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Sechstes Kapitel.

Fritz Löhnert, der Chauffeur, war geschickt zu Werke gegangen. Es klappte alles. Der Coup war bis auf die kleinste Einzelheit vorbereitet gewesen und wurde mit so vollendeter Komödie durchgeführt, daß kein Verdacht aufkommen konnte.

Während der Sprechstunde, als das Empfangszimmer mit wartenden Patienten beiderlei Geschlechts angefüllt war, klingelte es in der Wohnung des Doktor Savorek. Die diensttuende Schwester Cilly öffnete, wie sie es zwischen fünf und sechs Uhr in einem fort zu tun gewöhnt war. Vor dem Eingang standen ein Zivilist und zwei Soldaten, den Sturmhelm auf dem Kopf, das Gewehr über der Schulter, Revolvertasche und Handgranaten im Gürtel. Die Schwester stutzte. In diesen unruhigen Zeiten war man auf Überfälle gefaßt.

Der Zivilist sagte leise und sehr höflich, indem er seinen Rock öffnete und eine Erkennungsmarke sehen ließ:

»Ich komme von der Polizei – Kriminalbeamter! – – –Ich bitte uns eintreten zu lassen, es handelt sich um eine Haussuchung bei Herrn Doktor« – – Als er die Schwester erbleichen sah, fuhr er fort »Beruhigen Sie sich man Schwester, es ist nur 'ne Formensache, man hat Ihren Doktor denunziert – – – aber wir werden die Sache schon deichseln!« Er schob die Schwester beiseite, betrat den kleinen Vorraum, gefolgt von den beiden Soldaten, deren einer Fritz Löhnert war.

Fritz hatte am Tage vorher seine alte Felduniform hervorgesucht und war darin nach dem Alexanderplatz gefahren, wo er wußte, daß verschiedene seiner alten Kameraden schwunghaften Straßenhandel betrieben. Fritz war immer ein intelligenter Bursche und tüchtiger Arbeiter gewesen. Seine Meister schätzten ihn. Aber er war bald mitgerissen von dem tollen, undisziplinierten Leben, das alle Klassen wie in einem Höllenkessel umherjagte. Alles schrie nach Geld. Alles spekulierte und jagte dem Genuß nach. Werte waren umgewertet, Begriffe neugebildet, Anschauungen verworfen. Aus der Moral hatte man einen Popanz gemacht. Abenteuer und Gewalt, Selbstbereicherung, Verschwendungssucht, Nichtachtung des Geldes waren die Ideale der Menschheit geworden, die krankhaft sich bemühten, die Qualen des Krieges zu vergessen.

So mancher anständige Kerl, der unter normalen Verhältnissen ein guter Volksgenosse geworden wäre, verlor den Halt und tauchte im Nebeltaumel des tollen Durcheinander unter. Rutschte auf der glitschigen Bahn des Verderbens in den Abgrund ...

Fritz Löhnert stand unter dem Einfluß Modersohns, dessen Seele keine Skrupeln kannte. Herr Modersohn, einst ein kleiner Inseratenmacher, hatte es verstanden, aus der Konjunktur Kapital zu schlagen. Aus allen möglichen Kriegsgeschäften brachte er es zu einem Rieseneinkommen. Seine Spielleidenschaft jedoch verschlang ungeheure Summen, die er immer wieder aufzuschütten versuchte. Er war ein eifriger Besucher der verschiedenen Klubs, saß aber fast stets auf dem Vulkan. Er riskierte am Bactisch Vermögen. Aber er verstand es, in kurzer Zeit, wieder Geld »heranzuschaffen«. Wie er das machte, blieb sein Geheimnis. In den Klubs hatte man jedenfalls eine große Achtung vor ihm und seiner Kunst, stets wieder flott sein zu können.

In seinem Chauffeur erzog er sich einen willigen Helfershelfer. Bei einigen schlau angelegten Schiebungen hatte er ihn schon erprobt und ihm ein gutes Stück Geld zu verdienen gegeben. Modersohn ließ sich nicht lumpen. Wenn er Geld hatte, profitierten die anderen auch davon.

So verpflichtete er sich dem jungen Menschen immer mehr. Fritz wurde seine ergebene Kreatur, deren schlechte Instinkte Modersohn durch Geschenke immer wieder hervorzulocken verstand.

