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Dreizehntes Kapitel

Tante Marie war mit einem Briefchen zu Paul Grünmeier gekommen.

»... ich erwarte dich bestimmt – – sofort! Ich muß dich sprechen – – –« hatte Mimi geschrieben.

Paul überlas die wenigen Zeilen, in Gegenwart seiner Mutter, die neugierig von Tante Marie zu Paul schaute, den Zusammenhang nicht verstehend.

Die Geliebte seines verstorbenen Onkels.

Was er auf dem Heimweg vom Klub durch seinen Vater erfahren, hatte ihn ernüchtert, aus allen Himmeln gerissen. Er wollte sie nicht wiedersehen, nicht des Schicksals Ironie herausfordern, diese Liebe, deren Gluten sein Herz umloderten, gewaltsam unterdrücken.

Als er nach unruhigem kurzen Schlaf aufgewacht, war sein erster Gedanke: Mimi.

Er fühlte wie dieser Gedanke sein ganzes Wesen umspannte, wie seine Pulse schlugen, wenn das Bild der blonden Frau vor ihm aufstieg.

Und wie ein Phantom sah er sie um sich, wo er auch war und er fühlte, daß er nicht loskommen würde von dieser Liebe.

Aber nach langer Kasteiung seiner Seele war er zu dem Entschluß gekommen, mit allen Mitteln der Selbstüberwindung gegen diese Übermacht zu kämpfen, ihr zu fliehen, diese sündhafte Liebe von sich zu tun ... Dieses Briefchen, das er in der Hand hielt und das den wunderlieblichen Duft der Geliebten zu ihm trug, hatte alle seine Vorsätze im Augenblick umgeworfen.

Er konnte nicht anders.

Nein – er liebte Mimi und mußte zu ihr eilen, wenn sie ihn rief.

Das Schicksal sollte sich erfüllen, wenn es einen Narrentanz mit ihm vorhatte ...

Er ging gleich mit Tante Marie mit, nachdem er seiner Mutter eine ausweichende Auskunft gegeben.

Frau Mimi empfing ihn in dem kleinen Kabinett. Sie sah müde und übernächtigt aus. Tiefe Schatten umzogen die Augen, die Lippen hingen schlaff hinunter. Aber trotz dieser Abspannung war sie schön in ihrer Hilflosigkeit.

Mit hastigen Worten erzählte sie Paul von Modersohns Vorhaben. Sie ahnte allerdings nur ein Verbrechen, aber sie war überzeugt, daß in der Sonnabendnacht von Modersohn eine Tat geplant wäre, die ihr eigenes Geld und das der anwesenden Spieler in seinen Besitz bringen sollte.

Paul sagte:

»Das beste ist, wenn wir sogleich uns mit der Polizei in Verbindung setzen, um vorzubeugen – –«

Eine halbe Stunde später waren die beiden auf dem Polizeipräsidium. Nachdem sie dem diensttuenden Kommissar ihren Fall vorgetragen, erklärte dieser:

»Kennen wir schon – der übliche Überfall im Spielklub – ist 'ne Epidemie geworden. Geben Sie doch mal die Akten her«, rief er einem Schutzmann zu.

Der Kommissar blätterte in den Akten. Dann sagte er lakonisch:

»Kimbell – der Kollege Kimbell besorgt die Sachen – Zimmer 318!«

Mimi und Paul traten in das Zimmer 318.

Herr Kommissar Kimbell wäre nicht da. Schon seit gestern unterwegs. Wahrscheinlich auf Dienstreise. Das war die Auskunft.

Aber sie hätten eine sehr wichtige Mitteilung zu machen – –

Der Beamte telephonierte.

Als er den Hörer wieder abgelegt, meinte er: »Herr Kimbell ist heute mittag von seiner Wohnung weggegangen, wohin wissen wir nicht–«

Als Paul und Mimi auf den Flur traten, unschlüssig, was sie tun sollten, grüßte ein Herr, streckte freudig Paul seine Hand entgegen, sich bei Mimi mit einer Verbeugung entschuldigend.

»Doktor Grünmeier – Sie hier? Und wieder ganz gesund?«

Ein Kamerad aus harten Kriegstagen.

Sie tauschten schnell ein paar Worte aus. Paul stellte Mimi dem Herrn vor:

»Herr Assessor Loeber ...«

»Jetzt wohlbestallter Polizeirat«, fügte der andere hinzu.

»Das trifft sich gut,« sagte Paul, »wir laufen nämlich hier von Pontius zu Pilatus – eine dringende Meldung – die Dame sucht Schutz, lieber Loeber – aber wir wissen nicht, an wen wir uns wenden sollen ...?«

Der Polizeirat fragte.

Paul erzählte in kurzen Umrissen.

»Donnerwetter!« meinte der Polizeirat, »kommen Sie gleich mit – ich gehe gerade zum Vortrag zum Herrn Präsidenten. Den wird die Geschichte sicher interessieren ...«

Der Präsident horchte auf, als er den Namen Modersohn vernahm.

»Dieser Herr ist bei uns bereits schon in Bearbeitung«, sagte er.

Mimi schreckte auf.

Das Furchtbare ihrer Lage kam ihr jäh zum Bewußtsein. Also beschäftigte sich die Polizei vielleicht sogar schon auch mit ihr?

»Unser Kimbell bearbeitet die Materie,« sagte der Präsident zum Polizeirat Loeber, »der wird ihn schon fassen, Wenn's so weit ist – – –.«

Der Präsident ließ sich von Mimi genau berichten, was sie wußte.

