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Vierzehntes Kapitel.

Paul wich nicht von Mimis Seite. Er begleitete sie auf die Depositenkasse ihrer Bank, wo sie zum großen Erstaunen des Filialvorstehers den Auftrag gab, innerhalb vierundzwanzig Stunden ihr gesamtes Vermögen flüssig zu machen. Paul ließ sie nicht in ihre Wohnung zurückkehren, denn er fürchtete, daß sie Modersohns schlechten Einfluß wieder anheimfallen könnte.

Er verbrachte den Tag über mit ihr, indem er sie durch allerhand Zerstreuungen von dem Unheil, das sie bedrohte, abzulenken versuchte.

Er betreute sie, wie ein Bruder die Schwester. Und während des ganzen Tages, während er in einem luxuriösen Restaurant mit ihr speiste, während er bei den schluchzenden Klängen eines Musikorchesters in der Diele des Esplanadehotels den Tee nahm, vermied er es. von dem zu sprechen, was ihn vielleicht von ihr trennen würde...

Morgen – – wenn alles glücklich vorüber sein würde und er sie von ihren: Vampyr befreit hätte!

Aber seine Liebe zu ihr war ohne Ziel und Eigennutz. Wunschlos.

Er würde von ihr gehen müssen. Das Gespenst des toten Onkels Ferdinand hatte eine Schranke zwischen ihnen errichtet, die unübersteigbar schien.

Mimi hatte ihre Lebhaftigkeit wiedergefunden. Sie lachte und scherzte. Sie freute sich des abwechslungsreichen Tages an der Seite ihres Beschützers, dessen gute Figur und scharfgeschnittener Kopf, noch Spuren der jüngst überstandenen Leiden zeigend, auffielen.

Manchmal erinnerte sie eine gewisse Familienähnlichkeit im Ausdruck des Gesichtes, auch in einer Geste an ihren »Seligen«. Und sie stellte Vergleiche an, die diesen »Seligen« mußten sich im Grabe umdrehen lassen.

Sie liebte Paul mit allen Fibern.

Sie wollte ihn ganz zu eigen haben, ihn behalten. Wenn sie sich ihres Peinigers entledigt hätte, wollte sie ihr Leben ihrer Liebe widmen – – –

So dachte Mimi.

Beide? Gedanken gingen aneinander vorbei.

Ahnungslos saßen sie sich gegenüber, mit dem Schicksal spielend.

Als die Musiker die Instrumente beiseitestellten und das Podium verließen, schreckte Mimi zusammen.

»Es ist spät – – ich muß jetzt nach Haus!« sagte sie.

Heute müßte sie noch einmal ihre Rolle spielen. Und morgen noch. Dann ...

Paul sah ein, daß die Abwesenheit Mimis auffallen könnte.

Also begleitete er sie nach ihrer Wohnung.

Morgen vormittag würde er persönlich vorsprechen, sagte er beim Abschied an der Ecke des großen Platzes.

Mimi ging allein die paar Schritte bis zu ihrer Hausnummer, denn Paul wollte nicht mit ihr gesehen werden.

Als er in seiner Eltern Heim gekommen, fand er den Vater beim Abendessen mit der Mutter.

»Kommst du mit in den Klub, Junge?« fragte ihn Papa Adolf.

Paul meinte, daß er sich heute ausruhen Wollte. Morgen vielleicht.

»Na, ich gehe jetzt alle Tage hin, will mir von der ›Person‹ die Million in Raten abheben.«

Er lachte und verließ vergnügt das Zimmer.

*

Das Abendessen, zu dem die Klubleitung eingeladen, hatte alles übertroffen, das den in kulinarischer Hinsicht verwöhnten Gästen bisher vorgekommen war. Und man mußte sagen, daß es geradezu eine Kunst war, diese m Klubkreisen umsonst gespendeten Gastmahle in bezug auf ausgesuchte Leckereien zu übertrumpfen. Aber Modersohn hatte das Unmögliche möglich gemacht, um die Primeurs der Saison und die seltensten Dinge auf den Tisch zu bringen. Dazu floß der Sekt und zwar guter französischer Schaumwein allererster Marken in Strömen.