Auf dem Alexanderplatz standen Verkäufer und Verkäuferinnen mit Zigaretten, Schokolade, Stiefeln, Wolldecken, Anzügen, Damenhemden, Uhren, Juwelen und allerlei nützlichem und unnötigem Krimskram. Soldaten in abgetragenen Uniformen und Sportmützen auf dem Kopf, Männer in feldgrauen Militärmänteln unter denen Zivilhosen und ausgetretene Kavalierlackschuhe hervorkamen, Frauen in Umschlagtüchern und zerrissenen Blusen, alte Männer, junge Burschen, alte Frauen, hübsche Dirnen, alle schrien durcheinander und priesen ihre Waren an. Wie auf einem Jahrmarkt ging es hier im Herzen Berlins zu und die bis zur halben Höhe mit politischen Werbeplakaten beklebte Berolina schaute in ihrer steinernen Ruhe gelassen auf den Ameisenhaufen zu ihren Füßen hernieder.

Fritz hatte bald einen Bekannten unter diesen Gestalten gefunden, deren verwegene Züge die Abenteurerlust verrieten.

»Mensch, läßt du dir ooch ma wieder sehen?«

Fritz war vor einem Mann stehen geblieben, der im modischen Geckenkostüm, nach amerikanischer Art geschnitten, wie ein Typ aus einem Detektivfilm wirkte. Er hatte die Hände in die weiten Reithosen gesteckt und eine Zigarette zwischen den Lippen, deren süßlichen Opiumrauch er in die nicht sehr ozonreiche Luft des Alexanderplatzes stieß.

»'n Tag, Willem,« sagte Fritz Löhnert, »was machst du denn hier?«

Er handele mit Brillanten und ähnlichen Dingen, antwortete der andere. Zeigte ihm ein paar Ringe, die er aus der Hosentasche zog und deren Steine in der Wintersonne glitzerten.

Aber Fritz interessierte sich nicht dafür. Er trat ganz dicht an den Händler heran, flüsterte ihm ins Ohr:

»Willste 'n Ding mitdrehen?«

Der andere zwinkerte mit dem linken Auge. »Wat zu erben?«

»Wieviel?«

»Ein Brauner –«

»Jemacht!«

Wilhelm winkte. Fritz folgte ihm.

In dem Hinterzimmer einer kleinen Kneipe in der Gipsstraße war eine lustige Gesellschaft beieinander. Trotz des frühen Nachmittags floß der Champagner in Strömen, das Grammophon spielte und die anwesenden Damen, deren Hüte und Pelze nach der neuesten Mode und von der teuersten Qualität waren, tanzten und sangen dazu die Reefrains der Tagesschlager. Die »Kavaliere« zeigten in ihrer Zusammensetzung eine seltsame Mischung. Nicht alle waren ausgesprochene Verbrechertypen. Man sah einigen von diesen Männern die Losgelöstheit von der gesetzlichen Pflicht wohl an, aber es schien ihnen das Bewußtsein des Unrechttuns verloren gegangen zu sein. Es waren die Mitläufer der Zeit, die im Trüben zu fischen verstanden.

Den Mittelpunkt bildeten zwei dicke, satte Bürgererscheinungen. Sie »spendierten«. Sie hatten ein gutes Geschäft gemacht, irgendeine Millionenschiebung und feierten das Gelingen.

»Det is woll 'n Pfeifoklok?« sagte Wilhelm, als er mit Fritz Löhnert in das Zimmer trat, in dem blaue Rauchschwaden um die Gaskrone wie Londoner Nebelwolken lagen.

»Pfeif 'n bisken mit, wennste willst, Willem«, schrie einer, ein dünner langer Kerl mit einem richtigen Schutzmannsgesicht.

»Du,« sagte Wilhelm zu Fritz, »det is der Richtige für den Kriminal, den müssen wa kriejen – –«

Nach einer Viertelstunde hatten die beiden mit Karl Bemke, dem Mann, der aussah wie einer von der »Polente«, die Geschichte besprochen und abgemacht. Die Ausstattung als »Kriminal« war in Gestalt einer echten Erkennungsmarke, die aus dem roten Haus am Alexanderplatz gelegentlich entwendet war, bald gefunden. Am anderen Nachmittag ging die Sache von statten, wie auf der Bühne eines Theaters.

