boden gestellt. Bei Gelegenheit sollten sie verkauft werden. Jetzt wäre die Zeit, wo man für »alte Klamotten« (Herr Modersohn liebte drastische Bezeichnungen) Riesensummen erzielte.

Dann kamen Spieltische, Klubsessel, Stühle, Korbgarnituren an, die die herrlichen antiken Möbel Ferdinands ersetzten. Platz mußte geschafft werden. An den Wänden wurden die Landschaftsbilder durch leuchtende weibliche Akte abgelöst. Die Kristallüster wichen niedrighängenden beschirmten Beleuchtungskörpern. Und in der Mitte des Eßzimmers, das eine saalartige Ausdehnung hatte, prangte der lange Bactisch, umkränzt von 14 Stühlen.

In der Eröffnungsnacht ging es hoch her. Modersohn hatte eine Schar Schlepper in Bewegung gesetzt, die über zweihundert Spieler und Spielerinnen in den neuen Klub brachten, wo sie ein unerhört delikates Büfett vorfanden, gratis und zur freien Verfügung. Man hielt sich an den Leckerbissen schadlos, wenn man am grünen Tisch verlor, aber Modersohn verstand es mit großem Raffinement den Gästen ein angenehmer Wirt zu sein. Er ließ den Sekt in Strömen fließen und hielt dabei, was für ihn die Hauptsache war, das Spiel in höchster Spannung. Er trieb durch Strohmänner die Banken in die Höhe und konnte Riesensummen als Spielgelder einkassieren.

Frau Mimi mußte die liebenswürdige Wirtin vorstellen. Die sogenannte »gnädige Frau«. Modersohn war hinter ihr wie ihr Schatten. Er befahl ihr dies oder jenes. Er stieß sie dahin oder dorthin. Überall mußte sie mit eingefrorenem Lächeln, wie auf der Bühne, die Honneurs machen. Wie eine Puppe im Kasperletheater zog er sie an der Strippe. Er freute sich, wenn die Männer, die sie von der kleinen Bühne Fasanenstraße her kannten, sie mit gierigen Blicken verzehrten, wenn die Frauen in ihren übertriebenen eleganten Toiletten, in ihren zur Schau gestellten Blößen, mit ihrem Millionen werten Geschmeide mit Frau Mimi wetteiferten. Und er sonnte sich im Besitze dieser Frau, die er als Aushängeschild neuen Klubs gebrauchte.

Bis zum nächsten Vormittag ging der Betrieb in der Eröffnungsnacht.

Aber die folgende Nacht zeigte dasselbe Bild. Eine Nacht wie die andere.

Frau Mimis Ruhe war dahin. In der Küche, in der jetzt Herr Müller, der Koch, schaltete und waltete, hatte Tante Maries Herrschaft aufgehört. Überhaupt in der ganzen Wohnung war kein Plätzchen mehr, wohin die gute alte Dame sich hätte zurückziehen können. Selbst das kleine Zimmerchen, in dem sie ihren Lebensabend verbrachte, hatte man zur Vorratskammer umgewandelt.

Und die ganze Wohnung roch nach kaltem Tabak, der in die Nase biß, Übelkeit verursachte, die Räume verpestete. Frau Mimi verließ während des ganzen Tages jetzt niemals ihr Schlafzimmer. Sie fürchtete sich vor diesen Zimmern vorn, die im Tageslicht wie Leichenfelder aussahen. So wirkten diese Spieltische in der Beleuchtung des fahlen Wintertages.

Aber Abends zauberten die elektrischen Kerzen den Traum von der Jagd nach dem Glück. Da tanzte das Glück in sprunghaften Pirouetten über den grünen Tisch, da grinste die Leidenschaft aus allen Winkeln und Ecken, da schlug die Unvernunft das Gewissen tot.

