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Atys und Adrast Zum Attus 1857 gedichtet und vorgetragen von dem Abiturienten des Quedlinburger Gymnasiums Georg Ebers.

Vater, laß mich in die Weite,
Sende mich zum Weidwerk aus –
Deinem Atys will nicht frommen
Träge Ruh' im sichern Haus.

Krösus, Vater, hör mein Flehen,
Sieh mein bleiches Angesicht!
Bin ich noch der frohe Atys?
Vater, nein, ich bin es nicht!

Weißt Du noch, wie ich die Speere
Über ferne Ziele schwang,
Weißt Du noch, daß Atys Name
Nur als Siegername klang?

Weh! der Klang ist ausgeklungen,
Du bewachst mich, schließt mich ein;
Atys, einst der Helden Sieger,
Muß nun Spott für Memmen sein!

Bei dem Weibe soll ich weilen.
Krösus, Vater, welche Schmach,
Ohne Waffenschmuck und Rüstung,
Da man Schwert und Speer mir brach!

Heute ziehen unsre Helden,
Ziehn die Lyder auf die Jagd,
Um den Eber zu erlegen.
Der das Land zur Wüste macht.

In der Myser reichen Saaten
Haust das wilde Riesentier,
Andre werden es erlegen,
Uns zum Schimpfe, mir und Dir!

Jener Atys, wird man sagen,
König Krösus' stolzer Sproß,
Fürchtet kühne Heldentaten,
Bleibt daheim im sichern Schloß. –

Wenn die Jäger wiederkehren.
Wird der Siegeslieder Klang
Trüb und weh ans Ohr mir klingen
Meiner Mannheit Grabgesang.

Vater, was hab' ich verbrochen,
Welch ein furchtbares Vergehn,
Daß ich, wie die schwachen Weiber,
Wehrlos soll und müßig stehn?

Nein, ich kann es nimmer tragen,
Laß mich fort zum Kampfe ziehn,
Denke, wie der Jugend Tage
Ach, so schnell vorüberfliehn!«

Krösus hört des Sohnes Flehen,
Schaut sein bleiches Angesicht;
Aus des Herrschers strengem Auge
Eine milde Träne bricht.

»Atys, siehst Du dort den Gärtner
Wie er jenes Blümlein zart
An den Stab mit Sorgfalt bindet.
Daß er es vor Schaden wahrt;

Sahst Du, wie die kluge Hausfrau,
Zeigt sich Falke oder Aar,
Locket in die sichern Ställe
Des Geflügels bange Schar?

So, mein Atys, heg' ich Sorge
Für Dein Leben, für Dein Glück; –
Wen die Götter uns genommen.
Geben nimmer sie zurück. –

Will ein Gott uns Unglück senden,
Wenn er Großes uns beschied,
Fügt er, daß des Geistes Auge
Ahnend es im Traume sieht.

Ahnung peinigt meine Seele;
Denn ich sah im bangen Schlaf,
Wie ein Speer die Nacht durchsauste
Und Dein Herz, mein Atys, traf.

Darum nahm ich Dir die Waffen,
Brach ich Lanze Dir und Schwert,
Darum wehrt' ich Dir, zu kämpfen
Kampf, den ich Dich selbst gelehrt;

Darum höre meine Bitte,
Dämpfe Deine Kampfbegier; –
Sag, was nützen meine Schätze,
Frommen Ruhm und Krone mir.

Sag, was gilt mir noch das Leben,
Sag, was soll ich auf der Welt,
Wenn, mein Atys, Deine Seele
Zu den Schatten sich gesellt?«

»Vater, Dank für Deine Sorge,
Atys hält sich ihrer wert;
Doch, o Krösus, laß mich reiten,
Gib mir Lanze, Schild und Schwert.

Sieh, ich zieh' ja nicht zum Kampfe
Gegen kühne Männer aus,
Wohlbewehrt mit Schwert und Lanze,
Einem Eber gilt der Strauß,

Und Dein Traumgesicht, mein Vater –
Wohl von meinem Ende spricht's;
Doch ein Speerwurf soll mich fällen,
Von dem Eber sagt es nichts.« –

Krösus hört des Sohnes Rede,
Sieht sein bleiches Angesicht,
Möchte alles ihm gewähren;
Doch ihm ahnt, »er kehret nicht«.

Lange steht er, trüben Blickes,
Endlich hat er sich gefaßt
Und gebeut: »Hin zu den Gräbern,
Ruft den Königssohn Adrast!«

Sie enteilen, und der Jüngling
Seinen Schritt zum König lenkt,
Gram das Antlitz ihm umnachtet,
Schwermut seine Blicke senkt,

Schmerz umzuckt ihm weh die Lippen,
Dämpft der Rede leisen Ton;
Feuchten Blicks schaut er auf Krösus,
Liebreich auf den Königssohn.