»Kimbell muß dem Kerl schon auf der Spur sein,« unterbrach er sie, »seit zwei Tagen höre ich nichts mehr von ihm – – Aber ich rate Ihnen, gnädige Frau, tuen Sie vorläufig das, was Ihnen dieser Modersohn befohlen. Machen Sie Ihr Vermögen flüssig und halten Sie es morgen bereit, wenn die Geschichte, die er plant, vor sich gehen soll. Wir werden unsere Vorkehrungen treffen ...«

Der Präsident ordnete an, daß Kimbell sogleich, wenn er auf das Amt käme, bei ihm vorsprechen sollte.

Aber Kimbell blieb verschwunden.

Auch am anderen Tage, am Sonnabend, hörte man nichts von ihm.

Als Polizeirat Loeber aus Interesse für seinen Kameraden Grünmeier um die Mittagsstunde beim Präsidenten nachfragte, erklärte ihm dieser, daß er vor einem Rätsel stehe. Der sonst so zuverlässige Detektiv hätte sich noch nicht sehen lassen, die Sache Modersohn ginge nicht vorwärts.

»Aber man muß auf der Hut sein – in jedem Fall«, meinte der Polizeirat. »Wenn der Herr Präsident inzwischen mich beauftragen würde, bis sich Kimbells Verschwinden aufklärt?«

»Das ist eine ausgezeichnete Idee, lieber Rat! – – Sie wissen ja Bescheid – heute nacht umstellen Sie das Haus Kurfürstendamm 347 – alles andere wird sich von selbst entwickeln.«

*

Kimbell saß im Bücherschrank, der eigentlich ein behaglich eingerichtetes Kabinett war, und dachte über die seltsamen Fügungen des Schicksals nach. Aber trotz der Muße, die ihm reichlich zur Verfügung stand, arbeitete sein Gehirn unaufhörlich an dem Problem, aus diesem Käfig herauszukommen. Alle Philosophie des »Wenn« und »Aber« konnte ihm nicht den richtigen Weg zeigen. Er mußte mit Tatsachen rechnen. Nur wußte er nicht, wie er diese Tatsachen ins Werk setzen sollte.

Das kleine Kabinett war behaglich ausgestattet. Ein Diwan mit einem Rauchtisch davor, auf dem Zigarren und Zigaretten in Menge lagen. Dicke Schlafdecken auf dem Diwan und weiche Pfühle. Ein paar Bücher. Kimbell lächelte, als er die Titel der Bücher las: Kriminalgeschichten. Aber die Wände waren gepolstert, schallsicher. Kein Fenster. Eine elektrische Birne an der Decke erleuchtete den Raum.

Kimbell klopfte die Wände ab. Suchte nach dem Mechanismus, der die Wand wieder umdrehen würde.

Nichts zu finden. Endlich entdeckte er eine Stelle in der Wand, die eine Metallplatte zu sein schien. Wenn er sein Ohr darauf legte, hörte er Geräusche im Nebenzimmer: Modersohns Schritte.

Dann vernahm er die Stimme des Dieners, der sagte:

»Für heute abend müssen wir aber noch ein paar Mann dazu nehmen – –«

Modersohn antwortete:

»Das überlasse ich dir – – nur sieh zu, daß du sichere Leute bekommst. Und noch eins: sofort vorn im ersten Zimmer den Kassierer knebeln, der hat das Geld unter der Weste auf der Brust...«

Kimbell lauschte gespannt. Aber was nützte es ihm, daß er das alles erfuhr? Wenn er aus diesem Loch herauskommen könnte, wollte er den schlauen Fuchs, der dieses Buen Retiro wahrscheinlich für sich selbst geschaffen. schon fassen. Nun lag er schon seit gestern auf einem weichen Diwan und allem Anscheine nach schien sich kein Mensch um seine Existenz kümmern zu wollen. Das bißchen Fisch- und Fleisch-Konservenzeug, das er vorgefunden, ging auch zur Neige. Die süßen Kakes und die Schokolade wollte er sich aufsparen.

Seine einzige Zerstreuung bildete die Schallplatte.

Aber stundenlang hörte er nichts, da niemand im Nebenzimmer war.

Plötzlich, seine Uhr zeigte die dritte Stunde ungefähr, drangen Stimmen an sein Ohr.

Rauhe Männerstimmen, die durcheinandersprachen. Aber ein scharfer kurzer Befehl des Dieners gebot Ruhe.

»Also, Kinder,« kommandierte Fritz, »nu aufgepaßt: du Willem fährst mit deinem Auto vor. Merk' dir die Hausnummer 347. Da oben am Kurfürstendamm an Halensee zu. Du wartest am Platz, der kurz davor liegt. Ihr andern mit's Lastauto direkt vorfahren. Hier habt ihr den Hausschlüssel. Den Korridor oben mache ich euch selbst auf. Ich warte im Hausflur ... Habt ihr verstanden?«

Kimbell ballte die Faust.

»Ihr Burschen, wenn ich euch kriegen könnte!!«

Er wußte nicht, ob es Tag oder Nacht war. Denn er hatte darüber die Bestimmung verloren, da er von Müdigkeit gepackt eingeschlafen war. Die gleichmäßige Beleuchtung, die Dumpfheit des Raumes unterband das Unterscheidungsvermögen.

Er hörte die Männer sich entfernen.

Totenstille.


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