Modersohn trank nicht einen Tropfen. Wie ein Feldherr thronte er am Kopfende der langen Tafel und dirigierte an unsichtbaren Fäden die Schlacht.

Eine richtige Schlacht sollte es werden.

Die Pläne waren bis auf alle Einzelheiten ausgearbeitet.

Er hatte es verstanden, die größten Spieler heute nacht in seinen Klub zu locken und er berechnete, daß gut ein paar Millionen bares Geld in den Brieftaschen der Anwesenden lagerten.

Dazu die nette runde Summe, die Mimi vorhin dem Kassierer in seiner Gegenwart übergeben hatte und die dieser auf Anraten Modersohns in seinen Brustbeutel getan.

»Dieses Geld gebrauchen wir für eventuelle Fälle, Herr Rosenduft, wenn die Großen angebufft sind und sie keine Barmittel mehr haben – –«

Nach dem Essen lief das Spiel. Zuerst in leise plätscherndem Fahrwasser.

Die Stimmung war durch den reichlichen Alkoholgenuß etwas gezwungen und verhalten und die Konzentration für den grünen Tisch zerflatterte.

Aber das änderte sich plötzlich.

Eine »Kanone« war erschienen, wie man im Spieljargon die großen Bankhalter nannte. Dieser Herr war einer der beliebtesten Bankiers, da er über sehr bedeutende Mittel verfügte und seiner Leidenschaft die vollen Zügel schießen ließ. Er schleppte ein Riesenvermögen mit sich herum, das er die Marotte hatte in einer großen braunledernen Aktentasche unter dem Arm zu tragen. Aus dieser Tasche, die er stets neben sich liegen hatte, wo er auch immer saß, zog er die Packen mit Tausendmarkscheinen, mit Hundertern oder Fünfzigern wie aus einer nie sich leerenden Zaubertasche heraus.

Der Spielleiter bot eine neue Bank aus.

Herr Gans, der Mann mit der Aktentasche, ersteigerte sie.

Nun stieg das »große Spiel«.

Modersohn beteiligte sich nicht. Er wollte klaren Kopf behalten.

Der Kampf um das Glück wurde zu einem heftigen Getümmel.

Die Ponte, die Gegenspieler, verloren.

Modersohn ballte die Hände in den Hosentaschen: Das war gegen die Voraussetzung, das konnte seinen ganzen Plan umwerfen.

Wenn die großen Bankiers gewinnen, ziehen sie sich bald mit dem Geld zurück und verlassen zu zeitig die Klubräume – das kannte er.

Also mußte er einen Gegenschachzug machen.

Die nächste Bank zog er selbst.

Es wurde kolossal pointiert.

Aber Modersohn, hatte die Karten »vorbereitet« und gewann Schlag auf Schlag.

Die großen Spieler halten sich »angeschossen«, sie waren in Verlust geraten.

Der nächste Bankhalter, ein bekannter Lebemann, erstand die Bank zu einem schwindelhaft hohen Point.

Modersohn schien das Glück gedreht zu haben. Der Bankier verlor bei jedem Zug. Seine Augen rollten voller Wut über den Tisch und der dicke Hals schwoll wie eine überstopfte Wurst aus dem Stehkragen heraus.

Alles half nichts: Das Glück neigte sich zu den Gegenspielern.

Das wollte Modersohn haben.

Er schaute unauffällig nach der Uhr: Noch eine kurze Stunde – – –

Frau Mimi hatte viel Rot auflegen müssen, um die Blässe ihres Gesichtes zu verbergen. Sie lächelte wie eine Wachspuppe. sie hielt mit den ihr bekannten Gästen banale Zwiesprache, aber sie hörte ihre eigene Stimme nicht. Überhaupt schien es ihr, als ob sie auf einsamen Felsen inmitten der Meeresbrandung stände. So schlugen die Worte und Rufe der Menschen an ihr Ohr, tosend, donnernd.

Erst als Paul erschienen war, der sie mit seinen Blicken ermunterte, fühlte sie einen festen Halt.