»Krösus, Du hast mein begehret,
Sieh den Gastfreund, sieh mich hier!
Alles, was ich bin und habe,
Alles, alles dank' ich Dir.

König, darf ich für Dich sterben,
Nimm mein Leben, nimm es hin;
Möchte gerne zu den Schatten,
Bei den Toten weilt mein Sinn!

Als den Bruder ich erschlagen
In unseligem Versehn,
Mußt' ich scheu von Land zu Lande
Blutbefleckt, geächtet gehn.

Du, o Fürst, hast mich gesühnet,
Gabst mir Trost in bitt'rem Weh;
Schenktest mir, dem Schuldbesteckten,
Schutz in Deiner reinen Näh'.

Aber, ach, die Eumeniden
Gönnen mir nicht Ruh' noch Rast,
Wachend hör' ich und im Schlafe:
»Wehe, Mörder, weh', Adrast!«

Frommt Dir nun mein armes Leben –
Ach, es währte schon zu lang! –
Nimm es: aus dem Lethestrome
Schlürf ich des Vergessens Trank!« –

Krösus drückt des Jünglings Rechte,
Beugt das Haupt ihm frisch zurück:
»Mut! Noch ging ja nicht verloren
All Dein lachend Erdenglück!

König Midas' hehrer Enkel,
Stähle neu das wackre Herz,
Schwing Dich auf zu heller Freude,
Hinter Dir laß Leid und Schmerz!

Jüngling, nütze Deine Jugend,
Wirf die Lanze, schwing das Schwert;
Kämpfe gegen jenen Eber,
Der der Myser Land verheert.

Heldensproß! Bei kühner Fährnis,
Bei der Jagd und ihrer Lust
Treibt der Lenz mit frischem Wehen
Dir den Winter aus der Brust.

Atys sei Dein Jagdgefährte,
Mög er mit den Göttern ziehn!
Du, Adrast, bleib ihm zur Seite,
Hüte und beschütze ihn!«

»Mit dem letzten Atemzuge,
Mit dem letzten Tropfen Blut!«
Ruft Adrast – die bleichen Wangen
Färbt ihm neue Lebensglut.

Da ertönen Weidmannsrufe,
Hundebellen, Hörnerklang,
Und der Zug der Jäger sprengte
Froh den Paktolos entlang.

 

»Hallali« erschallt im Tale,
Wildes Bellen tönt darein;
In die frischgefund'ne Fährte
Fällt die wilde Meute ein.

Mutig wiehern Syrer-Rosse,
Blutend von des Reiters Sporn;
»Auf, ihr Jäger, auf zum Weidwerk,
Hallali durch Strauch und Dorn!

Seht ihr dort den Rieseneber?
Auf, ihr Jäger, auf zur Tat!
Seht ihr, wie das wilde Untier
Wutentbrannt zum Kampfe naht?«

Atys ruft's vom schnellen Rosse,
Sprengt dem Zuge weit voran; –
Nur ein einz'ger kann ihm folgen.
Nur ein einz'ger bleicher Mann.

Wütend schnaubt daher der Eber,
Atys hebt die blanke Wehr,
Und zu gleicher Zeit versendet
Auch der andre seinen Speer.

Blitzschnell durch die trüben Lüfte
Saust die Lanze, und es zieht
Ihr voran ein wildes Heulen
Wie der Eumeniden Lied.

Atys traf das grimme Untier,
Traf es in des Auges Rund;
Doch er selber sinkt vom Rosse,
Blutend, röchelnd, todeswund.

Jener bleiche Lanzenschwinger
Fehlte in der Hast das Ziel;
Aber, ach, ein edler Wildbret
Unter seinem Wurfe fiel.

König Midas' hehrer Enkel
Hat den Atys hingerafft;
Wollt' vor Fährnis ihn beschützen.
Schwang den Speer mit Riesenkraft,

Schwang ihn auf den wilden Eber;
Doch der Eumeniden Hand
Hat den Speer, den schnell geschwingten.
In des Freundes Herz gesandt.

Lärmend naht das Jagdgefolge,
Sieht des edlen Führers Blut –
Flüche folgen nun der Klage,
Und dem Jammer folgt die Wut.

Mancher greift zum scharfen Schwerte,
Mancher an den raschen Speer,
Um den Königssohn zu rächen; –
Doch ein jeder senkt die Wehr;

Denn gleich einem styg'schen Schatten,
Tiefsten Schmerz im Angesicht,
Steht der Königssohn Adrastos
Wie ein Fels und regt sich nicht.