Doktor Savorek war gerade mit einer Untersuchung fertig. Die Patientin lag noch auf dem langen Operationsstuhl. Schwester Cilly klopfte. Der Doktor schaute erstaunt durch seine Brillengläser auf die Soldaten, deren Helme hinter der weißen Kappe der Schwester blitzten. Aber bevor er noch zu sich selbst kam, hatte der lange Mensch, der seine Erkennungsmarke vorgezeigt, schon das Krankenjournal und die anderen Geschäftsbücher des Arztes an sich genommen.

Der Doktor protestierte.

Innerlich zitterte er. Denn in seiner Praxis gab es viele sehr heikle Fälle, die mit großer Diskretion behandelt waren. In seinem Rechnungsbuch standen Posten, die mancherlei Schlüsse ziehen lassen konnten.

Doktor Savorek verhehlte sich nicht, daß er häufig der natürlichen Entwicklung der Dinge vorgegriffen hatte und daß diese seine Tätigkeit ihm außer viel Geld eine gewisse Reputation verschafft hatte, die gelegentlich gefährlich für ihn werden konnte.

Karl Bemke, der falsche Kriminal, arbeitete wie ein gelernter Beamter. Er beschränkte sich auf die Geschäftsbücher und nahm einen Packen Briefe und Mappen mit. Die Geldkassette des Doktors reichte er den beiden Soldaten zu, die angewurzelt an der Tür standen, die Hand am Karabiner. Allerdings nahm Karl die Kassette erst in dem Augenblick, als Doktor Savorek sich zur anderen Tür drehte, durch die eine dicke starke Person ihren roten Kopf steckte, aufgeregt schreiend: »Herr Doktor, kommen Sie schnell, bei Fräulein Guhrauer geht's los!«

Die Haussuchungskommission hatte ihre Pflicht erfüllt. Der Kriminal und die Soldaten verließen die Wohnung, nachdem sich Bemke noch sehr zuvorkommend bei Doktor Savorek und auf dem Korridor bei der hübschen Schwester Cilly wegen der Störung entschuldigt hatte. Karl Bemke kannte das Leben und wußte, wie man sich in der besseren Gesellschaft zu benehmen hatte, da er vor dem Kriege Kellner gewesen und in der Welt herumgekommen war.

Bei Doktor Savorek hinterließ dieser »polizeiliche« Besuch das schrecklichste Chaos. Die Patienten waren im Angesicht der Sturmhelme und Handgranaten aus dem Sprechzimmer geflohen. Die Schwester Lilly hatte ihre Magenkolik bekommen, eine Folgeerscheinung jeder Aufregung bei ihr. Doktor Savorek selbst war kopflos und nervös und konnte die Operation, zu der er gerufen, nicht vornehmen. Und die dicke starke Hebamme Lehmann bekam einen Schwächeanfall, als ihr der Arzt andeutete, um was es sich handelte.

»Allmächt'ger Jott!« schrie sie auf, ließ sich auf einen Stuhl fallen, so daß die Arme schlaff vom Körper hingen.

Doktor Savorek ging still in sein Studierzimmer und grübelte vor sich hin ...

In einer Seitenstraße der Kaiserallee, in der Nähe der Wohnung des Arztes, wartete Modersohn. Im Rauchzimmer einer kleinen Konditorei, in der junge Mädchen für teures Geld Schlagsahnenersatz und »richtiggehenden« Kuchen aßen, saß Herr Modersohn als einziger Gast und blätterte in den illustrierten Zeitschriften. Es dauerte nicht lange, bis Fritz Löhnert erschien, bereits wieder in Zivil.

Modersohn blickte ihn fragend an, als er sich an den Tisch gesetzt.

»Na ...?«

Fritz nickte und schob ihm die Geschäftsbücher des Doktor Savorek hin, die Modersohn in seine Ledertasche steckte.

Als die beiden durch die Kaiserallee gingen, sagte Fritz:

»Die zwei Braunen brauchen Sie Bemke und Wilhelm nicht zu zahlen – Bemke hat Savoreks Kasse mitgenommen – – –«

Modersohn lachte.

Zu Hause studierte er eifrig das Krankenjournal. Und entdeckte darin ein ausgezeichnetes Material, das er gegen Frau Mimi verwerten konnte. – – –

Gegen Abend räumte Schwester Cilly in dem Ordinationszimmer des Doktor Savorek die Spuren der »Haussuchung« auf. Dabei entdeckte sie, daß die Kassette des Arztes fehlte.

Doktor Savorek sah, daß er Schwindlern in die Hände gefallen war ... und atmete auf – – –


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