Paul tat, als wenn er interessiert am Spiel teilnahm. Er pointierte auch ein paarmal. Sein Vater, der zu viel vom Gratissekt genossen, hatte ihn unter den Arm gefaßt und setzte ihm in einem fort sein System auseinander:

»Also, wenn der Bankier zweimal hintereinander gezogen hat, kannst du setzen: Der Coup ist für die Ponte todsicher – dein Vermögen kannst du riskieren!«

Herr Adolf Grünmeier bekam einen Schluckser in die Kehle, der ihn hinderte, seinen Chip auf die Tafel zu werfen.

»Hupla! ... Hupla ...!«

Der Coup wurde wieder von der Bank gewonnen.

»Na denn nicht«, meinte Grünmeier senior. »Dann wollen wir mal jetzt herangehen!« Er hatte heute Pech. Der Gratissekt hatte ihm die Kontenanze weggenommen und sein ganzes System über den Haufen geworfen. Und er opferte einen blauen Schein nach dem andern ...

Paul begrüßte mit schweigendem Kopfnicken den Polizeirat Loeber, der soeben, neben ihn an den Bactisch getreten war.

Die beiden Herren gingen durch die Salons und setzten sich in eine Ecke, Zigaretten rauchend.

Als niemand in der Nähe war, sagte der Polizeirat: »Es ist alles bereit, wenn ein Überfall stattfinden sollte ... Aber Kimbell, unser bester Detektiv, der, wie Sie wissen, die Sache hier bearbeitet, ist seit zwei Tagen spurlos von der Erdoberfläche verschwunden.«

Da sich eine Gruppe von Damen und Herren auf das Kanapee nebenan setzte, mußten sie das Gespräch abbrechen.

Als Mimi vorüberkam, sagte Paul leise:

»Mut! ... Wir passen auf – –«

Frau Mimi schritt mit ihrem Todeslächeln auf den Lippen an ihm vorüber, zur Soubrette Olly Kérely, die in überschwänglicher Zärtlichkeit sie umarmte und ihr in ihrer drolligen Sprache von ihrem großen Gewinn erzählte:

»Denken Sie. gnädige Frau, heute habe ich den ganzen Tisch ›rasiert‹, eine Riesenschlange! – – aber keine Suite gegeben ...«

Frau Mimi beglückwünschte die Schauspielerin. Sie dachte, daß während die Menschen hier im Taumel der Leidenschaften ihre Sinne betäuben, ihr Schicksal auf eines Messers Schneide schwebe ...

Modersohn stand am Fenster des kleinen Kabinetts und schaute auf die Straße. Pelz und Hut lagen auf einem Sessel.

Er schaute angestrengt hinunter. Der große Platz vor dem Hause ließ ihn den Kurfürstendamm überblicken.

In fünf Minuten mußten sie da sein.

Fritz war pünktlich. Auf den konnte er sich verlassen.

Sobald die erste Verwirrung entstehen würde, wollte er auf die Straße flüchten, sich in einem Auto verstecken.

Mimi?

Plötzlich dachte er an Mimi.

Er kehrte in den Spielsaal zurück, suchte sie.

»Ich habe dir etwas zu sagen, komme nach hinten in das Boudoir«, flüsterte er ihr zu.

Willenlos folgte sie ihm.

Er umschlang sie leidenschaftlich. Wollte sie küssen.

Aber Mimi, die durch diese Annäherung aus ihrer Apathie erwacht war, wehrte ihm.

»Gut,« meinte er, »später – wenn wir mehr Zeit zu so etwas haben – – Aber jetzt, mein Täubchen, hole deinen Mantel und die Handschuhe, die du hoffentlich zurechtgemacht, wie ich es dir gestern sagte – in ein paar Minuten rücken wir ...«

Er lachte.

»Da sind sie! ...«

Er starrte aus dem Fenster, das er ein wenig geöffnet.

»Drüben hält das Auto für uns beide – los, mein Kind, mach' schnell!!«

Mimi nahm alle Kräfte zusammen, um nicht zusammenzubrechen.

Aber sie durfte sich nicht verraten.

»Warte hier,« sagte sie, »ich bin gleich zurück ...«


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