Atys ruht auf grüner Bahre,
Ihn umringt der Jägertroß,
Schweigend führen sie den Toten
In das hohe Königsschloß.

Unglücksboten reiten schnelle.
Krösus weiß, was ihm geschehn;
Ballt im Ingrimm nicht die Fäuste,
Will er still vor Schmerz vergehn.

Dann steht er zum Göttervater,
Fleht in seinem herben Leid:
»Zeus, der du das Gastrecht schirmest.
Dem ich manchen Stier geweiht.

Dem ich manchen Tempel baute,
Dem ich hielt, was ich versprach,
Vater, strafe jenen Mörder,
Der das Gastrecht schnöde brach!

Zeus, ich habe ihn gesühnet,
Ließ ihn teilen meinen Thron,
Willig gab ich ihm das Beste,
Und er mordet meinen Sohn!

Horch, das ist die Totenklage,
Wie sie bang das Tal durchbebt!
Singet ihr, indes zur Rache
Sich die Vaterhand erhebt! –

Und auch Du hier, Mordgeselle!
Was am Bruder Du versucht,
Auch am Freund gelang's; so sei denn
Hundert-, tausendfach verflucht!«

Krösus hat das Wort gerufen;
Stumm und lautlos sank Adrast
In die Knie, wie überbürdet
Von des Schmerzes Bergeslast.

»Deinen Sohn,« sprach er, »erschlug ich,
Da ich ihn beschirmen wollt'; –
Auch der Bruder ward mein Opfer,
Er, der Knabe, lieb und hold.

Wohin mich der Fuß getragen,
Wo ich Schutz und Liebe fand,
Lenkte des Geschickes Walten
Zum Verderben mir die Hand.

Furien folgen meinen Schritten,
Peitschen mich durch Tag und Nacht;
Scheue jeder meine Nähe,
Dem das Dasein sonnig lacht!

Unstet irrt' ich durch die Lande,
Bis ich kam zu Deinem Thron; –
Alles hast Du mir gegeben,
Und ich morde Dir den Sohn!

Blutbefleckt sind meine Hände,
Doch mein Herz ist fromm und rein;
Will die Gottheit uns verderben,
Will sie uns dem Unheil weihn,

Muß der Erdensohn sich fügen.
Keiner kann ihr widerstehn,
Alle dulden wir und leiden,
Bis wir zu den Schatten gehn.

Wohl! Ich habe ausgelitten!
Krösus, ende meine Not,
Ende meines Lebens Qualen,
König, weihe mich dem Tod!

Sende mich ins Reich der Schatten,
Laß zum Orkus mich hinab,
Daß ich endlich Ruhe finde,
Ruhe in dem stillen Grab!«

Krösus löst die Hand vom Schwerte,
Dessen Griff sie streng umfaßt;
Schwer wohl ist die eigne Bürde,
Schwer'res, fühlt er, trägt Adrast.

Und des Jünglings feuchte Blicke
Sehn so rein zu ihm hinan,
Daß der König wähnt, ihn schauen
Seines Atys' Augen an.

Von dem Sohn, der friedvoll rastet,
Blickt er auf den andern hin,
Den die Furie friedlos geißelt,
Dem das Sterben scheint Gewinn,

Und so ruft er: »Ich vergebe!
Ruh an meinem Herzen aus;
Sei mein Sohn, Adrast, wie Atys,
Und mein Schloß Dein Vaterhaus!

Götter wollten ihn verderben,
Atys starb von Götterhand;
Götter haben zu den Schatten
Ihn so jung herabgesandt.

Du warst willenlos ihr Werkzeug,
Darum will ich Dir verzeihn;
Laß uns den Erinnyen opfern;
Laß dem Zeus uns Stiere weihn!

Auf, bestattet meinen Atys,
Auf, ihr Weiber, weint und klagt,
Freunde, häuft den Leichenhügel,
Daß er in die Wolken ragt!«

Als des Tages Schimmer schwindet,
Nachtwind durch die Wipfel weht,
Regungslos ein schlanker Jüngling
Bei dem Leichenhügel steht.

Mondschein bricht aus reinem Himmel,
Nachtigallensang erschallt,
Frieden füllt Adrast die Seele,
Süße Wonne ihn umwallt.

Und er ruft mit sanfter Stimme:
»Bruder, Atys, harret mein; –
Bald will ich im Reich der Schatten,
Bald auf ewig bei euch sein!«

Und sein Schwert durchdringt den Busen,
»Frieden« heißt sein Abschiedswort:
Mondschein leuchtet, Sterne glänzen,
Philomelens Lied tont fort.

Krösus träumt von seinem Atys,
Wie er selig, Hand in Hand,
Wallt mit König Midas' Enkel
Durch ein blühend Gartenland.


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