An diesen Hexensabbat dachte Frau Mimi, des Nachts, da der Schneesturm vor ihren Fenstern heulte, dort oben im kleinen Zimmer des Hotels »Waldeshöhe«. Und sie zog schaudernd die Decke über den Kopf und schloß die Augen. Aber sie konnte keine Ruhe finden: sie wußte, daß sie verloren war. Modersohn hatte ihr Andeutungen gemacht, daß er jeden Augenblick imstande wäre, sie zu zwingen, wenn sie sich von ihm zurückziehen würde.

Wußte er, daß sie die Bestimmungen des Testaments verletzt hatte?

Sie knipste die Nachtlampe an. Die Dunkelheit legte sich ihr wie ein Alb auf die Brust. Sie wollte lesen. Blätterte in einem Buch. Aber die Zeilen schwammen vor ihren Augen.

Modersohn ...

Der Teufel in eigener Person – – –

Sie wollte Tante Marie kommen lassen und mit ihr nach einer anderen Stadt ziehen. Nicht mehr zurück nach Berlin – – –

Sie löschte das Licht.

Der Sturm heulte. Die Fensterscheiben klirrten. Wenn er die Geschichte von dem Kind erfährt, dachte sie, wird er mich ganz in der Gewalt haben. Sie schüttelte sich.

Nur das nicht – – – o Gott! ...

Das Zimmermädchen stand vor ihrem Bett, In der einen Hand einen Riesenstrauß, in der anderen ein Telegramm.

Frau Mimi war plötzlich erwacht. Also hatte sie doch noch den Rest der Nacht geschlafen. Aber ihre Glieder waren zerschlagen. Ihr Kopf schmerzte.

Sie griff zu den Blumen, die sie zärtlich betrachtete. Der gute Doktor ...

Dann öffnete sie das Telegramm.

»Komme sofort zurück, widrigenfalls ich Dich hole ... Modersohn.«

Sie starrte wie entgeistert auf das Blättchen geknifften Papieres.

Woher wußte er ihren Aufenthalt?

Aber wie unter einer Suggestion schellte sie, sagte dem wiedereintretenden Mädchen, daß sie noch heute abreisen würde.

Ja, sie mußte wieder zu Modersohn zurück ... Die Rosen stellte sie in eine Vase. Nahm die Visitenkarte, die daran geheftet war, ab, las die zärtlichen Worte ihres neuen Verehrers.

Dann wendete sie die Karte um.

Da stand sein Name.

Sie starrte auf die lithographierten Buchstaben: »Doktor Paul Grünmeier«.

Grünmeier?

In diesen wenigen Tagen, da sie des jungen Mannes Verkehr sich erfreut, hatte sie niemals nach seinem Namen gefragt. Er war für sie der »Doktor«. Das genügte ihr.

Was galt ihr Name, Stand, Reichtum? Sie hatte in ihm zum erstenmal den Menschen kennengelernt und ihre Zuneigung gehörte eben aus diesem Menschen an sich und war nicht abhängig von äußeren Umständen.

Erst seit gestern, da sie im Schlitten durch den schneienden Wald fuhren, eng aneinandergeschmiegt, in der Mitte der Natur ihre Herzen in einem Pulse schlagend, wußte sie, daß sein Vorname Paul war. Und sie hatte ihm gesagt, daß man sie Mimi rufe und daß sie Witwe wäre – – – eine kleine Notlüge.

Und er hieß Grünmeier, genau wie der selige Ferdinand?

Wenn er ein Verwandter des Verstorbenen wäre und von ihr erführe ...

Sie schämte sich. Zum erstenmal schämte sie sich ihrer Vergangenheit.

Und sie schrieb Herrn Doktor Paul Grünmeier, daß sie mit dem Mittagszug nach Berlin reisen müßte, da sie ein dringendes Telegramm erhalten habe. Für die entzückenden Rosen danke sie herzlichst.

Nichts weiter.

Sie erwähnte nichts von Wiedersehen.

Sie schämte sich ...


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